Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Sechstes Kapitel.

Gil Blas macht eine sehr gute Bekanntschaft, und erhält einen Posten, der ihn über Grafen Galiano's Undankbarkeit tröstet.

Ich erstaunte höchlich, die ganze Zeit über vom Nunnez nichts gehört zu haben, und schloß hieraus: er müsse sich auf dem Lande befinden; sobald ich mich nur auswagen konnte, ging ich zu ihm, und erfuhr wirklich, daß er seit drey Wochen mit dem Herzoge von Medina Sidonia in Andalusien wäre.

Eines Morgens fiel mir beym Erwachen Melchior de la Ronda ein, und da ich mich an mein ihm gethanes Versprechen erinnerte, seinen Neffen zu besuchen, wenn ich jemahls wieder nach Madrid ginge, so nahm ich mir vor, noch am heutigen Tage mein Wort zu halten. Ich begab mich nach dem Pallaste des Don Baltasar de Zuniga. Ich fragte denselben gar bald aus, und nun verlangt ich den Sennor Joseph Navarro zu sprechen, und er erschien kurz darauf. Er empfing mich zwar höflich, aber kalt, ob ich ihm gleich meinen Nahmen genannt hatte. Diese frostige Bewillkommung konnt' ich mit dem Gemählde nicht reimen, das mir von diesem Küchenmeister war gemacht worden. Eben stand ich im Begriffe fortzugehen, 184 fest entschlossen, keinen zweyten Besuch abzulegen, als er mit Einem Mahle eine offne und freundliche Miene annahm, und mit vieler Lebhaftigkeit zu mir sagte:

Ah! Sennor Gil Blas von Santillana verzeihen Sie mir, daß ich Sie nicht besser empfangen habe. Mein Gedächtniß hat mir wieder einen übeln Streich gespielt, mich Ihnen ganz anders gezeigt, als ich gegen Sie gesinnt bin. Ihr Nahme war mir entfallen, und ich besann mich nicht auf den Cavalier, der in einem Briefe erwähnt wurde, welchen ich vor mehr denn vier Wochen aus Granada erhielt.

Lassen Sie Sich umarmen! fuhr er fort, und warf sich mir mit freudiger Aufwallung um den Hals. Mein Oheim Melchior, den ich als meinen leiblichen Vater ehr' und liebe, sagt mir, wenn ich von Ungefähr die Ehre haben sollte, Sie zu sehen, so möcht' ich, darum beschwör' er mich, Ihnen so begegnen, als wären Sie sein Sohn, und wo's nöthig wäre, meinen und meiner Freunde Credit für Sie verwenden. Er lobt mir Ihr Herz und Ihren Kopf auf eine solche Art, daß ich mich auch ohne seine Empfehlung auf's stärkste für Sie interessiren würde. Sehn Sie mich also, ich bitte Sie, als einen Mann an, dem mein Oheim durch seinen Brief all' die Liebe eingeflößt hat, die er für 185 Sie hegt. Ich biethe Ihnen meine Freundschaft an; schlagen Sie mir die Ihrige nicht ab.

Ich dankte dem Sennor Joseph auf's verbindlichste für seine so höflichen Anerbiethungen, und als ein Paar lebhafte, offenherzige Jungen knüpften wir von diesem Augenblick an das engste Freundschaftsband. Ich entdeckte ihm sonach ohn' alles Bedenken meine jetzige Lage. Kaum hatt' ich das gethan, so sagt' er: Ich nehm' es über mich, Sie wo unterzubringen, kommen Sie aber indessen Tag für Tag hierher, und speisen Sie mit uns. Sie werden hier bessere Gerichte finden, als in Ihrer Garküche.

Dieß Anerbiethen war für einen Menschen, der erst vor Kurzem vom Krankenbett' aufgestanden, mit dessen Beutel es schlecht bestellt, und der an Leckerbißchen gewöhnt war, viel zu schmeichelhaft, um von der Hand gewiesen zu werden. Ich nahm es an, und erhohlte mich in diesem Hause dermaßen, daß ich binnen vierzehn Tagen schon ein Bernhardinergesicht hatte. Mir schien's, als wenn Melchior's Neffe seine Pfeifen hier trefflich schnitt, und wie sollt' er es auch nicht? Er hatte drey Sehnen an seinem Bogen; war zu gleicher Zeit Küch- Kellermeister und Haushofmeister. Ueberdieß glaub' ich, (unpartheyisch gesagt) spielte er mit dem Intendanten unter Einem Hütlein.

Ich war vollkommen wieder hergestellt, und da ich mich eines Tages, wie gewöhnlich in 186 Zuniga's Pallaste zum Essen einfand, kam mir mein Freund Joseph entgegen, und sagte zu mir mit fröhlicher Miene: Ich hab' Ihnen einen guten Posten vorzuschlagen, lieber Gil Blas. Sie wissen, der Herzog von Lerma, der erste Minister des Königs hat seine eignen Geschäfte völlig von sich abgewälzt, um einzig und allein sich den Staatsgeschäften widmen zu können. Zwey Männer haben seine Angelegenheiten unter Händen; Don Diego de Monteser hat mit der Einnahme, und Don Rodriguez de Calderon mit den Ausgaben seiner Einkünfte zu thun. Diese beyden Günstlinge betreiben ihre Geschäfte mit der uneingeschränktesten Macht, und hängen nicht im mindesten von einander ab.

Don Diego hat gemeiniglich zwey Inspectoren unter sich; und da ich heut morgen erfahren, daß er deren einen fortgejagt hat, so hab' ich um dessen Stelle für Sie angehalten. Sennor von Monteser, der mich kennt, und dessen Gewogenheit zu besitzen ich mich rühmen kann, gestand mir sie ohne Schwierigkeit zu, nachdem ich von Ihren Sitten und von Ihrer Fähigkeit ein gutes Zeugniß abgelegt hatte. Wir wollen heute Nachmittag zu ihm gehen.

Das thaten wir auch pünctlich. Ich ward sehr huldreich aufgenommen, und mit der Stelle des fortgejagten Inspectors bekleidet. Mein Amt bestand darin, die Landgüter von 187 Sr. Durchlaucht zu bereisen. sie in nöthigem baulichen Stande zu unterhalten, mir die Pachtgelder auszahlen zu lassen; mit Einem Wort alles zu besorgen, was die Ländereyen des Ministers anbetraf, und Monath vor Monath legt' ich dem Don Diego meine Rechnungen vor, der selbige, soviel Gutes man ihm auch von mir gesagt, dennoch auf's genaueste untersuchte. Gerade das wünscht' ich, denn ich hatte mich fest entschlossen, Biedermann zu bleiben, so übel mir dieß auch bey meinem letzten Herrn bekommen war.

Eines Tages erfuhren wir, es sey in dem Schlosse zu Lerma Feuer ausgekommen, und mehr als die Hälfte des Gebäudes läg' in Asche. Ich eilte sogleich hin, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. Nachdem ich mich von diesem Brande auf's allergenaueste unterrichtet hatte, setzt ich einen ausführlichen Bericht davon auf, den Diego dem Herzoge von Lerma wies.

So mißvergnügt diesen Minister auch eine so verdrießliche Nachricht machte, so behagte ihm doch dieser Aufsatz so sehr, daß er sich nach dessen Verfasser erkundigte. Don Diego begnügte sich nicht damit, ihm selbigen zu nennen, sondern sagte ihm noch soviel Vortheilhaftes von mir, daß sich Se. Excellenz ein halbes Jahr nachher meiner bey einem gewissen Anlasse erinnerte, ohne welchen ich vielleicht nie am Hofe 188 wäre gebraucht worden. Der Anlaß war eigentlich der:

Es befand sich damahls in der Infantinnenstraße eine alte Dame, Nahmens Inesilla aus Cantarilla. Zuverlässig bekannt war ihre Herkunft nicht. Einige sagten: sie sey die Tochter eines Lautenmachers, und andre, ein Comtur vom St. Jago-Orden wäre ihr Vater gewesen. Wie dem auch seyn mag, genug es war ein ganz wunderbares Frauenzimmer. Die Natur hatte ihr das besondere Vorrecht zugestanden, ihr ganzes Leben hindurch, das sie bereits auf fünfundsiebenzig Jahr gebracht, die Männer zu bezaubern.

Sie war die angebethete Abgöttinn aller Hofleute unter der vorigen Regierung gewesen, und war es noch aller Höflinge unter der jetzigen. Die Zeit, die nicht Schönheit verschont, vermocht' es nicht die ihrige zu zerstören; zwar streifte sie deren Blühte nach und nach ab, allein das Allgefallende, was sie besaß, konnte selbige ihr nicht nehmen. Ihr königlicher Blick, ihr zauberischer Geist, und die ihr eigne Grazie erwarben ihr noch in ihrem hohen Alter Anbether.

Ein Cavalier von fünfundzwanzig Jahren, Don Valerio de Luna, einer von den Secretären des Herzoges von Lerma, sah Inesille'n und entbrannte für sie. Er that ihr seine Erklärung, und verfolgte seine 189 Beute mit all' dem glühenden Ungestüm, den Lieb' und Jugend einhauchen. Die Dame, die ihre Gründe hatte, seinen Begierden nicht Gehör zu geben, wußte nicht, wie sie selbigen einen Zügel anlegen sollte. Eines Tages glaubte sie dazu ein Mittel ausgefunden zu haben. Sie ließ den jungen Mann in ihr Cabinett kommen, zeigte ihm eine auf dem Tisch stehende Perpendikeluhr, und sagte zu ihm:

Sehen Sie, wieviel jetzt die Uhr ist. Heute sind es gerade fünfundsiebenzig Jahr, daß ich um eben die Stunde auf die Welt kam. Sagen Sie mir einmahl, Hand auf's Herz, ziemt es sich wohl in meinem Alter, Liebeleyen zu treiben? Gehen Sie in sich, mein Kind. Ersticken Sie Empfindungen, die weder Ihnen noch mir zukommen.

Vernunft wirkte auf den Jüngling nicht mehr, und daher auch nicht diese Rede, so weise sie war; im wilden Taumel der Leidenschaft, die seinen Busen zerfolterte, brach er so gegen die Dame aus: Grausame Inesilla, wozu diese nichtigen Ausflüchte? Glauben Sie, daß diese Sie in meinen Augen verändern können? Schmeicheln Sie Sich nicht mit dieser vergeblichen Hoffnung. Es sey nun, daß Sie wirklich so sind, wie Sie mir vorkommen, oder es mag ein Zauber mein Auge umnebeln, so werd' ich doch nicht aufhören, Sie zu lieben. Nun wohl, gab sie zur Antwort, da Sie hartnäckig genug sind, auf dem 190 Entschluße zu bestehen, mich ferner mit ihren Aufwartungen zu belästigen, so soll von nun an meine Thür für Sie verschlossen seyn. Ich untersag' Ihnen den fernern Eintritt und gebiethe Ihnen, Sich nie mehr vor mir sehen zu lassen.

Man glaubt vielleicht, daß diese Rede Valerio'n außer Fassung gebracht, und daß er sich mit guter Art fortgemacht habe. Nichtsweniger! Er ward vielmehr ungestümer. Liebe erzeugt bey Verliebten die Wirkung, die der Wein bey Trunkenbolden thut. Der Cavalier bath, seufzte, und von Bitten plötzlich zur raschen That übergehend, wollte er das mit Gewalt erringen, was er auf andere Art nicht erhalten konnte; allein die Dame stieß ihn muthig zurück, und sagte mit aufgebrachter Miene zu ihm: Haltet ein, Tolldreister! Ich will Eurer thörichten Brunst Zügel und Gebiß anlegen. Wißt, Ihr seyd mein Sohn.

Diese Worte betäubten den Don Valerio; seine Heftigkeit ließ nach. Da er sich aber einbildete, Inesille sage dieß bloß, um sich seinem stürmischen Anliegen zu entziehen, gab er ihr zur Antwort: Mährchen, Sennora! Bloß erfunden, um mein Verlangen nicht zu befriedigen.

Mit nichten, Valerio! fiel sie ihm ein. Ich entdecke Euch ein Geheimniß, das ich Euch stets würde verhehlt haben, wofern ich mich nicht jetzt nothgedrungen sähe, es Euch zu 191 offenbaren. Vor sechsundzwanzig Jahren liebte ich den Don Pedro de Luna, Deinen Vater, der damahls Gouverneur von Segovia war, und Du – bist die Frucht unsrer Liebe. Er erkannte Dich für seinen Sohn, gab Dir die sorgfältigste Erziehung, und Deine guten Eigenschaften bewogen ihn, da er zumahl keine Kinder hatte, Dir sein Vermögen zu vermachen.

Ich, meiner Seits, habe Dich nicht verlassen; sobald ich Dich in die Welt treten sah, sucht' ich Dich an mich zu ziehen, um Dir all' das Feine des Betragens zu geben, das den Mann von Lebensart verkündigt, und das Frauenzimmer nur allein beyzubringen verstehen. Ich that noch mehr; ich verwandte allen meinen Credit, Dich bey dem Staatsminister anzubringen; kurz, ich nahm so viel Theil an Dir, als meine Mutterpflicht erforderte.

Nach diesem Geständniß kannst Du nur Deinen Entschluß fassen. Entfernst Du die sträfliche Leidenschaft aus Deinem Herzen, die jetzt darin tobt, und siehst Du hinfort nur die Mutter in mir, so verbann' ich Dich nicht aus meiner Gegenwart; werde noch immer so zärtlich gegen Dich seyn, als bisher. Reichen aber Deine angestrengtesten Kräfte bis dahin nicht; bist Du zu dem nicht vermögend, was Natur und Vernunft laut von Dir fordern, so flieh' diesen 192 Augenblick von hinnen, und befreye mich von Deinem abscheulichen Anblick!

So sprach Inesilla, und Valerio blieb die ganze Zeit über im dumpfen Stillschweigen versenkt. Es schien als woll' er seine Tugend zurückrufen, und den Sieg über sich selbst davon zu tragen suchen. Doch daran dacht' er gar nicht. Es kochte ein ganz andrer Vorsatz in ihm, und er bereitete seiner Mutter ein ganz anderes Schauspiel. Trostlos über das seinem Glücke sich entgegensetzende unüberwindliche Hinderniß überließ er sich unmännlich der Verzweiflung, zog den Degen, und stieß ihn sich in die Brust. Er bestrafte sich wie ein andrer Oedip, doch mit dem Unterschied, dieser blindete sich aus Reue über den begangnen Frevel, und jener durchbohrte sich aus Schmerz, ihn nicht begangen zu haben.

Der unglückliche Valerio starb nicht sogleich an seiner Wunde, hatte noch Zeit in sich zu kehren, und den Himmel um Verzeihung für seinen Selbstmord anzuflehen. Durch seinen Tod war bey dem Herzoge von Lerma eine Secretärstelle erledigt worden; dieser Minister hatte so wenig meinen Bericht vom Schloßbrande vergessen, als wenig die mir ertheilten Lobsprüche, und deßhalb wählte er mich, die Stelle dieses jungen Mannes zu bekleiden. 193

 


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