Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Gil Blas erfährt, daß nicht alles Gold ist, was gleißt; wie unruhig ihn dieß machte, und was er nun für einen Weg einzuschlagen sich genöthigt sahe.

Beym hereintreten in's Speisehaus ließ ich es mir äusserst angelegen seyn, dem Wirthe zu verstehen zu geben, daß ich ein Secretär des Premierministers sey, und als ein solcher wußt' ich nicht, was ich zum Mittagsbrot fordern sollte. Ich besorgte etwas zu bestellen, woraus Knickerey hervorschmecken möchte; daher sagt' ich zu ihm: er möchte mir geben, was er gut fände. Ich ward auf's beste bewirthet, und mit so vieler Achtsamkeit und Ehrerbiethung bedient, daß 203 ich hierüber noch vergnügter war, als über die guten Gerichte.

Als es zum Bezahlen kam, warf ich eine Pistole auf den Tisch, und überließ den Aufwärtern wenigstens den vierten Theil von dem, was ich hätte herausbekommen sollen. Hierauf ging ich vom Speisewirthe weg, so hoch gebrüstet, als ein junger Selbstzufrieden es nur immer seyn kann.

Zwanzig Schritte davon lag ein großes Hotel garni, worin gemeiniglich auswärtige Cavaliere logirten. Ich miethete mir daselbst fünf bis sechs wohlmöblirte Zimmer, und zahlte sogar den ersten Monath voraus. Es schien als hätt' ich bereits zwey bis drey tausend Ducaten jährlich einzunehmen. Ich ging sodann wieder an meine Arbeit, und war den ganzen Nachmittag beschäftigt, das zu Ende zu bringen, was ich den Morgen begonnen hatte.

In einem Cabinet, dicht an dem meinigen, befanden sich zwey andre Secretäre; allein diese brachten nur das in's Reine, was der Herzog selbst ihnen zu kopiren gab. Noch denselben Abend macht' ich beym Weggehen mit ihnen Bekanntschaft, und um ihre Freundschaft noch besser zu gewinnen, schleppt' ich sie zu meinem Speisewirthe, dem ich die besten Gerichte, welche die damahlige Jahreszeit lieferte, und die köstlichsten und edelsten Weine Spanien's herbeyzuschaffen befahl. 204

Wir setzten uns zu Tische, und unsre Gespräche waren mehr fröhlich als geistreich; denn, um meinen Gästen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ich bemerkte bald, daß sie ihren jetzigen Posten nicht ihrem vielen Kopf verdankten. Die edle Schreibekunst hatten sie vollkommen inne; verstanden sich sehr wohl auf die Wissenschaft Fractur- und Kanzley-Buchstaben gar zierlich und nett dahinzumahlen, allein von den Künsten und Wissenschaften, die auf Schulen getrieben werden, hatten sie nicht die mindeste Tinctur. Dagegen aber verstanden sie sich auf ihr kleines Interesse ungemein wohl; und gaben mir zu erkennen, daß sie von der Ehre, bey dem Oberstaatsminister zu seyn, nicht so berauscht waren, um sich nicht über ihren Dienst bitter zu beschweren.

Schon seit fünf Monathen, sagte der eine, müssen wir aus unserm eignen Beutel zehren. Wir bekommen für unsre Dienste keinen Gehalt, und was das Schlimmste, uns ist nichts Gewisses ausgemacht. Wir wissen nicht, auf was für einem Fuß wir stehen. Was mich anbelangt, sagte der Andre, so wollt' ich gern zwanzig Hiebe mit der Hetzpeitsche statt Besoldung hinnehmen, wofern ich alsdann nur Freyheit hätte, einen andern Posten zu bekleiden; denn nach allen den geheimen Heimlichkeiten, die ich geschrieben, darf ich es nicht wagen, weder meinen Abschied zu nehmen, noch zu fordern. Ich möchte sonst nach 205 dem Castell von Segovia, oder dem Schloße Alikante wandern müssen.

Und wie helfen Sie Sich durch? fuhr ich fort. Vermuthlich haben Sie beyderseits Vermögen? Herzlich wenig, gaben sie mir zur Antwort, allein zum Glück logiren wir bey einer rechtschaffnen Witwe, die uns kreditirt, und der wir zweyhundert Pistolen jährlich Kostgeld geben.

Alle diese Reden, wovon ich kein Wort verlor, machten all' die schönen Seifenblasen zerpuffen, die meine Hochherzigkeit mir in den lieblichsten Farben hatte vorglänzen lassen. Ich stellte mir nunmehr vor, daß man auf mich so wenig Rücksicht nehmen würde, als auf die andern, daß ich folglich über meinen Posten nicht so entzückt zu seyn brauchte, daß nicht alles Gold sey, was gleißt; und daß ich meine Börse nicht genugsam schonen konnte.

Diese Betrachtungen heilten mich von meiner Schwelgesucht. Mir wandelte bereits Reue an, daß ich die beyden Secretäre hierher geführt hatte; ich begann das Ende des Mahls heranzuwünschen, und als ich zahlen mußte, hatt' ich mit dem Speisewirthe der Zeche halber noch Streit.

Meine Collegen und ich gingen um Mitternacht auseinander, weil ich sie nicht weiter zum Trinken nöthigte. Sie begaben sich zu ihrer Witwe, und ich mich in mein prächtiges Logis. 206 Nun hätt' ich mögen aus der Haut fahren, daß ich es mir gemiethet hatte, und nahm mir fest vor, es mit Ende des Monaths aufzugeben. So gut das Bett' auch war, worein ich mich legte, so konnt' ich doch nicht schlafen; meine Unruhe bannte allen Schlaf weg.

Ich dachte den ganzen übrigen Theil der Nacht auf Mittel, wie ich für den König nicht umsonst zu arbeiten brauchte; beschloß Monteser's Rath zu nützen, und stand mit dem Vorsatz aus, dem Don Rodriguez de Calderon meine Aufwartung zu machen. Ich befand mich grad' in der besten Stimmung, vor einem solchen Aufgeblasen zu erscheinen, denn ich fühlte, wie sehr ich seiner bedurfte. Sonach begab ich mich zu diesem Secretär.

Seine Wohnung stieß dicht an des Herzogs Pallast, und glich ihr an Pracht. In der Ausmöblirung würd' es schwer gehalten haben, den Herrn vom Diener zu unterscheiden. Ich ließ mich als den Nachfolger des Don Valerio anmelden; dessenungeachtet mußt' ich länger als eine Stunde im Vorgemach warten. Belieben Sie Sich zu gedulden, mein neugebacknes Secretärchen! sagt' ich indessen zu mir. Sie werden noch manch liebes Mahl die Schwellen der Großen hüten müssen, eh' andere die Ihrige hüten werden.

Endlich öffnete sich die Cabinetsthür. Ich trat hinein und näherte mich dem 207 Don Rodriguez, der an sein Schönliebchen, an Sirene'n, eben ein süßes Briefchen geschrieben hatte, das er in diesem Augenblicke Pedrillo'n gab. Mit so vieler Ehrerbietung, als ich Sennor Calderone'n unter die Augen trat, war ich weder vor dem Erzbischof von Granada, noch vor dem Grafen Galiano, ja selbst nicht einmahl vor dem Oberstaatsminister erschienen. Bey meiner Verbeugung berührt' ich beynahe mit dem Kopfe die Erde, und fleht' ihn in solchen tiefdemüthigen Ausdrücken um seinen Schutz an, daß ich mich deren nicht ohne Scham erinnern kann.

Meine Kriechereyen würden einen weniger stolzen Mann ganz gegen mich aufgebracht haben. Allein ihm behagte dieß Sclavenbetragen gar sehr, und er sagte mit einer noch ziemlich höflichen Miene zu mir: er würde keine Gelegenheit vorbeylassen, mir einen Gefallen zu erzeigen.

Hierauf stattete ich ihm für so günstige Gesinnungen meinen allerunterthänigstgehorsamstergebensten Dank ab, machte einen gar feinen Senf von meinem pflichtschuldigsten treufleißigsten Diensteifer, und begab mich sodann fort, aus Besorgniß, ihm lästig zu fallen, und mit der demüthigsten Entschuldigungsbitte, wenn ich ihn ja in seinen wichtigen Beschäftigungen gestöret hätte.

Nach dieser unbiedermännischen Handlung begab ich mich äusserst betreten fort, und in's 208 Arbeitszimmer, wo ich mein begonnenes Werk zu Stande brachte. Der Herzog unterließ nicht diesen Morgen zu mir zu kommen, und war mit dem Schluße des Aufsatzes so zufrieden, als mit dessen Anfange. Recht gut so! sagte er zu mir. Nun schreib diese kurzgefaßte Geschichte, so zierlich als nur möglich, in das Register von Catalonien. Hernach kannst Du aus dem Portefeuille einen andern Aufsatz nehmen, und mit selbigem eben so verfahren. Ich hatte noch eine ziemlich lange Unterredung mit Sr. Excellenz, deren sanftes und vertrauliches Wesen mich ganz bezauberte. Wie verschieden von Calderone'n! Welcher himmelweite Abstand!

Heut speiste ich in einem wohlfeilern Wirthshause, und beschloß alle Tage incognito in selbiges zu gehen, bis ich gesehen, was meine AufwartsamkeitAufwartsamkeit, die Fertigkeit aufzuwarten. Ist wahrscheinlich Oberdeutsch, aber der Einführung wohl werth. – A. d. Uebers., und mein Schmiegn und Biegen für Wirkungen thun würden. Ich konnte mit meinem Gelde grade ein Vierteljahr auskommen. Solange beschloß ich noch wie zuvor von der Schnur zu zehren, und nahm mir vor (weil kurze Thorheiten die besten sind) den Hof 209 und all' seinen Flitterkram zu verlassen, wenn ich alsdann noch kein Salarium erhielte.

Das war also mein Plan, den ich auch befolgte. Ich wandte zwey Monathe die ersinnlichste Mühe an, mich bey Calderone'n beliebt zu machen, allein er gab so wenig auf all' diese meine Bestrebungen, daß ich die Hoffnung sinken ließ, meinen Zweck bey ihm zu erreichen; andre Saiten gegen ihn aufspannte, ihm nicht mehr höfelte und scharwenzte, und mir einzig und allein angelegen seyn ließ, die augenblicklichen Unterhaltungen zu benutzen, die ich mit dem Herzoge selbst hatte.

 


 << zurück weiter >>