Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zehntes Kapitel.

Was für einen Auftrag der Marques de Marialva Gil Blas'n gibt, und wie dieser treue Secretär sich dessen entledigte.

Noch war der Marques von seiner Komödiantinn nicht zurückgekommen und ich fand seine Kammerdiener im Vorsaal auf ihn warten, und derweil Prim spielen. Ich machte mit ihnen Bekanntschaft, und wir lachten und schäkerten bis um zwey Uhr nach Mitternacht, da unser Herr nach Hause kam. Er stutzte ein wenig, als er mich sahe, und sagte mit einer gütigen Miene, woraus ich schloß, daß er mit dem heutigen Abend äusserst zufrieden sey: Wie, Gil Blas, noch nicht zur Ruhe?

Ich wollte mich erkundigen, ob Ihro Gnaden etwas zu befehlen hätten, gab ich zur Antwort. Morgen früh hätt' ich vielleicht einen Auftrag für Euch, erwiederte er. Doch, dieß hat Zeit bis dahin. Begebt Euch zur Ruhe und merkt Euch für's künftige, daß ich Euch des Wartens überhebe. Ich bedarf weiter Niemandes als meiner Kammerdiener.

Nach dieser Nachricht, die mir im Grunde äusserst angenehm war, (denn sie nahm mir einen 103 Kappzaum ab, der mir manchmahl nicht wenig lästig würde gewesen seyn,) ließ ich den Marques in seinem Zimmer und verfügte mich in mein Dachstübchen. Ich warf mich in's Bett, da ich aber nicht schlafen konnte, fiel mir's ein, dem Rathe des Pythagoras zu folgen, der so lautet: Summ' alles das des Abends zusammen, was Du den Tag über gethan hast; war's gut, so freue Dich darob; war's aber schlimm, so zürn' über Dich.

So ganz rein fand ich mein Gewissen eben nicht, um mit mir zufrieden zu seyn. Auch macht' ich mir Vorwürfe, daß ich Lauren's Betrug unterstützt hatte. Zwar bracht' ich zu meiner Entschuldigung vor: daß ich unmöglich ein Mädchen hätte Lügen strafen können, die bloß die Absicht gehabt habe, mir einen Dienst zu leisten, und daß ich mich einigermaßen nothgedrungen gesehen, an dieser Betriegerey mit Antheil zu nehmen. Mit der Entschuldigung wollte mich mein Gewissen nicht durchhuschen lassen. Wenigstens, warf mir's ein, mußt Du nun das Ding nicht noch weiter treiben wollen, und Du bist äusserst unverschämt, daß Du bey einem Herrn bleiben willst, dessen Zutrauen Du so schlecht belohnest. Kurz, nach einer sehr strengen Selbstprüfung that ich den Ausspruch: daß, wenn ich gleich noch nicht ganz Schelm war, doch nicht viel daran fehlte. 104

Von da ging ich zu den Folgen über, und stellte mir vor, daß ich nicht wenig wagte, einen Mann von solchem Stande zu betrügen, der zur Strafe meiner Sünden gar bald hinter die Schelmerey kommen könnte. Diese reife Betrachtung jagte mich ziemlich in Schreck und Angst; allein die Vorstellungen des daraus erwachsenden Vergnügens und Nutzens trieben jene Besorgniß bald wieder in die Flucht. Ueberdieß wäre die Prophezeyung des Elixirmannes hinlänglich gewesen, mir wieder Muth einzuflössen.

Sonach überließ ich mich den anmuthigsten Vorstellungen; begann nachzurechnen, auf wie hoch sich nach zehn Jahren mein Gehalt belaufen würde, wobey ich die Geschenke, die mir mein Herr machen würde, in Anschlag zu bringen nicht vergaß. Ich maß selbige nach seiner freygebigen Laune, oder vielmehr nach meiner Einbildungskraft, der Unersättlichen, ab, welche meinem Glücke gar keine Schranken setzte. Soviel Herrlichkeiten ermüdeten mich allmählig, und beym Aufbau der schönsten Luftschlösser schlief ich ein.

Ich stand den folgenden Morgen um acht Uhr auf, um die Befehle meines Patrons abzuhohlen; wie erstaunt' ich aber nicht, indem ich die Stubenthür aufmachte, um heraus zu gehen, als mein Herr im Schlafrock und 105 Nachtmütze vor mir stand. Gil Blas, sagte er, da ich gestern Abend eure Schwester verließ, versprach ich ihr den heutigen Vormittag bey ihr zuzubringen; ein wichtiger Vorfall hindert mich, Wort zu halten. Geht zu ihr und sagt ihr in meinem Nahmen: dieser Querfall kränke mich äusserst, und versichert ihr: ich würde noch heut' Abend mit ihr speisen.

Noch eins! fuhr er fort, indem er mir eine Börse und eine kleine, reich mit Edelgesteinen besetzte schagrängne Kapsel reichte, händigt ihr mein Bildniß ein, und diese Börse behaltet für Euch. Es sind funfzig Pistolen darin, ein vorläufiges Merkmal der Zuneigung, die ich bereits für Euch hege.

Mit der Einen Hand nahm ich das Porträt und mit der andern die Börse, die ich so wenig verdiente. Ich lief flugs zu Laure'n, und sagte im Taumel meiner Freude zu mir selbst: Bravo! die Prophezeyung geht zusehends in Erfüllung! Wie glücklich ist nicht der Bruder eines schönen und galanten Mädchens! Nur Schade, daß dabey nicht soviel Ehre, als Nutzen und Vergnügen ist!

Laura pflegte gegen die Gewohnheit ihres Gleichen früh aufzustehen. Ich überraschte sie an ihrem Nachttische, wo sie in Erwartung ihres Portugiesen zu ihrer natürlichen 106 Schönheit noch all' die Reize zu Hülfe nahm, welche die Kunst der Coketterie ihr verschaffen konnte.

Liebenswürdige Stella! sagt' ich beym Hereintreten, Magnet der Ausländer! nunmehr steht mir's frey, mit meinem Herrn hier zu speisen. Denn er hat mich mit einem Auftrage beladen, der mir dieß Vorrecht verschafft, und dessen ich mich jetzt entledigen will. Heut Vormittag wird er nicht das so sehnlich gehoffte Vergnügen haben, sich mit Ihnen zu unterhalten. Doch, um Sie dieserhalb zu trösten, wird er heut' Abend bey Ihnen essen kommen. Er sendet Ihnen hier sein Porträt, das meines Bedünkens für Sie noch etwas Tröstenderes zu haben scheint.

Zugleich überreicht' ich ihr die Kapsel, deren flimmernde Einfassung eine gar herrliche Augenweide für sie war. Sie öffnete selbige, und nachdem sie im Vorbeygehen das Porträt besehen hatte, machte sie solche wieder zu, und kam auf die Juwelen zurück. Sie rühmte deren Schönheit, und sagte lächelnd zu mir: Solche Copieen lieben die Theaterfrauenzimmer mehr als die Originale.

Hierauf berichtete ich ihr, daß der edelmüthige Portugiese, indem er mir das Porträt gegeben, mir zugleich eine Börse mit funfzig Pistolen verehrt habe. Ich gratulire, sagte sie zu mir. Dieser Herr thut gleich beym Anfange, was andre selten am Ende zu thun pflegen. 107

Bloß Ihnen, meine Anbethungswürdige, antwortete ich, hab' ich dieß Geschenk zu verdanken; der Marques hat's mir lediglich der Brüderschaft halber gemacht. Ich wollte, daß er Dir täglich dergleichen machte, erwiederte sie. Ich kann Dir nicht sagen, wie sehr theuer Du mir bist. Seit dem ersten Nu, da ich Dich gesehen, bin ich durch ein so starkes Band an Dich gebunden, daß die Zeit es nicht hat zerreissen können. Als ich Dich zu Madrid verlor, gab ich nicht alle Hoffnung auf, Dich wiederzufinden, und gestern, als ich Dich wiedersah, empfing ich Dich als einen, der unumgänglich zu mir zurückkommen mußte. Mit Einem Wort, mein Freund, der Himmel hat uns für einander bestimmt. Du wirst noch mein Mann, vorher aber müssen wir erst unsre Schäfchen in's Trockne bringen. Das räth uns die Klugheit. Ich will noch drey bis vier Liebesintriken spielen, damit du alsdann auf einen recht grünen Zweig zu sitzen kommst.

Ich dankte ihr auf's höflichste, daß sie sich meinetwegen so bemühen wollte, und unvermerkt kamen wir immer tiefer und tiefer in's Gespräch, so daß es mit Einem Mahle Mittag war. Nunmehr entfernt' ich mich, um meinem Herrn zu melden, wie sein Geschenk war aufgenommen worden. Zwar hatt' ich dieserhalb von Laure'n keine Instruction bekommen, dessen ungeachtet 108 drechselt' ich unterweges ein schönes Compliment zusammen, das ich in ihrem Nahmen auszurichten mir vornahm.

Die Mühe hätt' ich sparen können, denn wie ich in den Pallast trat, erfuhr ich, der Marques sey ausgegangen, und es stand im Buche des Schicksals, daß ich ihn nicht mehr wiedersehen sollte, wie man in dem folgenden Kapitel lesen kann. 109

 


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