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XXXIV.

Der Ginster oder die Blume der Wüste.

Hier auf dem dürren Rücken
Des schreckenvollen Berges
Vesuvius, des Zerstörers,
Den sonst nicht Baum noch Blume heiter schmücken,
Verbreitest einsam du ringsum dein Strauchwerk,
O Ginster, lieblich duftend,
Der Wüste Freund! So sah ich auch als Zierde
Dein liebliches Gerank auf jenen Fluren,
Den öden, rings umgebend
Die ew'ge Stadt, die, ach, zur Zeit der Ahnen
War Königin der Erde, wo dein Anblick
Ans Weltreich, das verlorne,
Den Wandrer schweigend sinnvoll will gemahnen.
Nun find ich dich auf diesem Boden wieder:
Magst du so gern dich traurig-öden Stätten
Gesellen und versunknen Herrlichkeiten?
Auf diesen Flächen hier, den öden, weiten,
Bestreut mit Aschenhügeln, überkrustet
Von steingewordner Lava,
Hell unterm Schritt des Wanderers erknisternd.
Wo Schlangen nisten und sich ringelnd sonnen
Und stets zum klüftereichen
Verstecke die Kaninchen wiederkehren:
Da standen heiter prangend
Landhäuser einst, umglänzt von goldnen Aehren
Und vom Gebrüll der Rinder widerhallend;
Da Gärten und Paläste,
Den Mächtigen erwünschtes Ziel der Muße;
Da selbst berühmte Städte,
Die dieses stolze Bergeshaupt gewitternd
Mit Strömen traf aus seinem Flammenschlunde,
Sammt den Bewohnern. Nun bedeckt der wilde
Ruin die Fluren weithin in der Runde.
Nur du hast drin mitleidig aufgeschlagen
Den Wohnsitz, edles Kraut, zum Himmel schickend
So süßen Duftes Milde,
Daß sich die Wüste dran erlabt. Es komme
Hieher, wer sich gewöhnt, das ird'sche Leben
Zu preisen, ja er komm' auf diese Fluren,
Zu sehn, ob der Natur am Herzen liege
Wahrhaft das Wohl und Weh der Kreaturen!
Hier mag er auch ermessen
Mit rechtem Maß die Kraft der Menschenkinder,
Die jene harte Mutter, unerwartet,
Mit leichtem Ruck im Augenblick zum Theile
Vernichtet, und mit wenig stärkerm Anstoß
Urplötzlich auch mag ganz und gar vernichten.
Ja, seht nur dieß Gefilde,
Es kann euch von der Menschheit Loos im Bilde,
Von »ihres Fortschritts Herrlichkeit« berichten!

Hier spiegle dich, du stolzes,
Du thörichtes Jahrhundert,
Das du des Pfads nach vorwärts,
Dir vorgezeichnet von des neu erwachten
Gedankens Freiheit, schon nicht mehr willst achten,
Und, rückwärts wendend deinen Schritt, dich rühme
Des Rückschritts, und ihn Fortschritt
Benennst, ein eitler Prahler. Die Talente,
Die Geister, welche du gebierst, sie neigen
Als Schmeichler sich vor deinem kind'schen Sinne,
Ob auch Wohl im Geheimen
Sie deiner spotten. Ich nur
Will nicht ins Grab mit solcher Schande steigen:
Leicht war' mirs, nachzuahmen
Die Anderen, und faselnd um die Wette,
Zu kitzeln dir die Ohren:
Doch lieber will ich alle die Verachtung,
Die ich im Busen trage
Für dich, so laut ich es vermag, verkünden:
Daß schmähliches Vergessen
Bedroht den Mann, deß Wort dem Schwärm zur Pein ist,
Ich weiß es, doch ich lache dieses Unglücks,
Das mir mit dir gemein ist!
Von Freiheit träumend, willst du den Gedanken
Geknechtet doch vom Neuen,
Durch den wir uns entrissen
Der Barbarei zum Theil, durch welchen einzig
Gesittung blüht, durch den der Staaten Schicksal
Sich einzig mag erfreuen.
So sehr mißfiel die Wahrheit
Des harten Looses dir, des niedern Ortes,
Den uns Natur beschied, und flüchtend wandtest
Den Rücken du der Klarheit
Des Lichts, das sie dir offenbarte; Feigling
Schiltst du den Freund des Lichtes
Und muthig den, der, listig oder thöricht,
Lobpreisend strebt das Leben
Der Menschen zu den Sternen zu erheben.

Ein Mann von dürft'gem Stand und siechen Gliedern,
Wenn er an Geist ist edel und erhaben,
Nicht nennt er kraftgewaltig
Sich je, noch reich an goldnen Glückesgaben,
Noch trachtet er sich mit dem Schein zu brüsten
Von hohem Glanz, von Einfluß,
In thöricht eitlem, kleinlichem Gebahren:
Nein, ohne Scham sich zeigt er
An Leibeskraft ein Bettler und an Schätzen,
Und nennt sich selbst nicht anders, und betrachtet
Sein Lebensloos nach seinem Werth, dem wahren.
Nicht als ein edel Wesen
Gilt jenes mir, nein, thöricht,
Das, für den Tod geboren, und in Peinen
Erzogen, ruft: Geboren
Zur Freude bin ich! und mit schnödem Hochmuth
Besudelnd Blätter, herrlich Loos und neue
Glückseligkeit, wie nicht sie kennt der Himmel,
Geschweige diese Welt, mit kecken Mienen
Verspricht den Völkern, die doch schon ein Anprall
Des stürm'schen Meers, ein Anhauch
Von böser Luft, ein unterirdscher Einsturz
Vernichtet so, daß kaum noch
Erinnrung bleibt von ihnen.
Nur Jenen nenn' ich muthig,
Der kühnlich zu erheben
Sein sterblich Auge wagt dem allgemeinen
Geschick entgegen, und mit freier Zunge,
Der Wahrheit nichts entziehend,
Gesteht das schlimme Loos, das uns beschieden,
Und unser armes, schwaches Sein hiernieden;
Der groß und stark im Dulden
Sich zeigt, nicht unter Brüdern wildes Grollen
Und Haß noch mehr entfacht – der Uebel schlimmstes –
Dem Nächsten das Verschulden
Des Leids zuwälzend; – nein, anklagend
Die wahrhaft schuldig ist, der Menschen Mutter,
Stiefmutter an Gesinnung.
Sie nennt er Feindin; gegen sie verbündet
Denkt er von jeher – und so ists in Wahrheit –
Die menschliche Gesellschaft;
Verbrüdert denkt er Alle sich; entzündet
Von wahrer Lieb', umschließt er
Die Menschen und erwartet
Beistand, und leistet ihn, rasch und mit Nachdruck,
In jeder Drangsal, jeglicher Gefährde
Des allgemeinen Kriegs. Und gegen Kränkung
Des Nächsten sich zu waffnen, Andern Schlingen
Zu legen, Hindernisse zu bereiten,
Das dünkt so thöricht ihn, als auf dem Schlachtfeld,
Vom grimmen Feind umgeben,
Im heftigsten Getös des wucht'gen Angriffs,
Des Gegners ganz vergessend, Zank erheben
Mit Freunden, treubewährten,
Und wilde Flucht verbreitend Brände schleudern
Ins Heer der Kampfgefährten.
Wenn solche Wahrheit wieder,
Wie einst sie war, dem Volke klar geworden,
Und jener Schreck, der anfangs
Die Sterblichen zum Trotze
Der grausamen Natur vereint, zum Theile
Gesänftigt wird in wahren Wissens Lichte,
Dann wird der Bürger redliche Gemeinschaft,
Und Recht und Tugend stärkre Wurzel schlagen,
Als übermüth'ge Possen,
Wenn anders Redlichkeit in jenen Tagen
So fest mag stehn, als jetzo steht gegründet
Das, was doch seinen Grund im Irrthum findet.

Wie oft auf diesen Flächen,
In düstres Braun von jener Flut gekleidet,
Die längst erstarrt und doch noch scheint zu wogen,
Sitz' ich des Nachts, und überm düstern Plane
Seh' ich die Sterne flimmern,
Die sich im Meere spiegeln,
Und, wie besät mit Funken in der Runde,
Seh' ich die Welt im heitern Aether schimmern.
Und wendet so das Aug sich zu den Lichtern,
Die ihm nur Punkte scheinen,
Und doch so unermeßlich.
Daß gegen sie nur Punkte Meer und Erdkreis
In Wahrheit; denen ewig unbekannt ist
Der Mensch und selbst der Erdkreis,
Auf dem ein Nichts der Mensch; und blick' ich aufwärts
Sodann zu jenen noch unendlich fernem
Sternknoten, wenn ich so sie darf benennen,
Die uns ein Nebel scheinen,
Und denen nicht bloß Erd und Mensch, nein, selber
Die Steine, grenzenlos an Zahl und Masse,
Mitsammt der goldnen Sonne
Fremd sind für immer, oder
Erscheinen so nur, wie sie selbst der Erde:
Als Punkte, winzig kleine,
Von neblich mattem Licht: ha, wie erscheinst du
In solchen Augenblicken
Dem innern Sinn, o menschliche Gemeine?
Und denk' ich deines Zustands dann hier unten,
Deß Bild der Boden ist, den ich beschreite,
Denk' ich, wie du als Herrscher dich dem Ganzen,
Als Gipfel meinst bestellt, und wie viel male
Zu faseln dirs gefiel von Himmelsgöttern,
Die auf dieß arme Sandkorn,
Das dunkle, das man Erde
Benennt, herunterstiegen, um behaglich
Zu plaudern mit den Deinen –
Und wie nicht minder auch in unsern Tagen,
Erneuernd Träume, die zum Spott geworden,
Der Weisen Wort verachtet
Dieß Alter, das da meint zu überragen
An Wissen und Gesittung
Die frühern alle – welch gemischt Empfinden
Fühl' ich dann gegen dich in mir erwachen,
Nicht wissend, ob für deines Sinns Verblendung,
O Erdensohn, sich ziemet
Des Mitleids Thränenzoll, ob spottend Lachen!

Wie fallend oft vom Baum ein kleiner Apfel,
Den dort im Herbst, im späten,
Nicht fremde Kraft, nur seine eigne Reife
Zum Falle bringt, die Wohnungen des kleinen
Ameisenvolks, gegraben
In weiche Scholle mühvoll, und die Werke,
Den Vorrath auch, den still in langer Arbeit
Die Emsigen gesammelt, ausgerüstet
Mit klugbedächt'gem Sinn, in Sommertagen,
Zertrümmert und verschüttet und verwüstet,
In einem Nu: so von der Höhe stürzend,
Aus tiefem Bauch des Berges,
Des donnernden, zuerst emporgetragen
Hoch in des Himmels Raum, hat mitternächtlich
Der Niedersturz von Asche, Bims, Gerölle,
Gemischt mit Flammenbächen,
Und, übern Hang des Berges seine Straße
Sich bahnend durch die Gräser,
Die feurigrothe Masse
Geschmolzenen Metalls und glühnden Sandes,
Gleich einem Wolkenbruch herniederprasselnd,
Die Städte, die das Meer dort an des Landes
Vorsprung benetzt, verwandelt
In wüsten Graus, zertrümmert und verschüttet
Im Augenblick –: so daß, wo sie gestanden,
Die Ziegen werden, wo nicht neue Städte
Die Zinnen heben, welchen die begrabnen,
Die wir in Schutt betrauern,
Zum Schemel dienen, und es scheint die Ferse
Der stolze Berg zu setzen auf die Mauern.
Des Menschen Untergang gereicht der Mutter
Natur nicht mehr zum Grame,
Als der des winzig kleinen
Ameisenvolks, und wenn sie seltner lenket
Auf jenen die Vernichtung,
Ists nur, weil sie bedenket,
Daß nicht so fruchtbar ist des Menschen Same.

Verronnen schon sind achtzehn
Jahrhunderte, seitdem, erstickt vom Anhauch
Der feurigen Gewalt, die reichbewohnten
Behausungen verschwunden,
Und ängstlich hebt der Pfleger
Des Weinstocks, den in diesen Gründen spärlich
Die Scholle nährt, von Asche dicht bestreuet,
Den Blick empor zum Gipfel,
Dem viel-verhängnißvollen, der, nicht milder
Geworden, ragt und schreckensvoll noch dräuet
Ihm selber und den Kindern, und dem kargen
Besitzthum. Und noch oftmals,
Auf seines Hauses Dache,
Des ländlichen, die ganze Nacht im Wehen
Der freien Lüfte schlaflos liegend, oft auch
Empor in Eile springend, späht der Arme
Nach jener glühnden Masse Lauf und Richtung,
Die, quellend aus dem tiefen Kratergipfel,
Den Berg umwindet wie mit Feuerkränzen,
Daß hell im Widerscheine
Der Gluten Capris Meerstrand
Und Napels Golf und Mergellina glänzen.
Und sieht er sie Herannahn, oder höret
In seines Brunnens Höhlung,
Des häuslichen, die Wasser siedend sprudeln,
Da weckt er Weib und Kind, und, aufgestöret,
So viel von ihrer Habe
Noch an sich raffend, als sie können, flüchten
Sie fernhin, sehn von ferne dann des kleinen
Wohnhauses traulichen Bezirk, den Acker,
Der einzig sie geschützt vor Hungerspeinen,
Zur Beute werden jener Flammenwelle,
Die knisternd sich heranwälzt, unerbittlich
Verschlingend jene traute Heimatstelle.

Es kehrt zum Licht des Himmels
Aus des Vergessens Grüften
Pompeji wieder, ein so lang begrabnes
Skelett: Geiz oder Mitleid
Der Erde giebt es neu zurück den Lüften.
Und vom verlaßnen Forum
Geradhin zwischen Reihen
Verfallner Säulengänge sieht im Schreiten
Das zweigetheilte Bergjoch in der Ferne
Der Wandrer, sieht die Riesenkuppe qualmend
Von Rauch, die noch zu drohen
Den Trümmern scheint, die rings sich hier verbreiten.
Und in der Nacht geheimem Graun, durch öde
Theater, durch gestürzte Tempel, Häuser,
Wo bergen ihre Brut die Fledermäuse,
Wie eine Todesfackel,
Die düster flackert in verlaßnen Räumen,
Sieht man den Schein der grausen Lava zittern,
Und fernher durch das Dunkel
Die Glut, die alldurchdringende, gewittern.
So, nichts vom Menschen wissend, nichts von Zeiten,
Die alt er nennt, und nichts von ew'ger Folge
Der Väter und der Enkel,
Grünt fort und fort Natur; was scheint zu stehen,
Es schreitet fort auf solchem langen Wege.
Von ihrem Blicke kaum bemerkt, vergehen
Die Reich' und Völker: Alles schwebt von hinnen,
Der Mensch nur will Unsterblichkeit gewinnen.
Du auch, o stille Pflanze,
Die du mit duft'gem Strauchwerk
Das öde Feld hier überziehst und schmückest,
Auch dich wird bald der grausame Gewalthauch
Des unterirdschen Flammenstroms ersticken,
Der, zu bekannter Stätte
Zurück sich wendend, nicht wird lange zögern,
Mit seinem Saume gierig vorzurücken
Bis an dein schmeidig Dickicht. Widerstandes
Magst unter dieser Todeslast du beugen
Dein schuldlos Haupt: genug, daß du bis dahin
Es nicht gebeugt mit feigem Flehn vor jenem
Zukünft'gen Unterdrücker,
Und daß du's nicht erhoben
Wahnwitzig eitel gegen die Gestirne,
Und daß du nicht mit lächerlichem Stolze
Gepriesen diese Wüste, wo du wohntest
Nach eigner Wahl nicht, nein, durch fremde Fügung.
Du bist um so viel Weiser,
Und stärker um so vieles denn die Menschen,
Als kein unsterblich Leben
Du dir erhofft in diesem irdschen Dasein
Durch Gunst des Schicksals oder eignes Streben.

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