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III.

An Angelo Mai.

Als er die Bücher Cicero's »vom Staate« entdeckte.

Wie kommts, du kühner Italer, daß rastlos
Dein Sinn zu wecken trachtet
Die Väter in den Grüften? daß sie sprechen
Durch dich zu dieser todten Zeit, umnachtet
Von Ueberdruß, wie von Gewölk? Wie brechen
So plötzlich jetzt, so stark hervor, und schlagen
An unser Ohr, die schwiegen
So lange schon, die Stimmen alter Zeiten?
Welch Auferstehn ringsum! Im Augenblicke
Befruchten sich die Blätter; unfern Tagen
Erschließen sich, die lange mußten liegen
Im Klosterstaub, die Worte, die geweihten,
Der weisen Ahnen! Gaben die Geschicke
Dir Solches, Edler! oder schafft auch gegen
Das Schicksal starker Muth so reichen Segen?
Doch nicht geschehn mags ohne Götterwillen,
Daß jetzt, wo immer tiefer in dem schweren
Verzweiflungschlummer wir die Häupter senken,
So häufig unserm Ohre wiederkehren,
Zu wecken uns, der Väter Rufe. Schenken
Uns Götter Mitleid noch? Nicht ganz vergessen
Sind wir von Himmelsmächten?
Ja, diese Zeit Wohl ist es, oder keine,
Hand anzulegen, daß erneuert werde
Italiens alte Kraft, von Rost zerfressen:
Denn, horch, aus Grabesnächten
Mahnt uns der Todten Wort, und die Gemeine
Vergeßner Helden hebt aus tiefer Erde
Die Häupter mit der Frage,
Ob noch vorüber nicht der Feigheit Tage?

Bewahrt ihr denn auf uns, ihr Ruhmgekrönten,
Noch eine Hoffnung? Scheinen
Wir euch nicht ganz verloren? Ihr Wohl schauet,
Was kommen wird – doch mich, vor all den Peinen
Wer schützt mich? Meinem Aug' ist nachtumgrauet
Die Zukunft, und was ich erblicke, schrecket
Mich so, daß Traum und leeres Wähnen
Die Hoffnung scheint. Auf Stätten, einst gegründet
Von euch, ihr Edlen, folgt euch, ach, dies schale
Geschlecht, von Schmach bedecket:
Was groß in Wort und That, ist euren Söhnen
Zum Spott geworden; euer Ruhm entzündet
Nicht Scham noch Neid in uns. Um eure Male
Streckt sich der Müssiggang und will bereiten
Ein Beispiel schnöden Sinns für alle Zeiten.

O edler Geist, nun da sich Keiner kümmert
Um unsre hohen Ahnen,
So kümmre du dich, dem des Schicksals Walten
So mild sich zeigt, daß uns dein Thun gemahnen
Mag an die Zeit, wo aus der grausen, alten
Vergessenheit aufs neu die Häupter hoben
Mit den begrabnen Rollen
Die Männer, die, was die Natur gesprochen,
Vernahmen still und um die Mußestunden
Athens und Romas holden Zauber woben!
O Zeit, nun längst verschollen!
Italias Sturz war erst hereingebrochen,
Und noch nicht war das bittre Leid verwunden
In thatlos dumpfer Ruh: noch Funken führte
Die Luft empor, die unsern Grund berührte.

Noch kalt nicht war der Aschenrest geworden
Des Manns, der Trotz geboten
Dem Schicksal, und der Trost in schnöden Beinen
Nicht fand auf Erden, nein, im Land der Todten!
Und muß nicht jeder Ort uns trauter scheinen
Als dieser ird'sche? Deine süßen Saiten
Erklangen, angeschlagen,
Noch lieblich fort, o Liebesgrambedrückter!
Ital'scher Sang entspringt dem Mutterschooße
Des Schmerzes stets! Doch mindres Leid bereiten
Uns jener Uebel Plagen,
Als unsres Ueberdrusses Last. Beglückter
Warst du, der weinend trug des Lebens Loose!
Uns schnürt das Herz der Ekel ein – wir sehen
Das Nichts am Sarg und an der Wiege stehen!

Und du verkehrtest mit dem Meer, den Sternen,
Sproß vom Ligurerstamme!
Weit über jenen Strand hinausgezogen,
Wo man zu hören glaubt der Sonnenstamme
Gezisch, wenn sie versinkt im Schooß der Wogen,
Kühn bist du vorgedrungen
Auf schrankenloser Flut und sahst sie tagen
Des Lichtes Strahlen, die hier untergingen,
Und fandest, trotzend jeglicher Gefährde,
Ein neues Land für lange Wanderungen
Und für dein keckes Wagen!
Freilich, was halfs? je mehr wir sie durchdringen,
Einschrumpft die Welt dem Geist. Vor Meer und Erde
Und Aether, wo die Steine tönend kreisen,
Erstaunt das Kind gewalt'ger als die Weisen!

Wo sind sie hin, die holden Wahngedanken
Von einem Zufluchtsorte
Bei fernen Völkern, von der Ruhestätte
Der Stern' am Tag, vom Lager, nah der Pforte
Des Ostens, wo Aurora schläft, vom Bette
Der Sonne, wo sich birgt die Strahlenhelle
Des Nachts? Dahingeschwunden
Sind sie. Verzeichnet wird auf kleinem Blatte
Die Welt, und gleich ist Alles: im Entdecken
Wird größer nur – das Nichts. Von deiner Stelle
Weichst du, wenn sich die Wahrheit eingefunden,
O Phantasie! Der Geist, der wissenssatte,
Entsagt dir, und die reifen Jahre schrecken
Zurücke deine Zaubermacht: so fliehen
Die Traume, die uns holden Trost verliehen!

Indeß beleuchteten die ersten Strahlen
Das Angesicht, das milde,
Des zarten Sängers, der die Fährlichkeiten
Des Kampfes und der Liebe, die Gebilde,
Die wonnigen, besang aus schönem Zeilen,
Italias neue Hoffnung. O ihr Ritter,
O Wunderflor der Frauen, zaubervoller,
O Gärten, o Paläste! denk' ich euer,
Verliert in tausend lieblich eitlen Trieben
Sich mein Gemüth! Das Leben war so bitter
Wie heute nicht – voll süßen Wahns, voll toller
Gedanken und voll schöner Abenteuer!

Das Alles schwand, und nichts ist uns geblieben.
So nähert jeder Blüte sich verderblich
Der Zeiten Schritt – der Schmerz nur ist unsterblich.

Es ward uns dein erhabner Geist beschieden,
Torquato! doch beschieden
Dir selbst war nur der Schmerz zum Angebinde,
Du Aermster! ach, es gab dir nicht den Frieden
Dein eignes Lied, und sprengte nicht die Rinde
Von Eis, mit der dein heißes Herz umgeben
Der Haß, die schnöde Fehde
Des Neides und der Uebermuth der Großen.
Und unsres Lebens lieblichste Bethörung,
Die Liebe – wich von dir. Da ward zum Leben
Das Wesenlose dir, zur wüsten Oede
Die Wirklichkeit! Und deine Augen schlossen
Vor später Ehre sich – Nicht Schmerz, Erhörung
War dir der Tod. – Nur nach dem Tode trachtet,
Und nicht nach Kränzen, wen das Leid umnachtet!

O möchtest du noch einmal dich vom stummen
Trostlosen Grab erheben,
Wenn dich ergeht, o Musterbild der Trauer,
Zu schaun jetzt unser Leid. Wie hat das Leben,
Das dir bereits erschien voll düstrer Schauer,
Verschlimmert sich! Wie sollt' ein Zeitgenosse
Dich mitleidsvoll beklagen,
O, Theurer, jetzt wo Jeder denkt nur immer
An sich allein? Wer wird nicht thöricht schelten
Dein tödtlich Leid, wenn Thorheit alles Große
Erscheint in unsern Tagen,
Und Wenn nicht Mißgunst muß, nein, was noch schlimmer,
Vergessenheit als Loos der Größten gelten?
Wo nur für Zahlen, nicht für Lieder glühen
Die Herzen, kann kein neuer Kranz dir blühen!

Von dir bis jetzt ist Niemand mehr erstanden,
Leidvoller Sangesmeister,
Der des ital'schen Namens werth geworden,
Als Einer – der da brach den Bann der Geister:
Ein trotziger Allobroger! Vom Norden
Quoll Mannesmuth, nicht von der Heimaterde,
So ausgedorrt, ermattet,
Ihm in die Brust. Und so, im stolzen Gange
Beschreitend waffenlos die Schauspielbühne,
Bekämpft' er die Tyrannen keck! O werde
Noch dieser Kampf gestattet,
Noch dieses Schlachtfeld dem ohnmächt'gen Drange
Des Völkerzorns! Hinunterstieg der Kühne,
Der Erste und – der Einzige! Gefallen
Kann ja nur schnöde Muße noch uns Allen!

Hinlebt' er makellos, voll heil'gen Zornes,
Und ihm entschwand das Leben,
Bevor sein Volk er sah noch tiefer sinken.
Es war für dich, Vittorio, und dein Streben
Nicht Zeit, nicht Ort. Ja, andrer Tag muß winken,
Und andre Stätte hohem Sinn! Wir freuen
Uns träger Ruh – wir trotten
Die Bahn der Mittelmäßigkeit! Verschlungen
Vom Schwarm ist jetzt der Heros, ausgeglichen
Ihr Unterschied, – Drum laß dichs nicht gereuen,
Ruhmvoller Spürer du! Weck auf die Todten,
Weil schlummern die Lebendigen! Die Zungen
Beseele neu, draus längst der Klang entwichen:
Bis dieß Jahrhundert sich aus Schmach und Nöthen
Ermanne – wär's auch nur bis zum Erröthen!

*


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