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XXXI.

Auf das Bild eines schönen Weibes,
das auf dem Grabmale desselben ausgemeißelt war.

So warst du: jetzt hier unten
Bist Staub und Asche du!
– Und überm Staube
Ragt stumm und unbeweglich, in den Wandel
Der Zeiten blickend, dem es nicht zum Raube,
Des Angedenkens Hüter und des Grames,
Der einst'gen Schöne Bild. Der Blick, der milde,
Der zittern machte Jeden,
Auf den er unverwandt, wie hier im Bilde,
Sich richtete, und dieser Mund, von welchem
Gleichwie von voller Urne überwogte
Die Freude; jener Hals, von Sehnsuchthauchen
Umschwebt, und jene Hand, die liebeswarme,
Die kalt von süßem Schauer
Oft werden fühlte jene, die sie drückte:
Und ach, der Busen, welcher
Bleich machte manch Gesicht vor Sehnsuchtstrauer –
Sie waren! Jetzo sind sie Staub geworden
Und Todtenbein: es birgt die Marmorklause
Dem Aug die Schau, die widerwärt'ge, grause.

So wandelt die Erscheinung,
Die uns am herrlichsten als Himmelsabbild
Gestrahlt, das Schicksal. Ewiges Geheimniß
Des Daseins! Heute sehn als Quell wir prunken
Erhabenster Gedanken und Gefühle
Die Schönheit: wonnetrunken
Begrüßen wir den Strahl vom ew'gen Leben,
Hiehergeschleudert auf den ird'schen Schauplatz,
Ein Zeichen und ein Hoffnungspfand zu geben
Dem ird'sch-niedern Dasein,
Von Loosen, übermenschlich,
Von sel'gen Reichen und von goldnen Welten:
Und morgen schon genügt ein leichter Anstoß,
Daß uns verstümmelt, widrig
Erscheint, was noch vor kurzem
Uns war ein Bild aus himmlischem Gefilde,
Und aus den Seelen schwindet
Das Ideal, das hehre,
Zugleich, in uns geweckt von jenem Bilde.

Ach, unermeßlich Sehnen
Und hohe Traumgesichte
Erzeugen in der Seele
Durch angeborne Macht die Harmonien,
Daß durch ein Meer von Wonne
Dahin die Geister ziehen,
Wie kühne Schwimmer gleiten,
Sich wiegend auf der blauen Flut ergötzlich:
Doch trifft uns disharmonisch
Ein Klang das Ohr, da schwindet
Ins Nichts zurück uns jenes Eden plötzlich.

Wie kommt es doch, wie kommt es,
Daß, wenn nur schwach und niedrig,
Nur Schatten, Staub, die menschliche Natur ist,
So hoch, so hehr sie fühlt? Und wie, wie kommt es,
Wenn höhern Adels Spur ist
In ihr, daß all ihr bestes Denken, Fühlen
Zu wecken und zu tilgen mag gelingen
So niedrig-ird'schen Dingen?

*


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