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XX.

Das Wiedererwachen.

Erloschen wähnt' ich lange schon
Mir gänzlich im Gemüthe,
Noch in des Lebens Blüte,
Der Jugend süßes Leid:

Das süße Leid, die Regungen,
Die zärtlichen, der Seele –
Was immer, obs auch quäle,
Uns wird zur Seligkeit.

Wie klagt' ich, weint' ich – siehe, da
Erstarb im neuen Leben
In meiner Brust, umgeben
Von Eis, des Schmerzes Lust!

Des Herzens lautrer Schlag erstarb,
Es schwand, die hold mich lockte,
Die Liebe mir, es stockte
Der Seufzer in der Brust.

Als trostberaubt und leer und todt
Mein ird'sches Sein beweint' ich,
Erstarrt im Froste, meint' ich,
Sei rings um mich die Welt.

Oed schien der Tag mir, öder noch
Als sonst der Nächte Dunkel,
Erloschen das Gefunkel
Der Stern' am Himmelszelt.

Doch dieses Leides Urquell, ach!
War noch das alte Minnen;
In meiner Brust tiefinnen,
Da lebte noch das Herz.

Geheim noch immer hing der Sinn
An süßgewohnten Bildern;
Mein düsteres Verwildern –
Es war noch Liebesschmerz!

Bis endlich diese letzte Spur
Des Grames in der Seele
Mir auch erlosch, der Kehle
Kein Ach sich mehr entrang.

Dalag ich, hatte jedem Trost
Für immer abgeschworen:
Es gab das Herz verloren
Sich selber, todesbang!

O, wie verschieden war ich jetzt
Von dem, der heiß erglühte,
Der jüngst noch im Gemüthe
So holden Wahn genährt!

Mir sang nicht mehr die Schwalbe, die
Mit frohem Flügelschlage
Mich sonst geweckt, dem Tage,
Dem neuen, zugekehrt.

Mir rührt' in stiller Hütte nicht
Das Herz im Herbst, dem fahlen,
Beim Kuß der letzten Strahlen
Der Abendglocke Schall.

Der Abendhimmel glänzte mir
Umsonst auf stillem Gange:
Mir sang mit süßem Klange
Umsonst die Nachtigall.

Und du, o zärtlich Augenpaar,
Ihr Blicke, lieblich irrend,
Den Liebenden verwirrend
Zuerst mit Zaubermacht;

Und jene bloße, weiße Hand,
Die meine fassend achtlos –
Das Alles, ach, war machtlos
In meines Stumpfsinns Nacht!

So freudeleer, doch finster nicht
Bin Andern ich erschienen;
In heiter stillen Mienen
Lag Trauer nicht noch Lust.

Es hätte sich mein Wunsch den Tod
Als Leidensziel erlesen,
War möglich noch gewesen
Ein Wunsch in meiner Brust.

Gleichwie der matte Daseinsrest
Des Alters, frostig, schnöde,
Verrann mir schal und öde
Des Lebens junger Mai:

Und so hinschlepptest du, mein Herz,
Die hehre Zeit im Stillen,
Die nach der Götter Willen
So flüchtig wallt vorbei!

Doch nun – wer weckt aufs neue mich
Aus dumpfen Schlummers Banden?
Mit welcher Macht umwanden
Mich neue Triebe nun?

So wars, ihr sanften Regungen,
Herzschläge, süßes Beben,
Von euch mir nicht gegeben
Für immer auszuruhn?

Bist du's, o Flamme, die zum Stern
Des Lebens ich erkoren?
Bist du's, den ich verloren,
Drang meiner Blütezeit?

Wohin mein Auge schweifen mag,
Mir weht auf allen Wegen
Ein Hauch von Schmerz entgegen,
Doch auch von Seligkeit!

Ein neues Leben regt sich rings,
Am Strand, im Wald. Zu sprechen
Beginnt die Flut in Bächen,
Und flüsternd rauscht das Meer.

Wer giebt zurück die Thränen mir,
Nach langer Herzensöde –
Wie glänzt die Welt, die schnöde,
Verwandelt mir so sehr!

Hat etwa dich ein milder Blick
Der Hoffnung, Herz, getroffen?
Nein! Fern dir bleibt das Hoffen,
Das Andern Wonne schafft.

Nur lockende Bethörung ist
Und Schmerz mein Angebinde,
So daß ich nimmer finde
Die gramerstickte Kraft!

Doch gänzlich nicht vernichtet ist
Sie vor des Schicksals Tücken,
Noch vor den grausen Blicken
Der Wahrheit, die mich schreckt:

Ich weiß, wie meine Phantasie
Fern dieser Wahrheit Spur ist:
Ich weiß, daß taub Natur ist
Und nichts ihr Mitleid weckt.

Ich weiß, daß nicht sie unser Wohl,
Nein, unser Sein nur kümmert –
Bleibt dieß nur unzertrümmert,
Was fragt sie nach dem Leid?

Ich weiß, daß unter Menschen nie
Elenden blüht Erbarmen,
Daß vor dem fleh'nden Armen
Sich flüchtet Jeder weit.

Ich weiß, daß Tugend, Geisteskraft
Jetzt unbeachtet schmachten,
Daß jedem edlen Trachten
Selbst nackter Ruhm gebricht.

Und eitel, himmlisch Augenpaar,
Ist auch dein Glanz, der reine;
Was glüht in diesem Scheine,
Das ist die Liebe nicht!

Kein Herzensdrang erglänzt darin,
Wie hold der Strahl mag gleißen,
In dieser Brust, der Weißen,
Kein Liebesfunke ruht.

Und Andrer zärtlich Nahn, mit Spott
Erwiedert sie's und Hohne;
Verachtung giebt zum Lohne
Sie himmlisch reiner Glut.

Und dennoch, dennoch klopfst du, Brust,
In stürmischer Bewegung:
Ob seiner eignen Regung
Verwundert sich das Herz.

Von dir, mein Herz, kommt dieser Hauch,
Der letzte, kommt dieß Glühen,
Das alte, mir verliehen
Als süßer Trost im Schmerz!

Es fehlen mir, ich fühl's, zum Geist,
Der edel und erhaben,
Natur und Schicksalsgaben,
Besitz und Schönheitszier!

Doch pochst du, Herz, vom Schicksal nicht
Gebeugt und überlistet,
Dank' ich der Macht, die fristet
Den Hauch des Odems mir!

*


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