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XXIII.

Nachtgesang eines Hirten in Asien.

Was willst du, Mond am Himmel? sprich, was willst du,
Verschwiegner Mond? Am Abend
Erhebst du dich und wanderst,
Betrachtend öde Fluren, und dann gehst du
Zur Ruh! Bist du's nicht müde,
Zu wandern immerfort die alten Pfade?
Und immer noch gereicht dir's zum Vergnügen,
Die Thäler hier zu schauen?
Dein Leben gleicht dem Leben
Des Hirten auf den Auen.
Im ersten Frührothschimmer
Treibt er die Heerde übers Feld, betrachtet
Die Thiere, Kräuter, Quellen,
Und müde dann zur Ruh geht er am Abend:
Und Andres hofft er nimmer.
Sag an, o Mond, was frommet
Dem Hirten wohl sein Leben
Und dir das deinige? Wohin doch streben
Mag dieß mein kurzes Irren,
Wohin dein Lauf, der ew'ge, nimmermüde?

Ein schwacher Greis, die Blößen
Nur halb bedeckt von ärmlichem Gewande,
Mit drückend-schwerem Bündel auf dem Rücken,
Kommt über Berg' und Thäler,
Durch hohen Sand, Gestrüpp und Steingerölle:
Im Sturm, im Ungewitter und im Brande
Des Mittags und im Froste
Keucht er dahin, mühselig,
Setzt über Bäch' und Sümpfe,
Fällt und erhebt sich wieder, eilt nur mehr noch,
Eilt ohne Rast und Ruhe,
Zerfleischt und blutend, bis er endlich anlangt
Dort, wo der Weg sich wendet
Und mit dem Weg die schwere Mühsal endet.
Da nimmt ihn auf ein Abgrund –
Vergessenheit – erschreckend, unergründlich!
So, trauter Mond, geartet
Ist unser ird'sches Leben! –

Geboren wird zu Leiden und zu Mühen
Der Mensch und Todgefahr ist schon die Stunde,
Die ihn gebiert. Es blühen
Als Erstes Schmerz und Thränen ihm, und trösten
Muß Mutter und Erzeuger
Darüber ihn, daß er geboren. Später,
Wenn er heranblüht, wachen
Sie ängstlich, ihn zu stützen, und sie streben
Mit Werken und mit Worten
Ihm immer Muth zu machen,
Und ihm das Unglück, da zu sein, zu lindern.
Und dieß ist aller Liebesdienste größter,
Die Eltern je erzeigen ihren Kindern.
Doch, ach, was frommt es, uns dem Licht zu geben,
Uns lebend zu erhalten,
Wenn wir des Trosts bedürfen für das Leben?
Und ist das Leben Unglück,
Wie kommts, daß wirs erdulden?
So, trauter Mond, geartet
Ist unser sterblich Dasein.
Doch du bist ja nicht sterblich,
Und wenig kümmert wohl dich meine Rede!

Und doch, du Pilger in des Himmels Oede,
Gedankenvoller, Ew'ger, du begreifst es
Vielleicht, dieß ird'sche Leben,
Weißt unsern Gram zu deuten, unser Leiden,
Verstehst den Tod, dieß äußerste Erbleichen
Des Menschenangesichtes,
Dieß Schwinden von der Erde, dieses Scheiden
Aus jedem trauten, liebenden Vereine.
Ja, dir vielleicht ist deutlich
Auch das Warum der Dinge, dir der Nutzen
Des Morgens und des Abends,
Des ew'gen Zeitenganges;
Du kennst, du kennst vielleicht des süßen Dranges
Geheimniß, das den Frühling bringt zum Lächeln,
Weißt, wem der Winter fromme, wem das Fächeln
Der Sommerluft, ja tausend Dinge weißt du,
Entdeckst du, Mond, erblickst du.
Die stets verborgen sind dem schlichten Hirten.

Oft, wenn ich so dich sehe,
Wie still du schwebst hoch über öden Planen,
Die fern begrenzt sind von dem Himmel – oder
Wenn sacht du deine Bahnen
Hinwallend mir und meiner trauten Heerde
Zu folgen scheinst, und ich dazu den Schimmer
Der Stern' am Himmel all betrachte, sinnend
Sprech' ich sodann: Was soll all dieß Geflimmer?
Was sollen sie, die schrankenlosen Weiten,
Dieß endlos tiefe Blau, die Einsamkeiten,
Die unermeßnen? und ich selbst, was bin ich?
So mit mir selber sprech' ich, und von dieser
Unendlichen Behausung,
Der prächt'gen, mit unzähligen Bewohnern,
Vom Streben und Bewegen
Der himmlischen so wie der ird'schen Dinge,
Die immerdar, von wo sie ausgegangen,
Zurückgewandt, sich drehn in ew'gem Ringe –
Nicht einzusehn vermag ich
Den Nutzen und Gewinn davon – du aber,
Jüngling, unsterblicher, du weißt wohl Alles!
Ich fühle, weiß nur Eines,
Daß dieß mein ew'ges Irren
Und mein gebrechlich Dasein
Mag unbekannten Mächten Freuden geben,
Mir selbst jedoch zur Qual nur ist das Leben.

O meine Heerde, die du ruhst, ich preise
Dich glücklich, daß erspart dir bleibt, zu kennen
Dein Elend. Ach, wie muß ich dich beneiden!
Nicht nur, weil frei du scheinest
Beinah von allen Leiden,
Mühsal, Verlust, die schlimmste
Beängstigung im Augenblick vergessend –
Mehr noch, weil nie der Ueberdruß dich quälet!
Wenn du im Gras, im Schatten dir erwählet
Den Schlummerort, da fühlst du dich zufrieden,
Und viele Zeit des Jahres
Hinlebst du so, wirst niemals überdrüssig
Des Seins, das dir beschieden!
Und ich auch ruhe hier im Gras, im Schatten,
Doch Ueberdruß befällt nur
Die Seele, wie mit Stacheln spornt michs immer,
Daß ich, ob ruhend auch auf weichsten Matten,
Nicht finde Ruh' und Frieden.
Und doch quält mich kein Sehnen,
Und Grund nicht hab' ich zu gerechten Thränen.
Was du, wie viel genießest,
Zu sagen weiß ichs nicht; doch glücklich bist du.
Doch ich genieße wenig:
Und dieß ist's nicht allein, was ich beklage.
Verständest du zu sprechen, würd' ich fragen:
Sag mir, warum in Ruhe,
In müßigem Behagen
Das Thier sich freut, mich aber
Befällt der Ueberdruß, sobald ich ruhe?

Wär' ich beschwingt, zu fliegen
Hoch oben mit den Wolken,
Die Sterne zählend einen um den andern
Mit Donnerwolken über Hohn zu wandern –
O trauter Mond, wär' ich sodann beglückter?
Wär ich zufriedner dann, o traute Heerde?
Vielleicht hat, preisend fremdes Loos, die Lippe
Der Wahrheit Spur verloren.
Vielleicht, vielleicht ist immer,
In jeglicher Gestaltung, jedem Zustand,
Ob in der Wiege nun, ob an der Krippe,
Ein Unglückstag der Tag, der uns geboren.

*


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