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Vorwort.

Es wird dem deutschen Publikum hier die erste vollständige Uebertragung der Gedichte Giacomo Leopardi's geboten, eines Dichters, den man als den größten Lyriker der Italiener nach Petrarca betrachten darf, der aber groß war in dem Sinne, wie es Dante und Michel Angelo waren: wie diese Beiden schien er geboren, um zu beweisen, daß dem Mutterlande des Schönen auch das Große, das Kühne und Gewaltige nicht versagt blieb. Gewissenhaft und genau hat der Uebersetzer in den eigentlichen Canzonen die ungemein capriziösen Reimverschlingungen des Originals im Deutschen nachgebildet. In denjenigen Gedichten, in welchen der große, wir möchten sagen hellenische Geist Leopardi's die Grenzen seines Idioms und seiner heimischen Dichtweise sprengen zu wollen schien, und, müde des wohlgeordneten, strophisch-wiederkehrenden Reimgeklingels, in freieren Rhythmen sich erging, den Reim nur aufnehmend, wo er sich eben darbot, behandelte natürlich auch der Uebersetzer den letzteren mit größerer Willkür.

Die Schuld der Übertragung kann es nicht sein, wenn die Versmaße des Originals dem deutschen Leser nicht sogleich vertraut und gefällig ins Ohr klingen, eben so wenig als sie es zu verantworten hat, wenn im deutschen Gewande jene Trostlosigkeit der Weltanschauung noch schärfer hervortritt, die den Grundton der Leopardischen Gesänge bildet, und die neben der Rücksicht, die man einer großartigen Denkart und einer eisernen Consequenz nicht versagen kann, doch vornehmlich der Adel des Ausdrucks und der bestechende Reiz des italienischen Idioms erträglich macht. Der Weltschmerz ist in der italienischen Literatur eine seltene Erscheinung, wo er aber hervortritt, nimmt er die Gestalt einer nackten und kühl-sarkastischen Verzweiflung an, während der deutsche Skeptiker bei aller Kühnheit des Denkens auch in der Nacht des Zweifels, im Groll mit Gott, wenigstens auf Augenblicke sich jener idealen Herzensregungen nicht entschlagen kann, die einen Zug des germanischen Wesens bilden. Man denke an Heine, an Lenau.

Aber vielleicht ist der Pessimismus Leopardi's dem deutschen Geiste und Wesen näher gerückt, seit der Philosoph Arthur Schopenhauer ein Mann der Mode geworden. Zum mindesten wird das deutsche Publikum aus dieser Uebertragung Leopardi's erfahren, daß der Pessimismus älter ist als die Schopenhauer'sche Philosophie. Schopenhauer hat in dieser Beziehung nur fast wörtlich wiederholt, was Leopardi in allen seinen Gesängen aussprach, und er selbst bemerkt in seinem Aufsatze über die Nichtigkeit des Lebens ausdrücklich über Leopardi Folgendes: »Keiner hat diesen Gegenstand so gründlich und erschöpfend behandelt als Leopardi. Er ist von demselben ganz erfüllt und durchdrungen; überall ist der Spott und Jammer der Existenz sein Thema; auf jeder Seite seiner Werke stellt er ihn dar, jedoch in einer solchen Mannigfaltigkeit von Formen und Wendungen, daß er niemals Ueberdruß erweckt, vielmehr durchweg unterhaltend und anregend wirkt.« –

Ueber die Lebensverhältnisse des Dichters wollen wir in Folgendem einem vertrauten Freunde des Dichters, Antonio Ranieri, das Wort lassen.

Der Graf Giacomo Leopardi wurde am 29. Juni 1798 zu Recanati, einer Stadt der Mark Ancona, geboren. Nur bis zum vierzehnten Jahre genoß er Unterricht, später hatte er keinen Lehrmeister als die umfassende Bibliothek seiner Väter. Er eignete sich von selbst die Kenntniß nicht blos des Französischen, Spanischen und Englischen, sondern auch die des Griechischen und des Hebräischen an, in welch letzterem er es so weit brachte, daß er darin mit einigen gelehrten Hebräern aus Ancona disputiren konnte.

Zwei Elemente, die fast unvereinbar scheinen, bilden das Genie: reiche schöpferische Phantasie und hohe Verstandeskraft. In der Seltenheit der Vereinigung dieser beiden Elemente und in der Häufigkeit ihres gesonderten Bestehens liegt die Ursache der Seltenheit wahrhaft großer, und der Häufigkeit mittelmäßiger Talente. Bei Leopardi, in welchem jene Verbindung in hohem Maße lebendig war, gesellte zu den beiden Elementen sich ein drittes: die Krankheit, der Schmerz, dieser unerklärbarste Theil des Mysteriums der Schöpfung. Die Frage nach der Lösung dieses Räthsels ist der herrschende Gedanke seiner Schriften. In ihm vereinigte sich, wie kaum jemals in einen andern Menschen, das höchste der Güter, gewaltige Geisteskraft, mit dem empfindlichsten aller Uebel, dem Schmerze. Er bediente sich des ersteren, um dem letzteren Ausdruck zu geben. Er sang, so zu sagen, die Hölle mit den Melodien des Paradieses.

Leopardi begann seine tiefen Studien mit der griechischen Welt. Bis zu einem unglaublichen Grade hatte er in sich die Vertrautheit mit Sprache und Literatur der göttlichen Hellenen ausgebildet. Er gestand sogar, daß sein Denken sich ihm in griechischem Ausdruck lebendiger und klarer gestalte, als im lateinischen und selbst im italienischen. Von seinem zwölften bis zum sechsundzwanzigsten Jahre sammelte er einen Schatz griechisch-lateinischer Gelehrsamkeit. Ein Beleg dafür ist sein Versuch über den Volksaberglauben der Alten (Saggio sopra gli errori popolari degli antichi). Ueberdieß brachte er eine große Menge von kritischen Noten, Uebersetzungen und Commentaren aller Art zu Papier über viele alte Autoren, wie über Plato, Dionysius von Halicarnaß, Fronto, Demetrius Phalereus, Theon den Sophisten und Andere. Ganz besonders erstaunlich aber ist seine Sammlung von Fragmenten aus 55 Kirchenvätern. Diese und viele andere nicht minder wichtige philologische Manuscripte vertraute er im Jahr 1830 zu Florenz dem deutschen Philologen Ludwig von Sinner, gegenwärtig Professor in Paris, der davon nur einige kleine, aber gewissenhaft redigirte Proben veröffentlicht hat (Excerpta ex schedis criticis Jacobi Leopardii, comitis. Bonnoe 1834).

Im Alter von vierzehn Jahren wurde er schon als ein Phänomen außerordentlicher Gelehrsamkeit von heimischen Philologen anerkannt, und später wurde dieß Urtheil von auswärtigen, namentlich deutschen Gelehrten bestätigt. Niebuhr verkündete in der Vorrede zu den Gesängen des Flavius Merobaudes den jungen italienischen Philologen der deutschen Gelehrtenwelt als ein hervorragendes Licht; von Waltz wird er als vir in his litteris inter Italos facile princeps bezeichnet, und der gelehrte Theologe Thilo in Halle widmete ihm seine vortreffliche Ausgabe der Hymnen des Synesius. Auch Bothe, Creuzer, Boissonade und Andere nahmen von Leopardi auszeichnende Kenntniß.

Leopardi schrieb in griechischer, lateinischer und alt-italienischer Sprache so gewandt, daß seine Versuche in diesen Sprachen von Gelehrten für alte Texte genommen wurden. Aber die echte und spontane Form, in welcher dieser hervorragende Geist sich aussprach, blieb doch seine Muttersprache. In dieser löste er das Problem, Alles in schlichter Reinheit und doch ergreifend auszudrücken, und zeigte, daß der wahrhaft große Schriftsteller Beherrscher und nicht Unterthan der Sprache ist. Niemals kann ein Idiom den Zwecken eines Dichters sich williger gefügt haben, als das italienische sich diesem Unvergleichlichen fügte. Kräftig und kühn in den ersten Regungen des Unmuths, die der Schmerz, den er im eigenen Leben wie im Leben des Universums herrschend fand, in ihm erweckte, trotzig und furchtbar in der Verzweiflung, der er sich später überließ, nachdrucksvoll bei außerordentlicher Einfachheit im Hinbrüten einer lebensmüden Resignation, die ihn zuletzt überkam, versinnlichte seine Ausdrucksweise zu gleicher Zeit die Mannigfaltigkeit, die Einheit und die Vollendung des universellen Lebens selbst, sagte Alles in allen Arten, in welchen es gesagt werden konnte.

Außerdem bestand der Zauber seines poetischen und seines prosaischen Stils in der treffenden Wahl des Ausdrucks und in der Wortanordnung. Er entlehnte das Kunstmäßige des Stils vom sechzehnten, die Einfachheit vom vierzehnten Jahrhundert, die Eigenthümlichkeit des Colorits aber zunächst von den Griechen, dann von seinem Jahrhundert und von der eigenen Individualität, die ja am Ende bei jedem Schriftsteller das Maßgebende bleibt. Pflegte er doch trotz der großartigen Studien, die er gemacht, zu sagen, daß der Schriftsteller, wenn er die Feder ergreift, alle Bücher und alle Wissenschaft der Welt vergessen und einzig darauf bedacht sein muß, einen reinen und spontanen Ausdruck seines Denkens zu geben.

Er hielt eine treffliche Prosa für weit schwieriger als treffliche Verse; die Poesie, pflegte er zu sagen, gleiche einer prächtig geschmückten, die Prosa aber einer unverhüllten Frauengestalt. Und da er sich wohl bewußt war, daß er mit der Feder in der Hand Alles vermochte, so schien er mit den sprödesten Schwierigkeiten der italienischen Prosa gleichsam nur sein Spiel zu treiben.

Doch es ist Zeit, daß wir von der geistigen Wesenheit unseres Dichters zu den Verhältnissen seines äußern Lebens übergehen. Geboren auf der Spitze eines Berges – auf Bergspitzen versetzte das alte Picenum am liebsten seine Städte – als Glied einer Familie, in welcher edle Sitte und Religiosität herrschend war, bildete die väterliche und brüderliche Zärtlichkeit, der Himmel, die Gestirne, der aus den Fluten sich erhebende Mond und die hinter die fernen Joche des Apennins hinabsinkende Sonne seine ersten Eindrücke, seine ersten Entzückungen. Er bereitete sich auf das Leben vor wie auf einen Festtag; das erste Erwachen seines Gefühls segnete dankbar die Natur und die Menschheit, die ihm so schmeichelnd entgegenkamen. Später aber, als sein vorgerückteres Alter und die übergreifende Hoheit seines Geistes mehr von der Größe der Mitbürger als von dem Wohlwollen der Verwandten heischte, und das unheilbare Uebel, das ihm zuletzt den Tod brachte ihm Mark und Gebein so tief durchdrungen hatte, daß der Schnee des Gebirges ihm nicht länger erträglich war, da erst, in der Bitterkeit seiner Schmerzen, nannte er sich verrathen von denselben Menschen und von derselben Natur, die er gesegnet hatte, verachtete jene und verwünschte die letztere, und obgleich ihm der Gedanke des Abschieds von seinen Lieben Thränen in die Augen trieb, blieb es doch sein beständigstes Verlangen, seine Heimat zu verlassen und anderswo zu leben.

Von so lebhaftem Drange getrieben, kam er im November des Jahres 1822 nach Rom, wo er sich in die Codices der Barberianischen Bibliothek vertiefte. Der vierundzwanzigjährige Philologe sah sich hier aufgesucht und geschmeichelt von den bedeutendsten ausländischen Gelehrten, die sich damals in der ewigen Stadt aufhielten. Der berühmte Niebuhr verkündete der Welt, wie schon erwähnt, die künftige Große seines jungen Freundes, und im Namen des gelehrten Deutschlands, das er in so würdiger Weise vertrat, bot er demselben vergebens in Preußen an, was das unglückselige Italien ihm nicht vergebens angeboten hatte, aber niemals anbot – einen Lehrstuhl der griechischen Philosophie. Später, einsam umherirrend, verkehrte er mit den schweigenden Ruinen, betrauerte die hingeschwundene Größe. Im Mai des Jahres 1823 zog er sich düster und schweigsam wieder in die Einsamkeit seiner Heimatstätte zurück.

Zwei Jahre lang lebte er nun wieder, während die unerbittliche Natur den tödtlichen Keim in ihm unaufhaltsam weiter entwickelte, seiner schmerzlichen Sehnsucht, seinen vergeblichen Hoffnungen, und er dünkte sich wie den Klauen des Todes entronnen, als er im Juni 1825 einem Ruf des Buchhändlers Stella nach Mailand folgen konnte, der ihm Aussichten eröffnete, die Schätze seiner Gelehrsamkeit zu verwerthen. Die Vorhersagung und der Beginn einer ungewöhnlich strengen Winterkälte trieben ihn aber von dort nach Bologna. Hier wurde ihm der Trost einer gastfreundlichen Aufnahme, eines regen und herzlichen Verkehrs zu Theil, und angenehm beschäftigte ihn zugleich die Drucklegung seiner Poesien, die daselbst, sowie seiner prosaischen Versuche, die in Mailand herausgegeben wurden. Einen kurzen Ausflug nach Ravenna abgerechnet, verweilte er zu Bologna bis zum November des Jahres 1826, worauf er wieder nach Recanati zurückkehrte.

Aber jener unerfaßbare, fast übermenschliche Schmerz, der Anfang und Ende von Leopardi's ganzem Wesen war, ließ ihn niemals unter den Annehmlichkeiten des Familienlebens zur Ruhe kommen. Aus dem Abgrunde dieses Schmerzes herauf schmachtete er, dem Instinkte folgend, welcher der menschlichen Gattung eingeboren ist, nach eben demselben Glücke, dessen Eitelkeit und Nichtigkeit er selbst in Wort und Schrift immer verkündigte. Und immer dem vor ihm herflüchtenden Wahngebilde nachtrachtend, verließ er neuerdings das Asyl, wohin er, an jenem Glücke verzweifelnd, sich zurückgezogen hatte. Im April 1827 begab er sich wieder nach Bologna und zwei Monate später nach Florenz.

Dort erschloß sich seinen Augen ein neuer Horizont, ein Schauplatz, der nicht römisch, nicht lombardisch, sondern noch schöner und reizender war und dabei doch immer einen echt italienischen Charakter an sich hatte. Die Gärten der Blumenstadt, die melodische Mundart, die unbeschreibliche Anmuth der Frauen, die Milde der Staatsregierung, die schlanken, ätherischen Curven der florentinischen Architektur, ein gewisses einschmeichelndes und trauliches Wesen, dann wieder eine gewisse attische Feinheit und Grazie, die er bisher nur als ein Ideal geträumt, – das Alles wiegte sein Gemüth in einen angenehmen Traum, so daß er ein halbes Jahr lang seiner Bedrängnisse vergaß und von neuem an menschliche Glückseligkeit zu glauben anfing. Und als er im November Pisa besuchte, vereinigten auch hier sich die friedliche Stille des Ortes, die anmuthig erheiterte Einsamkeit, die warme, fast orientalische Sonne des Winters und des darauffolgenden Frühlings, ihm einen frischen Hauch des Lebens einzuflößen. Im Juni des nächsten Jahres kehrte er nach Florenz zurück, und, noch lebhafter als Alfieri beklagend, daß nicht die ganze Welt ein Toscana sei, suchte er, getrieben von der Melancholie des Spätherbstes, seine Heimat Recanati wieder auf.

Hier in dem furchtbar strengen Winter von 1829–30 fühlte er zum letzten Male die Seufzer auf seinen Lippen und die Thränen in seinen Augen zu Eis verwandelt. Er sang sich in den »Erinnerungen« einen Grabgesang, ließ aber demselben im nächsten Frühling doch noch ein »Wiedererwachen« folgen. Und nachdem er zum letztenmal seine theuren Eltern, seine Brüder (darunter seinen Carlo, der ihm mehr als Bruder, der ihm Freund war) und seine wahrhaft engelgleiche Schwester Paolina ans Herz geschlossen, riß er sich mit Schmerzen von ihnen los – er sollte sie niemals wiedersehen.

Er reiste wieder über Bologna nach Florenz, in der Absicht, sich dort auf unbestimmte Zeit niederzulassen. Es fand sich damals in dieser gastlichen Stadt, theils durch eigene Wahl, theils durch Verkettungen des Schicksals vereinigt, was von verdienstvollen und geistig hoch begabten Männern zu jener Zeit das unglückselige Italien sein nannte. Eine Art von edler Fremdenkolonie schloß sich an die einheimischen Größen: G. B. Niccolini, Gino Capponi und Giuliano Frollari. Leopardi sah sich bald mit jenen Fremden wie mit diesen Einheimischen durch die Bande der wärmsten Freundschaft fest verknüpft; den »toscanischen Freunden« sind seine Gesänge wie seine prosaischen Schriften in der schönen Ausgabe gewidmet, die er eben davon veranstaltete.

Aber weder die Freundschaft, noch der Frühling oder der Sommer, noch die Reize Toscana's vermochten die stiefmütterliche Feindseligkeit der Natur zu besänftigen, die ohne Mitleid in der Zerstörung des zartesten und empfindlichsten ihrer Geschöpfe fortfuhr. Leopardi's Uebel war unbestimmbar; an den tiefinnersten Wurzeln seines Daseins haftend, blieb es ein Räthsel wie das Dasein selbst. Die Knochen erweichten und zersetzten sich mit jedem Tage mehr und versagten dem hinsiechenden Fleische, das sie bedeckte, ihre von Anbeginn nur schwache Stütze. Das Fleisch selbst magerte ab, denn die Thätigkeit der Ernährungsorgane war nicht kräftig genug. Die Lungen, in einen allzu engen Raum gezwängt und zum Theil auch nicht völlig gesund, erweiterten sich nur mit Mühe. Mühsam auch entledigte sich das Herz der Lymphe; so war die Wiederaufsaugung matt und verursachte Beschwerden. Das Blut, das bei der mühsamen Athemholung sich nur unvollkommen erneuerte, schlich langsam, kühl und farblos durch die Adern. Mit einem Worte, der ganze geheimnißvolle Kreislauf des Lebens, der sich so mühselig bewegte, schien von einer Stunde zur andern für immer stille stehen zu wollen. Vielleicht hatte die Gehirnmasse dieses Hauptes, der Ausgangs- und Endpunkt des Kreislaufs, alle Lebenskräfte mit allzu vorwiegender Gewalt an sich gezogen und aufgesaugt, um für sich allein und in kurzer Zeit das zu verbrauchen, was für lange Zeit und für das Ganze hatte genügen sollen. Wie dem auch sein mag, Leopardi's Leben war schon nicht mehr, wie bei allen Menschen, ein Gang, sondern ein Lauf, ein Sturz gegen das Grab hin.

Umhergeschleudert auf einem großen Meere körperlichen und geistigen Leidens während des ganzen Winters von 1830–31, klammerte sich seine Hoffnung an den ersehnten Frühling, und er schien in der That für einige Momente wieder aufzuleben. Aber der folgende Sommer verschlimmerte sein Befinden so sehr, daß seine Freunde dem Herbste und mehr noch dem Winter mit Schreck entgegensahen. Auf ihren Rath begab er sich im Oktober nach Rom, um dort die beiden gefürchteten Jahreszeiten hinzubringen. Eine Zeitlang noch vermißte er ungern hier die toscanische Grazie und Feinheit, aber bald wieder etwas in jener Luft gekräftigt, erneute er seine alten Wanderungen durch die ewigen Denkmäler und versicherte lächelnd eines Tages, er habe mit Rom sich ausgesöhnt. Er fühlte sich dießmal nicht, wie früher, zu grollen oder zu weinen gestimmt; die Zeit des Grollens und des Weinens war für ihn vorüber; er hatte nur noch ein bitteres Lächeln für das traurige Ende alles Großen, für die Würmer der Verwesung in den edelsten Leichen.

Nur wer niemals einen Frühling in Toscana miterlebt, könnte sich darüber verwundern, daß Leopardi beim Anblick der ersten Blümchen, die er zwischen den Ruinen der alten Weltstadt sprießen sah, sich wieder unwiderstehlich nach Florenz gezogen fühlte, wo er in der That gegen den April hin eintraf.

Hier brachte er, so lange die Keime des Lebens und der Gesundheit, die der Süden in ihm geweckt hatte, gediehen, den Frühling und den Sommer in leidlichem Wohlsein hin. Es geschah zu dieser Zeit, daß er, von den römischen Lüften berauscht und begeistert, zum letztenmal der Sehnsucht nach dem Glücke sein Herz erschloß, aus welcher er dann, als der Herbst und der Winter jene Keime des besseren Wohlseins in ihm erstickt hatten, nur um so tiefer in die grausame Wirklichkeit seines unheilbaren Siechthums zurücksank.

Wenn Rom soviel vermocht hatte, was sollte nicht erst Neapel vermögen? Dies war der Gedanke, der Leopardi's Aerzten und Freunden, beim Fehlschlagen alles anderen menschlichen Bemühens, als Trost noch vorschwebte. Er selbst folgte, wie immer, dem Rathe der Seinen willig, und nachdem er wie durch ein Wunder der Strenge des Winters zwar widerstanden, aber doch im darauffolgenden Frühling und Sommer sich überzeugt hatte, daß die mildere Jahreszeit seine Uebel nicht mehr linderte, reiste er zu Anfang des September 1833 in fieberhaftem Zustande von Florenz ab, entledigte sich, in kleinen Tagreisen seinen Weg über Perugia nehmend, des Fiebers und gelangte, leidlich erleichtert, nach Rom, von wo aus er im Oktober nach Neapel abging.

Er fühlte hier sofort von der Milde des Klimas und von der Heiterkeit des Lebens, das ihn umgab, einen unglaublich wohltätigen Einfluß. Gewöhnlich hatte er seinen Wohnsitz auf der vor der Stadt gelegenen Anhöhe von Capodimonte, zog sich aber im Mai wie im Oktober in ein Häuschen auf dem Abhange des Vesuv zurück. In seltsamer Abwechselung bald von den Symptomen der Schwindsucht, bald von denen der Wassersucht bedroht, suchte er sich in gleicher Abwechselung Schutz gegen die eine bei der dünnen Bergluft des Vesuv, gegen die andere bei den milden Lüften von Capodimonte. Er machte Spaziergänge durch die Toledostraße oder am Meeresufer, besuchte häufig die Mergellina, den Pausilipp, Pozzuoli oder Cumä, stieg vom Capodimonte aus in die Katakomben und vom Vesuv aus nach Pompeji und Herculanum hinab und unterhielt sich mit den todten Alten, die er in Rom auf ihren Foren und unter ihren Triumphbogen angeredet, hier gewissermaßen in der vertraulichen Zurückgezogenheit ihrer Behausungen.

Die Neuheit und ausgezeichnete Gesundheit des Klimas, die sympathische Gesellschaft einiger Landsleute, der wechselnde Besuch gelehrter Fremden, die sich eben dort aufhielten, und eine neue, frischere und freiere Weise, zu leben, zu welcher Leopardi jetzt sich entschloß, fristeten ihm noch vier Jahre lang das Leben. Er gewann in wunderbarer Weise den geordneten Gang mancher Lebensverrichtungen, die bei ihm seit der frühesten Jugend in Unordnung gewesen waren, und fing nun an, sich selbst ein langes Leben zu prophezeien. Die bösartige Thätigkeit seiner Leibesübel schien ihm, wenn nicht ganz bewältigt, doch eingeschläfert, und gerade diese Hoffnung hatte ihn vielleicht noch länger lebend erhalten, wenn er nicht in hartnäckiger Weise sich eingebildet hätte, daß die Choleraseuche, die sich damals im ganzen Abendlande verbreitete, dazu bestimmt sei, seine krankhaften Zustände wieder zu erwecken und zu verschlimmern.

Es war im August 1836, als er, bei der ersten und noch fernen Ankündigung der Epidemie, sich in sein Häuschen auf dem Lande zurückzog, von wo er erst im Februar 1837 nach Capodimonte zurückkehrte. Hier vermehrten sich die Symptome der Wassersucht, sowie sich in seiner Landwohnung die der Schwindsucht vermehrt hatten. Auch erneuerte die Seuche, die im Winter verschwunden, im Frühling aber mit vermehrter Heftigkeit ausgebrochen war, in der Phantasie des Kranken das Schreckbild einer unbekannten und gräßlichen Todesart, ihm unglücklicher Weise schon eingeflößt von dem berühmten deutschen Dichter Platen, den dieselbe Angst in Siracus (lange bevor die Krankheit selbst dahin kam) getödtet hatte. Alle Abmahnungen waren vergeblich. Am 14. Juni, um die fünfte Stunde Nachmittags, während eine Kutsche ihn erwartete, um ihn nach seinem Landhause zurückzubringen, und er noch Pläne zu künftigen ländlichen Ausflügen entwarf, füllten plötzlich die Wasser, die schon lange die Wege des Herzens besetzt hatten, den Herzbeutel und erstickten das Leben an seinem innersten Urquell. In den Armen eines treuliebenden Freundes verhauchte der Dichter lächelnd die edle Seele.

Seine irdischen Reste sind in dem Kirchlein von San Vitale auf dem Wege nach Pozzuoli bestattet, in deren Vestibül ein Denkstein sein Andenken bewahrt.

Leopardi war von mittlerer Statur, gebeugt und schwächlich, blaß von Farbe. Sein Haupt war groß, seine Stirn breit und hoch, sein Auge blau und schmachtend, seine Nase gebogen und spitz. Die Züge seines Gesichts warm sehr zart, seine Sprechweise bescheiden und sein Organ etwas heiser; sein Lächeln besaß einen eigenthümlichen milden Zauber.

R. H.

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Leopardi's Gedichte.


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