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VIII.

Hymnus an die Patriarchen,

oder

Von den Anfängen des Menschengeschlechtes.

Euch singt der schmerzgebornen Söhne Lied,
Euch, menschlichen Geschlechts erlauchte Väter,
Im Preisgesang: die ihr, dem ewigen
Beweger der Gestirne theurer, minder
Beweinenswerth als wir entsprossen seid
Im hehren Licht! Unheilbar Leid, geschaffen
Zu sein für Thränen – Tod und Grabnacht süßer
Zu finden als des Aethers goldnes Licht –
Nicht fügt' es Mitleid so, nicht ein gerechtes
Gesetz des Himmels. Wenn von eurer alten
Verirrung, die des Menschen Samen preisgab
Der Tyrannei des Siechthums und des Unglücks,
Die Sage spricht, hat andre Schuld der Enkel,
Hat Wahnsinn, Aufruhr, schlimmer den gekränkten
Olymp bewaffnet gegen uns, bewaffnet
Die Hand, die schnöd mißachtete, der Mutter
Natur, die uns gesäugt. So ward die Flamme
Des Lebenslichts zur Pein uns, fluchbeladen
Ward schon die Frucht im Mutterschooß, und wild
Herein ins Leben brach der Erebus!

Das Licht des Tages und der kreisenden
Gestirne goldner Glanz, das neugeborne
Gethier des Felds und auf der jungen Flur
Den Hauch der Luft, der schweifenden – das Alles
Hast du zuerst erschaut, der menschlichen
Familie altehrwürd'ger Fürst und Vater!
Als des Gebirgsstroms Welle Felsgeklipp
Und öde Schluchten traf im Niedersturz
Mit unerhörtem Braus; als auf den holden
Zukünft'gen Stätten hochberühmter Völker,
Lärmvoller Städte, noch der Friede herrschte,
Und über Höhn, von keinem Pflug berührt,
In Einsamkeiten still aufging der Strahl
Des Phöbus und der goldnen Luna: – glücklich,
O glücklich war, von Schuld und Trauer frei,
Die Erde noch in solcher Einsamkeit!
Doch welches Leid hat deinem Stamm, o Vater,
Von bitteren Geschicken welche Reih',
Bereitet das Verhängniß! Raserei
Des Blutdursts, sieh, des Brudermords, besudelt
Das Saatgefild, das karg den Schweiß belohnt,
Und durch den göttlich-hohen Aether rauscht
Zum erstenmal des Todes dunkler Flügel.
Hinirrt der Brudermörder zitternd, flieht
Der Einsamkeit Umschattung, schreckt zusammen
Vorm Windesrauschen in den tiefen Wäldern:
So richtet er gesell'gen Wohnsitz auf,
Herberg' und Reich der blassen Sorg'; der Reue
Verzweiflungsgram, der kranke, seufzende,
Gesellt, verbündet in gemeinsamen
Behausungen die blinden Menschensöhne.
Versagt ward ruchlos so dem krummen Pflug
Die Hand, vernichtet ward das Schweißbemühn
Des Landmanns. Müßiggang bestieg den Thron
Auf lasterhaften Stätten, Urkraft schwand
In den entnervten Leibern, es erschlaffte
Der Geist, und Knechtschaft zwang – der Uebel ärgstes –
Ins Joch das wehrlos-dumpfe Menschenleben.

Und du wardst Retter vor des Aethers Grimm
Und Meeresschwall auf wolkennahen Jochen
Dem ruchlosen Geschlecht, du, dem zuerst
Von wiederaufgetauchten Gipfeln her,
Aus trüber Luft der neuen Hoffnung Zeichen
Die weiße Taube bracht', und, aus dem alten
Gewölk erstehend wie aus einem Schiffbruch,
Die Sonne mit der holden Iris malte
Den dunklen Pol. Zurückgekehrt zum Erdreich,
Erneuert die Begier, das frevle Trachten,
Und sein Gefolg, die Drangsal, das verjüngte
Geschlecht. Des Meeres unnahbare Reiche
Bedräut als Rächer spottend jetzt der Mensch
Mit frevler Hand, und bringt das Leid, die Thränen
An neuen Strand und unter neue Sterne.

Dein jetzt, der Frommen Ahn, gerecht und stark,
Und deines Samens edler Sprößlinge,
Denkt meine Seele. Künden will ich, wie
Du ruhend, unbekannt, im Mittagsschatten
Der stillen Heimatstätte auf den trauten
Gefilden, deiner Herden Weidesitz,
Gesegnet wardst von himmlisch hoher Pilger
Verborgnem Geist: und wie, o Sohn der klugen
Rebecca, nah dem ländlichrohen Brunnen,
Im aranit'schen Thal, dem lieblichen,
Dich Lieb' ergriff zur schönen Labanstochter:
Ja Liebe, mächtige, um derentwillen
Verbannung, langes Ungemach, sogar
Des Sklavendiensts verhaßte Last ertrug
Der Geist des Wackren ohne Widerstreben.

Gewiß einst war – nicht bloß mit Schattenbildern
Und eitlem Wahne nährt aonischer
Gesang und alter Sage Ruf das Ohr,
Das hörbegierige, des Volks – befreundet
War unsrem Stamm dereinst, und süß und traut
Dieß ird'sche Jammerthal, und golden rann
Das flücht'ge Leben hin. Nicht daß von Milch
In reiner Welle sich ein Strom ergoß
Vom Hang der Heimathöhen, oder daß
Der Hirt den Tiger, unter seine Herden
Gemischt, zum Stalle scherzend führte, oder
Den Wolf zum Brunnen – doch noch unbewußt
Des eignen Schicksals, eignen Leides, lebte
Die Menschheit harmlos hin, und den geheimen
Gesetzen, die Natur und Himmel gab,
Sich fügend, wob der holde Trug und Wahn
Um alle Dinge seinen weichen Schleier,
Und unser Lebenskahn zog, sich begnügend
Schon mit der Hoffnung, ruhig in den Port.

So lebt in Californiens weiten Wäldern
Ein glückliches Geschlecht noch heut, dem nicht
Die Sorge nagt die Brust, dem nicht die Glieder
Verzehrt ein grausam Siechthum; dem die Speise
Der Wald, die Wohnung Felsgeklüft, den Trank
Des Thales Quelle beut, und dem der Tag
Des dunklen Todes unerwartet naht.
O wie so wehrlos gegen unser Wagen,
Das frevle, sind die Reiche der Natur!
Die Ufer und die Höhlen und die Wälder
Schließt unser Wahnsinn unbezähmbar auf,
Erzieht besiegte Völker neuem Leid
Und unbekannter Gier, und so verfolgt er
Das Glück, das nackten Fußes vor ihm flieht,
Bis an der Sonne fernsten Niedergang.

*


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