Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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XVI.

Max saß vollständig geknickt im Lehnstuhl.

Der Berg-Hirsch hatte ihn telephonisch von der Börse nach seiner Wohnung zitiert und beendete soeben seinen Vortrag:

»Betrachten Sie sich gefälligst als rausgeschmissen, Herr Hirsch! . . . Das war das greifbare Resultat meiner letzten Unterredung mit deinem Fräulein Tante . . . Und damit betrachte auch ich meine Sendung als freiwillige Feuerwehr für total erledigt . . . Wenn's wieder mal bei dir, bei Pietschkes oder auf der Burg Treuenstein brennt, dann könnt Ihr alle auf den Feuermelder drücken, bis Ihr Schwielen an den Händen kriegt – ich komme nicht mehr! . . . Was bin ich alles durch Euch geworden? . . . Erst Bratenbarde beim Verlobungsfest in der Fischerstraße, dann dritter Mann beim Sonntagsskat und endlich Krankenwärter . . . Handelslehrer für den Perlenfischer von 208 Biebrich, Generalbevollmächtigter in der Gurkenbranche . . . Als Rabbiner habe ich Meta trostreiche Worte am Sarge ihrer Liebe gespendet und als moderner Lukullus wüste Orgien bei Berg in der Charlottenstraße veranstaltet . . . Und das Ende vom Liede? . . .

Wer sich in fremde Sachen mischt,
Der hat nur Aerger – weiter nischt!« . . .

»Du mußt den gestrigen Vorfall nicht so tragisch nehmen, lieber Moritz,« meinte Max begütigend, »das Bewußtsein, das Beste für uns gewollt zu haben, ist doch auch etwas wert, und ich brauche dir nicht erst zu sagen, wie dankbar wir dir alle sind . . . Daß Tante Ida ein bißchen ärgerlich war, ist am Ende begreiflich, denn du hast das liebe, alte Fräulein doch immerhin hinters Licht geführt.« . . .

»Bravo,« triumphierte Moritz, »ich sage es ja . . . schon bekomme ich aus deinem erlauchten Munde die ersten Vorwürfe zu hören . . . Ich habe das alte Fräulein hinters Licht geführt . . . Ich wundere mich nur, daß du mich nicht verdächtigst, als Generalbevollmächtigter einige Fässer Gurken unterschlagen zu haben . . . Vielleicht verklagt mich auch noch der Baron auf Schadenersatz, weil er durch meine Lehrstunden weniger Sekt und Zigaretten verkaufen 209 konnte . . . und ich wäre nicht im geringsten erstaunt, wenn mich August Pietschke nachträglich vor der Börse öffentlich verhauen würde, um dadurch die Ehre seines Hauses wieder herzustellen . . .«

»Aber, Moritz, sei doch vernünftig,« unterbrach Max den wild gewordenen Hirsch, »du drehst mir ja die Worte im Munde herum . . . Ich wollte doch nur sagen, daß das falsche Spiel mit Sally Freudenstein . . .«

Weiter kam Max aber nicht, denn Moritz stellte sich mit funkelnden Augen vor ihn hin:

»Also Falschspieler! . . . Moritz Hirsch – ein Falschspieler! . . . Das schlägt dem Gurkenfaß den Boden aus! . . . Hiermit kündige ich dir unsere alte Freundschaft . . . Wie deine Tante Ida mir – so ich dir! . . .«

Er machte eine nicht mißzuverstehende Bewegung nach der Tür . . .

Der Makkabäer hielt es unter diesen Umständen für das beste, seinen Freund austoben zu lassen und folgte schweigend dem Winke . . .

Getrennt gingen sie zur Börse, und den Heimweg trat ebenfalls jeder für sich allein an . . .

210 Ein kritischer Tag erster Ordnung! . . .

. . . . . . . . . . .

Um dieselbe Zeit, da diese Auseinandersetzung zwischen Moritz und Max in der Wormser Straße stattfand, ließ sich August Pietschke bei Fräulein Susemaus melden.

Er hatte seinen Sonntagsstaat angelegt. Der schwarze Rock und der Zylinder waren frisch aufgebügelt, und wenn diese Kleidungsstücke auch dadurch nicht moderner geworden waren, so zeigten sie doch immerhin einen gewissen Glanz und Schimmer. Auf der weißen Weste leuchtete die breite goldene Uhrkette, und in der blauen Atlaskrawatte steckte eine kostbare Busennadel in Form eines Hufeisens, ein Geschenk Metas, das sinnig an den früheren Beruf des Besitzers erinnerte . . .

Fränze war bereits instruiert.

Sie führte den Besucher in den Salon und bat ihn, sich noch einige Minuten gedulden zu wollen.

So hatte er genügend Muße, sich umzusehen, und sein erster Blick fiel auf die beiden Familienporträts, die an der Wand hingen.

Die Aehnlichkeit mit Max war unverkennbar, und August Pietschke mutmaßte ganz richtig, als er vor sich hinbrummte:

211 »Det sind gewiß de selijen Eltern von das feine Früchtel, was nu meen Schwiegersohn werden soll . . . Et is doch een rechter Jammer, det dem jungen Mann de väterliche Keile jefehlt hat . . . det is heute jar nich mehr wieder jut zu machen . . .«

In diesem für Max nicht gerade sehr schmeichelhaften Gedankengang wurde er durch Fränze unterbrochen, die die Tür zum Wohnzimmer öffnete und Herrn Pietschke aufforderte, näherzutreten . . .

Tante Ida ruhte in halb liegender Stellung auf dem Krankenstuhl und sagte liebenswürdig, indem sie auf ihren Fuß deutete:

»Entschuldigen Sie, Herr Pietschke, daß ich Ihnen nicht entgegengehen kann . . . aber ich bin noch recht schwach auf den Beinen . . . . Bitte, nehmen Sie Platz« . . .

Sie reichte ihm die Hand, die er gegen seine Gewohnheit sehr zart und vorsichtig, mit einer gewissen respektvollen Ritterlichkeit, berührte.

Dann ließ er sich fast schüchtern auf einen Fauteuil nieder.

Tante Ida, die sich naturgemäß ihrem Besucher sofort geistig überlegen fühlte, stimmte 212 das Gespräch gleich zu Beginn auf den Ton der Gemütlichkeit.

»Wir sind ja beide zwei alte Berliner,« sagte sie freundlich, »da wird es nicht schwer fallen, uns zu verständigen« . . .

»Daran zweifle ick ooch keenen Oogenblick,« pflichtete August Pietschke ihr bei, der sich durch diese Art der Begrüßung höchst angenehm berührt fühlte.

»Also, Herr Pietschke, nun schießen Sie mal los und sagen Sie mir offen und ehrlich, was Sie auf dem Herzen haben« . . .

August Pietschke wußte nicht recht, an welchem Ende er das Ding anfassen sollte. Endlich aber faßte er Courage.

»Hochverehrte Jnädigste,« hub er an, »ick muß Ihnen erst um Entschuldigung bitten, falls ick mir mal mit eenem Ausdruck een bißken verheddere, wenn ick auf Ihren Herrn Neffen zu sprechen komme, denn der Lulatsch« . . .

»Herr Pietschke,« unterbrach ihn Tante Ida ein wenig ernster, »wir wollen uns beide nicht aufregen . . . . dazu sind wir beide nicht mehr jung genug . . . Sie haben guten Grund, meinem Neffen zu zürnen, das gebe ich Ihnen ohne weiteres zu . . . aber es ist mir peinlich, Schimpfworte mit anhören zu müssen.«

213 »Nischt vor unjut,« stotterte Herr Pietschke, »die Wut jeht manchmal mit mich durch . . . dafor bin ick eben Droschkenkutscher jewesen . . . Die feinen Leute, mit die ick in meinem Leben in Berührung jekommen bin, die saßen immer hinten drin in meinem Wagen, und ick man immer bloß uff dem Bock . . . Auf die Art habe ick natürlich von die Bildung nich ville abjekriegt . . . und wat ick verdient habe, det habe ick for die Bildung von meene Dochter ausjejeben . . . For zweie hat det Jeld eben nich jereicht . . .«

»Sie haben gehandelt,« bestätigte Tante Ida wohlwollend, »wie ein braver, rechtschaffener Mann und Vater . . . Es ist mir bekannt, daß Ihre Frau Sie hintergangen und verlassen hat.« . . .

»Ja . . . wat sagen Se zu dem Luder?« . . . brauste Pietschke auf.

»Aber, Herr Pietschke!« ermahnte Tante Ida den Alten vorwurfsvoll. »Sie wollten doch alle Kraftausdrücke vermeiden?« . . .

»Pardon,« murmelte Pietschke und schämte sich . . .

»Sie haben,« fuhr Fräulein Susemaus fort, »Ihrer Tochter eine ausgezeichnete Erziehung angedeihen lassen und sich persönlich Entbehrungen 214 auferlegt, um Ihr einziges Kind zu festigen für den Kampf des Lebens . . . Ich bedaure sehr, daß Sie nach dieser Richtung hin eine so traurige Enttäuschung erleben mußten.«

Der Alte sah verwundert auf.

»Wie meenen Sie det?« . . . fragte er ein wenig brüsk. »Die Enttäuschung, die kam nich von meene Dochter, die kam von dem frechen Windhund, von Ihrem . . .«

Tante Ida drohte mit dem Finger.

»Ruhe, Herr Pietschke, Ruhe! . . . Meinem Neffen hat die strenge Vaterhand gefehlt und Ihrer Tochter das sorgende Mutterherz . . . Aber Sie müssen darum Ihr Kind nicht von jeder Schuld freisprechen und die ganze Verantwortung nur auf Max schieben . . . Gerade weil Ihr Mädel eine gute Erziehung genossen hatte, durfte sie sich nicht so weit vergessen, wie sie es getan hat . . . Und gerade weil sie Ihnen für Ihre Aufopferung doppelt dankbar sein mußte, durfte sie den Fehltritt nicht begehen und Ihnen, wie ich Ihnen bereits sagte, eine so schmerzhafte Enttäuschung bereiten.« . . .

»Det stimmt, jnädiges Fräulein« – der Alte nickte nachdenklich – »det hat seine Richtigkeit . . . Es war mir gegenüber jewiß nich sehr scheen, wat meene Meta jetan hat . . . Det jeb' 215 ick jerne zu . . . Aber . . . wat hatte se denn zu Hause? . . . Doch bloß mir ollen Mann, mit dem se sich über nischt unterhalten konnte, wie über meine Zossen und den mießen Jeschäftsjang . . . Den janzen Tag war se ins Jeschäft mit jebildete Leute zusammen . . . Und wenn se abends nach Hause kam, und ick nich jrade uff de Tour war, da konnte ick ihr außer 'ne belegte Stulle nischt weiter bieten . . . Hübsch und jung war se ooch . . . na und wie dat dann manchmal so kommt.« . . .

Herr Pietschke machte ein recht trübseliges Gesicht.

»Mildernde Umstände will ich ihr ja auch gar nicht absprechen,« bemerkte Tante Ida freundlich, »aber diese mildernden Umstände nehme ich auch für meinen Neffen in Anspruch . . . Wenn ein junger Mann auf dem Tanzboden in Schlachtensee ein alleinstehendes junges Mädchen kennen lernt, fragt er nicht erst lange bei ihren Angehörigen an, ob sie ihm erlauben, die Blüte zu pflücken . . . Das ist das Recht der Weltstadt . . . oder auch das Unrecht . . . wie Sie wollen . . . Und Ihre Tochter hat es in diesem Fall doch noch weit besser getroffen als unzählige ihrer Mitschwestern . . . Max hat sie nicht verlassen und ist ihr treu geblieben.« . . .

216 »Der Deibel hätt' ihn jeholt, wenn er sich jedrückt hätte!« . . . polterte der Alte erbost, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug, daß das alte Fräulein erschreckt zusammenfuhr. »Jlooben Se vielleicht, ick hätte den janzen Kram jeduldet, wenn sich Ihr sauberer Neffe nich jerichtlich verpflichtet hätte, Meta'n zu heiraten? . . . Ick bin meen Leben lang keen Lump jewesen, und ohne det Heiratsversprechen hätte ick meene Dochter mit keen Ooge mehr anjesehn . . . Luft wär' se for mir jewesen . . . schlechte Luft, wie die von de Benzinkästen, wo se sich jetzt die Neese zuhalten müssen im Jrunewald mitten mang de Frühlingsluft« . . .

»Ein Heiratsversprechen?« . . . flüsterte Tante Ida vor sich hin . . . »Davon weiß ich ja gar nichts.«

»Na, jewiß doch!« . . . Een janz richtig jehendes Heiratsversprechen . . . und nu, wie es aus sein sollte zwischen die beeden, durch den Pump, den der faule Junge bei Sie anjelegt hat, da hat se ihm det Heiratsversprechen vor de Füße jeschmissen und de Geschenke hinterher . . . Ick hab' se ihm hinjebracht . . . de Ringe und de Armbänder . . . und for eene Kette mit dem Medaljon, wo dem Mäxeken sein Bild drin war, 217 habe ick sojar bar bezahlt . . . von meine sauer ersparten Jroschens . . . weil Meta jrade den Wertjejenstand verloren hatte . . . Und det kann ick Sie versichern, Jnädigste . . . An dem Tage, da sind der olle Droschkenkutscher und seine Dochter Meta wieder mal richtig einig jewesen . . . nach lange zehn Jahre«

Tante Ida grübelte . . .

»Das war es also!« . . .

Darauf bezogen sich die Worte in Metas Brief, die sie sich wörtlich eingeprägt hatte: »Um so mehr lege ich Wert auf die Feststellung, daß ich Herrn Max Susemaus seine Freiheit zurückgegeben habe, ohne erst seinerseits eine Bitte nach dieser Richtung hin abzuwarten.« . . .

»Ich verstehe nur nicht,« forschte Tante Ida weiter, und ihre Stimme zitterte merklich, »weshalb Max Ihrer Tochter ein Heiratsversprechen gegeben hat, statt sie gleich zum Standesamt zu führen?« . . .

»Na, det is doch janz natürlich,« fuhr Pietschke, der nichts davon ahnte, was in der Seele des alten Fräuleins vorging, unbefangen fort . . . »Er wollte Ihnen als juter Neffe bei Lebzeiten keene Droschkenkutschersdochter als Nichte in't Haus bringen.« . . .

218 »Und nach meinem Tode,« fügte Tante Ida tieftraurig hinzu, »sollte dann die Ehe geschlossen werden.« . . .

Jetzt erst merkte Pietschke, wie schmerzlich seine Enthüllungen für Fräulein Susemaus waren, und es tat ihm in der Seele weh, daß er sich zu dem Geständnis hatte hinreißen lassen . . . Aber Tante Ida ließ ihm keine Zeit, Worte des Bedauerns und der Entschuldigung zu finden, nach denen er angestrengt suchte . . .

»Sie sind ein anständiger Mann, Herr Pietschke,« sagte sie einfach und schlicht, »und wenn es wahr ist, daß der Apfel nicht weit vom Stamme fällt, so werde ich mich freuen, Ihre Tochter als Gattin meines Neffen in meinem Hause zu begrüßen.« . . .

»Ick kann nich ville Redensarten machen,« erwiderte August Pietschke, der sich zum erstenmal in seinem schweren Leben einer inneren Rührung nicht erwehren konnte . . . »Aber ick danke Ihnen von janzem Herzen . . . Sie haben mit Ihrer Jüte in eenem Oogenblick det allens wieder jut jemacht, wat det Unjlück mir angetan hat . . . und ick verspreche Ihnen ooch, det Se mir nich wiedersehn sollen, denn ick fühle ja alleene, det ick mang Ihre feine Jesellschaft nich passe . . . Nur det eene will ick hoffen, det 219 Ihnen meene Dochter so ville Freude macht, wie Se es verdienen . . . und ick wünsche Ihnen ooch noch recht lange, jesunde Jahre!« . . .

August Pietschke erhob sich und wandte sich zum Gehen.

Aber Tante Ida streckte ihm beide Hände entgegen und sagte herzlich:

»Nein, nein, mein lieber Herr Pietschke, auf baldiges Wiedersehn! . . . Die alte Berlinerin in der Fischerstraße wird sich immer freuen, mit dem braven Vater ihrer neuen Nichte ein Stündchen gemütlich zu verplaudern . . . und bestellen Sie auch einen schönen Gruß an Ihre Meta . . .« 220

 


 


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