Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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XII.

Die Börse war wieder sehr fest gewesen, und Max strahlte vor Glück und Seligkeit, als er mit Moritz den Heimweg antrat.

Die erste halbe Stunde führte der Makkabäer das Wort. Er erzählte die Geschichte der drei Besuche, und Moritz bekam vor lauter Lachen ein hochrotes Gesicht, das so komisch wirkte, daß es sogar die Heiterkeit der Passanten Unter den Linden erregte.

Vor dem Juwelierladen der allbekannten Firma Gebr. Friedländer führte Max seinen Freund ans Schaufenster und deutete auf einen prachtvollen Brillantring.

»Einen solchen Ring für 1500 Mark habe ich Lene als Verlobungsring geschenkt.«

»Sehr schön,« erwiderte Moritz, »aber ich habe an ihrer Hand bei dem Fest am Sonntag nichts bemerkt.«

»Sehr richtig,« bestätigte Max, »sie hat mir erklärt, daß sie prinzipiell keine Ringe trage, 151 und selbst in diesem besonderen Falle keine Ausnahme machen werde . . .«

»Vielleicht hat ihn Georg inzwischen schon versetzt,« meinte Moritz lächelnd. »Uebrigens . . . hast du denn von ihr keinen Ring erhalten?«

»Jawohl,« nickte Max, indem er aus seiner Westentasche einen Reif hervorzog.

»Mein zukünftiger Schwiegervater hat mir dieses angebliche Erbstück der Familie Malthus als Angebinde überreicht.«

Moritz putzte erst den Ring an seinem Aermel blank, hielt ihn dann mißtrauisch gegen die Sonne und sagte:

»Merkwürdiges Metall . . . Für Gold ein bißchen zu blaß und für Silber ein bißchen zu gelb . . . Auch aus dem Stein werde ich nicht recht klug . . . Für einen Smaragden ist er zu weiß und für einen Brillanten zu grün . . . Er sieht aus wie eine verunglückte Kreuzung zwischen einem deutschen Rheinkiesel und einer englischen Riechflasche . . . Ein merkwürdiges Erbstück:

Das Wort des Nathan klingt mir in die Ohren:
»Der echte Ring vermutlich ging verloren . . .«

152 Lachend gingen beide durch das Brandenburger Tor. In der Löwenallee blieb Moritz einen Augenblick stehen, entblößte sein kahles Haupt und sog die kühle Herbstluft in vollen Zügen ein.

»Weißt du, Max,« begann er endlich, »von wem ich heute einen Brief bekommen habe?«

»Von Meta,« fuhr es Max heraus. Und er drückte den Arm des Freundes so stürmisch, daß Moritz sich diese Art der Liebkosung ganz energisch verbat.

»Allerdings,« versetzte er nach einer Weile, »von Meta . . . . es geht ihr ganz ausgezeichnet . . .«

»Was heißt das?« . . . . unterbrach ihn Max, »ausgezeichnet? . . . Hat sie gar keine Sehnsucht? . . . Hat sie alles schon völlig verwunden?« . . .

»Vollständig,« erwiderte Moritz spöttisch. »Sie amüsiert sich, wie gesagt, ganz ausgezeichnet . . . Sie diniert mit ihren Freunden bei Henri – wie mit dir . . . . Sie macht Exkursionen nach Versailles und Trianon – wie mit dir . . . Sie läßt sich von ihren Verehrern in dem Blumenladen, wo du ihr bescheidene Parmaveilchen schenktest, die teuersten Orchideen kaufen und verbringt ihre Nächte in lustiger 153 Gesellschaft in den Vergnügungslokalen auf dem Montmartre . . . Den nächsten Morgen hat sie natürlich Kopfschmerzen, weil sie jede Nacht Champagner trinkt . . .«

»Was? . . . Champagner? . . . Das ist unerhört!« . . . brüllte Max.

»Nur ganz natürlich,« erwiderte Moritz kühl. »Du feierst hier rauschende Verlobungsfeste – da kannst du doch nicht verlangen, daß Meta sich kasteit . . . . Außerdem taugt das Pariser Wasserleitungwasser nichts, und endlich:

Die Kraft, die in der Traube steckt,
Stärkt uns mit milder Gnade,
Und wer vergessen will, trinkt Sekt
Und keine Limonade! . . .«

Max bot den Anblick tiefer Zerknirschung.

»Eigentlich kann ich es ihr nicht verdenken,« seufzte er. »Aber hör' mal, Moritz, das letzte Wort in dieser Sache ist ja noch nicht gesprochen. Ich habe meine festgefügten Pläne, und wenn sie mir glücken . . . aber inzwischen kannst du deine Freundschaft für mich wiederum beweisen . . .«

Moritz wehrte heftig ab.

»Mein Bedarf an Freundschaftsdiensten für dich in Sachen Meta Pietschke ist vollständig gedeckt . . . Ich bleibe weiterhin ein ehrlicher 154 Makler – aber nur an der Börse und nicht zwischen euch beiden . . . Schreibe oder sage ihr selber, was du willst . . . aber mich laß gefälligst aus dem Spiel.« . . .

Sie waren an der Ecke der Wormser Straße angelangt.

»Hör' mal, mein lieber Moritz,« bat Max zögernd, »tu' mir die einzige Liebe und trinke heute abend einen Schoppen mit mir zusammen. Ich werde direkt wahnsinnig in meiner Einsamkeit. Lene hat heute schon wieder Migräne, und ich möchte mich doch einmal gründlich mit dir aussprechen . . . .«

Aber Moritz schüttelte den Kopf.

»Im zweiten Buch der »Makkabäer«, Kapitel 50, Vers 40, steht geschrieben: Denn allezeit Wein oder Wasser trinken ist nicht lustig; sondern zuweilen Wein, zuweilen Wasser trinken, das ist lustig.« . . . Ich habe gestern meinen Weintag gehabt, heute ist mein Wassertag . . .«

Damit warf er Max ein ironisches Kußhändchen zu und verschwand im Hausflur . . .

Ehe er sich aber zu der wohlverdienten Ruhe niederlegte, trug er seiner Wirtschafterin auf, ihn pünktlich um halb sieben Uhr zu wecken und einen fremden Herrn, der um sieben Uhr 155 erscheinen würde, sofort unangemeldet vorzulassen. . . .

Mit militärischer Pünktlichkeit war Sieghard Edler von Treuenstein zur Stelle.

Moritz kam ihm mit höflicher Förmlichkeit entgegen. Er fühlte sich bei diesem Tête à tête mit dem jungen Aristokraten etwas unbehaglich und seiner sonstigen Art zuwider sogar verlegen. Da es Herrn von Treuenstein ebenso erging, so saßen sich die beiden Männer eine Weile stillschweigend gegenüber, bis Moritz die etwas banale Phrase vom Stapel ließ:

»Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Baron?« . . .

Sehr bescheiden erwiderte Herr von Treuenstein:

»Ich komme zu Ihnen als Bittsteller, Herr Hirsch, . . . als ein unglücklicher Mensch, der in seiner Not des Rates eines klugen und welterfahrenen Mannes bedarf . . . Ich weiß nicht, ob Ihnen die Geschichte meines Lebens bekannt ist?«

»Gewiß, Herr Baron,« unterbrach ihn Moritz schon etwas gemütlicher, »legen wir den Efeu der Vergessenheit um die Burgruine im Taunus . . . .«

156 »Wie Sie wissen,« fuhr Herr von Treuenstein fort, »versuche ich es seit Jahren, mich durchzuringen . . . . Mein kleines Einkommen langt zwar für meine eigene Person vollständig aus, aber ich kann natürlich nicht daran denken, mir einen eigenen Hausstand zu gründen . . . . Es ist ein hartes Brot, das ich esse . . . Von morgens bis abends treppauf treppab und als traurige Beigabe die Verpflichtung, bei den Herren Restaurateuren, die meine Kunden sind oder werden sollen, die Nächte hindurch zechen zu müssen. . . .«

»Ich sollte doch meinen,« bemerkte Moritz, »daß gerade Ihr Name Ihnen die Türen leichter öffnet als jedem anderen?« . . .

»Das ist ein Irrtum, Herr Hirsch,« erwiderte der Baron traurig, »fast das Gegenteil ist der Fall. . . . Gerade an meinem Namen erkennt jeder sofort, daß ich . . . gescheitert bin . . . Mein Sekt schmeckt den Leuten nach unbezahlten Wechseln und meine Zigarette nach schlichtem Abschied. . . .«

»Daran hatte ich nicht gedacht,« meinte Moritz teilnehmend, »aber jetzt gebe ich Ihnen ohne weiteres recht . . . Deutschland ist ein Industriestaat geworden . . . Merkur ist heute stärker als Mars . . . Der preußische Leutnant 157 hat durch die vierzigjährige Friedenszeit viel von seinem Nimbus verloren. . . . Die Tage sind vorüber, da der »Veilchenfresser« ausverkaufte Häuser machte. . . . Aber lassen wir das, und kommen wir zur Sache! . . . Ich habe, wie ich Ihnen ganz offen sagen kann, eine große Sympathie für Fräulein Malthus, und was in meinen Kräften liegt, würde ich gern für das reizende und liebenswerte Geschöpf tun . . .«

Er sah sein Gegenüber prüfend an.

»An der Aufrichtigkeit Ihrer Neigung zu Fräulein Lene, Herr Baron, brauche ich doch nicht zu zweifeln? . . .«

»Das Wappen meiner Familie,« erwiderte der Baron stolz, »zeigt einen Felsen, und unsere Devise lautet: Fest und treu . . .«

Moritz lächelte.

»Bei uns im Börsenwappen heißt die Devise: Fest und flau, . . . wie's trefft . . . Aber,« fügte er hinzu, »was hat das mit dem »Felsen« für eine Bewandnis? . . .«

»Der Felsen,« entgegnete Herr von Treuenstein eifrig, »führt auf den Ursprung meiner Familie zurück . . . Mein Ahnherr Beowulf mußte seine liebliche Gemahlin und seine beiden kleinen Kinder verlassen, um wider die Heiden zu fechten . . . Bevor er zum Kreuzzuge ausritt, 158 führte er seine Gattin zu dem Felsen, der sich vor dem Eingang des Burgtores erhebt und von dessen Spitze man weit hinaus ins Tal sieht, und sprach zu ihr: »Hier sollst du tagtäglich hinausschauen in die Lande und auf die Stunde warten, da ich siegreich wiederkehre . . .« Mein Ahnherr fiel im heiligen Lande . . . Jahre vergingen, und die Sehnsucht seiner Gattin wurde nie erfüllt . . . Täglich stieg sie auf den Felsen und sah ins Tal hinab, bis sie alt und grau wurde und bis sie der Tod an jener Stätte ereilte . . . Seither heißt dieser Felsen im Volksmunde »Der Treuenstein«, und diese Legende hat unserm Geschlecht Namen und Wappen gegeben . . .«

»Das ist eine merkwürdige Geschichte,« sagte Moritz. . . . »Ihr Herr Ahnherr ist gewiß weitläufig mit dem Grafen Toggenburg verwandt gewesen, in dessen Familie etwas Aehnliches passiert sein soll . . . allerdings handelte es sich damals um die Schwester. . . .

Und so saß sie, eine Leiche,
Eines Morgens da.
In die Ferne noch das bleiche,
Stille Antlitz sah . . .

Jetzt gibt es ja keine Kreuzzüge mehr, aber dafür sitzt nun die arme kleine Lene auf dem 159 »Treuenstein« und wartet, ob nicht der Ritter Sieghard aus dem Kampf des modernen Lebens reich mit Schätzen beladen wieder heimkehrt . . .«

»Verehrter Herr Hirsch,« sprach Herr von Treuenstein etwas traurig, »ich habe Ihnen die Geschichte nicht erzählt, um mich etwa mit meinen Vorfahren zu brüsten, ganz im Gegenteil. . . .«

Moritz legte beschwichtigend die Hand auf den Arm seines Besuchers.

»Nehmen Sie mir, bitte, meine Bemerkung nicht übel, Herr Baron . . . Nichts liegt mir ferner, als Sie zu kränken . . . Ich bin nun mal so ein Spottvogel, der immer seine dummen Witze machen muß . . . Glauben Sie mir, ich habe auch allen Respekt vor dem Alter und vor Tradition. . . . Ich bin sogar genau so stolz auf meine Vorfahren wie Sie . . . Sehen Sie, hier auf meinem Pult steht ein alter Chanukka-Leuchter . . . Er stammt noch aus dem Besitz meines Großvaters in Brieg, und wenn Sie ihn genau untersuchen wollen, so werden Sie finden, daß er im Laufe der Jahrhunderte nicht die kleinste Schramme bekommen hat. . . . Mein Chanukka-Leuchter ist ebenso blank wie Ihr Wappenschild, Herr Baron, und mit der Ehre hat es das Haus Hirsch gewiß ebenso 160 ernst genommen wie das Haus Treuenstein . . . In diesem Punkte begegnen wir uns vollständig, und darum reichen Sie mir die Hand, junger Freund!« . . .

Herr von Treuenstein schlug kräftig ein, und damit war der Bann gebrochen. . . .

»Nun sagen Sie mir mal, Herr Baron,« fuhr nach einer kleinen Pause Moritz fort, »wie steht es mit Ihrer kaufmännischen Vorbildung? . . . Wenn ich für Sie wirken und Ihnen eine Stellung verschaffen soll, so muß ich doch ungefähr wissen, welche Leistungen ich von Ihnen erwarten kann.«

»Offen gesagt, Herr Hirsch,« erwiderte Herr von Treuenstein treuherzig, »ich kann eigentlich gar nichts. . . . Kaum hatte ich den bunten Rock ausziehen müssen, so war auch bereits die bittere Notwendigkeit da, Geld zu verdienen auf jede anständige Weise . . . Da tat ich, kurz entschlossen, was schon viele vor mir getan haben, und was wahrscheinlich noch viele nach mir tun werden: ich nahm die beiden Vertretungen an, die mir von Freunden angeboten wurden.« . . .

Moritz machte ein bedenkliches Gesicht.

»Das erschwert allerdings die Sachlage,« murmelte er vor sich hin. »Zu jedem kaufmännischen Beruf gehört heutzutage eine 161 gründliche Vorbildung. . . . Das ist auch so ein Ammenmärchen, daß man ohne weiteres zur Börse hineingeht und als reicher Mann wieder herauskommt . . . Das Parkett in der Burgstraße ist das allerglatteste von allen . . . Wer da nicht sehr fest auf den Beinen steht, der rutscht aus, und plumps – liegt er da . . . Wir älteren Börsianer, wir sind alle aus dem Warengeschäft hervorgegangen, und dort habe auch ich meine Lehrjahre verbracht. . . . Ich werde Ihnen mal einen Vorschlag machen . . . Wenn Sie wollen, werde ich Sie selbst unterrichten . . . . Ich stelle mich Ihnen jeden Abend zwei Stunden zur Verfügung, und wenn Sie Fähigkeiten besitzen, dann habe ich Sie in ein paar Monaten so weit, daß ich der Frage Ihrer Zukunft nähertreten kann. . . .«

»Ich danke Ihnen von Herzen,« stammelte der Baron, »das ist mehr, als ich erwarten konnte.«

Moritz erhob sich.

»Danken Sie nicht zu früh,« lächelte er freundlich, »Sie wissen ja noch gar nicht, ob Sie es bei diesem Lehrer aushalten werden . . . Aber jetzt wollen wir in ein anderes Lokal gehen und meine ungemütliche Junggesellenwohnung verlassen . . . . Ich habe zwar heute eigentlich 162 Wassertag, aber wir wollen doch unsere junge Freundschaft mit einer alten Flasche begießen . . . Und wenn alles gut geht, dann machen wir zusammen einen ganz richtigen modernen Kreuzzug gegen die Pläne von Fräulein Susemaus. . . . Das hätte sich gewiß der selige Gottfried von Bouillon nicht träumen lassen, daß ein kerndeutscher Ritter mit einem jüdischen Knappen gegen eine evangelische Dame zu Felde ziehen würde. . . . Aber Sie dürfen nicht der letzte »Treuenstein« bleiben. . . . . Schon des Felsens wegen muß der Name weiter fortgepflanzt werden. Ich bin zwar auch der letzte meines Stammes, aber darauf kommt's nicht an, denn der Name »Hirsch« wird nicht aussterben, selbst wenn ich persönlich mit Leibeserben nicht gesegnet sein sollte. . . .« 163

 


 


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