Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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VII.

Seit einer halben Stunde ging ein eleganter Herr an der Friedrichsgracht auf und nieder.

Von Zeit zu Zeit blieb er an der Fischerstraße stehen und blickte interessiert nach dem Portal des Hauses, das Fräulein Susemaus gehörte. Sein Aeußeres verriet in der ganzen Haltung den preußischen Reiteroffizier. Ein keckes schwarzes Schnurrbärtchen schmückte die feingeschwungene Oberlippe. Aber in den dunklen Augen lag etwas Sanftes, Träumerisches, das die regelmäßigen Züge veredelte und das freie, offene Antlitz noch sympathischer machte.

Das war Sieghard, Edler zu Treuenstein, der ehemalige schneidige Leutnant von den Königshusaren, jetzt Vertreter der deutschen Schaumweinfirma »Perle von Biebrich« und der Zigarettenfabrik »Titania«.

Sieghard steckte, wie gesagt, von Zeit zu Zeit die Nase um die Ecke, und dann setzte er 91 fleißig seine Wanderung fort, um nach fünf Minuten dasselbe Manöver zu wiederholen.

Endlich aber ward seine Ausdauer belohnt.

Lene trat aus dem Portal und ging mit schnellen Schritten auf ihn zu.

Mit einem Blick sah er, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein mußte.

»Aber Lenchen . . ., du hast ja ganz verweinte Augen! Was ist denn passiert . . . um Gotteswillen . . . .?«

»Gar nichts, mein Junge, ich habe mich bloß – verlobt . . .«

Sieghard traute seinen Ohren nicht.

»Du hast dich – verlobt . . .?« Er lachte. »Wohl mit dem alten Buchhalter von Fräulein Susemaus . . .?«

»Susemaus stimmt schon«, erwiderte Lene ernst, »nur ist es nicht der Buchhalter, sondern der Neffe des Hauses – Herr Max Susemaus

»Du machst dich über mich lustig, Lene, erkläre dich doch etwas deutlicher . . .«

»Gern, lieber Sieghard . . .«

Lenchen erzählte, und als sie zu Ende war, brauste Sieghard auf:

»Das wird selbstverständlich nicht geschehen! Ist ja direkt lächerlich! Du denkst doch selbst 92 nicht im Ernst daran, die Frau von Max Susemaus zu werden?«

Lene zuckte mit den Achseln.

»Ich habe Tante Ida mein Versprechen gegeben, und das halte ich.«

»Aber ich,« versetzte Sieghard heftig, »ich werde dafür sorgen, daß du's nicht hältst. Ich werde mir diesen Herrn Max Susemaus vornehmen, ich werde ihn stellen, zur Rechenschaft fordern!«

Lenchen lächelte.

»Bei ungünstiger Witterung findet das Duell im Saale statt.«

»Lene,« erwiderte Sieghard. »ich glaube . . . du willst mich nur foppen . . .«

Sie schüttelte das Köpfchen.

»Durchaus nicht! Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß alles, was ich dir gesagt habe, bis auf das kleinste Detail vollkommen der Wahrheit entspricht.«

»Und das sagst du so ruhig?«

»Ja, was soll ich denn tun? . . . Ich opfere mich eben auf dem Altar der Familie . . . Mit Gott für meinen Vater und Tante Ida!«

»Und das soll ich mir mit ansehen, das soll ich dulden?«

93 »Es wird dir doch wohl nichts anderes übrig bleiben . . . Ich kann unmöglich mit dir durchgehen und nach Amerika auswandern . . . Das Durchgehen entspricht nicht meinen Prinzipien und das Auswandern scheitert an deinen finanziellen Verhältnissen . . . So lange ›die Perle von Biebrich‹ und die Zigarette ›Titania‹« noch nicht in aller Munde sind, kannst du eben nicht ans Heiraten denken . . . und die Verhältnisse bei mir zu Hause verlangen endlich eine gründliche Klärung. So jedenfalls geht es nicht weiter! . . .«

Sie hatte die letzten Worte so fest und bestimmt gesprochen, daß Sieghard keinen Augenblick mehr an den Tatsachen zweifeln konnte und nur schwermütig aufseufzte. . . .

»Und unser Märchen von künftigem Glück? . . .«

Lene sah ihn wehmütig an.

»Ja, unser Märchen. . . . Es war einmal. . . . Vor 30 Jahren, da lebte im Taunus auf dem stolzen Schlosse Treuenstein ein reicher Baron mit seiner Frau und seinem einzigen Kinde, einem zweijährigen Jungen. . . . Und Vater und Mutter waren so stolz auf den einzigen Nachkommen, den ihnen der Himmel nach langer kinderloser Ehe geschenkt, daß sie sich den besten Maler kommen ließen, um die Porträts 94 der glücklichen Familie anzufertigen. . . . Das war der Maler Malthus. . . . . Seit jener Stunde blieb der Künstler mit seinen Auftraggebern innig befreundet . . . . Mit achtzehn Jahren war der Junge Leutnant bei den Königshusaren. . . .«

»Ja, ja,« fuhr Sieghard fort, »und die Eltern, die bisher sorgsam über ihn gewacht hatten, wollten sich nun auch die Welt einmal ansehen und fuhren ins heilige Land . . . Aber das Glück war ihnen nicht hold. . . . Innerhalb acht Tagen erlagen sie in dem deutschen Hospital zu Jerusalem einem tückischen Fieber. . . . Der einzige Sohn wurde der Erbe des großen Vermögens. . . .. Mit dreiundzwanzig Jahren bekam er ein Kommando zur Kriegsakademie nach Berlin, wo ihn der Professor Malthus mit offenen Armen aufnahm und seine siebzehnjährige Tochter auch. . . . Nicht Lene? . . .«

Lene nickte. . . .

»Aber,« fuhr Sieghard fort, »der Bengel hatte den Teufel im Leibe, und er ruhte nicht eher, als bis er die letzte Mauer des Schlosses Treuenstein am Spieltisch verjubelt hatte . . . Ich weiß es noch wie heute . . . Ein sonniger Frühlingsmorgen . . . . Die Partie war zu Ende . . . Ich blieb allein im Klub zurück . . . 95 Durch die geöffneten Fenster lachte der junge Lenz, und mit klingendem Spiel marschierten unten die Truppen dem Tempelhofer Felde entgegen. . . . Ich aber wußte, daß mir nichts weiter übrig blieb, als den bunten Rock auszuziehen, und daß ich dem süßen Mädel entsagen mußte, das mir doch so ans Herz gewachsen war. . . .«

Lene schob liebevoll ihren Arm unter den seinen.

»Wozu die alten Geschichten wieder aufrühren? . . . Kopf hoch, mein Junge! . . . .

Seit Jahren mühst und quälst du dich redlich ab. . . . Was kannst du dafür, daß das Glück dir bisher nicht hold war? . . . Wenn du mich wirklich lieb hast, woran ich nicht zweifle,« – sie preßte seinen Arm fester »dann zeig' jetzt mal, was in dir steckt . . . Deinetwegen habe ich doch um den Aufschub der Hochzeit bis zum Mai gebeten. . . . Mehr als ein halbes Jahr liegt vor uns, und wenn du es bis dahin so weit gebracht hast, daß wir wenigstens ein behagliches Heim im vierten Stock haben – ich verzichte sogar auf den Lift – dann kann noch alles gut werden. . . .«

Dankbar und bewundernd blickte er sie an.

»Ach, Lene, . . . habe ich das nötig 96 gehabt? . . . Jetzt könntest du bei mir auf Schloß Treuenstein thronen als meine angebetete Schloßherrin und statt dessen . . .«

Er stampfte mit dem Fuße auf.

Sie blickte ihn mitleidig an.

»Mach' dir doch das Leben nicht noch schwerer,« sagte sie sanft, »als es das Schicksal dir beschieden hat. . . . Schlage dir ein für alle Male die Vergangenheit aus dem Kopf und denke nur noch an die Zukunft!«

Sie bogen von der Potsdamer in die Königin-Augusta-Straße ein, in der, nahe dem Hafenplatze, in einem der ältesten Häuser die Wohnung des Professors lag.

Es war dort um diese Zeit fast menschenleer. Die Luft war drückend und sengend. Selbst der Kanal schien zu träge, um seinen Lauf fortzusetzen. . . . Die dürren Blätter, die von den Ahornbäumen auf das schlammige Wasser fielen, kamen kaum von der Stelle. . . .

Sieghard nahm Lenchens Hand in die seine.

»Versprich mir wenigstens,« flehte er, »daß du mir in diesen sechs Monaten – innerlich die Treue wahren wirst.«

»Das brauche ich dir nicht erst zu versprechen, Sieghard, ich habe dir ja schon bewiesen, daß ich es will . . . Aber versprich du 97 mir, daß du jetzt alles daran setzen wirst, um vorwärts zu kommen. Mein Lebensglück steht auf dem Spiel – wie das deine.«

Sie reichte ihm die Hand, und da blitzte es in seinen Augen verwegen auf.

»Donnerwetter, Lene, jetzt mach' ich Ernst, und ich brech' mir eher das Genick, als daß ich von dieser Attacke nicht als Sieger nach Hause reite. . . .«

»Gott geb's,« seufzte Lenchen, und dann verschwand sie in dem dunklen Hausflur, der zur väterlichen Wohnung führte. . . . 98

 


 


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