Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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XI.

Dem braven Moritz war die Wanderung durch das nächtliche Berlin nicht besonders gut bekommen. Nach dem reichlichen Sektkonsum verspürte er brennenden Durst, und die Wasserkaraffe, die er vorsorglich auf den Nachttisch gestellt hatte, war bald bis zum Grunde geleert.

Er erhob sich seufzend, um sie frisch zu füllen.

Als er sich aber wieder niedergelegt, stand ihm eine neue Prüfung bevor. Eine große Fliege umkreiste ihn brummend, um sich dann gemütlich auf seiner Denkerstirn niederzulassen. Vergeblich trachtete er ihr nach dem Leben; sie war doch schneller als seine Hand . . .

Fluchend sprang er endlich auf, öffnete die Fenster und siehe da – der Brummer entschwand in den heiteren Herbstmorgen . . .

Moritz mochte nach dieser Prüfung von neuem zwei Stunden im Halbschlummer gelegen 143 haben, als kurz nach neun Uhr seine Wirtschafterin an die Tür pochte. Sie überreichte ihm die Post, die aus drei Briefen bestand.

Ein Einschreibebrief war darunter, der seine Unterschrift verlangte. Die Sendung stammte aus Paris, und er erkannte sofort Metas Handschrift. Schnell erbrach er den Umschlag und las:

Lieber Freund!

In mein kleines Zimmer im Grand Hotel, dessen einziges Fenster auf den Lichthof mündet, dringen die weichen Klänge einer träumerischen Walzermelodie. Da unten diniert Irma mit meinen Geschäftsfreunden. Sie hat hier einen großen Erfolg, denn sie teilt mit den meisten Franzosen die mangelhafte Kenntnis der deutschen Sprache, ein Umstand, der zu ihrer Beliebtheit nicht unwesentlich beiträgt. Ich habe mich entschuldigen lassen und fühle mich wirklich leidend. Meine Herzenswunde ist noch zu frisch. Sie schmerzt immer von neuem, wenn ich die Stätten wiedersehe, an denen ich im vergangenen Jahr mit Max so glückliche Stunden verlebte. Zehn Jahre einträchtigen Zusammenlebens dämpfen zwar allmählich die große Leidenschaft, aber schmieden nicht 144 Gewohnheit und Freundschaft noch weit stärkere Fesseln? . . .

Tag und Nacht grüble ich darüber nach, wie ich es anstellen könnte, das »Vergessen« zu lernen. An Courmachern fehlt es mir hier nicht, und ich habe es sogar erst damit versucht, mich in den Strudel des Vergnügens zu stürzen. Aber diese Kur mißlang. Der Champagner wirkte nicht. Faust »sah mit dem Zaubertrank im Leibe Helenen in jedem Weibe« . . . ich sehe Max in jedem Manne! Die kleinste Erinnerung treibt mir die Tränen in die Augen. Ich mache einen Umweg, um nicht an dem Blumenladen vorübergehen zu müssen, in dem er mir täglich ein Sträußchen Parmaveilchen kaufte . . . Die freundliche Frage des Maître d'Hôtel im Restaurant von Henri: »Toute seule, Madame? . . .« beantwortete ich mit einem tiefen Schluchzen. Trotz Veronal und Adalin finde ich keine Stunde erquickenden Schlummers. Wäre ich das Opfer einer Neigung, die ihn zu einer anderen erfaßt hätte – ich glaube, ich würde mein Schicksal leichter tragen. Aber ich kann es nicht verwinden, daß uns die kühle Vernunft so erbarmungslos getrennt hat. Ach . . . ich wünschte, ich dürfte 145 wenigstens eifersüchtig sein! Besser wilder Sturm, als bleierne Windstille! Wissen Sie keinen Trost für mich, lieber Freund? . . .

Ihre unglückliche Meta.

Das Mitleid, das Moritz bei dieser Lektüre in seinem guten Herzen für seine Freundin empfand, steigerte sich unter Mitwirkung des Katzenjammers zu einer gelinden Rührung.

Aber diese Stimmung war von kurzer Dauer.

Er bekannte sich zu der Philosophie jenes französischen Schriftstellers, der einmal das Wort geprägt hat: »Das Leben ist ein Lustspiel, man soll keine Tragödie daraus machen«.

Moritz war Optimist, mithin der geborene Haussier. Und dank diesem Geschäftsprinzip hatte er in den letzten Jahrzehnten an der Börse im großen und ganzen recht behalten. Er glaubte fest an eine ruhige und gedeihliche Fortentwicklung der Dinge und sah weder einen Weltkrieg noch den Weltuntergang voraus. Die Monarchen glichen seiner Meinung nach den Seniorchefs altehrwürdiger, gutgehender Firmen, die viel zu gescheit waren, um durch wilde Spekulationen ihre schönen Einkünfte aufs Spiel zu setzen, und im Gegenteil nur das eine friedliche Ziel 146 verfolgten, den Kindern und Enkeln den reichen Besitz ungefährdet zu erhalten . . .

Nun kamen die beiden anderen Briefe an die Reihe. Der erste enthielt eine Einladung:

Verehrter Herr Hirsch!

Darf ich Sie nächsten Sonntag um 2 Uhr zum Mittagessen erwarten?

Durch eine Zusage würden Sie außerordentlich erfreuen

Ihre ganz ergebene

Ida Susemaus.

Das dritte und letzte Schriftstück war inhaltreicher. Es lautete:

Lieber Herr Hirsch!

Ihre freundliche Gesinnung war der einzige Sonnenstrahl, der durch die trüben Wolken meines sogenannten »Verlobungsfestes« in meine Seele drang. Und so wage ich eine Bitte: Würden Sie die große Freundlichkeit haben, Herrn Sieghard von Treuenstein heute abend um sieben Uhr in Ihrer Wohnung zu empfangen? Ich kann Ihnen die beruhigende Zusicherung geben, daß es nicht in der Absicht des Herrn liegt, Ihnen bei dieser Gelegenheit einen Korb 147 Schaumwein »Perle von Biebrich« oder die Zigarette »Titania« zu offerieren.

Einer Antwort bedarf es nicht.

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen und bin

mit bestem Gruß

Ihre ergebene
Lene Malthus.

Moritz Hirsch überlegte und kam nach einer kleinen Weile zu dem für ihn überaus schmerzlichen Resultat, daß er sich schleunigst an den Schreibtisch begeben und die Briefe des alten Fräuleins und seiner Freundin Meta beantworten müsse.

Er ließ sich also einen besonders starken Kaffee von seiner Wirtschafterin brauen und nahm die Feder in die Hand. Das Schreiben an Fräulein Susemaus war schnell fertig:

Hochverehrtes gnädiges Fräulein!

Wenn sich zwei Menschen gut verstehn,
Dann sagen sie: Auf Wiedersehn! . . .

Also – auf Wiedersehn am nächsten Sonntag!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ganz ergebener
Moritz Hirsch.    

Nach dieser ersten Tat kaute Moritz eine Weile am Federhalter, trank eine Tasse Mokka und zündete sich eine Zigarre an.

Dann glitten ihm langsam folgende Worte aus der Feder:

    Arme kleine Meta!

Das ganze Unglück, das geschah,
Das konnte Dir Dein Max ersparen,
Wär', statt allein nach Kanada,
Er nach Paris – mit Dir gefahren.

So brachte – ich beklag' es tief,
Doch läßt es sich ganz klar erweisen –
Die Börsenbahn, dieweil sie schief,
Den »Zug« des Herzens zum Entgleisen.

Ein Ruck, ein Stoß – da war es aus
Mit Eures Glückes hoher Wonne,
Und Fräulein Ida Susemaus
Erschien – als Sanitätskolonne.

Ein Arzt verlangt sein Honorar,
– Geld bleibt des Lebens Alpha Beta –
Max reichte man die Rechnung dar,
Und Du bezahlst sie – kleine Meta! 149

Doch nimm Dein Schicksal nicht zu schwer
Und laß Dich nicht daniederbeugen:
Denn fallen Kurse noch so sehr,
Sie können plötzlich wieder steigen!

Was heute Deine Seele kränkt,
Ist morgen schon verweht, vertrieben . . .
S' kommt immer anders als man denkt,
Teils an der Börse – teils beim Lieben!

Wenn frech der Mops des Schicksals kläfft,
Erschrick nicht gleich, Du armes Würmchen,
Sei rastlos tätig fürs Geschäft
Und grüße mir das blonde Irmchen . . .

Such' die Pariser Eleganz
Mit scharfem Auge zu erfassen,
Im übrigen – kannst Du Dich ganz
Auf Deinen Moritz Hirsch verlassen!

Moritz sah nach der Uhr.

»Donnerwetter, schon dreiviertelzwölf! . . . Höchste Zeit, daß ich nach der Burgstraße komme, sonst fangen die Brüder noch ohne mich an . . .« 150

 


 


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