Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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II.

Am Ende der Fischerstraße nach der Friedrichsgracht zu steht ein stattliches Haus.

Die Fassade ist zwar nicht übermäßig glanzvoll und würde im Bayrischen Viertel keine gute Figur machen, aber dort unter den alten dürftigen Baracken macht sie einen geradezu herrschaftlichen Eindruck.

An der Tür prangt ein einfaches Schild: »A. Susemaus. Gurkenhandel en gros

Der lange schmale Hof dehnt sich weit nach hinten, wie ein graues altes Küchenhandtuch. Im ersten Stock befindet sich die Privatwohnung der Eigentümerin des Geschäfts, des Fräulein Ida Susemaus. Das Kontor ist im Hof. Dort liegen auch die Ställe und Remisen.

Die Umgebung des Hauses steht im Zeichen der Armut. Schmutzige, schlecht gekleidete Kinder spielen auf der Straße. Wüstes Geschrei dringt aus den Schifferkneipen, und rotverhangene 22 Fenster, hinter denen das Laster wohnt, vermehren den peinlichen Eindruck dieses letzten Ueberbleibsels von Alt-Berlin.

»Nur eine hohe Säule zeugt von entschwundener Pracht.« Das ist der uralte Nußbaum, der immer noch blüht, gedeiht und alljährlich seine fünf Schock Nüsse trägt, trotzdem er längst unterkellert und die Kraft der Wurzeln beschränkt worden ist.

In diesem Hause lebt seit ihrer Geburt Fräulein Ida Susemaus, die nun schon das biblische Alter überschritten hat. Immer noch fleißig, tätig und rüstig. Allen modernen Bestrebungen zum Trotz hält sie noch heute am Zwölfstunden-Arbeitstag fest. Früh um acht ist sie auf dem Posten, und erst abends um acht Uhr wird das Geschäft geschlossen, wenn die letzte Post eingetroffen und beantwortet ist. Die Augen der alten Dame blicken noch immer so klar und hell in diese Welt, wie einst im Mai. Die weißen Haare, die aus dem schwarzen Häubchen hervorlugen, umrahmen ein freundliches, liebenswürdiges Antlitz, und die Beine wandern noch so flink treppauf, treppab, daß jeder seine Freude daran hat.

In diesem Haus ist Ida Susemaus zur Welt gekommen, und in diesem Haus wird sie 23 ihren letzten Seufzer tun. Das steht fest, wie das Amen in der Kirche, und da ihr die Liebe nicht beschieden war, so ist ihr die Pflichterfüllung auf der Welt das Höchste gewesen und geblieben.

Ihr einziger Bruder war ein flotter Junge, ein Don Juan, dem alle Weiber von Berlin nachliefen, von jenem Berlin, das damals an der Rauchstraße zu Ende war. Dem stillen, lieben Mädchen, das er als Gattin heimführte, war er von Anfang an überlegen, und das arme Frauchen lernte es gar bald verstehn, die Regungen der Eifersucht zu unterdrücken, die an ihrem treuen Herzen nagten. Auf einer Jagd holte sich der Schwerenöter eine Lungenentzündung und starb nach wenigen Tagen, als das einzige Kind, Max Susemaus, erst sieben Jahre alt war. Die kleine, schwächliche Frau grämte sich zu Tode, und kaum waren einige Monate nach dem Ableben seines Vaters ins Land gegangen, war Max eine Waise.

Damit war Idas Lebenszweck gegeben: die alte Firma weiter zu leiten und dem Jungen das dahingeschiedene Elternpaar zu ersetzen. Und diesem Ziel wurde sie gerecht. Sie entsagte allen Freuden des Daseins, um für Max zu sorgen.

Der war aber der echte Sohn seines Vaters. Willensschwäche und Genußfreudigkeit, das waren die Grundzüge seines Charakters, mit denen er 24 erblich belastet war. Es kostete Mühe genug, ihn soweit zu bringen, daß er als Einjährig-Freiwilliger seiner Wehrpflicht genügen konnte. Dafür war er aber der fescheste Einjährige beim 2. Garde-Dragonerregiment, und die 24 000 Mark, die diese zwölf Monate gekostet hatten, entlockten der armen Tante Ida so manchen schmerzlichen Seufzer. Je verbummelter der Junge wurde, um so tüchtiger war sie im Geschäft, um die Scharte wieder auszuwetzen. Später trat Max in ein Bankgeschäft, und als ihm diese Tätigkeit über wurde, machte er sich an der Börse selbständig und etablierte sich als Makler.

Solange der fesche junge Mann von Blume zu Blume flatterte, waren seine Beziehungen zu Tante Ida völlig ungetrübt. Sie huldigte dem Grundsatz: »Alles verstehn heißt alles verzeihn«, und war immer gern bereit, den flotten Burschen zu unterstützen. Aber seit zehn Jahren war eine Wandlung eingetreten . . .

Max hatte ein Mädchen kennen gelernt, das ihn besser zu fesseln wußte als alle die anderen, und das hatte zur Folge, daß er die alte brave Dame in der Fischerstraße einigermaßen vernachlässigte. Sie konnte sich um so weniger dagegen auflehnen, als er ein guter Verdiener war und ihre Hilfe nicht weiter in Anspruch nahm. Infolge einer 25 unglücklichen Börsenspekulation mußte er freilich doch zu Tante Ida seine Zuflucht nehmen, und die Sache hatte mit einer Erbauseinandersetzung geendigt. Tante Ida hatte ihm sein Erbteil in Höhe von 300 000 Mark ausgezahlt.

Sie war nunmehr die alleinige Eigentümerin des Geschäfts, und Max nichts weiter als ihr erbberechtigter Neffe. Immerhin hielt er es für seine Pflicht, wenigstens allwöchentlich einmal seiner alten Tante einen flüchtigen Besuch abzustatten, und allmonatlich einmal, an einem Sonntag, wenn sie ihre Freunde bei sich sah, bei ihr zu speisen. Im übrigen wußte sie nicht mehr viel von seinem Leben als die eine Tatsache, daß er an Fräulein Meta Pietschke gebunden war . . .

Man kann sich daher das Erstaunen der alten Dame vorstellen, als an jenem Nachmittage des Monats August das Dienstmädchen atemlos mit der Meldung ins Zimmer trat:

»Der Herr Max ist draußen.«

Ida Susemaus begab sich in ihr Empfangszimmer, rückte vor dem Spiegel das Häubchen zurecht und sagte mit etwas zitternder Stimme:

»Ich lasse bitten.«

Der Salon in der Wohnung der Tante Ida war noch vollständig im Stil »Alt-Berlin« gehalten. Da standen noch echte, von den Eltern 26 ererbte Biedermeiermöbel, die Servante mit alten Porzellantassen, Tellern und Figuren, und an der Wand hingen die Bilder von Maxens Eltern, in Oel gemalt von Herrn Professor Malthus.

Professor Malthus war vor dreißig Jahren sehr in Mode gewesen. In der glatten Manier, die bei jedem Impressionisten von heute eine Gänsehaut hervorruft, waren die Züge des verewigten Paares festgehalten, und die goldenen Barockrahmen wirkten in diesem schlicht bürgerlichen Interieur etwas protzig und schreiend.

Zufällig war aber auch dieser Professor Malthus der einzige gewesen, der aus jenen längst verklungenen Tagen der Freund von Fräulein Ida Susemaus geblieben war. Auch er hatte das Unglück gehabt, seine Gattin zu verlieren, als sie ihm ein Zwillingspaar geschenkt hatte, und diese beiden, Lene und Georg, zählten heute sechsundzwanzig Jahre.

Damals, als man sich an den Bildern von Thumann und Ehrentraut begeisterte, galt Professor Malthus noch etwas im Berliner Westen, und es war kein Wunder, daß sich ein junges Fräulein aus einem Patrizierhause mit einer erheblichen Mitgift in den berühmten Maler verliebt hatte. Aber der Glanz war nur von kurzer Dauer gewesen, und als die Gattin das 27 Zeitliche gesegnet hatte, war die Berühmtheit ebenso schnell dahingeschwunden wie die Mitgift.

Das Glück des Herrn Professors Malthus bestand darin, daß Fräulein Ida Susemaus auch heute noch das Banner seiner Künstlerschaft allen Einreden zum Trotz hochhielt und ihn und seine Familie nach Kräften unterstützte.

Das war aber auch nötig.

Denn der Professor tat so gut wie gar nichts. Sein Atelier war verwaist, wofür ihn einige Stammtische desto intensiver in Anspruch nahmen.

Georg war Angestellter im Bankgeschäft von Reißer & Co. Lene führte den Haushalt. Diese Tätigkeit erforderte in erster Linie die Fähigkeit, durch diplomatisches Geschick den Hauswirt, den Milchmann und den Schlächter zu beschwichtigen, wenn sie die quittierten Rechnungen präsentierten.

Georg verdiente zwar Geld, gab aber mindestens das Doppelte aus, da die leichtsinnige Ader seines Vaters sich in verstärktem Maße bei ihm bemerkbar machte. Somit war der Malthussche Haushalt auf die Hilfe von Fräulein Ida Susemaus angewiesen, die ihm auch in diskretester Weise zuteil wurde. Andrerseits war aber Fräulein Ida Susemaus glücklich, wenigstens ein paar treue Freunde zu haben, 28 und da der Gurkenhandel immer besser florierte, so kam es ihr auch gar nicht auf die paar Groschen an.

Trotz ihrer ausgezeichneten materiellen Lage war sie aber nicht glücklich. Es schmerzte sie, daß sie ihren Max so gut wie ganz verloren hatte, und der Kummer nagte an ihr, daß mit ihr der Name Susemaus aussterben und das schöne Geschäft in andere Hände übergehen sollte . . .

Diese Gedanken jagten der Tante Ida blitzschnell durch den Kopf, während sie vor dem Spiegel stand und ihr Häubchen zurechtschob.

Die Tür öffnete sich.

Max trat ein, küßte seiner Tante chevaleresk die Hand und fragte etwas gezwungen:

»Na, wie geht's, liebes Tantchen?«

»Danke, ausgezeichnet,« erwiderte sie, worauf er kleinlaut stotterte:

»Mir – miserabel! . . .« 29

 


 


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