Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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V.

Es fing draußen schon an zu dunkeln, als der Berg-Hirsch das elegante Empfangszimmer des »Salon Andrée« in der Bellevuestraße betrat.

Nur Irma, die blonde Konfektioneuse, war noch anwesend und manikürte sich am Fenster die Fingernägel.

Moritz begrüßte sie mit den Worten:

»Sei mir gegrüßt, du gelber Stern,
So hüftenlos und so modern . . .«

Irma war Berlinerin – aus Berlin H. H. (Hinterhaus – Hof).

Schlank gewachsen wie eine Tanne im Grunewald, mit einem netten Gesichtchen und recht mangelhafter Schulbildung.

»Guten Abend, Herr Hirsch,« lächelte sie verbindlich und schwebte ihm nach Art der Konfektioneusen rhythmisch entgegen. Sie trug eine leichte schwarze Seidenbluse, durch deren Spitzen ihre weiße Haut verführerisch schimmerte, und 59 Moritz illustrierte sofort das pikante Bild mit dem Verschen:

»Die Bluse macht, wenn sie durchbrochen,
Die Männerherzen höher pochen! . . .«

»Na, Fräulein Irma,« neckte er sie dann lustig weiter, »was macht Ihr Ritter Georg? . . .«

Er wußte, daß Irma seit einigen Wochen durch die Fesseln der Liebe an Georg Malthus gekettet war.

»Mies!« erwiderte Irma, »mies! . . . Georg liegt an der Börse schief und hat mich gestern abend eingeladen, ein Viertelpfund Aufschnitt mit ihm einzukaufen . . . Das habe ich Gott sei Dank nicht nötig . . . Bei meine Linie! . . .«

»Dafür sind Sie auch aus der Linienstraße,« bemerkte Hirsch. . . . »Aber bei der Hitze hat kalter Aufschnitt auch seine Reize . . .«

»Ich meine, Herr Hirsch,« versetzte Irma schnippisch, »bei meine Linie ißt man im August Krebse und trinkt dazu Champagner mit frischen Pfirsichen . . . Es gibt ja Gott sei Dank noch Kavaliere in Berlin . . .«

»Na ja,« spöttelte Moritz, »wenn man in der Linienstraße bei Krebsen und bei Champagner mit Pfirsichen aufgewachsen ist, dann ist es schmerzlich, auf die alten Tage auf kalten Aufschnitt angewiesen zu sein . . .«

60 Irma machte ein pikiertes Gesicht.

»Ich verbitte mir Ihre Anzüglichkeiten, Herr Hirsch.«

»Bitte vielmals um Vergebung,« erwiderte er galant, »falls ich Sie verletzt haben sollte . . . das lag durchaus nicht in meiner Absicht . . . Ist Fräulein Meta zu sprechen?«

»Sie erwartet Ihnen bereits . . .«

Moritz klopfte an die Tür des Privatkontors.

»Herein!« rief eine wohllautende Frauenstimme.

Bei dem Schein der elektrischen Arbeitslampe saß Meta an ihrem Pult und schrieb.

»Guten Abend, Metachen, immer fleißig . . . Jetzt werden wohl noch Rechnungen ausgeschrieben? . . .«

»O nein,« lächelte Meta, indem sie dem Besucher herzlich die Hand entgegenstreckte. »Jetzt? . . . Ende August? . . . Da sind meine Kundinnen in Ostende oder Trouville. Es wäre nur schade ums Porto. Ich schreibe nur, wie ich es allabendlich zu tun pflege, die Hauptereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden in mein Tagebuch . . .«

»Lassen Sie sich nicht stören.«

61 »Danke schön . . . in zwei Minuten bin ich fertig . . .«

Meta sah in ihrem weißen Spitzenkleid ganz allerliebst und mädchenhaft aus, trotzdem sie die Dreißig schon überschritten hatte. Das schwarze Haar war zu einem einfachen Knoten zusammengebunden. Die beiden Reihen prachtvoller Zähne, die noch niemals die Kunst eines Dentisten in Anspruch genommen hatten, waren von einem kleinen roten Mund umrahmt, und aus den blauen Augen sprach eine bestrickende Liebenswürdigkeit.

Sie war nicht eigentlich schön zu nennen, aber von ihrem ganzen Wesen ging eine bezaubernde Heiterkeit aus. Sie besaß echten, wirklichen Humor, der ihr in erster Linie die treue Anhänglichkeit von Moritz Hirsch erobert hatte. So wie sie da saß, war sie das Bild sonniger Lebensfreude, und es gab dem armen Moritz einen Stich ins Herz, als er daran dachte, in wenigen Minuten dieses Glück trüben zu müssen . . .

Meta legte die Feder fort, stand auf und sagte in ihrer scharmanten Art:

»Jetzt, alter Freund, stehe ich ganz zu Ihren Diensten . . . Aber zunächst eine egoistische Frage: Wo ist Max? . . .«

62 »Liebe Meta, diese Frage bedarf einer längeren Beantwortung und bildet den eigentlichen Zweck meines heutigen Besuches . . .«

Meta verfärbte sich ein wenig.

»Um Gotteswillen, er ist doch nicht etwa krank? . . .«

»Körperlich nicht, aber seelisch . . .« Meta faßte erschreckt die Hände des Freundes.

»Ein Krankheitsfall in seiner Familie? . . . Am Ende – Tante Ida? . .«

»Nein, nein,« beschwichtigte Moritz, »die ist kerngesund, die überlebt uns noch alle.«

»Also, was dann? . . .«

»Hören Sie mich an, liebe Freundin und unterbrechen Sie mich nicht . . . Max hat unglücklich an der Börse spekuliert und muß spätestens übermorgen die Summe von 150 000 Mark bezahlen . . . Da gibt's auf der ganzen Welt nur einen einzigen Menschen, der ihm das Geld vorstrecken kann, und das ist Tante Ida . . . Er selbst hatte nicht den Mut, zu Tante Ida zu gehen und ihr zu beichten . . . Ich habe mich daher dieser undankbaren Aufgabe unterzogen und die alte Dame sondiert . . . Sie ist bereit, ihrem Neffen zu helfen, aber leider knüpft sie daran Bedingungen, die mir sowohl wie Max, 63 dem ich davon Mitteilung gemacht habe, unannehmbar erscheinen . . .«

Meta lächelte trübe.

»Ich kann mir schon denken . . . Max soll sich von mir trennen, und wenn er mir den Laufpaß gegeben hat, bekommt er das Geld . . .«

Moritz nickte.

»Sie sind viel zu klug, liebe Meta, als daß ich Ihnen irgend etwas verheimlichen könnte . . . Aber die alte Dame verlangt nicht nur diesen Schritt von ihrem Neffen, sondern sie geht noch weiter und fordert, daß Max sich mit Lena Malthus verlobt . . .«

Der armen Meta traten die Tränen in die Augen.

»Und was hat Max dazu gesagt? . . .«

»Ja, meine Liebe,« versetzte Moritz ausweichend, »Max ist in derartiger Bedrängnis, da es sich doch immerhin um die Ehre des Namens handelt, daß er auf diese Propositionen überhaupt noch keine Antwort gegeben hat . . . Er ist vollständig niedergeschlagen und gebrochen . . . Ich habe ihn niemals im ganzen Leben so verzweifelt gesehen. Ich fürchte, daß er zum Aeußersten fähig ist . . .«

»Um Gotteswillen,« schrie Meta auf, »er wird doch nicht etwa . . .«

64 Moritz schwieg und benutzte die Pause, um sich selber heimlich zu beschimpfen.

»Moritz«, sagte er sich innerlich, »du bist doch ein ganz elender Knabe. Du beschönigst die grenzenlose Schlappheit deines Freundes, du stellst den Fahnenflüchtigen noch als Ehrenmann hin . . . du lügst und schwindelst, und deine einzige Rechtfertigung ist, daß du das mit der guten Absicht tust, das reizende Geschöpf, das da vor dir sitzt, nicht noch mehr leiden zu lassen. – Alles in allem genommen, tust du also ein gutes Werk und somit, Moritz, schwindle weiter! . . .«

Nachdem er mit sich selbst diese Zwiesprache gehalten, faßte er wieder Mut und nahm seine diplomatische Tätigkeit von neuem auf.

»Sehen Sie, liebes Fräulein Meta, mir kommt es ja absolut nicht zu, Ihnen für Ihre Handlungsweise irgendeine Direktive zu geben . . . Aber ich erblicke in dem ganzen Vorgehen des Fräulein Ida Susemaus zunächst eine schwere Kränkung Ihrer Person . . . Die alte Dame muß sich doch ein ganz falsches Bild von Ihnen gemacht haben, um ihrem Neffen eine derartige Zumutung zu stellen, und, so leid es mir tut, so muß ich doch sagen, daß es die Schuld von 65 Max ist, wenn sie eine derartige Vorstellung von Ihnen hat . . .«

Meta nickte.

Durch dies Beifallszeichen ermutigt, fuhr Moritz energischer fort:

»Da ich in dieser ganzen Angelegenheit lediglich Ihr Interesse im Auge habe, liebe Meta, so würde ich an Ihrer Stelle das Prävenire spielen. Es wird ja nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und die Hauptsache bleibt ja zunächst, daß Max seine Differenzen bezahlen kann.« –

»Wie gern würde ich ihm das Geld geben, wenn es in meiner Macht läge,« schluchzte Meta.

»Das liegt aber doch nicht in Ihrer Macht, sondern lediglich in der von Tante Ida . . . Aber am Ende haben Sie doch den Max sehr lieb, und Sie würden doch alles tun, um ihn von einem übereilten und nie wieder gut zu machenden Schritt zu bewahren? . . .«

»Mein Leben würde ich für ihn hingeben . . .«

»Das behalten Sie nur ruhig,« lächelte Moritz, »das ist viel mehr wert als lumpige 150 000 Mark . . . .«

Beide schwiegen . . . Von draußen klang 66 nur hin und wieder der Ton einer Autohupe ins Zimmer . . .

»Ich weiß nicht, wie mir zumute ist,« sprach sie hastig, »ich bin eigentlich viel mehr empört als betrübt . . . Es ist doch unerhört, in dieser Weise über mich zu disponieren und mich zu behandeln, als ob ich das erste beste Frauenzimmer wäre . . .«

»Ganz meine Ansicht,« bemerkte Moritz, der sehr stolz darauf war, daß sein Plan zu glücken schien, »ich muß auch offen bekennen, daß Ihre Würde hier in unglaublicher Weise mit Füßen getreten wird . . . Schon das Schwanken von Max ist eine unerhörte Beleidigung für Sie . . . Sie sind selbständig, Sie haben nach Niemanden zu fragen, was brauchen Sie sich derartige Dinge gefallen zu lassen?« . . .

Meta stampfte mit dem Fuße auf.

»Wissen Sie, was ich mache, Moritz? . . . Ich schreibe dem Fräulein Susemaus einen Brief, und dem Max gebe ich einfach ohne ein Wort sein Heiratsversprechen zurück . . . Mögen sie alle miteinander glücklich werden!«

Meta hatte sich in die Wut hineingeredet und zerknüllte das Spitzentaschentuch mit ihren Händen.

»Eine brillante Idee!« . . .

Meta ereiferte sich weiter.

67 »Die Herrschaften in der Fischerstraße sollen wissen, daß wir vom Andreasplatz mindestens ebensoviel wert sind und ebensoviel Charakter haben . . . . Ich bin nur empört über diese niedrige Gesinnung, die ich Max niemals zugetraut hätte . . . So eine . . . Gemeinheit! . . . .«

Aber damit war ihre Kraft erschöpft. Ein Weinkrampf schüttelte den ganzen Körper, und fast bewußtlos glitt sie auf den Diwan nieder. Allmählich erstarb ihr Schluchzen zu leisem Wimmern . . .

Väterlich nahm Moritz sich ihrer an.

Er betupfte ihre Schläfen mit Kölnischem Wasser, streichelte ihr Köpfchen und half ihr die Tränen trocknen.

Als sie die Augen endlich wieder aufschlug, stöhnte sie leise:

»Zehn Jahre treuer Liebe, selbstloser Hingebung und aufrichtiger Kameradschaft . . . das vergißt sich nicht in fünf Minuten! . . . Und mein Weg ist in dieser langen Zeit auch nicht immer mit Rosen bestreut gewesen . . . Was hat mir mein Vater für Vorwürfe gemacht! . . . Wie oft hat er es versucht, mich von Max zu trennen . . . Ich habe standgehalten . . . Und dann die Welt, die bösen Menschen! . . . So 68 oft ich einer Probierdame Vorwürfe wegen allzu leichtfertigen Lebenswandels machte, las ich in ihren Augen die höhnische Erwiderung: ›Was willst du? . . . Du bist ja auch nicht besser . . .‹ Und so manche verheiratete Kundin, die es mit der Treue weit weniger ernst nimmt als ich, fragte mich boshaft: ›Na, Fräulein Andrée, wie haben Sie sich gestern abend im Theater mit Ihrem »Freund« amüsiert? . . .‹ Und in das Wort ›Freund‹ legten sie all die Bosheit, deren sie fähig waren . . .«

»Ja, ja, Metachen,« pflichtete ihr Moritz bei, »die Verheirateten, das sind die Schlimmsten . . . Je mehr Butter sie auf dem Kopf haben, desto intoleranter sind sie gegen die anderen bis der Tag der Vergeltung naht . . . Denn die Ehen werden zwar im Himmel geschlossen, aber auf Erden geschieden, und es ist nicht angenehm, so ein schlechtes Abgangszeugnis mit beigedrucktem Gerichtssiegel durchs Leben schleppen zu müssen . . .«

Meta mußte trotz ihres Grames ein wenig lächeln . . .

Geschickt wußte Moritz diesen Moment auszunutzen.

»Liebe kleine Frau«, sagte er sanft, »ich habe an Ihnen immer den heiteren, 69 herzerquickenden Humor bewundert . . . Sie sind die einzige Frau, der ich im Leben begegnet bin, die diesen Schatz wirklich zu besitzen schien . . . Und in dieser Stunde wollen sie meine Ueberzeugung erschüttern? . . . Da fällt mir ein netter Vers ein, den ich einmal aus dem Munde eines Weisen gehört habe, und der lautet:

»Humor – das ist ein Talisman,
Dess' Kraft so unermessen,
Daß der, der ihn verlieren kann,
Ihn niemals hat besessen.«

Der echte Humor, den man im Herzen trägt, der zeigt sich grade in den ernsten Augenblicken des Lebens, und darum darf er Sie auch heute nicht verlassen . . . . Kopf hoch! . . . Verlobt ist noch nicht verheiratet! . . . In diesem entscheidenden Augenblick gilt es, den Leuten zu zeigen, wer meine Freundin Meta ist, damit sie endlich den Respekt und die Hochachtung vor ihr bekommen, die ich von Anfang an vor ihr gehabt habe.« . . .

Meta sah dankend zu dem Freunde auf.

»Sie haben recht, Moritz, und nun will ich den Brief an Fräulein Susemaus schreiben . . .«

Sie setzte sich an ihr Pult, und fest und bestimmt glitt die Feder über das Papier.

70 Als sie fertig war, reichte sie Moritz den Bogen . . .

»Lesen Sie, bitte . . . inzwischen hole ich das Heiratsversprechen . . . das mögen Sie Max zurückgeben – als meine einzige Antwort . . .«

Er nahm das Schreiben in die Hand, setzte sich den Kneifer auf und las:

»Sehr geehrtes gnädiges Fräulein!

Ein Freund Ihres Neffen Max teilt mir soeben mit, daß Sie die Tilgung seiner Schulden von der Lösung seiner Beziehungen zu mir abhängig gemacht haben, und daß Herr Susemaus Ihrer Anregung zu folgen bereit ist.

Da ich – genau wie Sie, sehr geehrtes gnädiges Fräulein – ein gut gehendes Geschäft mein eigen nenne, auf fremde Hilfe nicht angewiesen bin, und es mit meiner Pflicht genau so ernst nehme wie Sie, sehr geehrtes gnädiges Fräulein, so kann ich nur annehmen, daß Ihnen ein falsches Bild von meiner Person entworfen worden ist.

Um so mehr lege ich Wert auf die Feststellung, daß ich Herrn Max Susemaus seine Freiheit zurückgegeben habe, ohne erst 71 seinerseits eine Bitte nach dieser Richtung hin abzuwarten.

Indem ich mir erlaube, Ihnen zu der Verlobung in Ihrem Hause herzlich Glück zu wünschen, verbleibe ich mit dem Ausdruck ausgezeichneter Hochachtung

Ihre ergebene Meta Pietschke,
in Firma Mode-Salon Andrée.«

»Nun, was meinen Sie, Moritz?« fragte Meta, die soeben wieder in das Zimmer getreten war.

»Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet, nur hätte ich einfach »Meta Andrée« unterschrieben.« . . .

Meta stemmte die Arme in die Hüften, was ungemein komisch aussah, und rief:

»Na, so schön wie »Susemaus« ist »Pietschke« noch lange . . .«

»Dagegen läßt sich nicht das Geringste einwenden,« erwiderte Moritz, »und nun, mein liebes Kind, setzen Sie sich den Hut auf, wir gehen in irgendein Café und plaudern noch ein bißchen zusammen.« . . .

»Sehr gern, mein Lieber, aber« – sie deutete auf ihr Tagebuch – »während ich mich fertig mache, schreiben Sie mir da etwas hinein . . . . Der Tag«, fügte sie mit mühsam 72 verhaltenem Schluchzen hinzu, »war leider für mich wichtig genug.«

Sie ging ins Nebenzimmer, Moritz aber tauchte die Feder in die Tinte und schrieb:

»Es galt noch niemals so wie heute
Das Sprichwort: »Kleider machen Leute«;
Drum können die am besten lachen,
Die für die Leute Kleider machen!« 73

 


 


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