Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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IV.

Dröhnend kündete die Turmuhr der Petrikirche die sechste Abendstunde, als Max in ein Auto sprang und dem Chauffeur die Weisung gab, ihn so schnell wie möglich nach der Wormser Straße zu fahren.

Dort hauste in einer kleinen Vierzimmerwohnung des Gartenhauses der »Berg-Hirsch« mit seiner Wirtschafterin. Die Räume machten einen mehr als einfachen und keineswegs sehr behaglichen Eindruck: die »Bleibe« eines alten Junggesellen, der seine Wohnung nur in vorgerückter Nachtstunde als Schlafstelle benutzt und dessen Heim keine liebende Hand pflegt und betreut . . .

Das Schlafzimmer war etwas luxuriöser eingerichtet. Sonst fehlte jede Eleganz und jeder Komfort . . . An den Wänden des sogenannten Arbeitszimmers hingen bunt durcheinander alte Oeldrucke und vergilbte Familienporträts. Die 46 rote Farbe der Plüschmöbel war längst in ein unbestimmtes Braun übergegangen, und das Eßzimmer, in dem Moritz nur in den seltensten Fällen seine Mahlzeiten einnahm, besaß als einzige Zierde zwei bis drei halbgeleerte Likörflaschen . . .

Trotzdem war der Lebenswandel des Herrn Moritz Hirsch durchaus geregelt. Um 11 Uhr vormittags stand er auf und begab sich dann zur Börse. Dort nahm er sein Frühstück ein, und wenn er um vier nach Hause zurückkehrte, so legte er sich wiederum zu Bett, um bis sieben zu schlummern. Dann erhob er sich, machte Toilette und verließ das Haus, das er erst beim ersten, zweiten oder dritten Hahnenschrei wieder aufzusuchen pflegte . . .

Es war ihm daher äußerst unangenehm, als Max bereits um ein viertel sieben an die Tür seines Schlafzimmers pochte und ihn auf diese Weise in seinen lieben Gewohnheiten störte . . . Mißlaunig stand er auf, kleidete sich an und begab sich ins Arbeitszimmer.

Max hatte die Fenster geöffnet, saß auf einem altmodischen Schaukelstuhl, aus dessen handgewebter Decke die bunten Wollfäden bereits längst entschwunden waren, und paffte eine Zigarette.

47 »Nu, wie steht's? . . . .« fragte Moritz gähnend, wobei er gar nicht den Versuch machte, die Hand vor den Mund zu führen . . .

»Setz' dich, stecke dir deine übliche Achtpfennigzigarre an, was bei dem geöffneten Fenster nicht so gefährlich ist, wie sonst, und höre mich an! . . .«

Wahrheitsgemäß schilderte der Makkabäer seine Unterredung mit Tante Ida.

Moritz hatte inzwischen seine Müdigkeit überwunden und hörte gespannt bis zum Ende zu. Dann fragte er:

»Und wie ich dich kenne, wirst du selbstverständlich auf alle Bedingungen eingehen . . .«

»Was bleibt mir weiter übrig? . . .« erwiderte Max resigniert.

»Was dir übrig bleibt? . . . Du bist doch der schlappste Bursche, der mir je im Leben vorgekommen ist! . . . Seit zehn Jahren verkehrst du mit Meta, was – nebenbei gesagt – ein Glück für dich gewesen ist, denn sonst wärst du längst versumpft, vertrottelt und verkommen . . . und in fünf Minuten ist jetzt dein Entschluß gefaßt: Adieu, Meta! . . . Guten Morgen, Lene! . . .«

»Als ich hierherkam,« meinte Max ironisch, »war ich auf diese Standpauke vollständig 48 gefaßt . . . Willst du mir vielleicht sagen, was ich tun soll? . . . Uebermorgen muß ich das Geld bezahlen . . . Dich anzupumpen wäre ein Versuch mit untauglichen Mitteln, und vermögende Freunde besitze ich nicht . . . Bleibt noch als letzter Ausweg: Der Selbstmord . . .«

»Leere Versprechungen,« brummte Moritz, »dazu hast du das Leben viel zu lieb und auch allen Grund dazu, denn es hat dich verwöhnt und verhätschelt von Jugend an . . . Aber eine Frage möchte ich mir noch erlauben: Wird es dir denn wirklich so furchtbar leicht, dich von Meta zu trennen und die zehnjährigen Beziehungen so mit einem Federstrich aus dem Hauptbuch deines Lebens auszumerzen? . . .«

Es entstand eine kleine Verlegenheitspause . . .

Max sah jetzt so trübselig aus, daß Moritz ihm gutmütig auf die Schultern klopfte und ihm – auf den Wandspiegel weisend – zurief:

»Blick in den Spiegel, Susemaus,
So sieht ein »Makkabäer« aus!«

Aber Max reagierte nicht auf diesen Ulk und sagte verdrießlich:

»Verschone mich wenigstens heute mit deinen geistreichen Bemerkungen . . .«

49 Moritz war hierüber gekränkt. Er legte seine Stirn in Falten, so weit das Fett es zuließ und knurrte:

»Ich meine das viel ernsthafter, mein Junge, als du glaubst . . . Im zweiten Kapitel des ersten Buches der »Makkabäer«, Vers 66, steht geschrieben: »Judas Makkabäus ist stark und ein Held, der soll Hauptmann sein, und den Krieg führen . . .« Dir aber ist der Name »Makkabäer« mit Unrecht gegeben worden, denn ich halte es direkt für eine Feigheit, so zu handeln, wie du es zu tun gedenkst.«

Max schnellte von seinem Sitz auf, aber Moritzens kräftige Fäuste drückten ihn energisch wieder zurück.

»Ja, ja,« fuhr er fort, ohne dem anderen Zeit zu lassen, ein Wort zu erwidern, »vor zehn Jahren, da war das was anderes . . . . Im Mai jährt sich's wieder . . . . Denkst du noch an den schönen Sonntagnachmittag, als wir hinausfuhren nach Schlachtensee, nach der Fischerhütte? . . . Wie das Gewitter kam, vor dem wir alle flüchteten, und wie nachher drin im Saal getanzt wurde? . . . Und wie dann vier reizende junge Mädchen durchnäßt ins Zimmer traten, und der galante, fesche Max Susemaus sich gleich an die hübscheste ranmachte? . . .«

50 Max machte den Versuch, den Freund zu unterbrechen, aber Moritz hielt ihm die fleischige Hand vor den Mund.

»Das junge, unerfahrene Ding war Fräulein Meta Pietschke, die gerade als Korrespondentin in ein großes Konfektionshaus eingetreten war . . . Ein anständiges, braves Mädel, das du lieber seine Straße hättest ziehen lassen sollen . . . Aber der schneidige Max ließ nicht locker . . . Mit den Augen kullern, das konntest du, alter Junge, und den nächsten Tag Blümchen schicken und Gedichtchen . . . Das werde ich mir ja auch nie verzeih'n, daß ich dir für diesen schuftigen Zweck die Lyrik geliefert habe . . . . »Moritzchen, mach' mir ein Gedicht!« . . . Das mußte ich tagtäglich an der Börse hören, und ich Esel habe mich auch dazu hergegeben . . . . Eins, das war besonders schön, das hatte den Refrain:

»Und immer, immer denk' ich wieder
An dich, die Mondnacht und den Flieder.«

Und das andere mit dem sinnigen Schluß:

»Das war die wunderschöne Fee,
Die Zauberin vom Schlachtensee.«

Max nickte ernst und sah wehmütig zu Moritz empor, als ob er ihn bitten wollte, die 51 alten holden Erinnerungen nicht wieder aufleben zu lassen.

Aber Moritz blieb unerbittlich.

»Leicht hat sie dir's wenigstens nicht gemacht, schöner Max . . . sechs Monate hat's gedauert, bis ich den Triumphgesang abfassen mußte . . . Es war schon im Oktober, als ich die letzte Hymne für dich anstimmte:

»Mag auch der Sturm den Wald berauben,
Der Winzer keltert jetzt den Wein,
Und aus dem Duft der jungen Trauben
Strömt es berauschend: Du bist mein! . . .«

»Jetzt aber höre endlich auf,« rief Max, »du kannst dir wahrhaftig denken, daß ich im Grunde meines Herzens verzweifelt genug bin . . . Du machst dir aber ein Vergnügen daraus, noch in der Wunde zu wühlen . . . . Uebrigens bin ich nicht hierhergekommen, um deine faulen Gedichte zu hören, sondern, um einen Freundschaftsdienst von dir zu erbitten . . .«

»Es ist nur merkwürdig,« entgegnete Moritz ironisch, »daß du die Gedichte vor zehn Jahren nicht »faul« gefunden hast, und daß dir dieser kritische Gedanke erst heute kommt . . . Womit kann ich dir also dienen?«

Max zögerte.

52 Nach einer Weile faßte er aber Mut und begann:

»Lieber Moritz, ich kann es nicht über's Herz bringen, in dieser Stunde mit Meta zu sprechen . . . Erleichtere mir mein Unglück und setze du Meta alles auseinander . . . Bitte sie in meinem Namen um Verzeihung und Vergebung . . . Erkläre ihr, daß es sich um die Ehre meines Namens handelt, daß ich nicht anders kann . . .«

Um die Lippen von Moritz zuckte ein verächtliches Lächeln.

»Erinnere dich, mein Junge, daß das der zweite Freundschaftsdienst ist, den ich dir »in Sachen Meta Pietschke« erweisen muß . . . Ich gestatte mir, dir den ersten in's Gedächtnis zurückzurufen, den du scheinbar vergessen hast . . . Das war kurz vor Weihnachten 1902, als der Droschkenbesitzer August Pietschke vom Andreasplatz eines Morgens bei Herrn Max Susemaus erschien und ihn dringend zu sprechen verlangte. In »Anjelegenheiten von seine Tochter Meta«, wie er sagte . . . Wer sich aber nicht sprechen ließ, das war Herr Max Susemaus, und Herrn Moritz Hirsch fiel die angenehme Aufgabe zu, sich unter Umständen von Herrn 53 August Pietschke, Andreasplatz, die Knochen entzweischlagen zu lassen . . . .

Herr August Pietschke war nämlich hinter das Techtelmechtel seines Töchterchens gekommen, und das ging dem alten Berliner mächtig an die Nieren . . . Nachdem ihm, als das Mädel drei Jahre alt war, seine Frau mit einem Artisten nach Amerika durchgebrannt war, da gab's für ihn nur eins: seine Meta, und August Pietschke saß Tag und Nacht auf dem Bock, am Tage mit dem Schimmel und nachts mit dem Braunen, die beide zusammen nur sechs Beine hatten, weil sie auf einem immer lahmten, um dem Mädel eine gute Erziehung zu geben und sie was lernen zu lassen . . . Damals wäre Max Susemaus windelweich geschlagen worden, wenn sich nicht Moritz Hirsch ins Mittel gelegt und mit dem Alten verständig unterhandelt hätte . . . Und Moritz Hirsch ist auch damals mit Fräulein Meta und Herrn Max Susemaus zum Notar gefahren, bei dem das Eheversprechen aufgesetzt wurde, durch das sich Max Susemaus verpflichtete, die Meta zu heiraten, wenn Tante Ida einmal die Augen geschlossen hätte . . . . So vernünftig war ja der alte Pietschke, um einzusehen, daß es während der Lebenszeit der alten Dame nicht anders ging . . . 54 Und der alte Pietschke glaubte heute noch, daß Max Susemaus die Meta heiraten wird . . .«

Moritz hielt inne, um zu prüfen, welchen Eindruck seine Rede auf Max machen würde . . .

Der aber saß ganz fassungslos da und blickte entgeistert ins Leere.

»Ja, ja, mein Junge,« meinte Moritz in etwas weicherem Ton, »das war mein erster Freundschaftsdienst, und den habe ich dir geleistet, als ich noch gar nicht wußte, wie prächtig sich die Meta entwickeln würde . . . Hat sie dir jemals Schande gemacht? . . . Hat sie jemals für einen Anderen ein Auge gehabt? . . . Es ist richtig: du hast ihr 20 000 Mark vorgestreckt, damit sie sich den Modesalon in der Bellevuestraße einrichten konnte . . . Ich war der Erste, der dir dazu geraten hat . . . . Und ich habe ihr auch damals gesagt: »Salon Pietschke« in der Bellevuestraße, mein Kind, das geht nicht! . . . Aber, da du auf dem Andreasplatz zur Welt gekommen bist, so nenne das Geschäft »Salon Andrée«, und du wirst deinen Weg machen . . . Ich glaube, wie ich die Meta taxiere, daß es doch der glücklichste Moment in ihrem Leben war, als sie dir deine 20 000 Mark bei Heller und Pfennig zurückzahlen konnte . . . Und heute ist sie eine vermögende Frau . . . deine ergebene 55 Freundin, der du nicht das Geringste vorwerfen kannst, und die sich selber nur den Vorwurf machen muß, daß sie damals als junges Ding auf den schönen Max Susemaus in Schlachtensee hereingefallen ist . . .«

»Bist du jetzt fertig? . . . .« fragte Max.

»Jawohl, zunächst habe ich nichts weiter zu sagen und erwarte deine Vorschläge bezüglich des zweiten Freundschaftsdienstes . . .«

»Mensch,« flehte Max, »mach mir die Sache doch nicht so schwer . . .«

»Zum Teufel,« erwiderte Moritz heftig, »ist denn die ganze Welt dazu da, um dir alles leicht zu machen? . . . Die ehrenvolle Mission, die du mir anträgst, will ich annehmen – nicht deinetwegen, sondern ihretwegen . . . Wenn ich die Sache mache, dann werden wenigstens keine Taktlosigkeiten passieren, und das ist der einzige Grund, weshalb ich dieser Frau, die ich achte und hochschätze, von deiner nichtswürdigen Jämmerlichkeit Kenntnis geben will . . . Ich mache dich aber gleich darauf aufmerksam, daß ich diese Angelegenheit nur in die Hand nehme, wenn ich dabei vollständig nach meinem Gutdünken handeln kann . . . Ich habe durchaus nicht die Absicht, deine Handlungsweise zu 56 beschönigen, und ich erkläre dir ganz offen, daß ich dabei nur das Eine im Auge habe, daß Meta aus der ganzen Geschichte so ehrenvoll wie möglich hervorgeht und daß du der Blamierte bist und bleibst . . .«

Max seufzte.

»Mach, was du willst, ich füge mich in alles . . .«

Moritz schlug wieder einen freundlicheren Ton an:

»So kommst du mir bedeutend näher,
Verehrter Freund und »Makkabäer«! . . .«

Das Telephon läutete.

»Hier Moritz Hirsch . . . Fräulein Meta? . . So? . . . Bei Max hat sich niemand gemeldet? . . . Na ja, er ist schon eine ganze Weile hier, wir haben wichtige Dinge zu besprechen . . . Geschäftlich . . .? Natürlich geschäftlich! . . . Ich bin übrigens in einer Viertelstunde bei Ihnen . . . Max auch? . . . Nein, ich glaube nicht . . . Max hat unangenehme Abhaltungen, ich setze Ihnen alles mündlich auseinander . . . Max soll auch mal ans Telephon kommen? . . .«

Moritz reichte ihm das Hörrohr.

»Nanu schwindle man, Junge!« . . .

57 »Ja, mein liebes Herzchen, es tut mir schrecklich leid . . . heute ist es unmöglich . . . Moritz wird dir alles auseinandersetzen . . . Geschäftliche Unannehmlichkeiten . . . Auf Wiedersehen morgen!«

»Na,« meinte Moritz, »für die letzte Unterredung nach zehnjähriger Liebe ist das ja nicht gerade sehr ausgiebig gewesen . . .« 58

 


 


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