Leo Leipziger
Der Rettungsball
Leo Leipziger

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I.

Es war an einem der letzten Augusttage des mit Hitze, Dürre und Politik so überreich gesegneten Sommers 1911, als nachmittags gegen halbvier Uhr die beiden Börsenmakler Max Susemaus und Moritz Hirsch Fortunas Synagoge in der Burgstraße verließen.

Moritz war ein angehender Fünfziger, wohlbeleibt, untersetzt, mit einem feisten Antlitz, aus dem zwei kleine graue Aeuglein verschmitzt und vergnügt in die Welt hinausguckten. Seine Kopfhaare gehörten, wie er zu sagen pflegte, zu den »ausgefallenen« Sachen, und auch sein Schnurrbart hatte es nicht zu martialischer Stärke gebracht.

Max war etwa acht Jahre jünger. Eine schlanke, elegante Erscheinung, derer Haltung immer noch den ehemaligen Reserveoffizier verriet. Seine Kleidung war sehr soigniert, und aus dem Taschentuch, mit dem er den Schweiß 14 von der Stirne trocknete, drang ein Parfümgeruch, dessen Ursprung zweifellos auf eine berühmte Pariser Firma zurückzuführen war.

Seit fünfzehn Jahren pflegten die Beiden den Nachhauseweg, der sie die Linden entlang nach dem neuen Westen führte, gemeinsam anzutreten. Beide waren an der Börse allgemein geachtet und beliebt. Moritz handelte bereits seit fünfundzwanzig Jahren im Montanmarkt, Max sah nach derselben Richtung hin auf eine etwas kürzere Wirkungszeit zurück. Auch ihnen war längst vom Börsenwitz ein Spitzname beigelegt worden. Max hieß der »Makkabäer«. Obgleich er von einwandfreier arischer Abkunft war, hatte er einst, als die Wogen des Antisemitismus noch hoch gingen, bei einer Schlägerei die Partei der Juden ergriffen und mit starker Faust die Angreifer verjagt. Diese Heldentat hatte ihm die ehrende Bezeichnung »Makkabäer« eingebracht. Hirsch dagegen hieß der »Berg-Hirsch«, weil er es seit undenklicher Zeit niemals verabsäumte, allwöchentlich am Freitag abend in dem rituellen Restaurant von Berg in der Charlottenstraße Fische zu essen.

An jenem schwülen Augusttage wischte sich also der »Makkabäer« wiederholt den Schweiß von der Stirn, und die erhöhte Tätigkeit der 15 Poren hing leider nicht nur mit der sengenden Sonnenglut, sondern auch mit einer schweren seelischen Aufregung zusammen, unter der Max Susemaus zu leiden hatte.

Er besaß nämlich ein Hausseengagement in Kanadaaktien, auf dem ein beträchtlicher Verlust lag. Und der Zahltag stand nahe bevor. Da er ein größeres disponibles Vermögen nicht besaß, so war seine Situation natürlich äußerst unangenehm und sein Erregungszustand verständlich.

»Was wirst du machen?« fragte Moritz besorgt und teilnehmend.

Max zuckte die Achseln.

»Damit kommen wir nicht weiter . . . Was hast du nötig gehabt, ausgerechnet in Amerika dein Geld zu verlieren? . . . Wärst du die Differenzen in deutscher Reichsanleihe losgeworden, so hätte das für dich als Christen und ehemaligen Reserveoffizier wenigstens eine patriotische Tat bedeutet. Wie oft habe ich dir gepredigt:

Sei gottesfürchtig, schrei Hurra,
Doch spiele nicht in Kanada!«

Max mußte trotz seiner gedrückten Stimmung lächeln.

16 Er kannte die Eigenschaft seines Freundes, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Stegreifverse vom Stapel zu lassen.

Der Humor bildete für den »Berg-Hirsch« die höchste Würze des Lebens. Von Jugend auf hatte er sich ihm mit Herz und Hand ergeben und keine Gelegenheit verabsäumt, seine hervorragendsten Vertreter aufzusuchen und sich mit ihnen anzubiedern. Er war einer der Getreusten am Stammtisch des seligen Emil Thomas bei Helmuth Schmidt gewesen. Er war der ausdauerndste, wenn weiland Georg Engels bei den Sammetbrüdern in der »Hütte« seine lustigen Jagdgeschichten zum besten gab . . . Da er wenig oder gar keine Bedürfnisse hatte, so beschränkte er sich in seiner geschäftlichen Tätigkeit lediglich auf die Aufträge, die ihm zuflossen, ohne sich auf eigene Spekulationen einzulassen. Und diese Aufträge wurden ihm von allen denen an der Börse zuteil, die seine poetische Hilfe in Anspruch nahmen, wenn es galt, im Familienkreise bei einer festlichen Gelegenheit ihren Witz leuchten zu lassen.

Da war der Pegasus des »Berg-Hirsch« der Mietsgaul, auf den sie sich alle setzten, sogar die hochmögenden Bankdirektoren, die sich dafür bei Gelegenheit durch stattliche Provisionen zu revanchieren wußten.

17 Jetzt waren die beiden an der Wache im Lustgarten angelangt, und Max hatte die Sprache immer noch nicht wiedergefunden.

»Wieviel bist du eigentlich schuldig?« fragte der »Berg-Hirsch« . . .

»150 Mille . . .«

»Donnerwetter! . .

Des Spekulierens Konsequenzen
Erkennt man an den Differenzen! . . .«

»Hör' endlich auf!« brauste Max auf. »Zu Witzen bin ich nicht aufgelegt . . .«

Dann setzte er nach einer Weile kleinlaut hinzu:

»Wie ich mir auch den Kopf zerbreche, mir bleibt nur eins: Tante Ida

Moritz schien unverbesserlich, denn er quittierte die Aeußerung seines Freundes mit der Antwort:

»Dir gab das Schicksal, weil es gnädig,
Die alte Tante, reich und ledig.«

»Ich sage dir nochmals, Moritz, daß ich heute zu Scherzen absolut nicht disponiert bin . . . Ich muß nach Kanossa, ob ich mag oder nicht . . .«

Moritz verstummte gehorsam, und statt den gewohnten Weg nach dem Brandenburger Tor anzutreten, schwenkten sie am Schlosse ab und wanderten der Breiten Straße entgegen. 18 Gegenüber vom Marstall deutete Max schweigend auf einen Laden, in dessen Schaufenster Aschenurnen zum Verkauf standen.

»Das beste ist, ich schieß' mir eine Kugel vor den Kopf, dann hat die ganze Geschichte ein Ende . . .«

Moritz lachte.

»Du bist noch viel zu jung, um von dem Feuerbestattungsgesetz in Preußen persönlich Gebrauch zu machen . . . Außerdem – was würde Meta dazu sagen? . . . Tante Ida wird mit sich reden lassen, und es wird noch alles gut werden . . . Mir steht der Gedanke an den Tod viel näher als dir . . . Ich fühle mein Ende herannahen . . . Als ich neulich bei Berg die zweite Portion Hecht mit Mazzeklößchen und dann gefüllten Gänsehals gegessen hatte, empfand ich danach ein Magendrücken, wie ich es nie zuvor gespürt habe . . . Ich versuchte, diese traurige Erscheinung durch sechs Glas Pilsener und einige Schnäpse zu bannen . . . Auch das ist mir nicht gelungen! . . . Selbst ein Eßlöffel mit doppeltkohlensaurem Natron versagte vollständig . . . Ich werde alt . . . Aber wenn meine Erben in absehbarer Zeit genötigt sein sollten, eine solche Aschenurne für mich einzukaufen, so sollen sie die Worte darauf gravieren lassen: 19

»Ihm störte nie die gute Laune
Der Kurse schwankendes Niveau,
Hier ruht sein Staub, bis die Posaune
Ihn ruft zum jüngsten Ultimo . . .«

Trotz des bevorstehenden unheilbringenden Zahltages traten Maxens Lachmuskeln in Tätigkeit . . .

»Du bist eben ein unverbesserlicher Optimist . . . Ich aber habe eine Höllenangst vor der alten Dame . . . Ich fürchte, die Sache wird nicht glatt abgehen . . . Bringe mich wenigstens noch die paar Schritte bis zur Ecke der Straße, in der sich mein Schicksal entscheiden soll.«

Moritz legte den Arm um die Schultern seines Freundes.

»Nur nicht ängstlich! . . . Sage ihr, daß die Ehre des Namens Susemaus bedroht sei, und sie wird dir ohne Zweifel helfen . . . Finde die richtigen Herzenstöne! . . . Laß auf dem Grammophon deines Brustkastens bald die Walze der Verzweiflung und bald die Walze der Besserung ertönen, und du wirst sehen, daß ihr Herz weich wird wie Butter, die in diesen Tagen nicht auf Eis steht . . .«

An der Ecke der Fischerstraße nahmen sie voneinander Abschied. Moritz konnte es sich 20 aber nicht verkneifen, seinen Abgang mit folgenden Worten zu begleiten:

»Leb' wohl, und sag' dem Himmel Dank,
Wenn dir der große Wurf gelang!
Am Telephon nach Nachricht lechz' ich:
Amt Pfalzburg: Neunzehnhundertsechzig21

 


 


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