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Kapitel XIX.
Vom Enthusiasmus.

§1. Philal. Wollte Gott, daß alle Theologen und der h. Augustin selbst immer den Grundsatz befolgt hätten, der in diesen Worten ausgedrückt ist. Die Menschen glauben aber, daß der Geist des Dogmatismus ein Zeichen ihres Eifers für die Wahrheit sei, und doch gilt gerade das Gegenteil. Man liebt sie nur in dem Maße wahrhaft, als man es liebt, die Beweise zu prüfen, die sie als das, was sie ist, zu erkennen geben. Überstürzt man dagegen sein Urteil, so tut man dies stets auf weniger reine Beweggründe hin. § 2. Die Herrschsucht ist einer der gewöhnlichsten, und eine gewisse Vorliebe für seine eigenen Träumereien ist ein zweiter Grund, aus dem der Enthusiasmus entspringt. § 3. Mit diesem Namen bezeichnet man den Fehler derjenigen, welche sich einbilden, sie hätten eine unmittelbare Offenbarung, wenn diese nicht in der Vernunft gegründet ist. § 4. Und wie man sagen kann, daß die Vernunft eine natürliche Offenbarung ist, die, wie die Natur selbst, Gott zum Urheber hat, so kann man andererseits sagen, daß die Offenbarung eine übernatürliche Vernunft ist, d. h. eine Vernunft, die durch eine neue Summe von Entdeckungen, welche unmittelbar von Gott ausgehen, bereichert ist. Aber diese Entdeckungen setzen voraus, daß wir das Mittel besitzen, sie als solche zu erkennen, und dies ist die Vernunft selbst: sie also verbannen wollen, um der Offenbarung Platz zu machen, hieße sich die Augen ausreißen, um die Trabanten des Jupiter besser durch ein Teleskop zu sehen. § 5. Die Quelle des Enthusiasmus liegt darin, daß eine unmittelbare Offenbarung bequemer und kürzer ist, als ein langes und mühsames Schlußverfahren, das zudem nicht immer von glücklichem Erfolge begleitet ist. Mat hat zu allen Zeiten Menschen gesehen, deren melancholisches Temperament in Verein mit ihrer Frömmigkeit und mit der hohen Meinung, die sie von sich selbst hatten, sie zu dem Glauben verleitete, daß sie eine ganz andere Vertrautheit mit Gott hätten, als die anderen Menschen. Sie setzen voraus, daß er sie den Seinigen verheißen hat, und glauben vor allen andern, zu seinem Volke zu gehören. § 6. Ihre Erdichtungen werden ihnen zu Erleuchtungen und zur göttlichen Autorität, und ihre Pläne sind ihnen eine unfehlbare Lenkung des Himmels, welcher sie zu folgen verpflichtet sind. § 7. Diese Meinung hat große Wirkungen hervorgebracht und große Übel verursacht, denn ein Mensch handelt energischer, wenn er seinen eigenen Antrieben folgt, und wenn die Annahme einer göttlichen Autorität durch seine eigene Neigung unterstützt wird. Es ist schwer, ihn hiervon abzubringen, weil diese angeblich beweislose Gewißheit der Eitelkeit und Lust am Ungewöhnlichen schmeichelt. Die Fanatiker vergleichen ihre Meinung mit dem Blick und der Empfindung. Sie sehen das göttliche Licht, wie wir das der Sonne am hellen Mittag sehen, ohne nötig zu haben, daß die Dämmerung der Vernunft es ihnen zeigt. §9. Sie sind überzeugt, weil sie überzeugt sind, und ihre Sicherheit ist die rechte, weil sie stark ist, denn darauf läßt sich ihre bilderreiche Sprache zurückführen. § 10. Da es aber zwei Arten des Gewahrwerdens gibt, das aus dem Urteil und das aus der Offenbarung, so kann man sie fragen, wo die Klarheit ist? Liegt sie im Erschauen des Urteils, wozu dient dann die Offenbarung? Sie muß also in der Empfindung der Offenbarung liegen. Aber wie können sie erschauen, daß es Gott ist, der sich offenbart, und nicht ein Irrlicht, das sie in dem Zirkel herumführt: Das ist eine Offenbarung, weil ich es fest glaube, und ich glaube daran, weil es eine Offenbarung ist? § 11. Gibt es etwas, was mehr dazu gemacht ist, uns in Irrtum zu stürzen, als die Einbildung zum Führer zu nehmen? § 12. St. Paul besaß großen Eifer, als er die Christen verfolgte, und hat sich nichtsdestoweniger getäuscht. Man weiß, daß der Teufel seine Märtyrer gehabt hat, und wenn es hinreicht, fest überzeugt zu sein, so wird man die Täuschungen Satans nicht mehr von den Eingebungen des Heiligen Geistes unterscheiden können. § 14. Also ist es die Vernunft, die uns die Wahrheit der Offenbarung erkennen läßt. § 15. Wenn aber unser Glaube sie bezeugen sollte, so wäre dies eben der Zirkel, von dem ich soeben gesprochen habe. Die Heiligen, die von Gott Offenbarungen empfingen, hatten äußere Zeichen, welche sie von der Wahrheit des inneren Lichtes überzeugten. Moses sah einen brennenden Busch, der sich nicht verzehrte, und hörte eine Stimme aus der Mitte des Busches, und als Gott ihn zur Befreiung seiner Brüder nach Ägypten schickte, so gebrauchte er, um ihn im voraus seiner Sendung zu vergewissern, das Wunder des Stabes, der sich in eine Schlange verwandelte. Gedeon ward durch einen Engel gesendet, das Volk Israel vom Joch der Midianiter zu befreien; gleichwohl forderte er ein Zeichen, um überzeugt zu sein, daß ihm dieser Auftrag von seiten Gottes gegeben wäre. § 16. Ich leugne indessen nicht, daß Gott mitunter den Geist der Menschen erleuchtet, um ihnen wichtige Wahrheiten begreiflich zu machen oder um sie durch unmittelbaren Einfluß und Beistand des Heiligen Geistes ohne irgendwelche außerordentliche Zeichen, die diesen Einfluß begleiten, zu guten Handlungen zu bewegen. Aber auch in diesen Fällen haben wir die Vernunft und die Schrift, zwei untrügliche Regeln, als Richterinnen dieser Erleuchtungen, denn wenn sie mit diesen Regeln stimmen, laufen wir wenigstens keine Gefahr, wenn wir sie als von Gott eingegeben ansehen, auch wenn sie vielleicht keine unmittelbare Offenbarung sind.

Theoph. Enthusiasmus war anfangs ein Name von guter Bedeutung. Und wie Sophisma eigentlich eine Weisheitsübung bedeutet, so bezeichnet Enthusiasmus, daß eine Gottheit in uns walte. Est Deus in nobis Ovid, Fast. L. VI, V. 5 (Sch.).. Sokrates behauptete, daß ihm ein Gott oder Dämon innere Kundgebungen mache, so daß Enthusiasmus ein göttlicher Instinkt wäre. Nachdem aber die Menschen einmal ihre Leidenschaften, Phantasien und Träume, ja sogar ihren Wahnsinn als etwas Göttliches heilig gesprochen hatten, begann Enthusiasmus eine Geistesstörung zu bezeichnen, welche man dem Wirken einer Gottheit in denen, die von ihr befallen waren, zuschrieb; denn die Wahrsager und Wahrsagerinnen zeigten, wenn ihr Gott sich ihrer bemächtigte, eine geistige Verrückung, wie die Sibylle von Cumae bei Vergil. Seitdem schreibt man ihn denen zu, welche ohne Grund glauben, daß ihre Regungen von Gott kommen. Nisus bei demselben Dichter, da er sich durch einen fremdartigen Antrieb zu einer gefährlichen Unternehmung fortgerissen fühlt, in der er mit seinem Freunde umkommt, schlägt ihm diese in folgenden Worten vor, die von einem vernünftigen Zweifel erfüllt sind:

Dine hunc ardorem mentibus addunt,
Euryale, an sua cuique Deus fit dira cupido?

Pflanzten die Götter, o Freund, mir die treibende Glut in die Seele,
Oder wird jedem zum Gott nur die eigene wilde Begierde? Vergil, Aeneis IX, 184-185 (Sch.).

Er folgt dennoch diesem Trieb, ohne zu wissen, ob er von Gott oder einer unglücklichen Lust, sich auszuzeichnen, herstamme; wäre ihm aber sein Unternehmen geglückt, so würde er nicht verfehlt haben, sich darauf in einem anderen Falle zu berufen und zu glauben, daß er durch eine göttliche Macht getrieben werde. Die Schwärmer von heute glauben auch von Gott Lehrsätze zu ihrer Erleuchtung zu empfangen. Die Quäker sind dieser Überzeugung, und Barclay, ihr erster methodischer Autor, behauptet, daß sie in sich ein Licht fänden, das sich durch selbst zu erkennen gebe Robert Barclay (1648-1690); seine systematische Darstellung der Lehre der Quäker ist in seiner »Apologia theologiae verae christianae« (zuerst 1676) enthalten.. Aber warum das Licht nennen, was nichts sehen macht? Ich weiß wohl, daß es Leute dieser Geistesbeschaffenheit gibt, die Funken oder sogar noch Helleres und Leuchtenderes sehen, aber dies Bild des körperlichen Lichts, das sich bei der Erhitzung ihrer Lebensgeister zeigt, gibt dem Geiste kein Licht. Manche einfältige Personen von aufgeregter Phantasie bilden sich Vorstellungen, die sie bis dahin nicht hatten: sie sind imstande, sich, ihrem Sinne nach, schön oder wenigstens sehr lebhaft auszudrücken; sie staunen über sich selbst und setzen andere durch diese Fruchtbarkeit, die für Eingebung gilt, in Erstaunen. Dieser ihr Vorzug aber rührt zum guten Teile von einer starken, durch die Leidenschaft belebten Phantasie her und von einem glücklichen Gedächtnis, das die Redeweise prophetischer Bücher, die ihnen durch Lektüre oder aus dem Vortrag anderer vertraut geworden sind, gut behalten hat. Antoinette de Bourignon gab die Fertigkeit, die sie im Sprechen und Schreiben besaß, als einen Beweis ihrer göttlichen Sendung aus Antoinette de Bourignon (1616-1680); vgl. Leibniz' Urteil über sie in einer »Réflexion sur l'esprit sectaire« (1697) bei Dutens I, 740.. Auch kenne ich einen Schwärmer, der seine Sendung mit dem Talent begründet, fast einen ganzen Tag, ohne zu ermüden oder heiser zu werden, ganz laut zu reden und zu beten. Es gibt Menschen, welche nach Kasteiungen oder nach einem Zustand des Trübsinns in ihrer Seele einen Frieden und Trost fühlen, der sie entzückt und sie finden in ihm so viel Süßigkeit, daß sie darin eine Wirkung des Heiligen Geistes sehen. Nun ist allerdings die Befriedigung, welche man in der Betrachtung der Größe und Güte Gottes, in dem Vollbringen seines Willens, in der Ausübung der Tugenden findet, eine Gnade Gottes, und zwar eine der größten; aber diese Gnade bedarf nicht stets einer neuen übernatürlichen Hilfe, wie viele dieser guten Leute es behaupten. Es hat vor nicht langer Zeit ein in allen übrigen Dingen sehr verständiges Mädchen gegeben, welches von Jugend an glaubte, mit Jesus Christus zu reden und auf eine ganz besondere Weise seine Gattin zu sein Rosamunde von Assenburg, bekannt durch ihre Verbindung mit dem Ehepaar Petersen, das in der Geschichte des Pietismus eine wichtige Rolle gespielt hat.. Die Mutter dieses Mädchens war, wie man erzählte, ein wenig zur Schwärmerei geneigt gewesen; die Tochter aber, die schon früh damit begonnen hatte, war viel weiter gegangen. Ihre Befriedigung und Freudigkeit war unaussprechlich, ihre Tugendhaftigkeit zeigte sich in ihrem Wandel und ihr Geist in ihren Gesprächen. Indessen ging das Ding doch so weit, daß sie Briefe entgegennahm, die an unseren Herrn adressiert waren, und die sie versiegelt, wie sie sie empfangen hatte, mit der Antwort zurückschickte, die mitunter ganz angemessen und immer vernünftig abgefaßt schien. Aber endlich hörte sie auf, solche Briefe anzunehmen, aus Furcht, zu viel Aufsehen zu erregen. In Spanien wäre sie eine zweite heilige Theresa gewesen. Aber nicht alle Personen, die solche Visionen haben, benehmen sich auf die gleiche Weise. Es gibt welche, die Sekten zu stiften und selbst Unruhen zu erregen suchen: und England hat hiervon manchen seltsamen Beweis gesehen. Wenn diese Leute in gutem Glauben handeln, ist es schwer, sie zur Vernunft zu bringen; das Scheitern aller ihrer Pläne bessert sie bisweilen, aber dann ist es oft zu spät. Es gab einen vor kurzem gestorbenen Schwärmer, der sich, weil er sehr alt war und sich wohl befand, für unsterblich hielt, und der, ohne das vor kurzem erschienene Buch eines Engländers gelesen zu haben (welches glauben machen wollte, daß Jesus Christus auch deswegen in die Welt gekommen wäre, um die wahren Gläubigen vom körperlichen Tode zu erlösen), seit langen Jahren ziemlich desselben Glaubens war; als er aber den Tod herannahen fühlte, ging er so weit, nun die ganze Religion anzuzweifeln, weil sie seiner Chimäre nicht entsprach. Der Schlesier Quirinus Kulman, ein unterrichteter und geistvoller Mann, der aber nachher in zwei gleich gefährliche Schwärmereien, in die der Enthusiasten und die der Alchimisten, geriet, und der in England, in Holland, ja bis nach Konstantinopel hin, Aufsehen erregte, schließlich aber auf den Gedanken kam, nach Rußland zu gehen und sich dort zu der Zeit, als die Prinzessin Sophie regierte, in Intriguen gegen das Ministerium einzulassen, wurde zum Feuertod verurteilt und starb nicht wie einer, der von dem, was er gepredigt hatte, überzeugt war Quirinus Kuhlmann (1651-1689); vgl. über ihn Hagenbach, Vorles. über Geschichte des ev. Protestantismus, S.316 ff. (Sch.).. Auch die Meinungsverschiedenheiten dieser Leute untereinander sollten sie davon überzeugen, daß ihr vergebliches inneres Zeugnis nicht göttlich sei, und daß es, um es zu rechtfertigen, anderer Kennzeichen bedarf. Die Labbadisten z. B. verstehen sich nicht mit Antoinette Bourignon Die Labadisten: Anhänger der mystischen Lehre Jean de Labadies (1610-1674)., und obwohl William Penn bei seiner Reise nach Deutschland, von der man einen Bericht veröffentlicht hat, den Plan gehabt zu haben scheint, eine Art von Einverständnis zwischen denen herbeizuführen, welche auf diesem Zeugnis fußen, so scheint es ihm doch nicht geglückt zu sein. Es wäre in Wahrheit zu wünschen, daß die Redlichen sich miteinander verständen und einträchtig handelten; nichts wäre mehr geeignet, das menschliche Geschlecht besser und glücklicher zu machen, aber sie müßten dann selbst wahrhaft redliche Menschen, d. h. wohltätig und überdies einsichtig und vernünftig sein, während man die, die man heutzutage Fromme nennt, nur allzusehr der Härte, der Herrschsucht und des Eigensinns anklagt. Ihre Mißhelligkeiten zeigen wenigstens, daß ihr inneres Zeugnis einer äußeren Beglaubigung bedarf, um Glauben zu erwecken, und sie hätten Wunder nötig, um mit Recht für Propheten und Inspirierte zu gelten. Es gäbe jedoch einen Fall, wo diese Inspirationen ihren Beweis mit sich führen würden: wenn sie nämlich den Geist durch bedeutsame Entdeckungen irgendwelcher außerordentlicher Erkenntnisse aufklärten, die über die Kräfte eines Menschen, sofern er sie ohne äußere Hilfe sich erwerben sollte, hinausgingen. Wenn Jakob Böhme, der berühmte Lausitzer Schuster, dessen Schriften, die für einen Mann dieses Standes in der Tat etwas Großartiges und Schönes haben, unter dem Namen des Philosophus teutonicus in andere Sprachen übersetzt worden sind, hätte Gold machen können, wie einige es sich einreden, und wie der Evangelist Johannes es konnte, wenn wir das glauben, was ein zu seiner Ehre gemachter Hymnus sagt:

Inexhaustum fert thesaurum,
Qui de virgis fecit aurum,
Gemmas de lapidibus,

so wäre dies ein Grund gewesen, diesem außerordentlichen Schuster mehr Glauben zu schenken Vgl. Leibniz' Urteil über Jac. Böhme in einem Brief an Fried. Sim. Loefler: »Lites de Boehmianis sententiis inanes esse censeo et Boehmium nec sibi nedum aliis intellectum. Recte igitur Dm. Hinckelmannus urget Boehmii sectatores, ut mentem verbis communibus explicent. quae vera ratio est nugas e latebris in lucem protrahendi«, Dutens V, 409 (Sch.).. Und wenn Antoinette Bourignon dem französischen Ingenieur Bertrand La Coste in Hamburg wirklich das Licht in den Wissenschaften gegeben hat, das er von ihr empfangen zu haben glaubte, wie er es in seiner Dedikation des Werkes über die Quadratur des Zirkels bemerkt »Klarer Beweys von t'Quadrat des Cirkels« (1677) (Sch.). (wo er auf Antoinette und Bertrand anspielend, sie das A in der Theologie nannte, wie er sich selbst als das B in der Mathematik bezeichnet), so würde man nicht wissen, was man dazu sagen sollte. Aber man sieht keine Beispiele eines bedeutenden Erfolges dieser Art noch auch genau detaillierte Voraussagungen, die solchen Leuten geglückt wären. Die Prophezeiungen der Poniatovia, des Drabitius und anderer, die der gute Comenius in seiner Lux in Tenebris (Licht in der Finsternis) veröffentlichte und die dazu beitrugen, Unruhen in den kaiserlichen Erblanden zu erwecken, haben sich als falsch erwiesen, und diejenigen, welche ihnen Glauben schenkten, haben sich unglücklich gemacht. Der Fürst von Siebenbürgen, Ragozky, wurde von Drabitius zu seiner Unternehmung gegen Polen angetrieben, in welcher er sein Heer und schließlich seine Staaten und sein Leben verlor, und dem armen Drabitius wurde lange nachher, im Alter von 80 Jahren, endlich auf Befehl des Kaisers der Kopf abgeschlagen Nic. Drabitius, geb. 1585, ist von den böhmisch-mährischen Brüdern ausgegangen. In die Theosophie sich vertiefend, glaubte er, seit 1638 göttliche Offenbarungen zu empfangen, auf welche hin er den Untergang des Hauses Österreich auf das Jahr 1657 prophezeite. Comenius ließ sich herbei, diese Dinge zugleich mit Weissagungen der Poniatowia und anderer Schwärmer im Jahre 1657 unter dem Titel »Lux in Tenebris« drucken zu lassen, wovon eine zweite Auflage 1659 unter dem Titel: »historia revelationum Ch. Kotteri, Chr. Poniatoviae, Nic. Drabitii etc.« erschien (Sch.). – Näheres über Drabitius s. bes. in Bayles »Dictionnaire historique et critique«, wo auch sein Verhältnis zu Ragozky ausführlich geschildert ist.. Indessen zweifle ich nicht, daß es Leute gibt, welche diese Voraussagungen jetzt, bei dem gegenwärtigen unruhigen Stand der Dinge in Ungarn, zur Unzeit wieder aufleben lassen möchten, ohne zu bedenken, daß diese angeblichen Propheten von Ereignissen ihrer Zeit sprachen. Damit würden sie es ungefähr ebenso machen, wie der, der nach der Beschießung von Brüssel ein fliegendes Blatt veröffentlichte, in dem eine Stelle aus einem Buche der Antoinette Bourignon vorkam, die nicht in diese Stadt kommen wollte, weil sie sie – wenn ich mich recht erinnere – im Traum in Brand gesehen hatte: aber diese Beschießung erfolgte lange Zeit nach ihrem Tode. Ich habe einen Menschen gekannt, welcher während des Krieges, der durch den Frieden von Nymwegen sein Ende fand, nach Frankreich ging, um den Herren von Montausier und von Pomponne auf Grund der von Comenius veröffentlichten Prophezeiungen lästig zu fallen, und ich glaube, er hätte sich selbst für inspiriert gehalten, wenn er in einer Zeit, wie der unsrigen, seine Vorschläge hätte machen können. Daraus läßt sich ersehen, nicht nur wie wenig begründet, sondern auch wie gefährlich solche Einbildungen sind. Die Geschichte ist voll von der üblen Wirkung falscher oder unrichtig verstandener Prophezeiungen, wie man in einer gelehrten und scharfsinnigen Abhandlung de officio viri boni circa futura contingentia ersehen kann, welche der verstorbene Jakob Thomasius, ein berühmter Leipziger Professor, vormals veröffentlicht hat Jacob Thomasius (1622-1684), Professor in Leipzig und einer der ersten Lehrer Leibnizens in der Philosophie; vgl. den Briefwechsel zwischen ihm und Leibniz aus den Jahren 1663-1672 (Gerh. I, 7 ff.). S. Dissertationes Jac. Thomasii ed. Christian Thomasius (Halae 1698).. Mitunter allerdings haben diese Überzeugungen eine gute Wirkung und dienen zu großen Dingen, denn Gott kann sich des Irrtums bedienen, um die Wahrheit zu begründen oder aufrechtzuerhalten. Aber ich glaube nicht, daß es uns leicht verstattet ist, frommen Betrug zu einem guten Zweck anzuwenden. Was aber die Lehrsätze der Religion anbetrifft, so haben wir keine neuen Offenbarungen für sie nötig; es reicht hin, daß man uns heilsame Regeln vorlegt, um uns zu verpflichten, ihnen zu folgen, mag auch der, welcher sie vorlegt, kein Wunder tun. Und obgleich Jesus Christus damit gerüstet war, verweigerte er mitunter doch, sie diesem verderbten Geschlecht zuliebe zu vollbringen, das Zeichen verlangte, wo er nur die Tugend und das, was schon durch die natürliche Vernunft und die Propheten gelehrt worden war, predigte.


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