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Kapitel X.
Von unserer Erkenntnis des Daseins Gottes.

§ 1. Philal. Gott, welcher unserer Seele die Vermögen gegeben hat, mit denen sie ausgerüstet ist, hat sich nicht unbezeugt gelassen, denn die Sinne, der Verstand und die Vernunft liefern uns offenbare Beweise seines Daseins.

Theoph. Gott hat nicht allein der Seele Fähigkeiten gegeben, die dazu geeignet sind, ihn zu erkennen, sondern er hat ihr auch Spuren eingeprägt, die ihn bezeichnen: obwohl sie jener aktiven Fähigkeiten bedarf, um sich dieser Spuren bewußt zu werden. Ich will aber nicht wiederholen, was zwischen uns über die Ideen und die eingeborenen Wahrheiten, unter die ich die Idee von Gott und die Wahrheit seines Daseins zähle, verhandelt worden ist; kommen wir lieber zur Sache.

Philal. Obwohl das Dasein Gottes diejenige Wahrheit ist, die durch die Vernunft am leichtesten zu erweisen ist und deren Evidenz, wenn ich mich nicht täusche, der der mathematischen Beweise gleichkommt, so fordert sie doch Aufmerksamkeit. Wir brauchen zunächst nur auf uns selbst und auf unser eigenes unzweifelhaftes Dasein zu reflektieren. § 2. Somit setze ich voraus, daß jeder erkennt, daß es etwas gibt, was tatsächlich existiert, und daß es also ein wirkliches Wesen gibt. Ist jedoch jemand, der an seinem eigenen Dasein zweifeln kann, so erkläre ich, daß sich an ihn meine Worte nicht richten. § 3. Wir wissen ferner durch eine einfache anschauliche Erkenntnis, daß das bloße Nichts kein wirkliches Wesen hervorbringen kann. Daraus folgt mit mathematischer Evidenz, daß von aller Ewigkeit her etwas dagewesen ist, weil alles, was einen Anfang hat, durch irgend etwas anderes erzeugt worden sein muß. § 4. Nun empfängt jedes Wesen, das sein Dasein von einem anderen erhält, von diesem auch alles das, was es besitzt, und alle seine Vermögen. Darum ist die ewige Quelle aller Wesen auch das Prinzip aller ihrer Kräfte, dergestalt, daß dies ewige Wesen auch allmächtig sein muß. § 5. Weiter findet der Mensch in sich Erkenntnis. Also gibt es ein mit Verstand begabtes Wesen. Nun ist es unmöglich, daß ein Ding, das selbst ohne alle Erkenntnis und ohne alles Bewußtsein ist, ein verständiges Wesen hervorbringe, und es widerspricht der Idee der jeder Empfindung baren Materie, in sich selbst Empfindung hervorzubringen. Also ist der Urgrund der Dinge mit Verstand begabt, und es hat ein mit Verstand begabtes Wesen von aller Ewigkeit her gegeben. § 6. Ein ewiges, höchst mächtiges und verständiges Wesen ist das, was man Gott nennt. Sollte sich jemand finden, der unvernünftig genug wäre, vorauszusetzen, daß der Mensch das einzige Wesen ist, das Erkenntnis und Weisheit besitzt, daß er aber nichtsdestoweniger durch den bloßen Zufall gebildet worden sei, und daß dies nämliche blinde und erkenntnislose Prinzip es sei, welches das ganze übrige Weltall leitet, so fordere ich ihn auf, den durchaus begründeten und nachdrücklichen Tadel Ciceros (über die Gesetze, Buch II) mit Muße zu prüfen. Sicherlich, so sagt dieser, darf niemand von so törichtem Stolze sein, sich einzubilden, daß es in ihm einen Verstand und eine Vernunft gibt, und daß es doch keinen Verstand gebe, der die Himmel und dies ganze weite Weltall regiere. Aus dem eben Bemerkten folgt klar, daß wir von Gott eine sicherere Erkenntnis als von irgendeinem anderen Dinge außer uns haben.

Theoph. Ich versichere Ihnen mit vollkommener Aufrichtigkeit, daß es mir außerordentlich leid tut, gegen diese Beweisführung etwas einwenden zu müssen: ich tue es aber nur, um Ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Lücken auszufüllen. Eine solche Lücke finde ich besonders an der Stelle, wo Sie schließen, daß etwas von aller Ewigkeit her dagewesen ist. Ich finde hierin eine Zweideutigkeit, wenn es nämlich heißen soll, daß es niemals eine Zeit gegeben hat, wo nichts da war. Das gestehe ich zu, und es folgt in der Tat aus den vorausgehenden Sätzen mit einer völlig mathematischen Konsequenz. Denn wenn es jemals nichts gegeben hätte, so würde es immer nichts gegeben haben, da das Nichts kein Seiendes hervorbringen kann; wir würden also selbst nicht sein, was gegen die erste Erfahrungswahrheit streitet. Aber die Folge zeigt sofort, daß, wenn Sie sagen, es sei etwas von aller Ewigkeit her dagewesen, Sie darunter ein ewiges Ding verstehen. Auf Grund dessen, was Sie bis dahin vorgebracht haben, folgt indessen nicht, daß darum, weil immer irgend etwas bestanden hat, auch immer eine bestimmte Sache bestanden habe, d. h. daß es ein ewiges Wesen gibt. Denn manche Gegner werden sagen, daß ich durch andere Dinge hervorgebracht worden sei, und diese Dinge wieder durch andere. Ferner werden manche, wenngleich sie ewige Wesen (wie z. B. die Epikureer ihre Atome) annehmen, sich darum noch nicht für verbunden halten, ein ewiges Wesen zuzugestehen, welches allein die Quelle aller übrigen wäre. Denn selbst wenn sie zugeständen, daß das, was der Sache das Dasein verleiht, ihr auch die anderen Eigenschaften und Kräfte verleiht, so können sie doch leugnen, daß ein einziges Ding den übrigen ihr Dasein gibt, und sogar behaupten, daß zu jedem Dinge mehrere andere beitragen müssen. So werden wir dadurch allein niemals zu einer Quelle aller Kräfte gelangen. Gleichwohl ist es sehr vernünftig, anzunehmen, daß es nur eine einzige solche Quelle gibt, ja auch daß das Weltall mit Weisheit regiert wird. Wenn man aber die Materie der Empfindung für fähig hält, so wird man auch geneigt sein, es nicht für unmöglich zu halten, daß sie die Empfindung hervorbringen könne. Wenigstens wird es schwer sein, einen Beweis für das Letztere beizubringen, der nicht zugleich zeigt, daß sie zum Ersteren gänzlich unfähig ist; und gesetzt auch, daß unser Denken von einem denkenden Wesen ausgeht, kann man, ohne Nachteil des Beweises, als zugestanden annehmen, daß dies Gott sein muß?

§ 7. Philal. Ich zweifle nicht, daß der ausgezeichnete Mann, von dem ich diesen Beweis entlehnt habe, imstande ist, ihn zu vervollkommnen, und ich will versuchen, ihn dazu zu veranlassen, weil er der Welt kaum einen größeren Dienst leisten könnte. Sie selbst wünschen es. Dies macht mich glauben, daß Sie nicht annehmen, man müsse, um den Atheisten den Mund zu schließen, alles auf das Dasein der Idee Gottes in uns gründen, wie dies einige tun, die allzusehr an dieser ihrer Lieblingsentdeckung hängen und die alle übrigen Beweise des Daseins Gottes verwerfen oder sie wenigstens abzuschwächen und deren Anwendung zu verbieten suchen, als wenn alle diese Beweise schwach oder falsch wären. Und doch lassen uns im Grunde genommen eben diese Beweise aus der bloßen Betrachtung unseres eigenen Daseins und der sinnlich wahrnehmbaren Teile des Universums das Dasein dieses höchsten Wesens so klar und auf eine so überzeugende Weise erkennen, daß meiner Meinung nach kein weiser Mann ihnen widerstehen kann.

Theoph. Obschon ich für die eingeborenen Ideen, und besonders für die Gottesidee, bin, so glaube ich doch nicht, daß die Beweise der Cartesianer, die sie aus der Idee Gottes ziehen, vollkommen sind. Ich habe anderswo (in den Acta Lipsiensia und in den Memoiren von Trevoux) ausführlich gezeigt, daß der Beweis, den Descartes dem Anselm, Erzbischof von Canterbury, entlehnt hat, in Wahrheit sehr schön und geistreich ist, daß jedoch in ihm noch eine Lücke auszufüllen ist Über den ontologischen Gottesbeweis bei Anselm von Canterbury und Descartes und Leibniz' Kritik desselben vgl. bes. Band I, S. 25 ff., 43 f., 291 ff.. Jener berühmte Erzbischof, der ohne Zweifel einer der fähigsten Männer seiner Zeit gewesen ist, wünscht sich nicht ohne Grund Glück, ein Mittel gefunden zu haben, das Dasein Gottes a priori, aus dem Begriff Gottes selbst und ohne auf seine Wirkungen zurückzugehen, zu erweisen. Folgendes etwa ist der Gang seines Beweises: Gott ist das größte oder, wie Descartes es ausdrückt: das vollkommenste der Wesen oder auch ein Wesen von äußerster Größe und Vollkommenheit, das alle Grade derselben in sich schließt. Dies ist der Begriff Gottes. Sehen wir nun, wie aus diesem Begriffe das Dasein folgt. Es ist etwas mehr, da zu sein, als nicht da zu sein, oder auch das Dasein fügt der Größe oder der Vollkommenheit einen Grad hinzu, und ist, wie Descartes es ausdrückt, selbst Vollkommenheit. Dieser Grad von Größe und Vollkommenheit oder vielmehr die Vollkommenheit, welche im Dasein besteht, ist also in diesem höchsten, durchaus großen, ganz vollkommenen Wesen enthalten, denn sonst würde ihm ein bestimmter Grad von Vollkommenheit fehlen, was gegen seine Definition verstoßen würde. Folglich existiert dies höchste Wesen. Die Scholastiker, ohne selbst ihren doctor angelicus auszunehmen Vgl. Thomas von Aquino, Summa theologiae I, 2., haben diesen Beweis verachtet und ihn als einen Paralogismus betrachtet, worin sie sehr unrecht gehabt haben; und Descartes, welcher die scholastische Philosophie im Kolleg der Jesuiten zu La Flèche lange genug studiert hatte, hat sehr recht gehabt, ihn wieder zu Ehren zu bringen. Denn er ist kein Paralogismus, sondern ein vollständiger Beweis, der jedoch etwas voraussetzt, was noch bewiesen werden müßte, um ihm mathematische Evidenz zu verleihen. – Man nimmt nämlich hier stillschweigend an, daß die Idee des durchaus großen oder durchaus vollkommenen Wesens möglich sei und keinen Widerspruch enthalte. Nun ist schon etwas damit gewonnen, daß man durch diese Bemerkung beweist gesetzt, daß Gott möglich ist, so ist er, denn dies bildet ein Vorrecht, das allein der Gottheit zukommt S. Monadologie § 45 (Band II, S. 445 f.). Man hat recht, die Möglichkeit eines jeden Wesens und vor allem die Gottes solange vorauszusetzen, bis jemand das Gegenteil beweist. Somit gibt dieser metaphysische Beweis schon einen moralisch zwingenden Schluß ab, nach welchem wir dem gegenwärtigen Stande unserer Erkenntnisse zufolge urteilen müssen, daß Gott da sei, und demgemäß handeln müssen. Nichtsdestoweniger wäre es wünschenswert, daß gescheite Männer den Beweis mit der Strenge einer mathematischen Evidenz vollendeten; und ich glaube anderswo etwas ausgesprochen zu haben, was hierzu dienen könnte. Der andere Beweis Descartes', der es unternimmt, das Dasein Gottes daraus zu erweisen, daß die Idee von ihm in unserer Seele ist, und daß sie von ihrem Urbild herstammen muß, ist noch weniger bündig. Denn erstlich teilt dieser Beweis mit dem vorhergehenden den gleichen Fehler, daß er voraussetzt, daß es in uns eine solche Idee gibt, d. h. daß Gott möglich ist. Denn wenn Descartes dafür anführt, daß wir nämlich, wenn wir von Gott sprechen, doch wissen, was wir sagen, und folglich eine Idee von ihm besitzen, ist ein trügerisches Kennzeichen. Denn auch wenn wir beispielsweise vom Perpetuum mobile sprechen, wissen wir, was wir sagen, und dennoch ist eine derartige Bewegung etwas Unmögliches, und man kann somit von ihr nur scheinbar eine Idee haben. Zweitens aber zeigt dieser nämliche Beweis gar nicht, daß die Idee von Gott, wenn wir sie haben, von ihrem Urbilde herstammen muß. Ich will mich jedoch jetzt nicht damit aufhalten. Sie werden mir sagen, daß, da ich die eingeborene Idee Gottes in uns anerkenne, ich nicht sagen dürfe, man könne es in Zweifel ziehen, ob es eine solche gibt. Ich lasse aber diesen Zweifel nur hinsichtlich einer strikten Beweisführung zu, die ganz allein auf die Idee gegründet ist. Denn der Idee und des Daseins Gottes ist man auch sonst hinlänglich versichert. Auch werden Sie sich erinnern, daß ich gezeigt habe, in welcher Art die Ideen in uns sind: nämlich nicht immer so, daß man sie tatsächlich gewahr wird, aber stets derart, daß man sie aus seinem eigenen Innern hervorziehen und ins Bewußtsein erheben kann. Und dies glaube ich auch von der Idee Gottes, dessen Möglichkeit und Dasein ich auf mehr als eine Art für bewiesen halte. Die vorherbestimmte Harmonie liefert hierfür ein neues unbestreitbares Mittel. Übrigens glaube ich, daß fast alle Mittel, die zum Beweise des Daseins Gottes angewandt worden sind, gut sind und, wenn man sie vervollkommnete, ihren Nutzen haben könnten, und ich bin keineswegs der Ansicht, daß man den Beweis, der sich aus der Ordnung der Dinge gewinnen läßt, vernachlässigen dürfe.

§ 9. Philal. Es wird vielleicht angemessen sein, ein wenig bei der Frage zu verharren, ob ein denkendes Wesen von einem nicht denkenden und aller Empfindung und Erkenntnis baren Wesen, wie die Materie es sein möchte, herstammen kann. § 10. Nun ist es klar genug, daß ein materieller Teil rein für sich unfähig ist, irgend etwas hervorzubringen und sich selbst in Bewegung zu versetzen. Also muß seine Bewegung entweder ewig oder ihm durch ein mächtigeres Wesen eingeprägt sein. Gesetzt nun, diese Bewegung wäre ewig, so würde sie doch immer unfähig sein, Erkenntnis hervorzubringen. Man teile das materielle Stück in so viel kleine Teile, als man will, um es gleichsam zu spiritualisieren, man gebe ihm alle beliebigen Gestalten und Bewegungen, man mache aus ihm eine Kugel, einen Würfel, ein Prisma, einen Zylinder usw., deren Durchmesser nur den millionsten Teil eines Gry beträgt, welches der zehnte Teil einer Linie ist, die selbst wieder den zehnten Teil eines Zolles bildet, der seinerseits das Zehntel eines Fußes ausmacht: wobei der Fuß den dritten Teil der Länge eines Pendels bedeuten soll, dessen Schwingung unter dem 45. Breitengrade eine Sekunde dauert. So klein dieses Stoffteilchen auch sein mag, so wird es auf Körper von einer ihm proportionalen Größe dennoch niemals anders wirken, als Körper von einem Zoll oder Fuß Durchmesser aufeinander wirken. Und man darf mit ebensoviel Grund hoffen, Empfindung, Gedanken und Erkenntnis dadurch hervorzubringen, daß man grobe Teile der Materie von bestimmter Gestalt und Bewegung zusammenfügt, als mittels der kleinsten Stoffteilchen, die es auf der Welt gibt. Diese letzteren hemmen, stoßen und widerstehen einander gerade wie die groben, und das ist alles, was sie vermögen. Wenn aber die Materie aus ihrem Innern die Empfindung, das Bewußtsein und die Erkenntnis unmittelbar und ohne Hilfsmittel, d. h. ohne Hilfe von Gestalten und Bewegungen, hervorrufen könnte, so müßte der Besitz von dem allen zu den Eigenschaften gehören, die der Materie und allen ihren Teilen unzertrennlich anhaften. Dem könnte man noch hinzufügen, daß zwar die allgemeine und die spezifische Idee, die wir von der Materie haben, uns veranlaßt, von ihr als von einem der Zahl nach einzelnen Dinge zu sprechen, daß aber streng genommen die Materie in ihrer Gesamtheit kein individuelles Ding ist, das als ein materielles Wesen oder als ein besonderer Körper, den wir kennen oder uns denken können, existiert. Wäre daher die Materie das erste, ewige denkende Wesen, so würde es nicht ein einziges ewiges, unendliches und denkendes Wesen geben, sondern eine unendliche Zahl ewiger, unendlicher denkender Wesen, die voneinander unabhängig wären, deren Kräfte beschränkt und deren Gedanken voneinander verschieden sein würden, und die folglich niemals diejenige Ordnung, Harmonie und Schönheit hervorrufen könnten, welche man in der Natur bemerkt. Daraus folgt notwendig, daß das erste ewige Wesen nicht die Materie sein kann. Hoffentlich werden Sie mit dieser Überlegung, die ich dem berühmten Urheber des früher angeführten Beweises entnehme, zufriedener sein, als Sie es mit seiner Beweisführung selbst gewesen zu sein scheinen.

Theoph. Ich finde die jetzige Überlegung durchaus triftig und nicht allein scharf, sondern auch tief und ihres Verfassers würdig. Ich bin durchaus seiner Meinung, daß es keine Kombination und Modifikation der Teile der Materie, mögen sie noch so klein sein, geben kann, die imstande wäre, Bewußtsein zu erzeugen: um so mehr, als die groben Teile hierzu ersichtlich außerstande sind und in den kleinen Teilen alles dem proportional ist, was in den großen vor sich gehen kann. Eine weitere wichtige Bemerkung über die Materie, die der Verfasser hier macht, ist die, daß man sie nicht für ein der Zahl nach einziges Ding nehmen darf oder daß man sie, wie ich zu sagen pflege, nicht als eine wahre und vollkommene Monade oder Einheit ansehen dürfe, weil sie nur eine Anhäufung einer unendlichen Zahl von Wesen ist. Hier hätte es für diesen vortrefflichen Schriftsteller nur noch eines Schrittes bedurft, um bei meinem System anzulangen. Denn ich schreibe in der Tat allen diesen unendlichen Wesen Bewußtsein zu, und jedes von ihnen ist mir gleichsam ein Lebendiges, das mit einer Seele begabt ist (oder mit einem ihr analogen Prinzip der Tätigkeit, das seine wahre Einheit ausmacht), nebst dem, was solch ein Wesen bedarf, um passiv und mit einem organischen Körper versehen zu sein. Nun haben diese Wesen ihre sowohl tätige, als auch leidende Natur (d. h. ihren Anteil am Immateriellen, wie am Materiellen) von einer allgemeinen und obersten Ursache empfangen, weil sie sonst, wie der Verfasser sehr richtig bemerkt, da sie voneinander unabhängig sind, niemals diejenige Ordnung, diejenige Harmonie, diejenige Schönheit hätten hervorbringen können, die man in der Natur bemerkt. Dieser Beweisgrund aber, der nur moralische Gewißheit zu besitzen scheint, wird durch die von mir eingeführte neue Art von Harmonie, welche die prästabilierte Harmonie ist, zu durchaus metaphysischer Notwendigkeit gesteigert. Denn da jede dieser Seelen das, was außer ihr vorgeht, auf ihre Art ausdrückt, und da es keinen Einfluß der anderen besonderen Wesen auf sie geben kann, sondern sie vielmehr diesen Ausdruck aus dem eigenen Grunde ihrer Natur ziehen muß, so muß notwendig eine jede diese ihre Natur (oder diesen inneren Grund für die Darstellung dessen, was sich außer ihr befindet) von einer allgemeinen Ursache empfangen haben, von welcher alle diese Wesen abhängig sind und welche den Grund ihrer völligen gegenseitigen Übereinstimmung und Korrespondenz ausmacht. Dies aber ist nur durch eine unendliche Erkenntnis und Macht und vermöge einer so vollkommenen Kunst – vor allem hinsichtlich der spontanen Übereinstimmung des körperlichen Mechanismus mit den Handlungen der vernünftigen Seele – möglich, daß ein berühmter Schriftsteller, der in seinem bewundernswürdigen Wörterbuch dagegen Einwendungen machte, fast zweifelte, ob dies nicht über alle mögliche Weisheit hinausginge, indem er sagte, daß die Weisheit Gottes ihm für eine Wirkung dieser Art nicht zu groß erschiene, und so wenigstens anerkannte, daß man den schwachen Begriffen, die wir uns von der göttlichen Vollkommenheit machen können, noch niemals einen so großen Nachdruck gegeben habe S. Anm. 35 (Buch IV)..

§ 12. Philal. Wie erfreuen Sie mich durch diese Übereinstimmung Ihrer Gedanken mit denen meines Autors! Hoffentlich werden Sie es nicht ungern sehen, wenn ich Ihnen auch seine weiteren Betrachtungen über diesen Gegenstand noch mitteile. Zuerst prüft er, ob das denkende Wesen, von dem alle andern verstandesbegabten Wesen (und um so mehr alle andern Wesen überhaupt) abhängig sind, materiell ist oder nicht? § 13. Er macht sich den Einwurf, daß ein denkendes Wesen materiell sein könne. Aber er erwidert, daß, selbst wenn dies der Fall wäre, es genug wäre, daß es ein ewiges Wesen wäre, welches eine unendliche Wissenschaft und Macht besäße. Zudem würde, vorausgesetzt, daß das Denken und die Materie getrennt werden können, das ewige Dasein der Materie nicht die Folge des ewigen Daseins eines denkenden Wesens sein. § 14. Auch wird man an die, die Gott zu einem materiellen Wesen machen, die Frage richten, ob sie glauben, daß jeder Teil der Materie denkt. In diesem Fall würde dann folgen, daß es so viel Götter als Teile der Materie gäbe. Wenn aber nicht jeder Teil der Materie denkt, so bekommen wir wieder ein denkendes Wesen, das sich aus nicht denkenden Teilen zusammensetzt: – eine Vorstellung, die man schon widerlegt hat. Schreibt man das Denken nur einem bestimmten Atom zu, während man es den anderen, gleich ewigen Teilen abspricht, so behauptet man damit ohne jeden Grund, daß ein Teil der Materie unendlich über den anderen erhaben ist und die denkenden, nicht ewigen Wesen hervorbringt. § 16. Will man aber, daß das denkende, ewige und materielle Wesen eine bestimmte, besondere Anhäufung von Materie ist, deren Teile nicht denkende sind, so verfällt man damit wieder in die schon widerlegte Anschauung: denn die Teile der Materie mögen immerhin verbunden sein, so können sie doch hierdurch nur eine neue örtliche Beziehung gewinnen, die ihnen die Erkenntnis nicht mitteilen kann. § 17. Ob diese Anhäufung in Ruhe oder in Bewegung ist, ist hierbei gleichgültig. Ist sie in Ruhe, so ist sie nur eine untätige Masse, welche kein Vorrecht vor einem einzelnen Atom hat; ist sie in Bewegung, so müssen, da die Bewegung, durch die sie sich von andern unterscheidet, das Denken hervorbringen soll, alle diese Gedanken zufällig und beschränkt sein, denn jeder Teil für sich ist ohne Gedanken und besitzt nichts, was seine Bewegungen regelt. Es würde also hierbei weder Freiheit noch Wahl noch Weisheit, so wenig wie in der bloßen vernunftlosen Materie geben.

§ 18. Andere mögen glauben, daß die Materie mit Gott wenigstens gleich ewig sei. Aber sie sagen nicht warum; auch ist die Erzeugung eines denkenden Wesens, die sie zugeben, noch weit schwieriger als die der weniger vollkommenen Materie. Ja wir könnten vielleicht, sagt unser Autor, wenn wir uns ein wenig von der gewöhnlichen Vorstellungsweise entfernen, wenn wir unserem Geiste Schwung geben und uns auf die tiefste Untersuchung über die Natur der Dinge einlassen wollten, schließlich so weit gelangen, auf eine wenn auch unvollkommene Art zu begreifen, wie die Materie anfänglich geschaffen worden sei, und wie sie durch die Macht dieses ersten ewigen Wesens ihr Dasein angefangen hat. Einem Geiste aber das Dasein zu verleihen, ist, wie man zugleich erkennen würde, eine viel schwerer zu begreifende Wirkung dieser ewigen und unendlichen Macht. Aber weil mich dies (fügt er hinzu) vielleicht zu weit von den Begriffen entfernen würde, auf welche die Philosophie gegenwärtig in der Welt begründet ist, so würde eine so starke Abweichung vom gewöhnlichen Wege oder eine Untersuchung hierüber – soweit die Grammatik sie verstatten könnte – unentschuldbar scheinen, wenn die allgemein angenommene Meinung dieser besonderen Ansicht im Grunde zuwiderläuft. Ich würde, sage ich, unrecht haben, mich auf diese Untersuchung einzulassen, besonders auf diesem Fleck der Erde, wo die hergebrachte Lehre für meinen Zweck gut genug ist, weil sie es als etwas Unzweifelhaftes hinstellt, daß, wenn man einmal die Schöpfung oder den Anfang irgendeiner beliebigen Substanz, die aus dem Nichts hervorgegangen ist, annimmt, man mit derselben Leichtigkeit die Schöpfung jeder anderen Substanz, ausgenommen der des Schöpfers selbst, voraussetzen kann.

Theoph. Sie haben mir ein wahres Vergnügen damit bereitet, daß Sie mir einen tiefen Gedanken Ihres gelehrten Autors mitgeteilt haben, den vollständig auszuführen nur seine allzu peinliche Vorsicht ihn verhindert hat. Es wäre sehr schade, wenn er ihn unterdrückte und uns stehen ließe, nachdem er unser Verlangen danach so heftig erregt hat. Ich versichere Sie, daß ich in der Tat glaube, daß unter dieser Art von Rätsel etwas Schönes und Bedeutendes verborgen ist. Das groß gedruckte » Substanz« könnte den Glauben erwecken, daß er sich die Hervorbringung der Materie so wie die der Akzidenzien denkt, bei denen man keine Schwierigkeit findet, sie aus dem Nichts hervorgehen zu lassen. Und wenn er seinen eigentümlichen Gedanken von der Philosophie, die gegenwärtig in der Welt auf diesem Fleck der Erde herrscht, unterscheidet, so hat er hierbei vielleicht die Platoniker im Auge, welche die Materie für etwas Flüchtiges und Vorübergehendes nach der Art der Akzidenzien ansahen, von den Geistern und Seelen aber eine ganz andere Vorstellung hatten Leibniz deutet also das »Rätsel«, das Locke hier aufgestellt hat, in dem Sinne seiner eigenen Auffassung der Materie. Die Frage nach dem absoluten Ursprung der Materie bietet keine unlösliche Schwierigkeit: denn alles das, was an der Materie »real« ist, besteht nur in den Perzeptionen der einfachen Substanzen und deren gesetzlicher Verknüpfung. Wird also der göttliche Ursprung dieser einfachen Substanzen – und mit diesem die Harmonie zwischen ihnen – einmal zugestanden, so ist damit die Frage nach dem Ursprung der Materie in dem einzigen Sinne, in dem sie überhaupt gestellt werden kann, bereits mitbeantwortet: die Materie ist als Phaenomen begriffen, das sich aus dem gesetzlichen Zusammenhang der einfachen Substanzen notwendig ergibt und das insofern »wohlgegründet« ist. Daß Leibniz in dieser Deutung Locke einen Gedanken unterschiebt, der diesem selbst fern liegt, ist freilich ersichtlich..

§ 19. Philal. Wenn endlich einige die Schöpfung durch welche die Dinge aus dem Nichts hervorgebracht werden, leugnen, weil sie sie nicht begreifen können, so hält unser Autor, der, als er schrieb, Ihre Entdeckung des Grundes der Einheit von Seele und Körper noch nicht kannte, ihnen entgegen, daß sie auch nicht begreifen, wie die willkürlichen Bewegungen in den Körpern durch den Willen der Seele hervorgebracht werden, daß sie aber nichtsdestoweniger, durch die Erfahrung überzeugt, an diese Erzeugung glauben. Denen aber, welche antworten, daß die Seele, ohne eine neue Bewegung hervorbringen zu können, den Lebensgeistern nur eine neue Richtung gibt, erwidert er mit Recht, daß das eine so unbegreiflich ist als das andere Über diese (Cartesische) Erklärung der Einwirkung der Seele auf den Körper s. Band I, S. 266, 280; Band II, 454 (Monadologie § 80) u. s.. Und nichts kann richtiger sein, als das, was er bei dieser Gelegenheit hinzufügt, daß nämlich, wenn wir das, was Gott tun kann, auf das einschränken wollen, was wir begreifen können, dies heißen würde, unserer Fassungskraft eine unendliche Ausdehnung zu geben oder Gott selbst endlich zu machen.

Theoph. Obwohl meiner Ansicht nach die Schwierigkeit betreffs der Vereinigung von Leib und Seele nunmehr gehoben ist, so bleiben doch noch an anderen Punkten Schwierigkeiten zurück. Ich habe a posteriori durch die vorherbestimmte Harmonie gezeigt, daß alle Monaden ihren Ursprung in Gott haben und von ihm abhangen. Indessen kann man das Wie im einzelnen nicht begreifen, und ihre Erhaltung ist im Grunde nichts anderes als eine fortwährende Schöpfung, wie die Scholastiker dies ganz richtig erkannt haben.


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