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Kapitel XVII.
Von der Vernunft.

§ 1. Philal. Ehe wir vom Glauben besonders reden, wollen wir von der Vernunft handeln. Man versteht unter ihr mitunter klare und wahrhafte Prinzipien, mitunter Folgerungen, die aus solchen Prinzipien abgeleitet sind, mitunter die Ursache und insbesondere die Zweckursache. Hier wollen wir die Vernunft als ein Vermögen betrachten, durch das, wie man annimmt, der Mensch sich von den Tieren unterscheidet und worin seine große Überlegenheit über sie offensichtlich wird. Wir haben ihrer nötig, sowohl um unsere Erkenntnis zu erweitern, als auch um unsere Meinung zu regeln, und sie stellt, genau genommen, zwei Vermögen dar: nämlich den Scharfsinn, der in der Auffindung vermittelnder Ideen besteht, und die Fähigkeit, zu schließen oder Folgerungen zu ziehen. Wir können in der Vernunft folgende vier Stufen in Betracht ziehen: 1) die Entdeckung der Beweisgründe, 2) die Anordnung der Beweisgründe, aus der ihr Zusammenhang ersichtlich wird, 3) das Innewerden des Zusammenhangs in jedem einzelnen Teil der Ableitung, 4) das Ziehen des Schlusses. Diese Stufen kann man bei den mathematischen Beweisen beobachten.

Theoph. Der Vernunftgrund ist die erkannte Wahrheit, deren Zusammenhang mit einer anderen, weniger bekannten bewirkt, daß wir der letzteren beistimmen. Man bezeichnet ihn aber insbesondere und vorzugsweise als Vernunftgrund, sofern er nicht nur die Ursache unseres Urteils, sondern auch der Wahrheit selbst ist, und nennt ihn in dieser Hinsicht auch Grund a priori; und die Ursache in den Dingen entspricht dem ( Vernunft-) Grunde in den Wahrheiten. Darum wird die Ursache, und insbesondere die Zweckursache, oft selbst auch (Vernunft-) Grund genannt. Dies Vermögen (der Vernunft) nun ist hienieden dem Menschen allein verliehen und kommt bei anderen hier auf Erden nicht vor, denn ich habe schon früher gezeigt, daß der Schatten der Vernunft, der in den Tieren zum Vorschein kommt, nur in der Erwartung eines ähnlichen Erfolgs in Fällen, die den früheren ähnlich erscheinen, besteht, ohne daß erkannt wird, ob derselbe Grund stattfindet. Selbst die Menschen handeln in den Fällen, wo sie bloß Empiriker sind, nicht anders. Aber sie erheben sich über die Tiere, sofern sie die Verknüpfungen in den Wahrheiten einsehen: jene Verknüpfungen, sage ich, die selbst wieder notwendige und allgemeine Wahrheiten bilden. Diese sind selbst dann notwendig, wenn sie nur eine Meinung erzeugen, sofern nach einer genauen Untersuchung das Vorwiegen einer Wahrscheinlichkeit, soweit man urteilen kann, nachgewiesen werden kann; so daß alsdann zwar nicht die Wahrheit der Sache selbst, wohl aber die Richtigkeit der Entscheidung, die die Klugheit in einem solchen Fall erfordert, bewiesen wird. Bei der Einteilung des Vernunftvermögens kann man, wie ich glaube, nach einer ziemlich allgemein angenommenen Ansicht, nicht übel zwei Teile desselben, die Erfindung und das Urteil, unterscheiden. Was die vier Grade betrifft, die Sie in den Beweisführungen der Mathematiker bemerken wollen, so finde ich, daß der erste von ihnen, der darin besteht, die Beweise zu entdecken, gewöhnlich nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit hervortritt. Es handelt sich hierbei um Synthesen, die bisweilen ohne Analyse gefunden worden sind, oder bei denen mitunter die vorausgehende Analyse unterdrückt worden ist. Die Geometer stellen in ihren Beweisen zuerst den zu beweisenden Satz auf und, um zum Beweise zu gelangen, drücken sie die Data des Problems durch eine bestimmte Figur aus. Dies nennt man Ekthesis. Danach kommen sie zur Vorbereitung und ziehen Hilfslinien, deren sie für die Beweisführung bedürfen; und oft besteht die größte Kunst darin, diese Vorbereitung zu finden. Ist dies geschehen, so geben sie die Beweisführung selbst, indem sie aus dem, was in der Voraussetzung oder Ekthesis gegeben war, und aus dem, was in der Vorbereitung hinzutrat, Folgerungen ziehen, wodurch sie, indem sie zu diesem Zweck die schon bekannten oder bewiesenen Wahrheiten anwenden, zum Schlußsatz gelangen. Es gibt aber Fälle, wo man sich die Ekthesis und die Vorbereitung spart.

§ 4. Philal. Man glaubt allgemein, daß der Syllogismus das große Werkzeug der Vernunft und das beste Mittel in der Ausübung dieses Vermögens ist. Was mich betrifft, so zweifle ich daran, denn er dient nur dazu, die Verknüpfung der Beweise in einem einzigen Beispiele und nicht darüber hinaus sehen zu lassen; dies aber vermag der Geist auch ohnedies ebenso leicht, ja vielleicht noch besser zu erkennen. Auch setzen diejenigen, die sich der Schlußfiguren und Modi zu bedienen wissen, sehr oft den Wert derselben einfach im Glauben an ihre Lehrer voraus, ohne den Grund hiervon einzusehen. Wenn der Syllogismus notwendig ist, so konnte vor seiner Erfindung niemand das Geringste aus Vernunft erkennen, und man müßte sagen, daß Gott, nachdem er aus dem Menschen ein Geschöpf mit zwei Beinen gemacht, dem Aristoteles die Sorge überlassen hätte, ein vernünftiges Wesen aus ihm zu machen; d. h. aus der kleinen Anzahl von Menschen, die er dazu hätte bringen können, die Grundlagen der Syllogismen zu prüfen, unter denen es von mehr als sechzig Arten, die drei Sätze zu bilden und anzuordnen, nur ungefähr vierzehn sichere gibt. Gott hat sich jedoch den Menschen gegenüber gütiger erwiesen; er hat ihnen einen des Vernunftgebrauches fähigen Geist gegeben. Ich sage dies nicht, um Aristoteles herabzusetzen, den ich als einen der größten Männer des Altertums betrachte, dem wenige an Umfang, Feinheit, Scharfsinn des Geistes und Stärke der Urteilskraft gleichkommen, und der gerade dadurch, daß er jenes kleine System der syllogistischen Formen erfunden hat, den Gelehrten einen großen Dienst gegen diejenigen geleistet hat, die sich nicht schämen, alles zu leugnen. Jene Formen sind indessen weder das einzige, noch das beste Mittel, zu schließen, und Aristoteles selbst hat sie nicht wiederum vermittels der Formen selbst, sondern durch die ursprüngliche Einsicht in die offenbare Zusammengehörigkeit der Ideen gefunden: auch tritt die Erkenntnis, welche man von dieser Zusammengehörigkeit in der natürlichen Ordnung der mathematischen Beweise erhält, ohne die Hilfe des Syllogismus besser als mit ihr hervor.

Schließen heißt: einen Satz aus einem anderen, den man bereits als wahr ansieht, herausziehen, indem man eine gewisse Verknüpfung von Mittelbegriffen voraussetzt. So wird man z. B. daraus, daß die Menschen in der anderen Welt gestraft werden, schließen, daß sie sich hier in ihren Handlungen selbst bestimmen können. Die Verknüpfung besteht hierbei in Folgendem: Die Menschen werden gestraft werden, und Gott ist derjenige, welcher sie straft, also ist die Strafe gerecht, also ist der Gestrafte schuldig, also hätte er anders handeln können, also besitzt er Freiheit, also hat er das Vermögen, sich selbst zu bestimmen. Man sieht hier den Zusammenhang besser, als wenn man fünf oder sechs ineinander verschlungene Syllogismen vor sich hätte, in denen die Ideen umgestellt, wiederholt und in künstliche Formen eingezwängt worden wären. Es handelt sich darum, zu wissen, welche Verknüpfung eine vermittelnde Idee mit den beiden äußersten Gliedern des Syllogismus habe: aber eben dies ist der Punkt, den kein Syllogismus zeigen kann. Der Geist ist es, der diese Stellung der Ideen zueinander, indem er sie gleichsam nebeneinander legt, auf Grund seines eigenen Blickes gewahr wird. Wozu dient also der Syllogismus? Er ist in den Schulen von Nutzen, wo man sich nicht scheut, die Übereinstimmung solcher Ideen, die augenscheinlich miteinander übereinkommen, zu leugnen. Woher kommt es, daß die Menschen, wenn sie selbst die Wahrheit suchen oder wenn sie sie denen, welche sie aufrichtig zu erkennen wünschen, vortragen, niemals Syllogismen machen? Auch ist es deutlich genug, daß die Ordnung:

Mensch – organisches Wesen – lebendig,

(d. h. der Mensch ist ein organisches Wesen und ein organisches Wesen ist lebendig, also ist der Mensch lebendig) natürlicher ist, als die des Syllogismus:

Organisches Wesen – lebendig. Mensch – organisches Wesen. Mensch – lebendig.

(D. h. das organische Wesen ist lebendig, der Mensch ist ein organisches Wesen, also ist der Mensch lebendig.) Allerdings können die Syllogismen dazu dienen, eine falsche Behauptung, die sich unter dem blendenden Glanz rednerischen Schmuckes verbirgt, als solche zu erweisen, und ich habe ehemals geglaubt, daß der Syllogismus wenigstens dazu notwendig wäre, um sich vor den Sophismen zu hüten, die sich hinter blumenreichen Redewendungen verhüllen. Nach einer strengeren Prüfung habe ich jedoch gefunden, daß man die einzelnen Ideen, von denen der Schlußsatz abhängt, nur scharf von allen überflüssigen Zutaten loszulösen und sie in ihrer natürlichen Ordnung hinzustellen braucht, um ihre Inkohärenz zu zeigen. Ich habe jemand gekannt, dem die Regeln des Syllogismus vollständig unbekannt waren, der aber sofort die Schwäche und die falschen Folgerungen eines langen, künstlichen und annehmbar klingenden Vortrages bemerkte, durch den andere, in allen Feinheiten der Logik geübte Leute sich täuschen ließen, und ich glaube, daß es unter meinen Lesern wenige geben wird, die solche Personen nicht kennen. Wäre dem nicht so, so würden die Fürsten bei Dingen, die ihre Krone und Würde angehen, nicht verfehlen, in den wichtigsten Verhandlungen Syllogismen zur Anwendung zu bringen, deren Gebrauch in einem solchen Falle doch nach jedermanns Ansicht lächerlich wäre. In Asien, Afrika und Amerika hat unter den Völkern, die von den Europäern unabhängig sind, fast niemand jemals davon reden hören. Schließlich zeigt es sich, daß, alles in allem genommen, diese scholastischen Formen selbst dem Irrtum nicht weniger unterworfen sind; auch werden die Leute durch diese scholastische Methode selten zum Schweigen gebracht, und noch seltener wirklich überzeugt und gewonnen. Sie werden höchstens anerkennen, daß ihr Gegner geschickter ist, aber darum bleiben sie nichtsdestoweniger von der Gerechtigkeit ihrer Sache überzeugt. Kann man aber trügerische Schlüsse in das Gewand des Syllogismus kleiden, so muß der Trug durch irgendein anderes Mittel als den Syllogismus selbst entdeckt werden können. Ich bin jedoch nicht der Meinung, daß man die Schlußformen verwerfen, noch sich irgendeines Mittels berauben solle, das dem Verstand Hilfe zu gewähren vermag. Es gibt Augen, die Brillen nötig haben; aber wer eine Brille benutzt, soll nicht sagen, daß ohne sie niemand gut sehen kann. Das hieße die Natur allzusehr zugunsten eines künstlichen Mittels herabsetzen, dem sie vielleicht Dank schulden; wenn ihnen nicht umgekehrt begegnet ist, was viele, die sich der Brille zu viel oder zu früh bedienten, an sich erfahren haben: daß sie sich nämlich dadurch ihre Augen so verdorben haben, daß sie ohne diese Hilfe nicht mehr sehen konnten.

Theoph. Ihre Ausführung über den geringen Nutzen der Syllogismen enthält eine Fülle richtiger und schöner Bemerkungen. Man muß in der Tat zugeben, daß die scholastische Form der Vernunftschlüsse wenig in der Welt angewendet wird, und daß sie zu lang sein und Verwirrung stiften würde, wenn man sie ernstlich gebrauchen wollte. Wollen Sie dennoch glauben, daß ich die Erfindung der syllogistischen Form für eine der schönsten, ja der wichtigsten Entdeckungen des menschlichen Geistes halte? Sie ist eine Art allgemeiner Mathematik, deren Bedeutsamkeit noch nicht hinlänglich erkannt ist, und man kann sagen, daß eine Kunst der Unfehlbarkeit in ihr enthalten ist, wenn man sie wohl anzuwenden versteht und wenn diese Anwendung möglich ist, was nicht immer der Fall ist. Freilich muß man wissen, daß ich unter den förmlichen Schlüssen nicht allein jene scholastische Art der Beweisführung, deren man sich in den Schulen bedient, verstehe, sondern jedes Räsonnement, das kraft seiner Form schlüssig ist und bei dem man kein Glied zu ergänzen braucht. Demnach gelten mir ein Kettenschluß (eine Reihe von Syllogismen, bei denen die Wiederholung der einzelnen Glieder vermieden wird), ja selbst eine richtig angestellte Rechnung, ein algebraischer Calcul, eine Lösung der Infinitesimalanalysis ebenfalls nahezu als »Argumente in Form«, weil die Schlußart in ihnen vorher bewiesen worden ist, so daß man sicher ist, sich in ihr nicht zu täuschen. Auch den Beweisen des Euklid fehlt meistens nur wenig zu förmlichen Argumenten, denn wenn er scheinbare Enthymeme macht, so wird der unterdrückte und scheinbar fehlende Satz durch die Verweisung am Rande wieder eingefügt, da man hierdurch das Mittel erhält, ihn als einen schon bewiesenen aufzufinden. Dadurch wird eine große Kürze erreicht, ohne daß der Beweiskraft Abbruch geschieht. Die Umkehrungen, Zusammensetzungen und Teilungen der Verhältnisse, deren Euklid sich bedient, sind nur spezielle Beweisformen, die den Mathematikern und dem Gegenstand, von dem sie handeln, eigentümlich sind, und sie beweisen diese Formen mit Hilfe der allgemeinen Formen der Logik Vgl. oben Anm. 15 (Buch IV); unter dem »Sorites« (vgl. weiter unten) ist hier ein Kettenschluß von der Form A ist B, B ist C, C ist D, also A ist D verstanden.. Ferner muß man wissen, daß es richtige asyllogistische Folgerungen gibt, die man durch keinen Syllogismus streng beweisen kann, ohne die Termini ein wenig zu verändern, und eben diese Änderung der Termini macht den Schluß zu einem nicht-syllogistischen. Es gibt deren mehrere, wie unter anderen a recto ad obliquum, z. B.: Jesus Christus ist Gott, also ist die Mutter Jesu Christi die Mutter Gottes Die Behandlung dieser »asyllogistischen« Schlußformen geht insbesondere auf den von Leibniz hochgeschätzten Joachim Jungius (1587-1657) zurück; vgl. dessen Logica Hamburgensis von 1638 und Band I, S. 33.. Ebenso den, den tüchtige Logiker Umkehrung der Beziehung genannt haben, wie z. B. die Folgerung: Wenn David der Vater Salomons ist, so ist Salomon ohne Zweifel Davids Sohn. Auch diese Folgerungen sind indessen durch Wahrheiten, von denen die gewöhnlichen Syllogismen selbst abhängig sind, beweisbar. Übrigens sind die Syllogismen nicht nur kategorisch, sondern auch hypothetisch; und unter diesen letzteren sind die disjunktiven mit inbegriffen. Von den kategorischen kann man sagen, daß sie einfach oder zusammengesetzt sind. Die einfachen kategorischen Schlüsse sind diejenigen, die man in der gewöhnlichen Weise, d. h. nach den Modi der Figuren, aufzuzählen pflegt: und ich habe gefunden, daß die vier Figuren jede sechs Modi haben, so daß es im ganzen 24 Modi gibt. Die vier gewöhnlichen Modi der ersten Figur ergeben sich lediglich aus der Bedeutung der Zeichen für: Alle, keiner, irgendeiner. Und die beiden, die ich, um nichts außer acht zu lassen, hinzufüge, sind nur die Subalternationen der allgemeinen Sätze. Denn aus den beiden gewöhnlichen Modi: Jedes B ist C, und jedes A ist B, also ist jedes A, C; ebenso: kein B ist C, jedes A ist B, also ist kein A, C, kann man folgende zwei zusätzliche Modi machen: Jedes B ist C, jedes A ist B, also ist einiges A, C; ebenso: Kein B ist C, jedes A ist B, also ist einiges A nicht C. Denn es ist nicht nötig, die Subalternation und ihre Folgerungen: Jedes A ist C, also ist einiges A, C; oder: kein A ist C, also ist einiges A nicht C noch besonders zu erweisen, wenngleich man sie durch identische Sätze, in Verbindung mit den schon festgestellten Modi der ersten Figur auf folgende Art dartun kann: Jedes A ist C, einiges A ist A, also ist einiges A, C. Ebenso: kein A ist C, einiges A ist A, also ist einiges A nicht C. Dergestalt werden die zwei zusätzlichen Modi der ersten Figur durch die beiden ersten gewöhnlichen Modi dieser Figur mit Hilfe der Subalternation bewiesen, die selbst wieder durch die beiden anderen Modi derselben Figur beweisbar ist. Auf dieselbe Weise erhält auch die zweite Figur zwei neue Modi. Die erste und zweite Figur haben also sechs; die dritte hat von jeher sechs gehabt; der vierten pflegte man fünf zu geben, aber es findet sich, daß auch sie nach demselben Prinzip der Ergänzung sechs hat.

Man muß aber wissen, daß die logische Form uns nicht zu jener Ordnung der Sätze zwingt, die man für gewöhnlich anwendet, und ich bin Ihrer Meinung, daß die andere Anordnung: Jedes A ist B, jedes B ist C, also ist jedes A, C, besser wäre. Sie würde insbesondere durch die Kettenschlüsse, die ein Gewebe solcher Folgerungen sind, eingeführt werden. Denn hat man noch einen solchen Schluß: Jedes A ist C, jedes C ist D, also ist jedes A, D, so kann man aus diesen beiden Schlüssen eine Kette machen, in welcher die Wiederholung der einzelnen Glieder durch folgende Fassung vermieden wird: Jedes A ist B, jedes B ist C, jedes C ist D, also ist jedes A, D. Hier ist, wie man sieht, der unnütze Satz: jedes A ist C, außer acht gelassen und die unnütze Wiederholung eben dieses Satzes, die bei den beiden Syllogismen notwendig war, ist vermieden, denn dieser Satz ist fortan von keinem Nutzen mehr, und die Kette bildet auch ohne ihn ein vollständiges und formell richtiges Argument, wenn ihre Geltung ein für allemal mittels dieser beiden Syllogismen bewiesen worden ist. Es gibt eine unendliche Menge anderer, mehr zusammengesetzter Schlußketten, nicht allein, weil eine größere Zahl einfacher Schlüsse in sie eingeht, sondern auch deshalb, weil die Schlüsse, die als Bestandteile in sie eingehen, untereinander verschiedener sind, denn außer den einfach-kategorischen Schlüssen kann man auch kopulativ-kategorische, ferner neben den kategorischen auch hypothetische Schlüsse hinzuziehen, weiterhin aber außer den vollständigen Syllogismen auch Enthymeme, bei denen die Sätze, die man für an sich evident hält, unterdrückt werden, zulassen. Alles dies nun im Verein mit nicht-syllogistischen Folgerungen, mit den Umstellungen der Sätze und mit zahlreichen Wendungen und Gedanken, in welchen diese Sätze verhüllt sind – infolge der natürlichen Neigung des Geistes zur Abkürzung und der Eigentümlichkeiten der Sprache, wobei sie jedoch zum Teil im Gebrauch der Partikeln wieder zum Vorschein kommen –, ergibt eine Kette des Schlußverfahrens, durch die man jede Art Beweisführung, selbst die eines Redners, wird darstellen können; von allen ihren Zieraten entblößt und entkleidet und auf die logische Form zurückgeführt, zwar nicht im scholastischen Sinne, aber doch immer hinreichend, um die Beweiskraft nach den Gesetzen der Logik zu erkennen. Diese aber sind keine anderen als die des gesunden Menschenverstandes, methodisch geordnet und schriftlich festgelegt, und unterscheiden sich von ihnen nicht mehr als das Gewohnheitsrecht einer Provinz sich nach seiner schriftlichen Festlegung von dem früheren Zustand, in dem es als ungeschriebenes Recht galt, unterscheidet. Nur daß dieses Recht, wenn es einmal schriftlich fixiert ist und sich daher besser auf einmal übersehen läßt, uns mehr Licht gibt, um es weiter fördern und besser anwenden zu können: denn der natürliche gesunde Menschenverstand, ohne die Hilfe der Kunst, wird, wenn er mit der Analyse eines Schlußverfahrens beschäftigt ist, bisweilen wegen der Geltung der Folgerungen etwas in Verlegenheit sein, wenn er z. B. solche findet, die einen zwar gültigen, aber weniger gebräuchlichen Modus enthalten. Wenn aber ein Logiker verlangte, man solle sich einer solchen Kette nicht bedienen, oder sich selbst derselben nicht bedienen wollte unter dem Vorgeben, daß man alle zusammengesetzten Beweise stets auf einfache Schlüsse, von denen sie in der Tat abhängig sind, zurückführen müsse, so würde er, wie schon bemerkt, einem Menschen gleichen, der die Handelsleute, von denen er etwas kauft, zwingen wollte, ihm die Zahlen der Rechnung eine nach der andern vorzuzählen, wie man an den Fingern abzählt oder die Stunden nach der Stadtuhr zählt. Vermöchte er nun nicht anders zu zählen und könnte er nur an seinen Fingern finden, daß 5 und 3 8 macht, so wäre dies ein Zeichen seiner Beschränktheit, oder wenn er diese Abkürzungen kennte und sich ihrer nicht bedienen, noch anderen erlauben wollte, sie anzuwenden, ein Zeichen seines Eigensinns. Er wäre auch wie jemand, der nicht zulassen wollte, daß man die Grundsätze und schon bewiesenen Lehrsätze anwendete unter dem Vorgeben, man müsse jedes Räsonnement stets auf die ersten Prinzipien zurückführen, wodurch erst der unmittelbare Zusammenhang der Ideen, von dem in der Tat die Mittelsätze abhangen, ans Licht tritt.

Nachdem ich den Nutzen der logischen Formen auf die Art, wie er meiner Ansicht nach gefaßt werden muß, erklärt habe, komme ich zu Ihren Betrachtungen. Da sehe ich nun nicht ein, wie Sie behaupten können, daß der Syllogismus nur dazu diene, die Verknüpfung der Beweise in einem einzigen Beispiel zu erkennen. Sagt man, daß der Geist die Folgerungen stets leicht übersehe, so wird man dies nicht zutreffend finden: denn es gibt manche – wenigstens in den Beweisführungen anderer –, wo man anfangs zu zweifeln Grund hat, solange man den eigentlichen Beweis noch nicht durchschaut. In der Regel bedient man sich der Beispiele, um die Folgerungen zu rechtfertigen, das ist aber nicht immer sicher genug, obwohl es eine Kunst gibt, solche Beispiele zu wählen, daß sie sich, wenn die Folgerung nicht richtig wäre, als unrichtig ausweisen würden. Ich dächte nicht, daß es in gut geleiteten Schulen erlaubt wäre, ohne jede Scheu offenbare Zusammenhänge zwischen Ideen abzuleugnen, und glaube ebensowenig, daß man den Syllogismus dazu anwendet, um diese Zusammenhänge zu erweisen. Wenigstens ist das nicht sein einziger und hauptsächlicher Gebrauch. Man wird öfter, als man denkt, wenn man die Fehlschlüsse der Schriftsteller prüft, finden, daß sie gegen die Regeln der Logik gefehlt haben, und ich habe es selbst mitunter, sogar in schriftlichen Diskussionen mit redlichen Männern, erfahren, daß man sich erst zu verständigen anfing, wenn man, um ein Chaos von Räsonnements zu entwirren, in förmlichen Schlüssen argumentierte. Es wäre ohne Zweifel lächerlich, bei wichtigen Überlegungen auf scholastische Art mit Schlüssen zu argumentieren, wegen der lästigen und beschwerlichen Weitläufigkeiten dieses Verfahrens, und weil dies ebensoviel wäre, als an den Fingern zu zählen. Andererseits jedoch ist es nur zu wahr, daß bei den wichtigsten Überlegungen, die das Leben, den Staat und das Heil angehen, die Menschen sich oft durch das Gewicht der Autorität, durch den Glanz der Beredsamkeit, durch schlecht angebrachte Beispiele, durch Enthymeme, welche fälschlich die Evidenz dessen, was in ihnen verschwiegen wird, voraussetzen, ja selbst durch fehlerhafte Schlüsse verblenden lassen: so daß eine strenge Logik, aber von einem anderen Gepräge als die schulmäßige, ihnen nur zu notwendig wäre – unter anderem, um zu entscheiden, auf welcher Seite die größte Wahrscheinlichkeit ist. Daß übrigens der gemeine Mann die künstliche Logik nicht kennt und trotzdem richtig, ja mitunter besser, als die in der Logik Geübten zu schließen weiß, beweist deren Nutzlosigkeit ebensowenig, als man die Nutzlosigkeit der künstlichen Arithmetik damit beweisen kann, daß man bei gewöhnlichen Vorfällen manche Leute gut rechnen sieht, ohne daß sie lesen oder schreiben gelernt hätten und ohne daß sie sich auf die Handhabung der Feder oder der Rechenmarken verstünden, ja daß solche Leute selbst die Fehler eines anderen verbessern können, der rechnen gelernt hat, der sich aber in den Ziffern oder Merkzeichen versehen oder verwirren kann. Allerdings können die Schlüsse auch sophistisch werden, aber dies zu entdecken dienen dann ihre eigenen Gesetze; auch bekehren und überzeugen die Schlüsse nicht immer, aber dies liegt daran, daß durch mißbräuchliche Distinktionen und falsch verstandene Termini der Gebrauch der Syllogismen so weitläufig gemacht wird, daß er schließlich unerträglich würde, wenn man ihn bis zum Ende durchführen sollte.

Es bleibt mir hier nur übrig, Ihr Argument, das Sie als Beispiel eines klaren Vernunftschlusses ohne logische Form angeführt haben, zu betrachten und zu ergänzen. Gott straft den Menschen (dies ist eine Tatsache, die man annimmt), Gott straft den, welchen er straft, gerecht (dies ist eine Vernunftwahrheit, welche man als bewiesen ansehen kann), also straft Gott den Menschen gerecht (das ist eine syllogistische schlußgemäße Folgerung, welche aber asyllogistisch a recto ad obliquum ausgedehnt wird), also wird der Mensch gerecht bestraft (dies ist eine Umkehrung der Relation, welche man aber ihrer Evidenz wegen ausläßt), also ist der Mensch schuldig (dies ist ein Enthymem, in welchem folgender Satz, der in der Tat nur eine Definition ist, ausgelassen wird: der, den man gerecht straft, ist schuldig), also hätte der Mensch anders handeln können (man läßt den Satz aus: der, welcher schuldig ist, hätte anders handeln können), also ist der Mensch frei gewesen (man unterdrückt wiederum den Satz: wer anders hätte handeln können, ist frei gewesen), also hat er (nach der Definition des Begriffs »frei«) die Macht gehabt, sich selbst zu bestimmen, was zu beweisen war. Ich bemerke noch, daß eben dieses Wort »also« in der Tat sowohl den stillschweigend mitgedachten Satz (daß der, welcher frei ist, die Macht der Selbstbestimmung hat) in sich schließt, als auch dazu dient, die Wiederholung der Begriffe zu vermeiden. In diesem Sinne wäre also hier nichts ausgelassen, und könnte das Argument insofern als vollständig gelten. Man sieht, daß das Beweisverfahren in einer Reihe von Schlüssen besteht, die der Logik gänzlich entsprechen; denn die Materie dieses Schlusses, über die vielleicht Bemerkungen zu machen oder Aufklärungen zu verlangen wären, will ich für jetzt nicht in Betracht ziehen. Es gibt z. B. Fälle, in denen ein Mensch nicht anders handeln kann und in denen er doch vor Gott schuldig sein könnte, wie wenn es ihm z. B. lieb wäre, daß er seinem Nächsten nicht helfen kann, um eine Entschuldigung zu haben. Um abzuschließen, so gestehe ich, daß die scholastische Form des Schlußverfahrens gewöhnlich unbequem und ungenügend ist und schlecht gehandhabt wird, aber ich behaupte zugleich, daß es nichts Wichtigeres geben könnte, als die Kunst, der wahren Logik gemäß förmlich zu argumentieren, d. h. vollständig dem Inhalt und klar der Ordnung und Gültigkeit der Folgerungen nach, mögen sie an sich evident oder vorher bewiesen sein.

§ 5. Philal. Ich glaubte, daß der Syllogismus noch weniger nützlich oder vielmehr ohne allen Nutzen bei den Wahrscheinlichkeiten sei, weil er nur ein einziges topisches Argument zutage fördert. Jetzt aber sehe ich ein, daß man das, was im topischen Argument selbst Sicheres enthalten ist, d. h. eben die Wahrscheinlichkeit, die ihm zukommt, gründlich beweisen muß, und daß die Kraft der Folgerung in der Form besteht Das »topische Argument« bedeutet nach Aristoteles die Beweisführung aus dem als wahrscheinlich Angenommenen: ein Verfahren, welches Aristoteles im Gegensatz zur apodiktischen und wissenschaftlichen Beweisführung als »dialektisch« bezeichnet … Lockes Anhänger bekennt nun, eingesehen zu haben, daß auch das Wahrscheinliche mit syllogistischer Strenge auf mathematischem Wege behandelt werden könne und wenn ein bestimmtes Resultat erzielt werden soll, behandelt werden müsse. (Sch.). Vgl. hierzu oben S. 434.. § 6. Wenn indessen die Syllogismen auch zum Urteil dienlich sein mögen, so zweifle ich doch, daß sie es zur Erfindung, d. h. zur Auffindung von Beweisgründen und zur Gewinnung neuer Entdeckungen sind. Ich glaube z. B. nicht, daß die Entdeckung des 47. Lehrsatzes des ersten Buches des Euklid den Regeln der gewöhnlichen Logik zu danken ist; denn die Erkenntnis geht voraus, und erst nachträglich ist man imstande, sie in syllogistischer Form zu beweisen.

Theoph. Wenn unter den Schlüssen auch die Schlußreihen und alles, was ich förmliche Argumentation genannt habe, einbegriffen wird, so kann man sagen, daß jede Erkenntnis, die nicht an sich evident ist, durch Schlußfolgerungen gewonnen wird, welche nur richtig sind, wenn sie ihre gehörige Form haben. Beim Beweis des genannten Satzes, der das Quadrat der Hypotenuse den beiden Quadraten der Katheten gleich erklärt, teilt man das große Quadrat, wie auch die beiden kleineren, in Stücke, wobei es sich zeigt, daß die Stücke der beiden kleinen Quadrate vollständig in dem großen enthalten sind und daß in ihm nicht mehr oder weniger enthalten sein kann. Damit ist die Gleichheit in strenger Form bewiesen, und auch die Gleichheit der einzelnen Stücke wird durch genaue und förmliche Beweisgründe dargetan. Nach Pappus bestand die Analyse der Alten darin, das Gesuchte als bekannt anzunehmen und hieraus so lange Folgerungen zu ziehen, bis man zu etwas Gegebenem oder Bekanntem gelangte S. die συναγωγή des Pappus, Lib. VII. Praefatio, ed. Hultsch, p. 634 ff. Eine latein. Übersetzung des Pappus durch Commandinus war 1588 erschienen. Näheres zu dieser Definition der »analytischen Methode«, die nach Proklus' Euklidkommentar auf Platon zurückgeht, bei Hanckel, Zur Gesch. der Mathematik im Altertum u. Mittelalter. Lpz. 1874 S. 137 ff.. Wie ich bemerkt habe, ist es hierzu erforderlich, daß die Sätze reziprok sind, damit der synthetische Beweis auf den Spuren der Analyse wieder rückwärts geführt werden könne; aber es ist das immer ein Ziehen von Folgerungen. Indessen muß hier bemerkt werden, daß bei den astronomischen oder physischen Hypothesen die Umkehrung nicht statthat, aber da beweist der Erfolg auch nicht die Wahrheit der Hypothese. Er macht sie allerdings wahrscheinlich; aber da diese Wahrscheinlichkeit gegen die Regel der Logik zu verstoßen scheint, wonach Wahres auch aus Falschem erschlossen sein kann, so wird man sagen, daß die logischen Regeln bei den Wahrscheinlichkeitsfragen nicht durchweg Geltung haben. Ich antworte, es sei zwar möglich, daß Wahres aus Falschem geschlossen werde, aber nicht immer wahrscheinlich, besonders wenn eine einfache Hypothese von vielen Wahrheiten Rechenschaft gibt, was selten ist und schwer zustande kommt. Man könnte mit Cardanus sagen, daß die Logik des Wahrscheinlichen andere Folgerungen als die Logik der notwendigen Wahrheiten hat; doch muß selbst die Wahrscheinlichkeit dieser Folgerungen vermöge der Folgerungen der Logik des Notwendigen bewiesen werden.

§ 3. Philal. Sie scheinen die Verteidigung der gemeinen Logik zu führen, aber ich sehe wohl, daß, was Sie vorbringen, einer höheren Logik angehört, zu der sich die gemeine wie das ABC zur Wissenschaft verhält. Mich erinnert das an eine Stelle des scharfsinnigen Hooker, welcher in seinem Buche über die Kirchenpolitik, Buch I, § 6, die Überzeugung ausspricht, daß, wenn man die rechten Hilfsmittel des Wissens und der Kunst des Räsonnements liefern könnte, die man in unserem für aufgeklärt geltenden Zeitalter nur wenig kennt und um die man sich wenig Mühe gibt, zwischen denen, die sich ihrer bedienen würden und den Menschen von heute hinsichtlich der Gründlichkeit des Urteils ein ebenso großer Unterschied bestehen würde, wie zwischen den Menschen von heute und den Schwachsinnigen. Ich wünschte, daß unsere Unterhaltung manchen zur Veranlassung würde, die wahren Hilfsmittel jener Kunst zu finden, von der dieser große Mann redet, der einen so durchdringenden Geist hatte Hooker, The laws of ecclesiastical policy.. Das werden nicht die Nachahmer sein, die wie das Vieh dem betretenen Wege folgen ( imitatorum servum pecus S. Horaz, Episteln L. I, ep. 19, V. 19 (Sch.).). Ich wage indes die Behauptung, daß es in unserem Jahrhundert Männer von solcher Urteilskraft und von so großem Umfange des Geistes gibt, daß sie für den Fortschritt der Erkenntnis neue Wege eröffnen könnten, wenn sie sich die Mühe nehmen wollten, ihre Gedanken diesem Gegenstande zuzuwenden.

Theoph. Sie haben mit dem verstorbenen Hooker richtig bemerkt, daß die Welt sich hierum wenig bemüht; sonst glaube auch ich, daß es Leute gegeben hat und noch gibt, die imstande wären, hierin etwas zu leisten. Man muß indessen gestehen, daß wir gegenwärtig sowohl seitens der Mathematik als seitens der Philosophie große Hilfsmittel besitzen, unter denen der » Versuch über den menschlichen Verstand« von Ihrem ausgezeichneten Freunde nicht das geringste ist. Wir wollen sehen ob wir nicht daraus Nutzen ziehen können.

§ 8. Philal. Ich muß Ihnen noch sagen, daß ich in den Regeln des Syllogismus ein offenbares Mißverständnis zu bemerken glaubte; im Laufe unserer Unterredung aber haben Sie mich hierin wankend gemacht. Gleichwohl will ich Ihnen mein Bedenken vortragen. Man sagt, kein Schlußverfahren könne beweiskräftig sein, wenn es nicht wenigstens einen allgemeinen Satz enthalte. Nun scheint es aber, daß nur die besonderen Dinge den unmittelbaren Gegenstand unserer Schlußfolgerungen und unserer Erkenntnisse bilden: denn diese Erkenntnisse beschäftigen sich lediglich mit der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung der Ideen, deren jede nur ein besonderes Dasein hat und nur ein einzelnes Ding darstellt.

Theoph. Sobald Sie die Ähnlichkeit zwischen den Dingen denken, denken Sie darin schon etwas mehr, und nur darin besteht eben die Allgemeinheit. Sie werden kein einziges unserer Argumente vorbringen können, ohne dabei allgemeine Wahrheiten anzuwenden. Zu bemerken ist jedoch, daß man hinsichtlich der Form die besonderen Sätze unter die allgemeinen begreift. Denn obwohl es in Wahrheit nur einen Apostel Petrus gegeben hat, so kann man doch sagen, daß, wer auch immer der Apostel Petrus gewesen ist, dieser seinen Herrn und Meister verleugnet hat. Der Schluß: »Petrus hat seinen Herrn und Meister verleugnet; Petrus ist Jünger gewesen, also hat ein Jünger seinen Herrn und Meister verleugnet« enthält also zwar nur besondere Urteile als Obersätze, aber in allgemein bejahender Form, so daß er dem Modus Darapti der dritten Figur zuzurechnen sein wird.

Philal. Ich wollte Ihnen noch sagen, daß es mir besser schiene, die Prämissen des Syllogismus umzustellen und zu sagen: Jedes A ist B, jedes B ist C, also ist jedes A, C; statt: jedes B ist C, jedes A ist B, also ist jedes A, C. Nach dem, was Sie gesagt haben, scheint es aber, daß man sich hiervon in der Tat nicht entfernt und daß man beide Arten zu demselben Modus zählt. Immerhin ist, wie Sie bemerkt haben, die Anordnung, die von der gewöhnlichen Logik abweicht, geeigneter, eine Kette von mehreren Syllogismen zu bilden.

Theoph. Ich bin durchaus Ihrer Ansicht. Man scheint indessen geglaubt zu haben, daß es für den Lehrzweck besser sei, mit allgemeinen Sätzen, wie es die Obersätze in der ersten und zweiten Figur sind, zu beginnen, und es gibt auch Redner, die diese Gewohnheit haben. Aber der Zusammenhang tritt in der Ordnung, die Sie vorschlagen, doch besser hervor Die traditionelle Anordnung, bei der der Obersatz vorangestellt wird, geht auf Aristoteles, die umgekehrte, die den Untersatz voranstellt, insbesondere auf Petrus Ramus und Gassendi zurück.. Ich habe früher bemerkt, daß Aristoteles einen besonderen Grund für die gewöhnliche Anordnung gehabt haben kann. Denn statt zu sagen: A ist B, sagt er gewöhnlich: B ist in A. Indem er nun diese Ausdrucksweise anwendet, so muß für ihn gerade die von Ihnen geforderte Verbindung jene in der traditionellen Logik übliche Stellung ergeben. Denn statt zu sagen: B ist C, A ist B, also ist A, C, wird er nun sagen: C ist in B, B ist in A, also ist C in A. Statt z. B. zu sagen: Das Rechteck ist isogon (oder hat gleiche Winkel), das Quadrat ist ein Rechteck, folglich ist das Quadrat isogon, wird Aristoteles, ohne die Sätze umzustellen, durch diese Formulierung der Sätze, in welcher die Termini in ihrer Stellung umgekehrt sind, dem medius terminus seine mittlere Stelle erhalten und sagen: Das Isogone ist im Rechteck, das Rechteck ist im Quadrat, also ist das Isogone im Quadrat. Auch ist diese Ausdrucksweise nicht zu verachten, denn in der Tat ist das Prädikat im Subjekt oder auch die Idee des Prädikats in der des Subjekts inbegriffen. Z. B. das Isogone ist im Rechteck, denn das Rechteck ist diejenige Figur, deren sämtliche Winkel als rechte untereinander gleich sind; also ist in der Idee des Rechtecks die Idee einer Figur enthalten, deren sämtliche Winkel gleich sind, was eben die Idee des Isogonen ist. Die gewöhnliche Art der Urteilsstellung bezieht sich mehr auf die Individuen, während die des Aristoteles vorzugsweise auf die Ideen oder Universalien geht. Denn, sage ich: Jeder Mensch ist ein lebendes Wesen, so will ich sagen, daß alle Menschen unter allen lebenden Wesen enthalten sind; aber gleichzeitig verstehe ich darunter, daß die Idee des lebenden Wesens in der des Menschen inbegriffen ist. »Lebendes Wesen« umfaßt mehr Individuen als »Mensch«, aber Mensch umfaßt mehr Ideen oder Wesensbestimmungen; das eine hat mehr Exemplare, das andere mehr Realitätsgrade; das eine hat mehr Umfang, das andere mehr Inhalt. Auch kann man in der Tat sagen, daß die ganze Lehre vom Schluß durch die Lehre de continente et contento, d. h. von dem Enthaltenden und dem Enthaltenen, bewiesen werden könnte; welche von der Lehre vom Ganzen und Teil verschieden ist, denn das Ganze ist immer größer als der Teil, aber das Enthaltende und das Enthaltene sind sich mitunter gleich, wie dies in den reziproken Sätzen der Fall ist Vgl. hierzu die »Initia rerum mathematicarum metaphysica« Band I, S. 56 und die Abhandl. »Specimen Geometriae luciferae« Math. VII, 261: »Doctrina de coincidente aut non coincidente est ipsa doctrina logica de formis syllogismorum«. Leibniz hat hier das Grundprinzip der modernen algorithmischen Logik formuliert, vgl. Couturat, La Logique de Leibniz, S. 305..

§ 9. Philal. Ich fange an, mir eine ganz andere Vorstellung von der Logik zu bilden, als ich sie früher hatte. Ich nahm sie für ein Schülerspiel, jetzt aber sehe ich, daß es, auf die Art, wie Sie es verstehen, gleichsam eine allgemeine Mathematik in ihr gibt. Gebe Gott, daß man sie über ihren gegenwärtigen Stand hinaus noch weiter fördere, damit wir darin jene wahren Hilfsmittel der Vernunft finden können, von denen Hooker sprach und die den Menschen weit über seinen gegenwärtigen Zustand hinausheben würden. Die Vernunft ist ein Vermögen, das solcher Hilfsmittel um so mehr bedarf, als ihr Umfang recht beschränkt ist, und als sie uns bei vielen Gelegenheiten im Stich läßt. Dies ist der Fall: 1) weil uns oft schon die Ideen selbst fehlen (§ 10), und dann 2) weil sie oft dunkel und unvollkommen sind, während wir dort, wo sie klar und distinkt sind, wie bei den Zahlen, keine unübersteiglichen Schwierigkeiten finden und in keinen Widerspruch geraten. § 11. Oft stammt 3) die Schwierigkeit auch daher, daß uns die vermittelnden Ideen fehlen. Man weiß, wie man vor der Entdeckung der Algebra, dieses großen Werkzeuges und dieser erlesenen Probe menschlichen Scharfsinns, manche Beweise der alten Mathematiker mit Staunen betrachtete. § 12. Es kommt auch vor, daß man 4) auf falschen Prinzipien fußt, was auf Schwierigkeiten führen kann, bei denen uns die Vernunft statt uns aufzuklären, nur noch um so mehr in Verwirrung bringt. § 15. Endlich wird die Vernunft auch 5) durch Termini, deren Bedeutung unbestimmt ist, gehemmt.

Theoph. Ich weiß nicht, ob es uns so sehr an Ideen, d. h. an distinkten Ideen, mangelt, als man glaubt. Was die verworrenen Ideen, oder vielmehr die sinnlichen Bilder oder, wenn Sie wollen, Eindrücke betrifft, wie Farben, Geschmäcke usw., die ein Resultat mehrerer an sich deutlicher, von uns jedoch nicht deutlich apperzipierter Ideen sind, so fehlen uns hiervon unendlich viele, die für andere Geschöpfe passender als für uns sind. Aber diese Eindrücke dienen auch mehr als Grundlage der Instinkte und der empirischen Beobachtungen, als daß sie für die Vernunfterkenntnis Stoff darbieten – es sei denn, daß sie von deutlichen Perzeptionen begleitet sind. Das hauptsächlichste Hemmnis liegt also in der mangelhaften Erkenntnis, die wir von den deutlichen Ideen besitzen, welche in den verworrenen Vorstellungen verborgen sind; und selbst wenn sich unseren Sinnen oder unserem Geiste alles in voller Bestimmtheit darstellt, so verwirrt uns mitunter die Menge der Dinge, die in Betracht zu ziehen sind. Wenn man z. B. einen Haufen von 1000 Kugeln vor Augen hat, so ist es offenbar, um die Zahl und die Eigenschaften dieser Menge zu übersehen, von großem Wert, sie in Figuren zu ordnen, wie man dies in den Magazinen tut, um eine deutliche Vorstellung von ihnen zu gewinnen, ja sie sogar derart in eine feste Ordnung zu bringen, daß man sich die Mühe sparen kann, sie mehr als einmal zu zählen. Die Vielheit der Umstände, die zu beachten sind, bewirkt auch, daß sogar in der Wissenschaft der Zahlen sehr große Schwierigkeiten vorkommen, denn man sucht in ihr nach Abkürzungen und weiß mitunter nicht, ob die Natur in ihren geheimen Tiefen für den Fall, um den es sich handelt, solche zur Verfügung hat. Gibt es z. B. dem Anschein nach etwas Einfacheres als den Begriff der Primzahl?, d. h. einer ganzen Zahl, die durch keine andere, ausgenommen durch die Einheit und sich selbst, teilbar ist. Dennoch sucht man noch immer nach einem positiven und leichten Merkmal, um solche Zahlen mit Sicherheit zu erkennen, ohne alle Primfaktoren auszuprobieren, welche kleiner sind als die Quadratwurzel der gegebenen Primzahl. Es gibt eine Menge von Kennzeichen, vermöge deren man ohne viel Rechnen erkennen kann, daß diese oder jene Zahl keine Primzahl ist; aber man verlangt hier eines, um eine Zahl wenn sie eine Primzahl ist, als solche leicht und sicher zu erkennen. Dies hat auch zur Folge, daß die Algebra noch immer so unvollkommen ist, obgleich es nichts besser Bekanntes gibt, als die Ideen, deren sie sich bedient, weil sie nur die Zahlen im allgemeinen bezeichnen; denn bis jetzt ist noch keine Methode veröffentlicht worden, auf Grund deren man die irrationalen Wurzeln irgendeiner Gleichung über den vierten Grad hinaus (einen einzigen, sehr beschränkten Fall ausgenommen) ziehen könnte. Auch sind die Methoden, deren sich Diophant, Scipio Du Fer und Louis von Ferrara für die Gleichungen zweiten, dritten und vierten Grades bedient haben, um sie auf den ersten Grad zu reduzieren oder um eine unreine Gleichung in eine reine zu verwandeln, alle untereinander verschieden Diophants Reduktion der gemischten quadratischen Gleichungen auf Gleichungen des ersten Grades findet sich im 6. Buche seiner Αριθμητικά. Scipione del Ferro wirkte von 1496-1526 als Lehrer der Mathematik in Bologna; seine Methode zur Auflösung kubischer Gleichungen von der Form x3 + ax = b wird von Cardano in seiner »Ars magna de Regulis Algebraicis« erwähnt. Luigi Ferrari ist ein Schüler Cardanos, der in dessen bekannten Prioritätsstreit mit Tartaglia für ihn eintrat. (Näheres bei Cantor, Gesch. der Mathem.3 I, 433 ff., II, 482 ff.)., d. h. die, welche für einen Grad gilt, unterscheidet sich von der, die für einen anderen gilt Im Text: c'est à dire celle qui sert pour un degré, differe un degré de celle qui sert pour l'autre; in der Übersetzung sind die kursiv gesetzten Worte, die wohl auf einen Schreibfehler zurückgehen, gestrichen worden.. Denn der zweite Grad oder die quadratische Gleichung wird dadurch auf den ersten zurückgeführt, daß man nur das zweite Glied wegschafft. Der dritte Grad oder die kubische Gleichung ist dadurch gelöst worden, daß durch die Zerlegung des Unbekannten in Teile glücklicherweise eine Gleichung des zweiten Grades sich herausbringen läßt. Im vierten Grad oder bei den biquadratischen Gleichungen fügt man beiden Seiten der Gleichung etwas hinzu, um aus beiden Seiten die Wurzel ziehen zu können, und wieder findet es sich glücklicherweise, daß man, um zu diesem Zweck zu gelangen, nur eine kubische Gleichung nötig hat. Aber dies alles ist nur eine Mischung von Glück und Zufall mit Kunst oder Methode; und als man dieses Verfahren auf die beiden letzten Grade anzuwenden versuchte, wußte man noch nicht, ob es gelingen würde. Auch ist noch ein anderer Kunstgriff nötig, um beim fünften oder sechsten Grade zum Ziel zu kommen. Und obwohl Descartes geglaubt hat, daß die Methode, deren er sich bei den Gleichungen vierten Grades bedient hat, indem er nämlich die Gleichung als aus zwei anderen quadratischen Gleichungen entstanden betrachtet (ein Verfahren, das aber im Grunde nicht mehr leisten kann, als das des Louis von Ferrara), auch bei den Gleichungen sechsten Grades von Erfolg sein werde, so hat sich dies nicht bestätigt Vgl. Descartes' Geometrie, Livre III (Paris 1564, S. 108 ff.). Diese Schwierigkeit zeigt, daß selbst die klarsten und distinktesten Ideen uns nicht immer alles geben, was man verlangt und was sich aus ihnen gewinnen läßt. Und auch hieraus ergibt sich, daß die Algebra weit entfernt ist, die Erfindungskunst zu sein, weil sie selbst einer noch allgemeineren Kunst bedarf; ja man kann sagen, daß die allgemeine figürliche Charakteristik, d. h. die Kunst der Zeichen, ein erstaunliches Hilfsmittel ist, weil sie die sinnliche Vorstellung entlastet. Man kann nicht zweifeln, daß die Alten etwas dieser Art gehabt haben, wenn man die Arithmetik des Diophant und die geometrischen Bücher des Apollonius und Pappus sieht. Vieta hat ihr eine größere Ausdehnung gegeben, indem er nicht nur die Unbekannte der Gleichung, sondern auch die gegebenen Zahlen durch allgemeine Charaktere ausdrückte und hierbei in der Rechnung tat, was Euklid schon beim Beweis getan hatte. Descartes hat sodann den Gebrauch dieser Rechnung auf die Geometrie ausgedehnt, indem er die Linien durch die Gleichungen bezeichnete. Noch nach der Entdeckung unserer modernen Algebra hat jedoch Bouillaud (Ismael Bullialdus) Ismael Boulliau (1605-1694)., ein ohne Zweifel ausgezeichneter Mathematiker, den ich noch in Paris gekannt habe, des Archimedes Beweisführungen über die Spirale nur mit Verwunderung betrachtet und konnte nicht begreifen, wie dieser große Mann darauf gekommen wäre, die Tangente dieser Linie für die Messung des Kreises zu benutzen. Der Pater Gregor von St. Vincent scheint dies richtig erraten zu haben, indem er annimmt, daß er durch den Parallelismus der Spirale mit der Parabel daraufgekommen sei Gregorius v. Sanct Vicentius (1584-1667); vgl. sein Opus geometricum quadraturae circuli et sectionum coni (1647).. Aber diese Methode ist nur eine spezielle, während die neue Infinitesimalrechnung, welche mittels der Differenzen fortschreitet, auf welche ich gekommen bin und welche ich mit Erfolg veröffentlicht habe, ein allgemeines Verfahren angibt, dem gegenüber jene Entdeckung vermittelst der Spirale nur ein Spiel und ein ganz leichter Versuch ist, wie fast alles, was man bisher über die Dimensionen der krummen Linien gefunden hatte. Der Vorteil dieser neuen Rechnungsart besteht ferner auch darin, daß sie die sinnliche Vorstellung aus dem Spiel bringt – bei den Problemen, die Descartes aus seiner Geometrie ausgeschlossen hatte, unter dem Vorwand, daß sie meist nur eine mechanische Lösung zulassen, im Grunde aber deshalb, weil sie sich für seinen Calcul nicht eigneten Descartes hatte sich bekanntlich auf die Untersuchung algebraischer Kurven beschränkt, alle jene Linien aber, die sich nicht in algebraischen Gleichungen bestimmten Grades ausdrücken lassen, als »mechanische Kurven« von der Geometrie ausgeschlossen; vgl. seine Geometrie Buch I.. Was die Irrtümer betrifft, welche aus zweideutigen Ausdrücken entstehen, so hängt es von uns ab, sie zu vermeiden.

Philal. Es gibt noch einen Fall, wo die Vernunft nicht angewandt werden kann, wo man ihrer aber auch nicht bedarf und wo der Blick mehr gilt, als die Vernunft. Dies findet bei der intuitiven Erkenntnis statt, in welcher der Zusammenhang der Ideen und Wahrheiten unmittelbar angeschaut wird. Von dieser Art ist die Erkenntnis der unzweifelhaften Grundsätze, und ich bin zu glauben versucht, daß dies derjenige Grad der Evidenz ist, welchen die Engel schon jetzt haben, und den die Geister der Gerechten, wenn sie zur Vollendung gelangt sind, in einem zukünftigen Stande über Unzähliges, was gegenwärtig unserem Verstande entgeht, haben werden. § 15. Das Beweisverfahren indes, das sich auf vermittelnde Ideen gründet, gibt eine Vernunfterkenntnis. Denn die Verknüpfung der vermittelnden Idee mit den äußersten Gliedern der Schlußfolge ist notwendig und wird durch eine Nebeneinanderstellung beider mit Evidenz erkannt, so daß hier ein ähnlicher Fall vorliegt, als wenn man eine Elle bald an dies Stück Tuch, bald an ein anderes anlegt, um die Gleichheit beider zu zeigen. § 16. Wenn aber der Zusammenhang nur wahrscheinlich ist, so ergibt das Urteil nur eine Meinung.

Theoph. Gott allein hat den Vorzug, nur intuitive Erkenntnisse zu haben. Die seligen Geister aber, wenn sie auch von unseren groben Körpern losgelöst sind, und selbst die Genien, mögen sie noch so erhaben sein, müssen, trotzdem ihre Erkenntnisart der intuitiven unvergleichlich näher als die unsere steht und trotzdem sie oft mit einem Blicke durchschauen, was wir nur auf Grund von Folgerungen mit der Zeit und mit Mühe finden, doch auch auf ihrem Erkenntniswege Schwierigkeiten finden, denn sonst wäre ihnen die Lust, Entdeckungen zu machen, die eine der größten ist, versagt. Jedenfalls muß man zugestehen, daß es eine unzählige Menge Wahrheiten geben wird, die ihnen entweder für immer oder zeitweilig verborgen sind und zu denen sie nur mittels Folgerungen und auf Grund der Beweisführung, ja oft nur auf Grund von Vermutungen gelangen können.

Philal. Also sind diese Genien, wenngleich vollkommen, so doch Wesen wie wir, und es ist, als wenn Sie, wie Harlekin als Kaiser des Mondes, sagten: alles geht wie hier bei uns zu.

Theoph. Das will ich auch sagen, wenn auch nicht in jeder Hinsicht, so doch was den Grund der Dinge angeht: denn die Arten und Stufen der Vollkommenheit sind bis ins Unendliche verschieden. Der Grund ist indessen überall derselbe, was in meinem System eine Fundamentalregel ist, die meine ganze Philosophie beherrscht. So denke ich die unbekannten oder nur verworren bekannten Dinge nur nach Maßgabe derer, welche uns deutlich bekannt sind, ein Grundsatz, durch den die Philosophie leicht wird und den man, wie ich glaube, notwendig auf diese Art gebrauchen muß. Wenn aber diese Philosophie, was den Grund der Dinge betrifft, die einfachste ist, so ist sie, was die Arten der Ausführung des Grundplans betrifft, die reichste: denn die Natur kann diese Arten ins Unendliche variieren, wie sie es auch in der Tat, und zwar mit so viel Fülle und so viel Schmuck und Ordnung tut, als man sich nur vorstellen kann. Aus diesem Grunde glaube ich, daß es keinen noch so erhabenen Geist gibt, welcher nicht unendlich viel andere über sich hat. Obschon wir nun aber so vielen vernünftigen Wesen nachstehen, so haben wir doch den Vorteil, auf diesem unserem Erdballe in allem Sichtbaren nicht unseresgleichen zu haben und ohne Widerrede den ersten Rang einzunehmen, so daß wir bei aller Unwissenheit, in der wir stecken, doch immer das Vergnügen haben, nichts zu erblicken, was uns übertrifft. Und wenn wir eitel wären, so könnten wir wie Cäsar denken, welcher lieber der Erste in einem Dorf als in Rom der Zweite sein wollte. Übrigens rede ich hier nur von den natürlichen Erkenntnissen dieser Geister, und nicht von der seligen Schau, noch von den übernatürlichen Erleuchtungen, welche ihnen Gott gewähren kann.

§ 10. Philal. Da jeder sich der Vernunft entweder für sich selbst oder einem anderen gegenüber bedient, so wird es nicht überflüssig sein, einige Betrachtungen über vier Arten von Argumenten anzustellen, die die Menschen zu brauchen pflegen, um andere für ihre Ansicht zu gewinnen oder um sie wenigstens in einer Art von Respekt zu erhalten, der sie am Widerspruch verhindert. Das erste Argument kann man Argumentum ad verecundiam nennen; es besteht darin, daß man die Meinung derer anführt, welche durch ihr Wissen, ihren Rang, ihre Macht oder aus irgendeinem anderen Grunde Ansehen gewonnen haben; denn wenn ein anderer sich daraufhin nicht sogleich ergibt, so ist man geneigt, ihm vorzuwerfen, daß er voller Eitelkeit sei, ja ihn selbst der Unverschämtheit zu zeihen § 20. Es gibt zweitens ein argumentum ad ignorantiam, sofern man nämlich fordert, daß der Gegner den Beweis annehme oder einen besseren vorbringe. § 21. Es gibt 3) ein argumentum ad hominem, wenn man jemand durch das, was er selbst gesagt hat, in die Enge treibt. § 22. Endlich gibt es 4) ein argumentum ad judicium, welches darin besteht, Beweismittel anzuwenden, die aus irgendeiner Quelle der Erkenntnis oder der Wahrscheinlichkeit hergeleitet sind: und dieses ist das einzige von allen, was uns vorwärts bringt und belehrt, denn wenn ich vor Respekt nicht zu widersprechen wage oder nichts Besseres zu sagen weiß oder mir selbst widerspreche, so folgt daraus nicht, daß der andere recht hat. Ich kann bescheiden, unwissend, im Irrtum sein, und bei alledem kann es sich herausstellen, daß auch mein Gegner sich getäuscht hat.

Theoph. Man muß ohne Zweifel einen Unterschied zwischen dem machen, was zu sagen angebracht ist, und zwischen dem, was man als wahr zu glauben hat. Da indessen die meisten Wahrheiten kühn behauptet werden können, so besteht gegen eine Meinung, die man verhehlen muß, ein gewisses Vorurteil. Das Argument ad ignorantiam ist gut in den Fällen, wo es sich um eine Mutmaßung handelt, bei der es vernünftig ist, sich so lange an eine Meinung zu halten, bis das Gegenteil bewiesen wird. Das Argument ad hominem hat die Wirkung zu zeigen, daß die eine oder die andere Behauptung des Gegners falsch ist und daß dieser also, wie man es auch nehme, sich geirrt hat. Man könnte noch andere Argumente, deren man sich bedient, anführen, zum Beispiel das, welches man ad vertiginem nennen könnte, wobei man so schließt: Wenn dieser Beweis nicht angenommen wird, haben wir gar kein Mittel, über den Punkt, um den es sich handelt, zur Gewißheit zu kommen; was man als eine Ungereimtheit betrachtet. Dieses Argument ist in gewissen Fällen brauchbar, z. B. dann, wenn jemand die ursprünglichen und unmittelbaren Wahrheiten, z. B. daß nichts zu derselben Zeit sein und nichtsein kann oder daß wir selbst existieren, leugnen wollte; denn wenn er recht hätte, würde es kein Mittel geben, irgend etwas zu erkennen. Wenn man sich aber gewisse Prinzipien gemacht hat und sie aufrechterhalten will, weil sonst das ganze System irgendeiner einmal angenommenen Lehre zusammenfallen würde, so ist das Argument nicht entscheidend, denn man muß zwischen dem unterscheiden, was zur Aufrechterhaltung unserer Erkenntnisse notwendig ist, und dem, was nur unseren angenommenen Meinungen oder unserem praktischen Verhalten als Stütze dient. Man hat bei den Juristen mitunter eine ähnliche Schlußart gebraucht, um die Verurteilung oder Tortur angeblicher Zauberer auf die Aussagen anderer, desselben Verbrechens Angeklagter hin zu rechtfertigen; denn, sagte man, wenn dies Argument fällt, wie wollen wir sie überführen? Auch behaupten bisweilen manche Autoren im Strafrecht, daß bei Tatsachen, bei denen es schwieriger ist, zu einer vollständigen Überführung zu gelangen, leichtere Beweise als genügend gelten können. Aber dies ist kein vernünftiger Grund. Es beweist nur, daß man mehr Sorgfalt anwenden muß, nicht aber, daß man leichter glauben dürfe, ausgenommen in Fällen äußerst gefährlicher Verbrechen, wie in Sachen des Hochverrats, wo diese Erwägung von Gewicht ist, nicht um jemand zu verdammen, sondern um ihn zu verhindern, Schaden anzurichten. Hier kann es also ein Mittelding, nicht zwischen Schuldig und Unschuldig, wohl aber zwischen Verurteilung und Landesverweisung geben, bei solchen Urteilen, bei denen das Gesetz und die Gewohnheit dies zulassen. Eines ähnlichen Argumentes hat man sich seit einiger Zeit in Deutschland bedient, um das Schlagen schlechter Münze zu beschönigen; denn, (sagte man), wenn man sich an die vorgeschriebenen Regeln halten wollte, würde man nicht ohne Verlust Münzen schlagen können. Es muß also erlaubt sein, den Metallgehalt zu verschlechtern. Aber abgesehen davon, daß man alsdann nur das Gewicht und nicht den Metallgehalt oder den Münzwert verringern dürfte, um die Falschmünzerei besser zu verhüten, so setzt man hier ein Verhalten als notwendig voraus, das es in keiner Weise ist; denn es gibt kein göttliches Gebot oder menschliches Gesetz, welches jemanden nötigt, Geld zu schlagen, wenn er weder Bergwerke hat, noch sich Silber in Barren verschaffen kann; und Geld aus Geld zu schlagen ist ein schlechter Gebrauch, der natürlicherweise die Verschlechterung nach sich zieht. Aber wie wollen wir, (sagen sie), unser Münzregal ausüben? Die Antwort ist leicht. Begnügt euch damit, etwas Weniges in gutem Silber auszumünzen, selbst mit einem kleinen Verlust, wenn ihr glaubt, es sei für euch von solcher Wichtigkeit, unter den Prägstock gebracht zu werden, ohne daß ihr es nötig hättet oder dazu berechtigt wäret, die Welt mit schlechtem Gelde zu überschwemmen.

§ 23. Philal. Nachdem wir ein Wort über unsere Vernunft im Verhältnis zu anderen Menschen gesagt haben, wollen wir etwas über sie, in ihrem Verhältnis zu Gott, hinzufügen. Hier haben wir zwischen dem, was gegen die Vernunft, und dem, was über die Vernunft ist, zu unterscheiden. Von der ersteren Art ist alles, was mit unseren klaren und distinkten Ideen unverträglich ist; von der zweiten jede Ansicht, von der wir nicht einsehen, daß ihre Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit aus der Sinnlichkeit oder der Reflexion mit Hilfe der Vernunft abgeleitet werden kann. So ist das Dasein von mehr als einem Gott gegen die Vernunft, die Auferstehung der Toten aber über die Vernunft.

Theoph. Was ihre Definition dessen, was über die Vernunft ist, betrifft, so finde ich hierüber, wenigstens wenn Sie diesen Ausdruck in seinem gewöhnlichen Sinne nehmen, noch etwas zu bemerken. Denn mir scheint, daß auf die Art, wie diese Definition gefaßt ist, sie einerseits zu weit und andererseits nicht weit genug geht. Folgen wir ihr, so würde alles, was wir nicht wissen und in unserem gegenwärtigen Zustand nicht zu erkennen vermögen, z. B. ob dieser oder jener Fixstern größer oder kleiner ist als die Sonne, oder ob der Vesuv in diesem oder jenem Jahr Feuer speien wird, über die Vernunft sein. Doch sind dies Tatsachen, deren Erkenntnis uns nicht darum, weil sie über die Vernunft, sondern weil sie über die Sinne hinausgehen, zu hoch ist; denn wir könnten hierüber sehr wohl urteilen, wenn wir vollkommenere Organe und eine genauere Kenntnis der Umstände besäßen. Es gibt ferner Schwierigkeiten, die zwar über unser gegenwärtiges Vermögen, aber nicht über die Vernunft überhaupt, hinausgehen, z. B. gibt es hier auf Erden keinen Astronomen, der eine Sonnenfinsternis im Zeitraume eines Paternosters und ohne die Feder zur Hand zu nehmen, genau berechnen könnte, während es vielleicht Genien gibt, denen dies nur ein Spiel wäre. All dies also ließe sich mit Hilfe der Vernunft erkennen oder ausführen, wenn man eine genauere Bekanntschaft mit den Tatsachen, vollkommenere Organe und einen erhabeneren Geist voraussetzt.

Philal. Dieser Einwurf fällt weg, wenn ich meine Definition nicht allein von unserer Sinnlichkeit oder Reflexion, sondern auch von der jedes möglichen anderen geschaffenen Geistes verstehe.

Theoph. Wenn Sie es so nehmen, haben Sie recht. Aber es wird dann die andere Schwierigkeit übrig bleiben, daß nämlich Ihrer Definition zufolge nichts mehr über die Vernunft geht, weil Gott immer die Mittel dazu gewähren könnte, irgendeine beliebige Wahrheit mit Hilfe der Sensation und Reflexion zu erkennen, wie in der Tat die größten Mysterien uns durch das Zeugnis Gottes bekannt werden, das man auf Grund der Motive zum Glauben, auf denen unsere Religion ruht, anerkennt. Diese Motive nun sind ohne Zweifel von der Sensation und Reflexion abhängig. Nicht dies also scheint die Frage zu sein, ob das Vorhandensein einer Tatsache oder die Wahrheit eines Satzes aus den Voraussetzungen abgeleitet werden kann, deren sich die Vernunft bedient, – d. h. aus der Sinnlichkeit und der Reflexion oder auch aus dem äußeren und inneren Sinne –, sondern ob ein erschaffener Geist das Wie dieser Tatsache oder den apriorischen Grund dieser Wahrheit zu erkennen fähig ist; so daß man sagen kann, daß das, was über die Vernunft ist, mit den Methoden und Kräften der erschaffenen Vernunft, so groß und erhaben sie immer sein mag, zwar ergriffen, aber nicht begriffen werden kann. Gott allein ist es vorbehalten, es zu verstehen, wie ihm allein zukommt, es auszuüben.

Philal. Diese Betrachtung scheint mir triftig, und auf diese Weise will ich meine Definition verstanden wissen. Auch bestärkt mich eben diese Betrachtung in meiner Meinung, daß die Ausdrucksweise, nach welcher die Vernunft dem Glauben entgegengesetzt wird, obgleich sie große Autorität genießt, dennoch ungehörig ist: denn durch die Vernunft eben verifizieren wir das, was wir glauben müssen. Der Glaube ist eine feste Zustimmung, und eine Zustimmung kann, richtig gehandhabt, nur auf gute Gründe hin gegeben werden. Wer glaubt, ohne irgendeinen Grund zum Glauben zu besitzen, der mag in seine Einbildungen verliebt sein, aber es ist nicht wahr, daß er die Wahrheit sucht, noch daß er seinem göttlichen Meister den rechten Gehorsam leistet; denn dieser will vielmehr, daß er von den Fähigkeiten, die er ihm zum Schutz gegen den Irrtum verliehen hat, Gebrauch mache. Sonst wäre es, wenn er auf dem rechten Wege ist, bloßer Zufall, und wenn er auf dem falschen ist, sein eigenes Verschulden, für das er verantwortlich ist.

Theoph. Ich stimme Ihnen durchaus bei, wenn Sie verlangen, daß der Glaube in der Vernunft begründet sein muß: denn warum sollten wir sonst die Bibel dem Koran oder den alten Büchern der Brahmanen vorziehen? Auch haben unsere Theologen und andere Gelehrte dies ganz richtig erkannt, und diesem Umstand haben wir so viele schöne Werke über die Wahrheit der christlichen Religion und so viele schöne Beweise zu danken, die man gegenüber den Heiden und anderen Ungläubigen aus alter und neuer Zeit geltend gemacht hat. Auch haben verständige Leute stets diejenigen für verdächtig gehalten, welche vorgaben, daß man sich, wo es sich um den Glauben handele, um Gründe und Beweise nicht zu bemühen brauche: etwas, was in der Tat unmöglich ist, wenn Glaube nicht Nachsprechen oder Wiederholen und gedankenloses Hingehenlassen bedeutet, wie es freilich so mancher tut, ja wie es der Charakter mancher Nationen, mehr als anderer, ist. Als daher einige aristotelische Philosophen des 15. und 16. Jahrhunderts, von denen sich (wie man aus den Briefen des verstorbenen Naudé und den Naudeana urteilen kann), noch lange Zeit Spuren erhalten haben, zwei einander entgegengesetzte Wahrheiten, eine philosophische und eine theologische, behaupten wollten, hat das letzte lateranische Konzil unter Leo X. sich dem mit Recht widersetzt, wie ich schon bemerkt zu haben glaube Näheres hierüber in den »Considérations sur la doctrine d'un Esprit Universel unique« (1702); s. oben Band II, S. 48 f. und Anm. 314 u. 315.. Auch erhob sich früher ein ganz ähnlicher Streit zu Helmstädt zwischen dem Theologen Daniel Hoffmann und dem Philosophen Cornelius Martin, jedoch mit dem Unterschiede, daß der Philosoph die Philosophie mit der Offenbarung zu versöhnen suchte, während der Theolog den Nutzen der Philosophie ableugnen wollte. Der Herzog Julius aber, der Gründer der Universität, erklärte sich für den Philosophen Über diesen Streit zwischen dem Theologen Dan. Hoffmann und dem Aristoteliker Corn. Martin (Martini) s. E. L. Th. Henckes Werk: Georg Calixtus und seine Zeit, S. 73 ff. (Sch.).. Allerdings hat zu unserer Zeit ein Mann von größtem Ansehen erklärt, daß man sich in Glaubenssachen, um klar zu sehen, die Augen ausreißen müsse, und Tertullian sagt irgendwo: es ist wahr, denn es ist unmöglich; man muß es glauben, denn es ist eine Ungereimtheit S. Tertullian, De carne Christi, Cap. V: »Mortuus est Dei filius, prorsus credibile est, quia ineptum est. Et sepultus resurrexit; certum est, quia impossibile est.«. Aber mag auch die Absicht derer, die sich auf diese Art erklären, gut sein, so sind doch ihre Ausdrücke immer übertrieben und können Unheil stiften. St. Paul redet viel richtiger, wenn er sagt, daß die Weisheit Gottes vor den Menschen Torheit ist, weil nämlich die Menschen die Sachen nur nach ihrer Erfahrung, die äußerst beschränkt ist, beurteilen, und alles, was nicht damit übereinstimmt, ihnen als eine Ungereimtheit erscheint. Aber dies Urteil ist sehr verwegen, denn es gibt sogar eine Unendlichkeit natürlicher Dinge, die uns für ungereimt gelten würden, wenn sie uns jemand erzählte; wie dem König von Siam die Erzählung von dem Eis, das Flüsse bedeckt, so erschien. Aber die Ordnung der Natur selbst ist, da sie nicht von metaphysischer Notwendigkeit ist, nur in einem freien Entschluß Gottes begründet, so daß er, aus höheren Gründen der Gnade, sich von ihr entfernen kann, wenngleich man dies nur auf gültige Beweise hin annehmen darf, die nur von Gottes Zeugnis selbst herrühren dürfen. Ist dies gehörig bewährt, so muß man sich ihm völlig unterwerfen.


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