Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel II.
Von den Graden unserer Erkenntnis.

§ 1. Philal. Die Erkenntnis ist also intuitiv, wenn der Geist die Übereinstimmung zweier Ideen unmittelbar durch sie selbst, ohne Dazwischenkunft irgendeiner anderen, gewahr wird. In diesem Fall nimmt er sich nicht die Mühe, die Wahrheit zu beweisen oder zu prüfen. Wie das Auge das Licht sieht, so sieht der Geist, daß das Weiße nicht das Schwarze, daß ein Kreis nicht ein Dreieck ist, daß zwei und eins drei sind. Diese Erkenntnis ist die klarste und gewisseste, deren die menschliche Schwäche fähig ist; sie wirkt auf eine unwiderstehliche Art, ohne dem Geiste zu gestatten, daß er zaudert. Man erkennt hier, daß die Idee im Geiste in der Art, wie man sie gewahr wird, vorhanden ist. Wer eine größere Gewißheit verlangt, weiß nicht, was er verlangt.

Theoph. Die ursprünglichen Wahrheiten, die man durch Intuition erkennt, sind ebenso wie die abgeleiteten von zweierlei Art: sie gehören entweder zu den Vernunftwahrheiten oder zu den Tatsachenwahrheiten. Die Vernunftwahrheiten sind notwendige, die Tatsachenwahrheiten zufällige. Die ursprünglichen Vernunftwahrheiten sind diejenigen, die ich mit einem Gesamtnamen identische nenne, weil sie, ohne uns etwas zu lehren, nur dasselbe zu wiederholen scheinen. Sie sind bejahend oder verneinend. Bejahend sind z. B. die folgenden: Jedes Ding ist, was es ist; und in allen Fällen, die man immer wählen mag, ist A = A und B = B. Ich werde das sein, was ich sein werde. Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. Nichts bedeutet in Versen wie in Prosa Nichts oder sehr wenig sein (rien en vers comme en prose, c'est être rien ou peu de chose). Ein gleichseitiges Rechteck ist ein Rechteck; ein vernünftiges Tier ist immer ein Tier. Oder als Beispiel eines hypothetischen Satzes: Wenn die reguläre Figur von vier Seiten ein gleichseitiges Rechteck ist, so ist sie ein Rechteck. Auch die kopulativen und disjunktiven Sätze und andere sind dieser Identitätsform fähig und ich betrachte selbst einen Satz wie: nicht-A ist nicht-A als einen bejahenden; ebenso den hypothetischen Satz: Wenn A Nicht-B ist, so folgt, daß A nicht-B ist. Ebenso: Wenn Nicht-A BC ist, so folgt, daß Nicht-A BC ist. Wenn eine Figur, die keinen stumpfen Winkel hat, ein regelmäßiges Dreieck sein kann, so kann eine Figur, die keinen stumpfen Winkel hat, regelmäßig sein.

Ich komme jetzt zu den identischen Verneinungssätzen, die entweder unter das Prinzip des Widerspruches fallen oder disparate sind. Das Prinzip des Widerspruchs ist im allgemeinen: Ein Satz ist entweder wahr oder falsch; dies schließt zwei wahre Aussagen ein; erstens, daß das Wahre und das Falsche in demselben Satze nicht zusammen bestehen können, oder daß ein Satz nicht zugleich wahr und falsch sein kann; zweitens, daß das Gegenteil oder die Verneinung des Wahren und des Falschen nicht zugleich stattfindet, oder daß es zwischen Wahrem und Falschem kein Mittleres gibt, oder auch, daß ein Satz unmöglich zugleich weder wahr noch falsch sein kann. Dies alles nun gilt ebenso im Besonderen für alle nur erdenklichen Sätze, z. B.: Was A ist, kann nicht Nicht-A sein; oder AB kann nicht nicht-A sein; ein gleichseitiges Rechteck kann kein Nicht-Rechteck sein. Ferner: es ist wahr, daß jeder Mensch ein Tier ist, also ist es falsch, daß sich irgendein Mensch findet, der kein Tier wäre. Man kann diese Aussagen auf mancherlei Art abändern und sie auf Kopulativ- und Disjunktivsätze und auf andere anwenden.

Was die disparaten Sätze betrifft, so sind dies solche, welche besagen, daß der Gegenstand einer Idee nicht Gegenstand einer anderen sei, z. B. daß die Wärme nicht dasselbe ist wie die Farbe; ebenso, daß der Mensch und das Tier nicht dasselbe sind, obgleich der Mensch ein Tier ist. Alles dies läßt sich bejahen, unabhängig von jeder Probe oder jedem indirekten Beweis, d. h. von jeder Zurückführung auf den Satz des Widerspruchs – wenn die Ideen hinlänglich verstanden werden, um hier keiner Analyse zu bedürfen. Andernfalls ist man Irrtümern unterworfen; denn wenn man sagte: ein Dreieck und eine dreiseitige Figur ist nicht dasselbe, so würde man sich irren, weil man bei richtiger Betrachtung findet, daß die drei Seiten und die drei Winkel immer zusammenbestehen. Wenn man sagte: das vierseitige Rechteck und das Rechteck ist nicht dasselbe, würde man sich gleichfalls irren, denn man findet, daß bloß die Figur mit vier Seiten lauter rechte Winkel haben kann. Indessen kann man immer in abstracto sagen, daß das Dreieck nicht das Dreiseit ist oder daß, wie die Philosophen sagen, die formellen Gründe für beide nicht die nämlichen sind. Es handelt sich hier um verschiedene Beziehungen derselben Sache.

So mancher wird, wenn er all das, was wir bisher gesagt haben, mit Geduld angehört hat, sie am Ende doch verlieren und sagen, daß wir uns mit leeren Sätzen die Zeit vertreiben, und daß alle identischen Wahrheiten zu nichts nütz sind. Aber man wird so nur urteilen, weil man über diese Gegenstände nicht gehörig nachgedacht hat. So werden z. B. die logischen Schlüsse durch die identischen Grundsätze bewiesen, und die Geometer bedürfen in ihren indirekten Beweisen, die eine Zurückführung auf Unmögliches sind, des Satzes des Widerspruchs. Begnügen wir uns hier, die Anwendung der identischen Sätze in dem Beweis der logischen Schlußformen zu zeigen. Ich sage also, daß das bloße Prinzip des Widerspruchs genügt, um die zweite und dritte syllogistische Figur vermöge der ersten zu beweisen. Man kann z. B. in der ersten Figur nach dem Modus Barbara schließen:

  Alles B ist C,
  Alles A ist B,
also Alles A ist C.

Setzen wir, daß der Schluß falsch (oder daß einiges A nicht C sei), so muß auch einer der beiden Vordersätze falsch sein. Setzen wir, daß der Untersatz wahr ist, so muß der Obersatz, welcher behauptet, daß alles B C ist, falsch sein. Es muß also sein Gegenteil wahr sein: d. h. einiges B wird nicht C sein. Dies wird nun der Schlußsatz eines neuen Syllogismus sein, der sich aus der Falschheit des Schlußsatzes und der Wahrheit des einen Vordersatzes des vorhergehenden Syllogismus ergibt. Der neue Syllogismus lautet folgendermaßen:

Einiges A ist nicht C.

Dies ist das Gegenteil des früheren, jetzt als falsch angenommenen, Schlußsatzes.

Alles A ist B.

Dies ist der vorher als wahr angenommene Untersatz.

Also ist Einiges B nicht C.

Dies ist der nunmehrige wahre Schlußsatz, welcher dem früheren falschen Vordersatz entgegengesetzt ist. Dieser Syllogismus gehört dem Modus Disamis der dritten Figur an, der sich also offenbar und auf den ersten Blick aus dem Modus Barbara der ersten Figur ableiten läßt, ohne etwas anderes als das Prinzip des Widerspruchs anzuwenden. Schon in meiner Jugend, als ich diese Dinge genauer untersuchte, machte ich die Bemerkung, daß alle Modi der zweiten und dritten Figur, einzig auf Grund dieser Methode, aus der ersten hergeleitet werden können, indem man voraussetzt, daß der Modus der ersten richtig ist und daß folglich, wenn der Schlußsatz falsch ist, also sein kontradiktorisches Gegenteil als wahr anzusehen ist und wenn ferner einer der Vordersätze als wahr angenommen wird, notwendig das kontradiktorische Gegenteil des anderen Vordersatzes wahr sein muß In der »Dissertatio de arte combinatoria« vom Jahre 1666; s. Mathemat. Schriften, Band V, S. 33.. Allerdings bedient man sich in den logischen Schulen lieber der Umkehrungen, um die weniger ursprünglichen Figuren aus der ersten, welche die ursprüngliche ist, abzuleiten, weil dies für die Schüler bequemer scheint. Für die aber, welche jene Beweisgründe suchen, bei denen man so wenig als möglich Voraussetzungen anwenden muß, wird man nicht durch die Voraussetzung der Umkehrung etwas beweisen, was man durch das Grundprinzip allein beweisen kann; und dies ist das des Widerspruchs, welches weiter nichts voraussetzt. Ich habe sogar die folgende Beobachtung gemacht, die bemerkenswert scheint: daß nämlich von den weniger ursprünglichen Figuren nur diejenigen, die man direkte nennt, nämlich die zweite oder dritte, lediglich durch das Prinzip des Widerspruchs bewiesen werden können; dagegen hat die indirekte, weniger ursprüngliche Figur, nämlich die vierte Figur – deren Erfindung die Araber dem Galen zuschreiben, obwohl wir in dessen uns noch erhaltenen Schriften ebensowenig wie bei den übrigen griechischen Autoren etwas von ihr finden –, diese vierte Figur hat, sage ich, den Nachteil, daß sie aus der ersten oder ursprünglichen nicht allein durch diese Methode gewonnen werden kann, sondern daß man noch eine andere Voraussetzung, nämlich die Umkehrungen, anwenden muß: so daß sie der ersten um einen Grad ferner steht, als die zweite und dritte, die auf gleicher Stufe stehen und von der ersten gleich weit entfernt sind, während die vierte noch die zweite und dritte nötig hat, um bewiesen zu werden Im übrigen hat sich Leibniz – im Gegensatz zu Kant – für die Gültigkeit dieser vierten syllogistischen Figur ausgesprochen, vgl. seinen Brief an Koch, Gerh. VII, 477 f.. Denn es trifft sich gerade, daß sich die Umkehrungen, deren sie nötig hat, aus der zweiten und dritten Figur beweisen lassen, deren Beweis seinerseits von Umkehrungen unabhängig ist, wie ich soeben gezeigt habe. Schon Petrus Ramus hatte diese Bemerkung über die Beweisbarkeit der Umkehrung durch diese Figuren gemacht und warf, wenn ich mich nicht irre, den Logikern, welche sich der Umkehrung bedienen, um diese Figuren zu beweisen, einen Zirkelschluß vor Scholarum dialecticarum Lib. VII, cap. 6; vgl. »De arte combinatoria«, Math. V, 33., obgleich es nicht sowohl ein Zirkelschluß war, den er ihnen hätte vorwerfen sollen (denn sie bedienten sich ihrerseits gar nicht dieser Figuren, um die Umkehrungen zu rechtfertigen), als ein Hysteron Proteron, weil die Umkehrungen eher durch diese Figuren, als diese Figuren durch die Umkehrungen bewiesen werden sollten. Da aber dieser Beweis der Gültigkeit der Umkehrungen zugleich den Nutzen der bejahenden identischen Sätze, die einige für ganz nichtig ansehen, zeigt, so wird es um so angebrachter sein, ihn hierher zu setzen. Ich will nur von den Umkehrungen ohne Kontraposition sprechen, die mir hier genügen, und die entweder einfache oder, wie man sie nennt, Umkehrungen per accidens sind. Die einfachen Umkehrungen sind von zweierlei Art: erstlich die eines allgemein verneinenden Satzes, z. B. kein Quadrat ist stumpfwinklig, also ist kein Stumpfwinkliges ein Quadrat; zweitens die eines partikulär bejahenden Satzes, z. B. einige Dreiecke sind stumpfwinklig, also ist einiges Stumpfwinklige ein Dreieck. Die Umkehrung per accidens aber, wie man sie nennt, betrifft den allgemein bejahenden Satz, z. B. jedes Quadrat ist ein Rechteck, also sind einige Rechtecke Quadrate. Hier versteht man unter einem Rechteck immer eine Figur, deren Winkel sämtlich rechte sind, und unter einem Quadrat ein regelmäßiges Viereck.

Jetzt handelt es sich darum, diese drei Arten von Umkehrungen, nämlich

1. Kein A ist B; also kein B ist A.
2. Einiges A ist B; also einiges B ist A.
3. Alles A ist B; also einiges B ist A.

zu beweisen.

Beweis der ersten Umkehrung im Modus Cesare der zweiten Figur:

  Kein A ist B,
  Alles B ist B,
also Kein B ist A.

Beweis der zweiten Umkehrung im Modus Datisi der dritten Figur:

  Alles A ist A,
  Einiges A ist B,
also Einiges B ist A.

Beweis der dritten Umkehrung im Modus Darapti der dritten Figur:

  Alles A ist A,
  Alles A ist B,
also Einiges B ist A.

Es ergibt sich hieraus, daß die reinsten und scheinbar unnützesten identischen Sätze in abstrakten und allgemeinen Erwägungen von bedeutendem Nutzen sind, und wir können hieraus lernen, daß man keine Wahrheit verachten darf. Was den Satz betrifft, daß drei so viel als zwei und eins ist, den Sie gleichfalls als ein Beispiel einer intuitiven Erkenntnis anführen, so will ich bemerken, daß dies nur die Definition des Ausdrucks drei ist, denn die einfachsten Definitionen der Zahlen werden so gebildet: zwei ist eins und eins, drei ist zwei und eins; vier ist drei und eins und so fort. Allerdings ist hierin, wie ich schon bemerkt habe, ein Urteil verborgen, nämlich daß diese Ideen möglich sind; und dies wird hier intuitiv erkannt. Man kann daher sagen, daß eine intuitive Erkenntnis in den Definitionen enthalten ist, wenn ihre Möglichkeit sofort einleuchtet. Auf diese Art enthalten alle adäquaten Definitionen ursprüngliche Vernunftwahrheiten und folglich intuitive Erkenntnisse. Endlich kann man im allgemeinen sagen, daß alle ursprünglichen Vernunftwahrheiten unmittelbar sind, und zwar von einer Unmittelbarkeit, wie sie den Ideen zukommt.

Was die ursprünglichen Tatsachenwahrheiten anbetrifft, so sind dies die unmittelbaren inneren Erfahrungen von einer Unmittelbarkeit, wie sie der Empfindung zukommt. Hierher gehört die erste Wahrheit der Kartesianer oder des heiligen Augustin: Ich denke, also bin ich, d. h. ich bin ein Wesen, das denkt. Doch muß man wissen, daß ebenso wie die identischen Sätze allgemeine oder besondere, und wie die einen ebenso klar als die anderen sind – denn es ist ebenso klar, wenn ich sage, daß A A ist, als wenn ich sage, daß ein Ding das ist, was es ist, –, das Gleiche auch von den ersten Tatsachenwahrheiten gilt. Denn mir ist nicht allein unmittelbar klar, daß ich denke, sondern es ist mir ganz ebenso klar, daß ich verschiedene Gedanken habe, daß ich bald A und bald B denke usw. S. hierüber die »Animadvers. in part. general. Principiorum Cartesianorum«, Band I, S. 289. Also ist das Cartesianische Prinzip gültig, aber es ist nicht das einzige seiner Art. Man sieht daraus, daß alle ursprünglichen Vernunft- oder Tatsachenwahrheiten dies miteinander gemein haben, daß man sie nicht durch etwas Gewisseres beweisen kann.

§ 2. Philal. Ich freue mich, daß Sie das, was ich hinsichtlich der intuitiven Erkenntnisse nur angedeutet habe, weiter ausführen. Nun ist die demonstrative Erkenntnis nur eine Verkettung der intuitiven Erkenntnisse in allen Verknüpfungen der mittelbaren Ideen. Denn oft kann der Geist die Ideen nicht unmittelbar miteinander verbinden, vergleichen oder zueinander in Beziehung setzen, was ihn nötigt, sich anderer vermittelnder Ideen (einer oder mehrerer) zu bedienen, um die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, welche gesucht wird, zu entdecken, und dies nennt man eben schließen. So findet man z. B. in dem Beweis, daß die drei Winkel eines Dreiecks zwei Rechten gleich sind, bestimmte andere Winkel, von denen man erkennt, daß sie sowohl den drei Winkeln des Dreiecks als auch zwei Rechten gleich sind. § 3. Diese Ideen, welche man vermittelnd eintreten läßt, heißen Beweise, und die Anlage des Geistes, sie zu finden, Scharfsinn. § 4. Aber selbst wenn sie gefunden sind, kann man die Erkenntnis, um die es sich hier handelt, nicht ohne Mühe und Aufmerksamkeit, noch auch durch einen bloßen flüchtigen Blick erlangen; denn man muß hier in eine fortschreitende Reihe von Ideen eintreten, die nur allmählich und schrittweise entsteht, und (§ 5) dem Beweisverfahren geht der Zweifel voraus. § 6. Die demonstrative Erkenntnis ist weniger klar als die intuitive, wie ein Bild, das durch mehrere Spiegel reflektiert und von einem zum andern geworfen wird, bei jeder Reflexion schwächer wird, und besonders für schwache Augen nicht mehr sogleich erkennbar ist. Das Gleiche gilt von einer Erkenntnis, die durch eine lange Folge von Beweisen hervorgebracht ist. § 7. Denn obwohl jeder Schritt, den die Vernunft im Beweise tut, eine intuitive oder einfach anschauende Erkenntnis ist, so halten nichtsdestoweniger die Menschen in dieser langen Folge von Beweisen, da das Gedächtnis diese Verknüpfung von Ideen nicht so genau behält, häufig Falschheiten für Beweise.

Theoph. Außer dem natürlichen oder durch Übung erlangten Scharfsinn gibt es eine Kunst, die mittleren Ideen (den terminus medius) zu finden, und diese Kunst ist die Analyse. Nun ist zu bemerken, daß es sich hierbei bald darum handelt, die Wahrheit oder Falschheit eines gegebenen Satzes zu finden, was nichts anderes ist, als die Beantwortung der Frage: An? d. h. ist es so oder nicht?, bald um die Beantwortung einer (caeteris paribus) schwereren Frage: nämlich der Frage wodurch und wie?, bei der man mehr zu ergänzen hat. Lediglich diese Fragen, die also einen Teil des Satzes unentschieden lassen, werden von den Mathematikern Probleme genannt; – wie wenn man einen Spiegel zu finden verlangt, der alle Sonnenstrahlen auf einen Punkt vereinigt, d. h. nach seiner Gestalt und der Art, wie er hergestellt werden muß, fragt. Was die erste Art von Fragen anbetrifft, wo es sich bloß um Wahrheit oder Falschheit handelt, an dem Subjekt oder Prädikat selbst aber nichts weiter zu ergänzen ist, so spielt hier die Erfindung eine geringere Rolle; doch wirkt sie auch hier mit, und das bloße Urteil genügt nicht. Jemand, der Urteil besitzt, d. h. der der Aufmerksamkeit und Überlegung fähig ist und der die nötige Muße, Geduld und Freiheit des Geistes hat, wird allerdings den schwierigsten Beweis verstehen können, wenn er ihm gehörig vorgelegt wird. Aber der urteilsfähigste Mensch der Welt wird ohne jede andere Hilfe nicht immer imstande sein, diesen Beweis zu finden. Also spielt hierbei auch die Gabe der Erfindung eine Rolle: und zwar besaßen die Geometer diese früher in höherem Grade als jetzt. Denn da die Analyse noch weniger ausgebildet war, bedurfte es mehr Scharfsinn, um zum Ziele zu gelangen, und deshalb glauben noch heute manche Geometer vom alten Schlage oder andere, welche in den neuen Methoden noch nicht genug geübt sind, Wunder was zu tun, wenn sie den Beweis irgendeines Lehrsatzes finden, den andere vor ihnen erfunden haben. Diejenigen aber, die in der Kunst der Erfindung geübt sind, wissen, wann dies schätzbar ist oder nicht. Wenn z. B. jemand die Quadratur eines Raumes veröffentlicht, der von einer Kurve und einer Geraden begrenzt ist und wenn diese Quadratur in allen seinen Abschnitten gelingt, also nach meiner Bezeichnungsweise allgemein ist, so steht es nach unseren Methoden immer in unserer Macht, den Beweis dafür zu finden, wenn man sich nur die Mühe dazu nehmen will. Es gibt aber besondere Quadraturen gewisser Abschnitte, wo die Sache so verwickelt sein kann, daß man es vorläufig nicht immer in seiner Gewalt hat, sie zu entwirren. Bisweilen bietet uns auch die Induktion im Gebiet der Zahlen und Figuren Wahrheiten dar, deren allgemeinen Grund man noch nicht entdeckt hat. Denn es fehlt noch viel daran, daß man in der Geometrie und in der Lehre von den Zahlen zur Vollendung der Analyse gelangt sei, wie manche sich dies, auf die Prahlereien einiger sonst ausgezeichneter, aber etwas zu vorschneller oder zu ehrgeiziger Männer hin, eingebildet haben.

Viel schwerer jedoch als den Beweis für Wahrheiten zu finden, die ein anderer entdeckt hat, ist es, selbst wichtige Wahrheiten zu entdecken, und noch mehr, die Mittel zu finden, das, was man sucht, gerade dann, wann man es sucht, zu vollbringen. Man gelangt oft zu schönen Wahrheiten durch die Synthese, indem man vom Einfachen zum Zusammengesetzten fortschreitet; aber wenn es sich darum handelt, gerade das Mittel für den bestimmten Zweck, den man sich vorsetzt, zu finden, so genügt gewöhnlich die Synthese nicht, und oft hieße es, das Meer austrinken wollen, wenn man alle erforderlichen Kombinationen machen wollte, wenngleich man sich häufig durch die Methode der Ausschließungen helfen kann, die einen guten Teil unnützer Kombinationen entfernt; und oft läßt die Natur der Sache keine andere Methode zu. Aber man hat nicht immer die Mittel, sie in zweckdienlicher Weise anzuwenden. Die Analyse also hat uns in diesem Labyrinth den Faden zu geben, wenn dies überhaupt möglich ist; denn es gibt Fälle, wo die Natur der Frage selbst fordert, daß man gleichsam nach allen Seiten tastet, da Abkürzungen nicht immer möglich sind.

§ 8. Philal. Da man nun beim Beweisen immer die intuitiven Erkenntnisse voraussetzt, so hat dies, denke ich, zu dem Axiom Veranlassung gegeben: daß jeder Schluß aus schon Bekanntem und Zugestandenem ( ex praecognitis et praeconcessis) hervorgeht Vgl. Aristoteles, Analyt. poster. I, i, 71a I: πᾶσα διδασκαλία καὶ πᾶσα μάϑησις διανοητικὴ ἑκ προϋπαρχούσης γίγνεται γνώσεως … αἱ γὰρ μαϑηματικαὶ ἐκ τῶν ἐπιστημῶν διὰ τούτου τοῦ πρόπου παραγίγνονται καὶ τῶν ἀλλων ἑκάστη τεχνῶν ὁμοίως δὲ καὶ περὶ τοὺς λόγους οἵ τε διὰ συλλογισμῶν καὶ oἱ δι᾽ ἀπαγωγῆς. ἄμφότερα γὰρ διὰ προγιγνωσκομένων ποιοῦνται τὴν διδασκαλίαν, οἱ μὲν λαμβάνοντες ὡς παρἁ ξυνιέντων, οἱ δὲ δεικνύντες τὸ καϑ᾽ ὅλου διὰ τοῦ δῆλον εἱναι τὸ καϑ᾽ ἔκαστον.. Wir werden aber Gelegenheit haben, von dem, was an diesem Axiom falsch ist, zu sprechen, wenn wir von den Maximen handeln werden, welche man fälschlich als die Grundlagen unserer Beweise ansieht.

Theoph. Ich bin neugierig, zu vernehmen, welchen Fehler Sie in einem Axiom finden können, das so vernünftig scheint. Müßte man immer alles auf intuitive Erkenntnisse zurückführen, so würden die Beweise oft von unerträglicher Weitschweifigkeit sein. Die Mathematiker sind daher so geschickt gewesen, die Schwierigkeiten zu teilen und vermittelnde Sätze besonders zu beweisen. Und auch hierin gibt es noch Kunstgriffe, denn da die mittleren Wahrheiten (welche man Lemmata [Lehnsätze] nennt, da sie nicht direkt zur Sache selbst zu gehören scheinen) auf mancherlei Weise gefunden werden können, so ist es zur Unterstützung der Fassungskraft und des Gedächtnisses gut, diejenigen von ihnen auszuwählen, die den Beweisgang sehr abkürzen und die auch um ihrer selbst willen wert erscheinen, daß man sie erwähnt und beweist. Aber es gibt noch ein anderes Hindernis: daß es nämlich nicht leicht ist, alle Axiome zu beweisen und die Beweise gänzlich auf intuitive Erkenntnisse zurückzuführen. Hätte man hierauf warten wollen, so würden wir vielleicht die Wissenschaft der Geometrie noch heute nicht besitzen. Aber wir haben darüber schon in unseren ersten Unterredungen gesprochen und werden Gelegenheit haben, noch mehr davon zu reden.

§ 9. Philal. Wir werden bald dazu kommen; jetzt möchte ich nur noch bemerken, was ich schon mehr als einmal berührt habe, daß der allgemeinen Meinung nach nur die mathematischen Wissenschaften einer auf Beweis beruhenden Gewißheit fähig sind; daß es aber vielleicht – da die intuitive Erkenntnis der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung kein Vorrecht ist, das den Ideen der Zahlen und Figuren allein anhaftet – an einem Mangel an Fleiß bei uns liegt, daß die Mathematik allein es zu Beweisen gebracht hat. § 10. Verschiedene Gründe haben dazu beigetragen. Die mathematischen Wissenschaften sind von sehr allgemeinem Nutzen, und der geringste Unterschied ist in ihnen sehr leicht zu erkennen. § 11. Die anderen einfachen Ideen dagegen, die Erscheinungen oder Empfindungen sind, welche in uns hervorgerufen werden, haben kein genaues Maß für ihre verschiedenen Grade Der Text (bei Erdmann und Gerhardt) »des apparences ou situations produites en nous« gibt keinen verständlichen Sinn; wie sich aus der Vergleichung mit Lockes Original ergibt, ist statt »situations« offenbar »sensations« zu lesen. S. Locke IV, 2, II: »Denn da diese anderen einfachen Ideen Erscheinungen oder Empfindungen sind, die in uns durch die Größe, Gestalt, Zahl und Bewegung kleiner, für sich unwahrnehmbarer Teilchen hervorgerufen werden, so sind auch ihre verschiedenen Grade von der Veränderung einiger oder aller dieser Ursachen abhängig, und da diese Veränderung in materiellen Teilchen, von denen jedes zu fein ist, um wahrgenommen zu werden, von uns nicht beobachtet werden kann, so ist es für uns unmöglich, exakte Maße von den verschiedenen Graden dieser einfachen Ideen zu besitzen.«. § 12. Wenn aber die Verschiedenheit z. B. der sichtbaren Qualitäten groß genug ist, um im Geiste klar unterschiedene Ideen, wie die des Blauen und Roten, zu erwecken, so sind auch sie, ebenso wie die Ideen der Zahl und der Ausdehnung, des Beweises fähig.

Theoph. Es gibt recht ansehnliche Beispiele der Anwendung strenger Beweise außerhalb der Mathematik, und man kann sagen, daß Aristoteles deren schon in seiner ersten Analytik gegeben hat. In der Tat ist die Logik ebenso beweisfähig als die Geometrie, und man kann sagen, daß die Logik der Geometer oder die Schlußmethoden, welche Euklides bei seiner Lehre von den Verhältnissen erläutert und aufgestellt hat, eine Erweiterung oder spezielle Entwicklung der allgemeinen Logik bilden Vgl. bes. Leibniz' Schreiben an Gabriel Wagner (Gerh. VII, 514 ff.): »Es ist gewiß kein geringes, daß Aristoteles diese Formen in unfehlbare Gesetze bracht, mithin der erste in der Tat gewesen, der mathematisch außer der Mathematik geschrieben … Zwar ist diese Arbeit des Aristoteles nur ein Anfang und gleichsam das ABC, wie es dann andere mehr zusammengesetzte und schwerere Formen gibt, die man alsdann erst brauchen kann, wenn man mit hilff dieser ersten und leichten Formen festgestellt, als zum Exempel die Euclidischen Schlußformen, da die Verhaltungen (proportiones) versezt werden, invertendo componendo dividendo rationes …« etc. Aus dieser Stelle geht zugleich hervor, daß statt »propositions«, wie bei Erdmann und Gerhardt steht, »proportions« zu lesen ist, vgl. auch Opuscules et fragments inédits, éd. Couturat, S. 37.. Archimedes ist von den uns erhaltenen Schriftstellern der erste, der die Kunst des Beweisens bei einer Frage, die zur Physik gehört, geübt hat, wie er dies in seinem Buch vom Gleichgewicht getan hat. Ferner kann man sagen, daß die Rechtsgelehrten manche gute Beweise besitzen, vor allem die alten römischen Juristen, deren Fragmente uns in den Pandekten aufbewahrt worden sind. Ich bin durchaus der Ansicht des Laurentius Valla, der diese Schriftsteller nicht genug bewundern kann »Merentur enim, merentur summi illi viri nancisci aliquem, qui eos vere riteque exponat«, Laurentius Valla, Praefat. in lib. III. Elegantiarum., unter anderem auch deshalb, weil sie sich alle so richtig und präzis ausdrücken und in der Tat in einer Weise argumentieren, die nahezu beweiskräftig ist, ja oft in der Tat vollkommene Beweiskraft besitzt. Auch weiß ich keine Wissenschaft außer der des Rechts und des Krieges, in der die Römer dem von den Griechen Empfangenen etwas Bedeutendes hinzugefügt hätten.

Tu regere imperio populos, Romane, memento;
Hae tibi erunt artes pacique imponere morem,
Parcere subjectis et debellare superbos
Vergil, Aeneis VI. 851-853..

Diese Präzision des Ausdrucks hat es bewirkt, daß alle diese Juristen der Pandekten, obgleich sie der Zeit nach mitunter einander ganz fern stehen, doch ein einziger Autor zu sein scheinen, und daß man Mühe hätte, sie zu unterscheiden, wenn die Namen der Schriftsteller nicht an der Spitze der Auszüge ständen, wie man auch Mühe haben würde, Euklides, Archimedes und Apollonius zu unterscheiden, wenn man ihre Beweise über Gegenstände liest, die der eine so gut wie der andere berührt hat. Man muß gestehen, daß die Griechen in der Mathematik mit aller nur möglichen Schärfe argumentiert und dem Menschengeschlecht die Vorbilder der Kunst zu beweisen hinterlassen haben, denn wenn die Babylonier und Ägypter etwas mehr, als eine rein empirische Geometrie besessen haben, so ist davon doch wenigstens nichts erhalten. Erstaunlich ist es jedoch, daß eben diese Griechen, sobald sie sich nur ein wenig von den Zahlen und Figuren entfernten, um zur Philosophie überzugehen, gleich so sehr von dieser Vollkommenheit herabsanken. Denn auffallenderweise sieht man im Plato und im Aristoteles (die erste Analytik ausgenommen) nicht einen Schatten von Beweisen, und ebensowenig bei allen übrigen alten Philosophen. Proklus war ein guter Geometer, aber wenn er von Philosophie spricht, scheint er ein anderer Mensch zu sein Den Commentar des Proklus zum ersten Buche der Euklidischen »Elemente«, der zuerst in der Basler Euklidausgabe von Grynaeus im Jahre 1533 herausgegeben wurde und in lateinischer Übersetzung von Barocius 1560 erschien, hat Leibniz geschätzt und wiederholt erwähnt (vgl. Band I, 285 und den Brief an Joh. Bernoulli vom 23. August 1696, Math. III, 321.). – Leibniz' Urteil über die Philosophie des Neuplatonismus s. Band II, S. 459 f. (Anm. 497).. Was die Anwendung beweiskräftiger Schlüsse in der Mathematik so sehr erleichtert hat, ist zum großen Teil der Umstand, daß hier die Erfahrung in jedem Augenblick für die Argumentation Gewähr leisten kann, wie es auch bei den Schlußfiguren der Fall ist. Aber in der Metaphysik und Moral findet dieser Parallelismus der Vernunftgründe und der Erfahrungen nicht mehr statt, und in der Physik erfordern die Erfahrungen Mühe und Kosten. So haben denn die Menschen gleich von vornherein in ihrer Aufmerksamkeit nachgelassen und sind daher in die Irre geraten, sobald sie sich von diesem treuen Führer der Erfahrung verlassen sahen, der sie auf ihrem Wege stützte und aufrechthielt, gleich jener kleinen rollenden Maschine, die Kinder beim Gehen vor dem Fallen schützt. Es hätte hier eine Art Notbehelf gegeben, den man aber nicht bemerkte, und dessen Bedeutung man noch immer nicht recht erfaßt hat. Ich werde seiner Zeit davon reden Natürlich ist hiermit die »allgemeine Charakteristik« gemeint, die uns eine strenge Beweisführung und »Rechnung« auch dort verstattet, wo die Objekte selbst, wie in der Metaphysik und Moral sich der sinnlichen Anschauung entziehen, da in ihr allgemein an Stelle der Gegenstände bloße symbolische Zeichen treten.. Übrigens sind Blau und Rot kaum imstande, vermöge der Ideen, die wir von ihnen besitzen, als Grundlage von Beweisen zu dienen, weil diese Ideen verworren sind. Nur insofern bieten diese Farben die Grundlage für Schlußfolgerungen, als man sie erfahrungsmäßig von bestimmten deutlichen Ideen begleitet findet, deren Zusammenhang aber mit den Ideen des Blauen und Roten selbst nicht ersichtlich ist.

§ 14. Philal. Außer der Intuition und Demonstration, die die zwei Stufen unserer Erkenntnis sind, ist alles übrige Glaube oder Meinung und nicht Erkenntnis, wenigstens hinsichtlich aller allgemeinen Wahrheiten. Aber der Geist besitzt noch eine andere Art der Perzeption, die auf das besondere Dasein der endlichen Wesen außer uns geht, und dies ist die sinnliche Erkenntnis.

Theoph. Die Meinung verdient, sofern sie auf Wahrscheinlichkeit gegründet ist, vielleicht ebenfalls den Namen der Erkenntnis, sonst würde fast die gesamte historische Erkenntnis und vieles andere wegfallen. Ohne jedoch über Worte zu streiten, bin ich der Ansicht, daß die Untersuchung der Wahrscheinlichkeitsgrade sehr wichtig sein würde und uns noch fehlt, was ein großer Mangel in unserer Logik ist. Denn wenn man eine Frage nicht schlechthin entscheiden kann, so könnte man doch stets den Grad der Wahrscheinlichkeit aus den vorliegenden Umständen ( ex datis) bestimmen und folglich vernunftgemäß entscheiden, welche Wahl am meisten für sich hat. Wenn unsere Moralisten (ich meine die vernünftigsten, wie den gegenwärtigen Jesuitengeneral) das Sicherste mit dem Wahrscheinlichsten verbinden und das Sichere sogar dem Wahrscheinlichen vorziehen, so entfernen sie sich in Wahrheit nicht von dem Wahrscheinlicheren; denn die Frage der Sicherheit ist eben die der geringen Wahrscheinlichkeit eines drohenden Übels. Der Fehler der Moralisten, die in diesem Punkte lax verfahren sind, bestand zum großen Teile darin, daß sie einen zu beschränkten und unzureichenden Begriff des Wahrscheinlichen gehabt haben, welches sie mit dem ἔνδοξον d. h. dem der gewöhnlichen Meinung Entsprechenden des Aristoteles verwechselt haben; denn Aristoteles hat sich in seiner Topik nur den Meinungen der andern anbequemen wollen, wie es die Redner und Sophisten taten. »Endoxon« ist ihm das, was von der größten Zahl oder von den besten Autoritäten angenommen ist Vgl. Aristoteles Topica I, 1: ἀπόδειξις μὲν οὐν ἐστίν, ὅταν ἑξ ἀληϑῶν καὶ ὁ συλλογισμός ἡ, ἢ ἐκ τούτων ἃ διά τινων πρώτων καὶ ἀληϑῶν τῆς περὶ αὐτὰ γνώσεως τὴν ἀρχὴν εἴληφεν. διαλεκτικὸς δὲ συλλογισμὸς ὁ ἐξ ἐνδόξων ουλλογιζόμενος … ἔνδοξα δὲ τὰ δοκοῦντα πᾶσιν ἢ τοῖς πλείστοις ἢ τοῖς σοφοῖς, καὶ τούτοις ἢ πᾶσιν ἢ τοῖς πλείστοις ἢ τοῖς μάλιοτα γνωρίμοις καὶ ἐνδόξοις.: er hat Unrecht daran getan, seine Topik hierauf zu beschränken, und dieser Gesichtspunkt hat es bewirkt, daß er sich nur an allgemein angenommene, größtenteils unbestimmte Grundsätze gehalten hat, als wollte man in lauter Quodlibets oder Sprichwörtern seine Beweise führen. Das Probable oder Wahrscheinliche aber hat einen weiteren Umfang; man muß es aus der Natur der Dinge gewinnen, und die Meinung derer, deren Autorität von Gewicht ist, ist nur einer der Umstände, die dazu beitragen können, eine Meinung wahrscheinlich zu machen, aber nicht das entscheidende Merkmal der Wahrscheinlichkeit überhaupt. Die Meinung des Kopernikus war, auch als er sie noch fast allein hegte, immerhin unvergleichlich wahrscheinlicher, als die der gesamten übrigen Menschheit. Ich weiß also nicht, ob die Begründung der Kunst, die Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen, nicht nützlicher wäre als ein großer Teil unserer demonstrativen Wissenschaften; und ich habe mehr als einmal hieran gedacht Zur Logik der »Wahrscheinlichkeit« vgl. bes. Gerh. VII, 167 und 188; Gerh. III, 259; näheres bei Couturat, La Logique de Leibniz, Chap. 6, § 32..

Philal. Die sinnliche Erkenntnis, oder diejenige, die das Dasein der besonderen Wesen außer uns dartut, geht über die bloße Wahrscheinlichkeit hinaus, aber sie hat nicht die ganze Gewißheit der beiden eben besprochenen Erkenntnisgrade. Nichts ist gewisser, als daß die Idee, die wir von einem äußeren Gegenstande empfangen, in unserem Geiste ist, und dies ist eine intuitive Erkenntnis; aber ob wir darüber hinaus mit Sicherheit auf ein dieser Idee entsprechendes Dasein eines Dinges außer uns schließen dürfen, kann nach der Meinung mancher Leute in Zweifel gezogen werden, weil die Menschen solche Ideen in ihrem Geiste haben können, auch ohne daß etwas dergleichen wirklich existiert. Was mich betrifft, so glaube ich dennoch, daß hier ein Grad von Evidenz vorliegt, der uns des Zweifels enthebt. Man ist unwiderstehlich davon überzeugt, daß zwischen den Perzeptionen, die man hat, wenn man am Tage die Sonne betrachtet und wenn man nachts an dies Gestirn denkt, ein großer Unterschied obwaltet; und die Idee, die wir mit Hilfe des Gedächtnisses in uns erneuern, ist sehr verschieden von derjenigen, die durch die Vermittlung der Sinne gegenwärtig in uns entsteht. Will jemand sagen, daß ein Traum die nämliche Wirkung haben kann, so antworte ich zuerst, daß nicht viel daran gelegen ist, diesen Zweifel zu heben, weil, wenn alles ein Traum ist, Vernunftschlüsse ohne Nutzen sind, da Wahrheit und Erkenntnis dann gar nicht mehr stattfinden. Zweitens wird er, denke ich, den Unterschied anerkennen, der dazwischen besteht, ob ich träume, mich in einem Feuer zu befinden oder ob ich wirklich darin bin. Besteht er aber darauf, sich als Skeptiker zu zeigen, so werde ich ihm sagen, es sei genug, daß wir mit Sicherheit finden, daß Lust und Schmerz die Folge der Einwirkung gewisser Gegenstände, wahrer oder erträumter, auf uns sind, und daß diese Gewißheit ebenso groß wie unser Glück und unser Unglück ist: zwei Dinge, über welche unser Interesse nicht hinausgeht. So glaube ich denn, daß wir drei Arten von Erkenntnissen aufzählen dürfen: die intuitive, die demonstrative und die sinnliche.

Theoph. Ich glaube, Sie haben recht, und denke sogar, daß sie diesen Arten der Gewißheit oder der gewissen Erkenntnis noch die Erkenntnis des Wahrscheinlichen hinzufügen könnten; so wird es zwei Arten von Erkenntnissen geben, wie es zwei Arten von Beweisen gibt, von denen die einen Gewißheit hervorrufen, während die anderen nur bis zur Wahrscheinlichkeit reichen. Aber lassen Sie uns zu dem Streite kommen, den die Skeptiker mit den Dogmatikern über das Dasein der Dinge außer uns führen. Wir haben denselben schon berührt, müssen aber jetzt darauf zurückkommen. Ich habe ehemals mündlich und schriftlich darüber sehr viel mit dem seligen Abbé Foucher, Kanonikus von Dijon, gestritten, einem gelehrten und scharfsinnigen Manne, der aber allzusehr für seine Akademiker eingenommen war, deren Schule er gern wiederbelebt hätte, wie Gassendi die der Epikureer wieder auf die Bühne gebracht hatte Über Simon Foucher vgl. Band II, S. 399; vgl. Leibniz' Urteil über ihn in einem Brief an Nicaise vom J. 1697 (Gerh. I, 365 f.).. Seine Kritik der Recherche de la Vérité und seine anderen, später von ihm veröffentlichten kleinen Abhandlungen haben ihren Verfasser von einer sehr vorteilhaften Seite bekannt gemacht Critique de la Recherche de la Vérité, où l'on examine en même temps une partie des principes de M. Descartes, lettre par un académicien. 1675.. Er hat auch in das Journal des Savans Einwürfe gegen mein System der vorherbestimmten Harmonie einrücken lassen, als ich dasselbe nach mehrjähriger Überlegung in die Öffentlichkeit brachte; aber der Tod hat ihn verhindert, auf meine Antwort zu erwidern S. Objections de M. Foucher, Chanoine de Dijon, contre le nouveau système de la communication des substances, und Leibniz' Replik: Gerh. IV, 487 ff. und 493 ff.. Er predigte immer, daß man sich vor Vorurteilen hüten und große Genauigkeit anwenden müsse; aber abgesehen davon, daß er es sich nicht zur Pflicht machte, das, was er anderen riet, selbst auszuführen, worin er einigermaßen zu entschuldigen war, schien er mir auch nicht darauf acht zu haben, ob ein anderer es täte: da er ohne Zweifel von vornherein überzeugt war, daß niemand es jemals tun würde. Ich machte ihm nun bemerklich, daß die Wahrheit der sinnlichen Dinge nur in der Verknüpfung der Erscheinungen, die ihren Grund haben muß, bestehe und daß dieser Umstand es sei, der sie von den Träumen unterscheidet, daß aber die Wahrheit unseres Daseins und der Ursache der Erscheinungen von einer anderen Beschaffenheit sei, weil sie auf die Annahme von Substanzen führe; und daß die Skeptiker das, was sie Gutes behaupteten, dadurch wieder verdürben, daß sie ihre Behauptung zu weit trieben und ihre Zweifel selbst auf die unmittelbaren Erfahrungen, ja sogar auf die geometrischen Wahrheiten erstrecken wollten (was Foucher übrigens nicht tat), sowie auf die übrigen Vernunftwahrheiten (was er in etwas zu weitem Maße tat). Um aber zu Ihnen zurückzukehren, so haben Sie recht, zu sagen, daß für gewöhnlich zwischen sinnlichen Empfindungen und Phantasiebildern ein Unterschied sei, aber die Skeptiker werden sagen, daß ein bloßes Mehr oder Weniger im Wesen der Sache nichts ändert. Obwohl übrigens die sinnlichen Empfindungen lebhafter als die Phantasiebilder zu sein pflegen, so weiß man doch, daß es Fälle gibt, wo Personen von starker Einbildungskraft durch ihre Phantasiebilder einen ebenso großen, oder vielleicht noch stärkeren Eindruck, als ein anderer durch die Wirklichkeit empfingen. Ich halte daher, soweit es sich um die Sinnendinge handelt, für das wahre Kriterium den Zusammenhang der Erscheinungen, d. h. die Verknüpfung dessen, was in verschiedenen Orten und Zeiten und in der Erfahrung verschiedener Menschen vor sich geht, die in bezug hierauf füreinander selbst sehr wichtige Erscheinungen sind. Der Zusammenhang der Erscheinungen aber, der die Tatsachenwahrheiten im Hinblick auf die sinnlichen Dinge außer uns verbürgt, wird seinerseits mittels der Vernunftwahrheiten bewährt, wie die Erscheinungen der Optik durch die Geometrie ihre Aufklärung erhalten S. hierzu bes. Band I, S. 287 (Anm.), und Band II, 402.. Allerdings muß man zugeben, daß diese ganze Gewißheit nicht eine solche vom höchsten Grade ist, wie Sie ganz richtig anerkannt haben. Denn es ist, metaphysisch gesprochen, nicht unmöglich, daß es einen so zusammenhängenden und langdauernden Traum geben kann, wie das Leben eines Menschen; doch ist dies etwas so Vernunftwidriges, wie es etwa die Fiktion eines Buches wäre, das durch Zufall entstände, indem man die Drucklettern bunt durcheinander wirft. Übrigens ist, wenn die Erscheinungen nur miteinander zusammenhängen, wirklich auch nichts daran gelegen, ob man sie Träume nennt oder nicht, weil die Erfahrung zeigt, daß man sich in den Maßnahmen, die man gegenüber den Erscheinungen trifft, wenn sie gemäß den Vernunftwahrheiten getroffen werden, nicht täuscht Zum Ganzen s. die Abhandlung: De methodo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis, Band II, S. 123 ff..

§ 15. Philal. Übrigens ist die Erkenntnis nicht immer klar, auch wenn die Ideen es sind. Jemand, der von den Winkeln eines Dreiecks und von dem, was es heißt, zwei Rechten gleich zu sein, so klare Ideen hat, wie nur irgendein Mathematiker der Welt, kann gleichwohl eine sehr dunkle Erkenntnis der Übereinstimmung dieser beiden Ideen miteinander haben.

Theoph. Wenn die Ideen von Grund aus verstanden werden, leuchten auch ihre Übereinstimmungen und Nichtübereinstimmungen ein. Indessen gibt es, wie ich zugestehe, mitunter so zusammengesetzte Ideen, daß es viel Mühe macht, das, was in ihnen verborgen ist, zu entwickeln; und insofern können gewisse Übereinstimmungen oder Nichtübereinstimmungen noch dunkel bleiben. Was Ihr Beispiel betrifft, so bemerke ich, daß man darum, weil man die Winkel des Dreiecks in der sinnlichen Vorstellung hat, noch keine klare Idee von ihnen hat. Die sinnliche Vorstellung kann uns kein gemeinsames Bild von spitz- und stumpfwinkligen Dreiecken liefern, und dennoch ist beiden die Idee des Dreiecks gemein: also besteht diese Idee nicht in den sinnlichen Bildern und es ist nicht so leicht, wie man denken könnte, die Winkel eines Dreiecks von Grund aus zu verstehen.


 << zurück weiter >>