Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.
Studentenpatrocinium


Alles aber währt nur seine Zeit, also auch das Elend und der Mangel. Eulerkapper ging eines Tages botisch, und brachte für ein Fräulein v. Gerstenthal einen Liebesbrief nach Grünberg an einen daselbst stehenden preußischen Werbeoffizier. Als er zurückging, kehrte er in einem Dörfchen ein, wo mehrere Studenten in der Schenke einen Papst machten.

Eulerkapper forderte ein Glas Bier für zwey Heller. Ey was, rief ein Student, Bier für zwey Heller! Komm her, Mosjeh, und trink quantum satis! Eulerkapper ließ sich diese Einladung nicht wiederholen, und trank, was das Zeug hielt.

Der Kalaber kann gut ziehen. Wer bist Du?

Der Magister Euler.

Ah der Magister Eulerkapper? Nicht?

Je nun, wenn die Herren so wollen: meinetwegen auch Eulerkapper.

Na, Domine Magister, wie gehts denn, wie stehts?

Schofel, meine Herren; erbärmlich.

Wie denn so?

Ach wenn man das nicht hat, quo negato natura dolet, dann wissen Sie ja wohl.

Mein Seele, 's ist eine Schande, daß ein vir literatus darben soll. Wo sind Sie gewesen, Herr Magister?

Hab einen Brief nach Grünberg getragen.

Für Geld?

Ja. Ich verdiene heute drey Batzen.

Teufel und Hölle, drey Batzen für einen Boten, der Magister ist. Hier, Herr Magister, ist ein Thaler. Geben Sie den Brief her, den Sie zur Antwort bekommen haben.

Freudig über den Thaler gab Eulerkapper den Brief hin, und unter währendem Gelächter lasen sie folgendes:

Herzallerliebstes Röschen!

Morgen Abend werde ich gegen acht Uhr im philosophischen Wäldchen seyn. Mache, liebes Kind, daß Du auch da bist. Du kannst nicht glauben, wie ich nach Dir verlange, seit jenen angenehmen Stunden, die wir in Büseck auf dem Heuboden mit einander zubrachten, als Dein dummer Kerl von Vater und Deine alte Gans von Mutter glaubten, Du lägst bey der Pfarrjungfer im Bette. Ja, da lag mein Reitknecht, und ich lag mit meinem lieben Röschen auf dem Heu. Es war zwar ein übles Lager, indessen ging es doch. Im philosophischen Wäldchen müssen wir ja gar auf dem bloßen Rasen liegen: aber es soll schon gehen. Wenn mich nur mein Röschen liebt, bin ich schon geborgen. Mache ja, liebes Kind, daß ich nicht lange auf Dich warten muß. Lebe wohl mein Engel. Dein treuer

Zangen.

N. S. Dem Eulerkapper hab ich sechs Kreutzer gegeben: lege Du noch sechs dazu, dann ist der Kerl bezahlt.

Ah, ein herrlicher Fund. Da, Herr Magister, ist noch ein Thaler. He da, Rother, Rother.

Rother ( der Wirth). Was woll'n 's?

Einen Boten nach Gießen.

Gleich.

Der Bote kam: die Studenten schrieben einen Brief an den Herrn von Gerstenthal, und meldeten ihm, daß sie einen Brief an seine Fräulein Tochter gefunden hätten, welchen sie ihm hiemit übermachten, und als diese noble Expedition verrichtet war, würde der Papst vollendet, worauf der Zug nach Gießen zurückging.

Herr von Gerstenthal entsetzte sich fürchterlich, als er den Brief an seine Tochter las, und schickte den Augenblick, nachdem er dem Fräulein mit der Hetzpeitsche derb zugesprochen hatte, eine Ausforderung an den Herrn von Zangen: aber Herr von Zangen zog sich damit aus der Schlinge, daß er bey allen Teufeln, und auf seine Ehre versicherte, er habe den Brief nicht geschrieben, es sey eine leere abscheuliche Erdichtung. Gerstenthal war damit zufrieden, und bat sogar seine Tochter um Verzeihung, daß er ihr mit der Hetzpeitsche etwas zugesprochen hatte.

Eulerkapper hatte zwey Thaler so ganz unverhofft erhalten, und glaubte, nun dürfe er auch dem Genius indulgiren, oder auf deutsch, sich etwas zu Gute thun. Er ging daher den folgenden Sonntag nach Heuchelheim zu Biere: auf dem Rückweg begegnete ihm der Lieutenant Zangen, und da er glaubte, durch ihn sey der Spektakel mit dem Briefe entstanden, sprang er vom Pferde, und gerbte den armen Teufel mit dem Degen dergestalt durch, daß dieser auf der Erde liegen blieb, und sich nach Hause schleppen lassen mußte.

Die Studenten erfuhren das ihrem Protegé widerfahrne Unglück: sie besuchten ihn, unterstützten ihn mit Gelde, und sagten ihm, daß sie ihm einen wöchentlichen Gehalt aussetzen wollten, wenn er alle ihre Zusammenkünfte besuchen, und mit sich machen lassen würde, was sie für gut befänden. Eulerkapper, durch Kummer und Noth mürbe gemacht, ließ sich alles gefallen, und ward von nun an der allgemeine Scherwenzel der Gießer Bursche. Bey allen Kommerschen war er gegenwärtig, und mußte so lange pro poena saufen, bis er nicht mehr hören noch sehen konnte: jede Woche war er wenigstens ein Mal Papst, und wenn eine lächerliche Komödie gespielt werden sollte, war er gewiß dabey. Den Namen Eulerkapper, oder auch wohl schlechtweg Kapper ließ er sich gerne gefallen, und ward nicht böse, wenn man öffentlich Schindluder, wie man sagt, mit ihm spielte. Waren die Studenten auf einem Dorfe lustig, so ließen sie erst ihren Eulerkapper so lange trinken, bis er total besoffen war, und dann färbten sie ihm das Gesicht mit Kienruß schwarz: hierauf zogen sie in die Stadt zurück, und sangen hinter ihm her:

Schwarz bin ich;
Die Schuld ist meine nicht.
Die Schuld ist meiner Kindermagd,
Die mich nicht weiß gewaschen hat.

Liederlich bin ich;
Die Schuld ist meine nicht.
Die Schuld mag meines Vaters seyn,
Der trinkt so gerne Brantewein.

Die Jungen aus ganz Gießen folgten jedes Mal diesen Aufzügen, und die Philister und Gnoten räsonnirten des Abends darüber bey einem Trunk Bier.

Studenten haben die Gesinnung wie alle andre gewöhnliche Menschen in der Welt: sie thun und geben nicht gerne umsonst, und wer ihren Schutz oder ihre Wohlthaten genießen will, muß sich alles von ihnen gefallen lassen, was ihnen einfällt, mit ihm zu machen, und daher ist derjenige höchst unglücklich, welcher von der Gnade der Studenten leben muß. Große Herren despotisiren diejenigen auch gerne, die ganz von ihnen abhängen; aber selten geht dieser Despotismus bis zur völligen Niederdrückung: dem Verfasser sind jedoch Beyspiele bekannt, daß Studenten mit armen Geschöpfen, die sich nicht anders helfen konnten, und sich, bloß um zu leben, die infamste Behandlung gefallen lassen mußten, aufs fürchterlichste umgesprungen sind, und sie bis zur Entehrung der Menschheit selbst mißhandelt haben.


 << zurück weiter >>