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Sechszehntes Kapitel.
Der Magister legens


Euler kam nach Gießen, und kündigte sich daselbst mit einem Programma an, welches die Ueberschrift führte: Methodologia studii Academici. Es war ein Ding von ungefähr acht Bogen, und enthielt den höchsten nur denkbaren Unsinn über das akademische Studiren: denn Mosjeh Euler forderte lauter Unmöglichkeiten. Ich würde meinen Lesern einige von seinen Rathschlägen und Anweisungen mittheilen: da aber der Hr. Professor Schelling in Jena seine Methodologie, welche in diesem Jahr erschienen ist, gerade nach Eulerschen Grundsätzen geformt hat, so mögen meine Leser, wenn sie sonst gerne faden Obscurantismus lesen, nur das Schellingsche Werkchen zur Hand nehmen, um sich eine Vorstellung von unsers Eulers Programma und dessen Inhalt zu machen.

Euler schlug an, eine allgemeine Uebersicht über alle Gelehrsamkeit zu geben, und räsonnirte gleich in der ersten Stunde dergestalt ins Gelag hinein, daß die Studenten ihn auszischten und austrommelten. Euler hielt dieß Zischen und Trommeln für lauten Beyfall, und dankte am Schluß der Stunde seinen hochgeehrtesten Herren für ihr geneigtes Gehör. Nun erschallte ein lautes Gelächter: der Magister glaubte, man lache ihm zu Ehren, machte gar tiefe Bücklinge, und zog triumphierend auf seine Studierstube.

Ehe er anfing Collegia zu lesen, hatte er sich einen armen Studenten angenommen, der sein Famulus, oder sein Fiskal seyn sollte. Dieser Mensch hieß Acke, und war ein durchtriebener Vogel. Nach dem geendigten ersten Collegium fragte der Magister den Fiskal, wie den Herren sein Vortrag gefalle. O vortrefflich, erwiderte dieser; werdens ja gemerkt haben an den fröhlichen Gesichtern, Herr Magister.

Euler. Ja wohl hab ich das. Aber ich möchte doch gern wissen, ob die Herren denn gar nichts auszusetzen haben.

Acke. Nicht das Geringste. Wollen Sie aber, so bescheide ich einige zu Ihnen, die sollens Ihnen selbst bestätigen.

Euler. O thun Sie doch das, lieber Acke, thun Sie 's doch noch heute.

Acke ging nach den Kneipen, beschied einen Haufen Studenten zum Magister Euler; Euler war höchst erfreut über den geneigten Zuspruch, und tractirte die Herren mit Caffee, Wein und Tabak: wer aber so auftischt, beleidigt die Studenten zuverlässig nicht.

Alle lobten einmüthig die Gründlichkeit und die Schönheit des Vortrags des Herrn Magisters. Dieß gaudirte unsern Mann bis in die Seele, wie es denn überhaupt ein gewaltiges Gaudium für einen Gelehrten ist, wenn man ihn und seine Producte, die schriftlichen oder die mündlichen, rühmt; diese Schwachheit ist allen Gelehrten gemein.

Nachdem die Herren bis auf den Abend bey dem Magister geblieben waren, und sichs weidlich hatten schmecken lassen, nahmen sie Abschied, und brachten ihm noch denselben Abend ein Ständchen. Dieß vollendete seine Freude – und als der Anführer das vivat hoch! erschallen ließ, wäre er beynahe, wie die Schwester des großen Leibniz, gestorben vor Freude.

Sie müssen Ihren Vortrag nur noch in etwas würzen, sagte den andern Tag früh Herr Acke zum Magister: müssen Späßchen, Schnurren und lustige Stückchen auch so mitunter von Hans und Gretel einfließen lassen. Das erhält den Zuhörer bey der Munterkeit, und ist ungemein geschickt, die schweren abstracten Lehren begreiflich zu machen.

Der Magister fand diesen Vorschlag vernünftig, und von nun an erzählte er Possen und riß Zoten im Collegium, daß man die Herren Auditores über zehn Häuser konnte gröhlen und wiehern hören. Von dieser Zeit an war täglich das Auditorium des Magisters dermaßen angefüllt, daß viele nicht sitzen konnten. Man nannte die Lehrstunde des Magisters – er las nur eine Stunde – das Juxcollegium, und die Professoren, welche in derselben Stunde lasen, hatten wenig oder gar keine Zuhörer.

Das erste halbe Jahr ging hin; aber Euler erhielt auch keinen Heller Honorarium. Ah, dachte er, aller Anfang ist schwer: es wird in Zukunft schon besser gehen. Er schlug die Logik an, und bekam wieder eine gewaltige Menge Zuhörer: denn in der Logik konnte er, wie ein gewisser Professor Juris in den Pandecten, alle seine Beyspiele aus dem Burschenleben und aus der Zotologie hernehmen, und dieß liebten die Studenten damals mehr, als den gründlichsten Vortrag.

Auch dieß halbe Jahr verging, und noch eins, ohne daß der Magister Euler einen Heller Honorarium bekommen hatte.

Endlich ward ihm das Ding doch zu toll: er schlug an, daß er die Metaphysik lehren wolle, aber nicht anders, als wenn ihm dreyßig Zuhörer pränumeriren würden. Siehe da, es kam keiner, und Meister Euler hätte den leeren Bänken lesen müssen, wenn er hätte wollen Lehrstunden halten.

Müßig gehn wollte er doch auch nicht, er entschloß sich also, ein Buch zu schreiben, und zwar eine Uebersetzung der Psalmen in die Burschensprache. Der erste Psalm fing z. B. also an: Der Mann ist recht auf den Strümpfen, der mit den Verschissenen nicht kränzianirt, der nicht herumlatscht mit malitiösen Ströhmen, und mit den Stricken keinen Schmollis macht u. s. w. Leider konnte er, nachdem das wichtige Werk vollendet war, keinen Verleger dazu finden, und so war denn auch die Hoffnung, ein hübsches Honorar zu ziehen, in den Brunnen gefallen. Schade ist es indessen doch, daß das Werkchen nicht erschienen ist: denn Trotz der Bildung, welche ein gewisser Recensent den Jünglingen unsrer Zeit zuschreibt, würden sich doch Leser genug dazu finden.

Eulers Vermögen war bis auf tausend Thaler herabgeschmolzen, und bald sah er sich gezwungen, die bitterste Noth zu leiden, wenn ihm nicht ein deus ex machina helfen sollte. Seine Frau knurrte und schnurrte täglich: die Liebe zwischen beyden war längst erkaltet, und von Seiten der Frau Magistern war Verachtung und Haß an die Stelle der Achtung und der Liebe getreten. Denn die Dame hatte zu Gießen gelernt, wo Barthel Most holt, und sahe wohl bald ein, daß bloß die Ungeschicklichkeit und die Dummheit ihres Mannes Schuld war, daß es nicht besser gehen wollte. Bittere Vorwürfe waren die Folgen dieser Betrachtungen, und dem ehrlichen Euler ward es oft so angst, daß er hätte mögen davon laufen.


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