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Dreizehntes Kapitel.
Katastrophe oder Anastrophe


Ich würde gethane Arbeit abermals thun, wenn ich hier die berühmte Akademie zu Schilda näher beschreiben wollte; dieß that ich schon im Jahr 1798 und 99, und manche meiner Leser haben sich über meine aus ächten Quellen gezogenen Nachrichten daß gefreut, obgleich andre sich baß darüber geärgert haben. Also kein Wort von der Einrichtung der Universität und von ihrem Wesen, sondern nur von dem, was Euler, der Held unsrer Geschichte, daselbst gethan hat.

Unweit Schilda steht ein Wirthshaus, wo Schwager Matz, der Postillon, jedesmal einkehrte: dießmal, als er unsern Euler fuhr, machte Freund Matz keine Ausnahme von der alten Regel und kehrte ein, so ungern es auch Euler sahe, welcher vor Begierde brannte, die Herren zu Schilda kennen zu lernen. Indessen mußte er nachgeben: er stieg gleichfalls ab und ging ins Haus; bald bemerkte er, daß einige wohlgekleidete junge Leute die Treppe hinaufgingen. Er fragte den Wirth, wer diese wären.

Das sind Studenten, erwiderte dieser; sie halten eine gelehrte Gesellschaft unter dem Vorsitz des Herrn Professors Simon. Dann und wann, wenn's hübsch Wetter ist, kommen die Herren zu mir, und halten ihre gelehrten Untersuchungen hier.

Euler hatte kaum gehört, daß Studenten oben wären, als er schnell die Treppe hinauf und zur Versammlungsstube hineinlief. Die Anwesenden verstummten, als sie einen baumstarken Menschen mit einem großen Hieber, und einem allmächtigen Hut hereinrennen sahen.

Verzeihen Sie, meine Herren, daß ich so gerade hereinkomme. Ich bin auch Student, und werde künftig in Schilda studieren. Hab 400 Thaler Wechsel, und hoffe damit auszukommen. Hier ( schlägt auf die Hosentasche), hier ist Moses und die Propheten.

Bey den Worten Moses und die Propheten, und bey der Versicherung von 400 Thaler Wechsel machte Herr Professor Simon große Augen: denn wenige Schildaer hatten so viel, am allerwenigsten die von seiner gelehrten Gesellschaft. Ha, dachte er bey sich selbst, den mußt du zu gewinnen suchen.

Ganz höflich bat er den Fremden, Platz zu nehmen. Euler setzte sich, und stopfte seine Pfeife: denn er sah, daß auch andre Tabak rauchten.

Haben der Herr schon ein Logis in Schilda? fragte Herr Simon in einem sehr höflichen Ton.

Euler. Noch nicht: werd aber wohl eins bekommen.

Simon. O gewiß. Aber es ist nur die Frage, ob Sie so eins bekommen, wie Sie es zu haben wünschen.

Euler. Mein Quartier muß erstens nach der Straße gehen: denn nach den Mistlöchern gucke ich nicht gern. Zweytens muß ich hereinkönnen, wann ich will, weil ich mich an keine Zeit binde; und drittens muß ich nicht geprellt werden, denn ich bezahle honett.

Simon. Nach Ihren ersten beyden Forderungen werden Sie sicherlich in den meisten Häusern unsrer Stadt hinlänglich satisfacirt werden, aber was die dritte belangt, da weiß ich nicht, ob jedes Logis Ihrer Erwartung entsprechen möchte.

Euler. So? Versteht man das Prellen denn in Schilda auch so gut, wie in Gießen?

Simon. Zuverläßig. Indessen giebt es doch Häuser, wo Prellerey nicht Mode ist.

Euler. Eh bien, Herr Professor, weisen Sie mir so ein Haus zu.

Simon. Wenn ich nicht in aller Hinsicht ganz uneigennützig scheinen wollte, so –

Euler. Nun, Herr Professor, weiter, wenn ich bitten darf.

Simon. Würde ich Ihnen mein eigenes Haus vorschlagen.

Euler. Bene, optime, optimissime. Was soll ich Miethe geben?

Simon. Sie müssen doch das Logis erst sehen.

Euler. Ich verlasse mich auf Ihr Wort.

Simon. Der vorige Herr Bewohner zahlte mir halbjährlich zwanzig Thaler, und vier Thaler für Aufwartung.

Euler. Optime, will gleich pränumeriren. ( Der Wirth tritt ein.)

Simon. Nicht doch, das hat Zeit.

Euler. Wenn ich aber pränumeriren will?

Simon. Auf Ehre, ich nehme keinen Heller.

Wirth. Ih, Herr Professor, lassen Sie denn doch den Herrn pränumeriren, wenn er durchaus will.

Euler. Der Herr Wirth hat Recht: Sie müssen die Pränumeration annehmen.

Simon. Nimmermehr! Heute keinen Heller; Sie müssen erst das Logis sehen.

Wirth ( leise zum Professor). Lassen Sie ihn doch immer pränumeriren: dann können Sie mir ja auch die 7 Thaler 4 Gr. 9 Pf. geben, die Sie mir schon so lange Zeit her schuldig sind.

Simon ( leise zum Wirth). Es ist wider meine Ehre, ( laut zu Euler) Ich nehme jetzt nichts: besehen Sie erst Ihr Zimmer, dann ist's Zeit genug. ( Zum Wirth leise) Morgen will ich Ihnen das Geld herausschicken.

Wirth ( im Abgehen). Ja, morgen am letzten Feyertag. Borge nur einer den Gelehrten!

Indem klatschte der Postillon: Euler brach auf, Herr Simon schloß für heute die gelehrte Gesellschaft, und fuhr mit seinem neuen Hausburschen nach Schilda. Euler besah das Zimmer, es gefiel ihm, und nun ließ sich Simon pränumeriren.

Den folgenden Tag schlief unser Mann sehr lange, weil er von der Reise müde war. Kaum war er aber angekleidet, so kam sein Herr Wirth, und bat ihn zum Mittagsessen. Er acceptirte, und fand da noch mehrere Studenten am Tische. Er fragte, ob die Herren auch im Hause logirten, und hörte zu seiner Verwunderung, daß sie nur den Tisch beym Professor hätten. In Gießen war es nämlich nicht Mode, daß Professores auch zugleich Speisewirthe gewesen wären: denn die Herren hielten es unter ihrer Würde, den mit Abgaben belasteten Bürgern auf diese Art ihre Nahrung zu schmälern.

Euler fragte hastig, ob er nicht auch die Ehre haben könnte, mit dem Herrn Professor zu speisen? Die Frau Professorin bejahete die Frage, und unser noch geldreicher Held pränumerirte auch den Tisch auf ein Vierteljahr.

Indessen hatte Euler nicht vergessen, daß er in Gießen ein honoriger Bursch gewesen war und wollte auch in Schilda von seinen Commentskenntnissen den nöthigen Gebrauch machen. Er begab sich in der Absicht auf eine Schenke, wo Studenten zusammen zu kommen pflegten. Zum Unglück hatte der neue in Schilda aufgenommene Orden der Amicisten diese Schenke nach löblichem Gebrauch der Ordensbrüder und der Gnoten zu seinem Kommerschhaus erwählt, aber doch würde Euler nicht insultirt worden seyn, hätte nicht kurz vorher die Mutterloge der Amicisten zu Jena den Orden der Kakodämonisten für unehrlich erklärt gehabt. Ein ehemaliger Gießer, welcher noch vor sechs Monaten daselbst gewesen, und hernach nach Jena gegangen, von da aber bald seines Wohlverhaltens wegen relegirt worden war, erkannte Eulern, und steckte es schnell seinen Ordensbrüdern, daß dieser der ehemalige Secretär des Kakodämonistenordens sey. Die Herren murmelten unter einander, aber Euler muthmaßete noch nichts Böses, er näherte sich vielmehr seinem Bekannten, und reichte ihm freundschaftlich die Hand. Apage Satana! rief dieser, und stieß ihn derb zurück.

Nun Herr Bruder, sagte Euler, Du machst wohl Deinen Spaß; willst mich wohl exorciren mit Deinem Apage Satana?

Der Teufel ist Dein Bruder, blamirter Bengel, schrie der Andere, und in dem Augenblick bekam Euler eine Menge Rippenstöße und Ohrfeigen, und wurde endlich mir nichts dir nichts die Treppe herunter geworfen.

Er wußte nicht, wie ihm geschehen war, und ging nach Hause. Eine Stunde hernach kam Herr Simon auf seine Stube. Guten Abend, mein Lieber, sagte dieser; ich bedaure Sie, Sie sind ohne Ihre Schuld beleidigt worden.

Euler. Ja wohl ohne meine Schuld: ich weiß wahrlich nicht, warum?

Simon. Ich wills Ihnen sagen. Ihre Beleidiger sind Amicisten, die ärgsten Feinde des Ordens, in welchem Sie in Gießen gewesen sind.

Euler. Aha, ist das so? – ( langsam) Ich muß mir Satisfaction verschaffen.

Simon. Die kriegen Sie nicht. Die Amicisten geben keinem Kakodämonisten Satisfaction.

Euler. In diesem Fall muß ich klagen.

Simon. Werden schön ankommen: die Amicisten werden von unserm Canzler geschützt.

Euler. Dann bleibt mir nichts übrig, als geradezu Schilda zu verlassen. Ich darf hier nicht als blamirter Junge auftreten.

Simon. Ich will Ihnen einen Rath geben; werfen Sie sich ganz in die Arme der Musen, studieren Sie auf einen Professor, und jedermann wird Sie ehren, selbst Ihre Feinde werden Respekt vor Ihnen haben.

Nun disserirte Herr Professor Simon ein Langes und ein Breites über den Werth der Wissenschaften, über die Leichtigkeit, bald gelehrt zu werden, und über den Flor der Gelehrsamkeit in Schilda. Euler wurde bald überzeugt, daß es besser sey, ruhig zu leben, als sich herumzubalgen: denn troz aller Renommisterey, und aller Commentswissenschaft, war er im Grunde doch nur ein Erzpoltron, der den lieben Frieden und eine warme Suppe begehrte. Er entschloß sich also den Musen zu fröhnen, und den Comment Comment seyn zu lassen.


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