Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.
Allons nach Schilda!

Er stieg an der Schenke ab, weil er sich erst erkundigen wollte, ob sein Gönner – denn daß es sein Vater war, wußte er noch nicht – auch schon von seiner Verjagung aus Gießen gehört habe, um auf alle Fälle sich in etwas zu präcautioniren.

Ih mei Gott, und mei Herr, Mosjeh Hanhenrich, rief ihm der Wirth entgegen, wo kum He dann her? Heut früh iß noh Ihm geschickt worr noh Goise, und He iß schund da!

Euler. Hab' doch keinen Boten angetroffen!

Wirth. Joh, joh, mei Hanpeter iß hene geritt', er wird naune wuhl da sey.

Euler. Weßwegen ist denn nach mir geschickt worden?

Wirth. Und das wäß He noch nett? Du lieber Gott, der Herr Pastor Simon iß schund äh Paar Woche krank; naune iß er abber so schlecht, doß se ihm ufs Enne warten.

Aha, dachte Euler, pfeifst Du daher: allons marsch zum Alten!

Spornstreich lief er ins Pfarrhaus, wo er alles in der größten Unordnung fand. Der Herr Pastor war eben verschieden, und der Gerichtshalter versiegelte alles, was nicht nothwendig offen bleiben mußte. Als der Gerichtshalter unsern Euler erblickte, sprang er auf ihn zu, drückte ihm die Hand, und sagte: gratulor Herr Euler, zur Erbschaft, der selige Herr hat Sie zum Universalerben eingesetzt. Ist das nicht bon?

Euler ( mit verstellter Traurigkeit). Ach Gott, mein guter Vetter, mein Gönner, mein Wohlthäter!

Gerichtshalter. Herr, Sie erben zwölf tausend Gulden, und bey so einer Erbschaft, dächt ich, vergißt man Vetter, Gönner und Wohlthäter.

Euler hatte gegen dieß Argument nichts einzuwenden; er trocknete seine Thränen, und war bald wieder so fidel, als säße er zu Gießen in der Kneipe des Eberhard Busch.

Nach dem Begräbniß des seligen Herrn Pastors, wobey die ganze Geistlichkeit von weit und breit her stattlich tractirt wurde, und wohlbezecht nach Hause kehrte, wurde das Testament eröffnet; aber siehe da, der Herr Pastor Streuber von Badenheim war als Executor ernannt, und zum Curator des jungen Herrn bestimmt, bis derselbe einst Pastor seyn würde.

Das war ein Donnerschlag für Eulern: er hoffte, daß ihm das Vermögen sofort in die Hände würde gegeben werden, und nun hatte er einen Curator, welcher ihm das Geldchen pro lubitu zuzetteln konnte. Er offenbarte seine Verlegenheit dem Gerichtshalter; dieser hieß ihn gutes Muths seyn: Herr, sagte der Gerichtshalter, der Pastor Streuber ist ein fideler Bruder, der Ihnen gewiß geben wird, so viel Sie verlangen: aber freylich müssen auch Sie erkenntlich seyn: denn gegen Unerkenntliche ist Pastor Streuber so gewissenhaft, wie ein Advocat, der so eben wegen des criminis falsi vom Bau kommt, und doch aus landesväterlicher Gnade bey der Praxis gelassen worden ist. Morgen besuchen Sie ihn selbst, und dann wird sich das Uebrige schon von selbst geben.

Euler befolgte den Rath des Gerichtshalters, und begab sich den folgenden Tag nach Badenheim zum Pastor Streuber. Dieser saß eben mit dem Dorfrichter bey einem Glas Schnapps, und unterhielt sich über die Tagsgeschichten: denn eben war der Krieg zwischen Oesterreich und Preußen ausgebrochen. Der Schulz war gut österreichisch gesinnt: denn er glaubte, als Mitglied, und zwar als actives Mitglied des heiligen römischen Reichs, müsse er auch dem Durchlauchtigsten Hause Oesterreich anhangen, welches diesem Reich bereits zehn Kayser geliefert habe. Der Pastor hingegen vertheidigte, als guter Protestant, die Sache der Preußen: denn er glaubte, der König Friedrich wolle der Religion wegen Schlesien haben, um den bedrückten Protestanten aufzuhelfen. Der Disput hatte sich zwischen beyden sehr erhitzt, und eben wollte der Pastor dem Dorfrichter durch eine derbe Ohrfeige beweisen, daß er Recht habe, und daß Maria Theresia absolut Schlesien verlieren müsse, als Euler in die Stube trat.

Seine Erscheinung endigte den Streit: der Pastor stand auf, und fragte ihn, wen er die Ehre habe zu sehen?

Euler. Ich bin der Studiosus Euler –

Pastor. Aha willkommen, Domine Relegate! Na, wie geht's, wie steht's?

Euler. Sollten Sie schon von meinem Pech gehört haben?

Pastor. Freylich. Aber das thut nichts. So ein Malhör kann einem braven Kerl schon passiren, ehe er sichs versieht. Bin auch drey Mal relegirt, und doch Pastor geworden. Haben Sie denn Ihren Cursus vollendet?

Euler. Ich zweifle.

Pastor. Na, was haben Sie denn für Collegia schon gehört?

Euler. Je nun die Dogmatik beym Doctor Benner, die Moral bey eben demselben, und die Kirchenhistorie, weiter nichts.

Pastor. Nicht die Polemik?

Euler. Nein.

Pastor. O weh, o weh! – Nicht die Casuistik?

Euler. Nein.

Pastor. O weh, o weh! – Nicht die Metaphysik?

Euler. Nein.

Pastor. O weh, o weh! – Sehn Sie Freund, da fehlen Ihnen noch die Hauptscienzen. Ohne Polemik ist man gar nichts. Wie will man ohne Polemik die Katholiken und die Calvinisten widerlegen? Ohne Casuistik kann man keinen Gewissensfall entscheiden. Z. B. ob pollutiones nocturnae Sünden sind Diese höchstwichtige Frage ist in Ludovici Dunte casibus conscientiae entschieden, und zwar bejahend! L.? Ohne Metaphysik, du lieber Himmel, was ist man da für 'n Rindvieh! da weiß man vollends gar nichts, weiß nicht, was Substanz, was Accidenz ist, was die vier genera causarum, was die zehn praedicamenta sind u. s. w. Nein Herr, Sie haben noch nicht ausstudiert; Sie müssen wieder auf die Universität.

Euler. Ich bin aber relegirt!

Pastor. Ist denn Gießen die einzige Universität in Deutschland? Wissen Sie was, gehn Sie nach Schilda, da ist eine treffliche hohe Schule, da kann man was rechts lernen. Bin selbst auch da gewesen ( schlägt sich zufrieden auf den Bauch).

Euler. Je nun, wie Sie meynen, Herr Pastor.

Pastor. Ja, ja, Freund, allons nach Schilda, dort soll schon noch etwas rechts aus Ihnen werden. Aber wie viel Geld müssen Sie jährlich haben?

Euler. Je nun, ich dächte, ein vierhundert Thälerchen wenigstens.

Pastor. Pah Freund, Freund, wohin denken Sie? Wenn Sie noch sagten ein hundert fünfzig, höchstens zwey hundert Thälerchen.

Euler. Kann wahrlich nicht anders auskommen. Sie sind selbst Student gewesen.

Pastor. Ja wohl, ja wohl: ich weiß was es kostet. Aber schwerer Verantwortung setze ich mich aus, wenn ich Ihnen zu viel gebe.

Euler. Wenn ich Sie aber wegen dieser etwanigen Verantwortung entschädige?

Pastor. Gut, ich will Ihnen einen Vorschlag thun: Sie schicken mir alle viertel Jahre eine Quittung auf 125 Thaler, und erhalten dafür 100. Sind Sie das zufrieden?

Euler ( den Pastor umarmend). De tout mon coeur, bester Freund. Gleich will ich Ihnen die erste Quittung schreiben: aber ich muß 150 Thaler haben, wegen der Reisekosten.

Pastor. Bon, so machen Sie die Quittung auf 187 Thaler 12 Groschen.

Euler schrieb die Quittung, empfing sein Geld, und lange vorher, ehe die Collegien anfingen, war er in Schilda.


 << zurück weiter >>