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Siebentes Kapitel.
Eulerchen muß studieren


Eulerchen, oder unser Held Hanhenrich, erhielt bald die Gunst und Zuneigung seines Vaters, und wußte sich dermaßen in denselben zu schicken, daß dieser die Stunde segnete, wo Hanhenrich in sein Haus gekommen war. Der junge Mensch besorgte ihm im Garten seine Blumen, begoß Aesche Aesch: mundartlich für Blumentopf. P. und Beete zur rechten Zeit, machte ihm alle seine Pfeifen ordentlich rein, stopfte sie ihm, und wenn der Pastor nach einer griff, so war Hanhenrich gleich mit dem Kohlenpfännchen oder mit einem Fidibus da. Durch dergleichen Aufmerksamkeiten, und dadurch, daß er stets liebes Papachen sagte, ohne zu wissen, daß dieser Ausdruck sehr richtig war, machte er sich dem guten Pastor unentbehrlich.

Herr Simon hatte keine Lust, sich wieder zu verheyrathen: er hatte ja sein Gutes in seiner Jugend empfangen; deßhalben entschloß er sich, mit seinem Sohn zu leben, und dessen Glück zu machen. Aber wie sollte er dieß anfangen? Die Mutter hatte ihn zwar zum Schneiderhandwerk bestimmt, aber der Pastor, sein Vater, hatte einen Abscheu vor allen Schneidern; weil ihm der Schneider Bach zu Gießen einst, als er zu dessen Frau steigen wollte, das Leder mit der Elle erbärmlich ausgegerbt hatte. Der Junge sollte überhaupt gar kein Handwerk lernen: denn er hätte doch Geselle werden müssen: alle Gesellen aber, die einzigen Buchdrucker ausgenommen, sind nach dem ächten Burschenausdruck Gnoten. Nun war der Pastor ehemals Senior seiner Landsmannschaft in Gießen gewesen, die Gnoten mußten ihm daher sammt und sonders ein rechter Dorn in den Augen seyn. Oft sang er noch, unter andern schönen Liedchen, die erbauliche Strophe:

Gnot, Gnot,
Du bist nicht befugt!
Läutre Deine Augen hier,
An unserm doppelten Bier:
Gnot, Gnot,
Du bist nicht befugt!

Wie sollte er nun haben zugeben können, daß sein Herzblättchen ein Gnote würde? Es blieb daher nichts übrig, als das Bürschchen studieren zu lassen, und dazu entschloß er sich rasch. Er citirte seinen Liebling, welcher eben mit den Gassenbuben beschäftigt war, das durch das Dorf laufende Regenwasser durch einen aus Gassenkoth geformten Damm aufzuhalten, und so eine Art von Teich mitten auf der Straße zu machen, auf seine Studierstube. Hanhenrich war über und über durchnäßt und starrte von Koth: ey Du Schlingel, sagte der Pastor, doch in einem eben nicht erschreckenden Ton, wie siehst Du aus? Was hast Du gemacht? Sprich!

Hanhenrich. Hab Schwellen gemacht.

Pastor. Aber sag' an, Schliffel, was soll aus Dir werden? Willst Du denn immer auf der Gasse liegen und mit den Buben klickern, Balliches und Temeh spielen, Burzelbaum und Rad schlagen? Willst Du denn nichts lernen?

Hanhenrich. Hab' ja genug gelernt: bin ja confirmirt, und gehe nicht mehr in die Schule.

Pastor. Meynst denn Du, daß Dir einer nur einen Heller für das Zeug geben werde, was Du weißt? Du weißt ja gar nichts, und kannst kaum lesen und kritzelst Buchstaben, – die Truthühner scharren sie besser in den Sand! Wenn ich nicht wüßte, daß – ja dann dächte ich. Du wärst dumm: aber so mag wohl die Schuld an dem Rindvieh, dem Cantor Schönleben liegen, daß Du nichts gelernt hast. Aber in Zukunft muß die Sache anders angefangen werden: denn Du sollst studieren.

Hanhenrich. Was ist denn das, Studieren, liebes Papachen?

Pastor. Du sollst was rechts lernen, so zum Beyspiel wie ich, damit Du auch Pastor wirst, wie ich.

Hanhenrich. Pastor? Ich? Da müßt' ich ja auch predigen?

Pastor. Allerdings.

Hanhenrich. Und auch Kinder taufen?

Pastor. Natürlich.

Hanhenr. Und auch 's Nachtmahl halten?

Pastor. Versteht sich.

Hanhenr. Und auch mit zur Leiche gehn?

Pastor. Nicht anders.

Hanhenr. Juchhey! liebes Papachen, ich werde Pastor. Lassen Sie mich immer auf pastorisch in die Lehre gehn; oder wollen Sie selbst mein Meister werden?

Pastor. Nicht doch, ich will Dich auf die Schule schicken, und dann auf die Universität, und hernach sollst Du schon Pastor werden, laß Du's nur gut seyn; jetzt geh aber, ich muß auf meine Predigt studieren.

Hanhenrich rannte fort, und erzählte seinen Kamraden, den Straßenjungen, daß er nun bald aufhören würde, ihres Gleichen zu seyn: er müsse nämlich studieren und Pastor werden. Die Jungen lachten ihn aus, und ermahnten ihn, die angefangene Wasserschwelle vollenden zu helfen; aber Hanhenrich war nicht dazu zu vermögen; ein künftiger Pastor, habe liebes Papachen gesagt, dürfe nicht mehr mit Gassenjungen herumfahren, und sich mit ihnen im Dreck wälzen. Die Jungen ärgerten sich über den neuen Moralisten, und einige größere Dorfschlingel nahmen sich vor, den unzeitigen Stolz des Menschenkindes zu demüthigen und ihn für seine Impertinenz zu züchtigen; aber sogleich ging das nicht an, denn sie fürchteten sich vor seinem Pflegevater und Patron, dem Pastor, welcher nach dem Genius der damaligen Zeit ein gar großes Ansehen in seinem Dorfe hatte.

 

Der Pastor bemerkte mit innigem Vergnügen, daß sein Hanhenrich zwar nicht gänzlich die Gesellschaft seiner Kameraden vermied, aber doch keins ihrer Spiele mitmachte; er schrieb diese Veränderung seinen Ermahnungen zu, und doch war es nichts, als dummer Dünkel und abgeschmackte Einbildung, welche den schwachköpfigen, unwissenden Hanhenrich von den Gassenpossen und Gassenspielen zurückhielt.


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