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Elftes Kapitel


§§§Armer Euler, dauerst mich!
Der Comment selbst weint um dich,
Daß du aus dem lieben Gießen,
Dich so schnell hast drücken müssen;
Aber was ist's denn nun mehr?
Solches Pech Unglück. Großes Unglück heißt: Saupech, Luderpech. L. bringt dir ja Ehr'!

Euler war damals, als er an seinem Werk über den Burschencomment arbeitete, nach Frankfurt gereist, und hatte da in einem Gasthofe, wo er selbst logirte, einen deutschen Fürsten angetroffen, den er geradezu, wie es einem wahren Burschen zusteht, auf seinem Zimmer besuchte, und ihm die Würde eines honorigen Burschen erklärte. Der Fürst war ein sehr humaner Mann, und liebte die Jovialitäten, also konnte er wohl einige Stunden in Eulers Gesellschaft zubringen, zumal ihn das Podagra hinderte, auszugehen. Euler sagte ihm, daß er ein Buch schriebe, daß dieses Buch eins der trefflichsten Producte seyn würde, welche Europa seit Olims Zeiten gesehen habe, und daß er es Seiner Durchlaucht dediciren wolle, wenn Dieselben es genehmigten.

Ja, ja, sagte der Fürst, ich nehme diese Ehre an; aber wovon handelt denn dies Buch?

Euler. Von den ersten Angelegenheiten der Menschheit, und von den besten Mitteln, die Menschen glücklich zu machen. Mehr sage ich jetzt von dem Inhalt meines Werkes nicht, und hoffe, es soll Sie auf's Angenehmste überraschen.

Der Fürst lächelte, und ließ den Großsprecher reden; denn er hatte schon mehrmals durch Büchertitel und Vorreden den Ausspruch des Horatius bestätigt gefunden:

Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus.

Einige Zeit nachher schickte Euler ein schön gebundenes Exemplar seines Buchs an den Fürsten, dieser schaute auf den Titel, und fand es keiner weitern Aufmerksamkeit würdig; denn er war kein Freund vom Burschencomment. Er legte daher das Buch auf die Seite; um aber doch an Eulern ein Werk der Barmherzigkeit zu thun, ließ er ihm danken, und das Danksagungsschreiben mit zehn Ducaten begleiten. Euler zeigte das Schreiben in allen Studenten- und Philistergesellschaften, das Geld aber gab er zum Besten, zur thätigen Unterstützung des Comments.

Etwa sechs Wochen hernach wollte der Fürst einst zu Stuhle gehen, und suchte ein Stück zartes Papier. Er traf auf Eulers Buch, machte es auf, und fand, daß es auf sehr feines holländisches Papier gedruckt war. Ach, dachte er, das giebt excellente Schnupftücher, das will ich auf's heimliche Gemach legen. Im Vorbeygehn bemerkt der Verfasser, daß viele dedicirte Bücher das Schicksal haben, von den durch die Dedication honorirten Herren aufs heimliche Gemach getragen zu werden; indessen macht dies nichts aus: wenn nur der Verfasser das erhält, was er durch sein dedicirtes Buch hat erhalten wollen, so ist's sehr gleichgültig, ob das Buch selbst dem Herrn, dem es dedicirt wurde, fürs obere oder fürs untere Gesicht dient.

Der Fürst riß ein Blatt mitten aus dem Buche, und setzte sich; er war eben hartleibig, und sonst gewohnt, die Zeitungen an diesem Orte zu lesen, wie der Doctor Semler die Bücher der Alchymisten, Goldmacher, Enthusiasten und Fanatiker S. Semlers Leben B. I., ich weiß nicht auf welcher Seite. L.. Er suchte daher in seinen Taschen nach den Zeitungen, hatte sie aber unglücklicher Weise vergessen; da es ihm aber längst zum Bedürfniß geworden war, auf dem Abtritte zu lesen, so nahm er Eulers Buch, und las darin. Daß er die Dedication zuerst vornahm, versteht sich von selbst; denn wer liest nicht gern sein eigenes Lob? Aber wie häßlich wurde der gute Fürst angeführt, als er nichts zu seinem Lobe fand, wohl aber gute Lehren, welche ihm der honorige Bursche gab. Einige Kernstellen muß ich herschreiben, um meine Leser in den Stand zu setzen, über Eulers Manier, mit Fürsten zu sprechen, urtheilen zu können.

Die Studenten, hieß es darin, welche aus dem Lande Ihrer Durchlaucht kommen, und bey uns studieren, sind lauter nasse Prinzen, und verstehen nichts vom wahren Comment, daher immer einige von ihnen im Verschiß sind. Woher mag wohl das Uebel kommen? Daher, daß Sie, gnädigster Herr, nicht auf den Comment halten, weil Sie denselben vielleicht selbst nicht verstehen. – Sie haben Ihren Offizieren, Soldaten und Edelleuten das Duelliren verboten. Was kann daraus kommen? Drasticität und Pinseley; denn Courage und mitunter Händel ordentlich ausgemacht, sind die Seele des Comments. – Ich rathe Ihnen daher, gnädigster Herr, jenes quatsche Edict wegen der Duelle wieder aufzuheben, und sie so frey zu machen, als sie unter den großen Königen in Frankreich, Heinrich II., Franz II., Carl IX. und Heinrich III., seligen Andenkens, gewesen sind. Das waren doch noch Fürsten, pardiöh, die sich gewaschen hatten. Heinrich IV. hat sie hernach verboten, aber der schiefe Comment machte auch, daß er so hunzfottischer Weise sterben mußte. – Die Geistlichen dürfen sich zwar nicht schlagen, aber es wäre doch gut, wenn sie sich des Jahres ein Mal versammeln müßten, um einige Tage nach einander zu kommerschiren. – Die fürstlichen Räthe und andere Offizianten müßten dies auch thun. – An Hofe müßte jeden Gallatag ein honettes Hospiz gegeben werden, wobey Ihre Durchlaucht präsidirten. – Die großen Humpen müßten bey Tafel wieder eingeführt werden. – In den Gymnasien und Schulen muß vorzüglich der Comment der Jugend eingeflößt werden, wenn was ordentliches herauskommen soll. – In den Städten würden die Bürger beym Scheibenschießen vom Stadtschreiber, und auf den Dörfern, in den Schenken vom Dorfschulmeister, und sollte dieser ein dummer Esel seyn, vom Dorfpastor im Comment instruirt – u. s. w. u. s. w.

Der Fürst trauete kaum seinen Augen, als er das unverschämte Commentgeschwätz las: nachdem er sich aber von der Existenz der Possen überzeugt hatte, glaubte er, der Verfasser habe ihn zum Besten haben wollen, und ärgerte sich gar mächtig über die strafbare Insolenz des Gießer Renommisten. Flugs ließ er seinen Hofrath holen, welcher ein Klaglibell an die Universität schicken, und Herrn Euler wegen grober Injurien wider einen Fürsten anklagen mußte.

Die Herren zu Gießen lachten zwar über die Schnurre, und sahen wohl ein, daß Euler nichts weniger willens war, als den Fürsten zu beleidigen; aber Satisfaction mußte dieser doch haben, und so wurde Euler auf zwey Jahre relegirt.

Dies war ein Donnerschlag für die Gießer: einer ihrer honorigsten Bursche sollte fort! – Seine Freunde machten ihm einen Comitat, das heißt, sie begleiteten ihn zum Thor hinaus, nachdem sie im Stern wacker gezecht, und ihren Unmuth in Wein, Schnapps und Bier ersäuft hatten. Unter dem Galgen wurde Halt gemacht, und mehrere Bouteillen Wein auf Eulers Wohlseyn, und auf ewige Freundschaft ausgeleert. – Einer von der Begleitung betrachtete den Galgen, und rief endlich mit einem Weinglas in der Hand: es leben alle die, welche künftig noch an diesem Galgen hangen werden! Vivant hoch! erschallte es aus allen Kehlen. Ja, schrie Euler: es leben auch diejenigen alle hoch, welche bereits an diesem Galgen gehangen haben! Bravo! vivant hoch! grölte der ganze Haufe, vivant hoch! und auch Bruder Euler vivat hoch!

Sie schieden von einander, und Euler kam einige Tage hernach in das Dorf, wo sein Vater, der Pastor Simon wohnte.


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