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Neuntes Kapitel.
Der Bursch


Kaum hatte Euler von dem gestrengen Herrn Notarius Möser, dem Oberpedellen der Universität, die Fuchsscheine, und von Seiner Magnificenz dem Herrn Rector die Matrikel erhalten, und seine zwey Conventionsthaler dafür bezahlt, auch zwölf Batzen in die Armenbüchse geworfen, als ein ganz neuer Geist ihn zu beseelen schien.

Damals war die Renommisterey, so wie auf vielen deutschen Universitäten, auch in Gießen sehr im Schwange, und wer nicht renommirte, das heißt sich durch Lappalien und Fratzen aller Art auszeichnete, wurde für ein Drasticum, oder nach einem andern Dialekt, für einen Theekessel und schiefen Kerl gehalten. Euler beschloß, ja keine Schiefität zu werden, und wollte durchaus unter der auserwählten Schaar der honorigen Bursche glänzen.

Diesen nobeln Vorsatz communicirte er schon am Tage seiner Immatrikulation dem honorigen Herrn Martial Schluck von Rauffenfels, welcher damals das höchstwichtige Amt eines Seniors seiner Landsmannschaft und des hochpreißlichen Ordens der Kakodämonisten summa cum laude ac meritorum fama verwaltete, und fragte diesen erfahrnen Burschen, wie er die Sache am rechten Stiele fassen sollte.

Mußt Dir gute Freunde machen, Bruder, sagte Herr Martial: ohne Freunde ist auch der bravste Bursche auf dem Hund Muß zu Grunde gehen, ist verloren. L..

Euler. Aber, Herr Bruder –

Martial ( einfallend). Was, Herr Bruder! Herr Bruder! Dumme Rede. Bruder, schlechtweg – der Herr ist in die Fichten Gilt nichts mehr. L..

Euler. Aber wie macht man sich Freunde?

Martial. Mußt aufwichsen, Bruder; das ist die erste Regel für einen Fuchs. – Ein Fuchs muß die alten honorigen Bursche beconditioniren Tractiren mit Essen, Trinken u. s. w. L..

Euler. Herzlich gern will ich Deinem guten Rath folgen.

Martial. Bon, Bruder. Aber hast Du Spieße Geld. L.?

Euler. O ja, ich bin noch reich, hab' noch über vierzig Gulden.

Martial. Bon, Bruder! so viel reicht gerade hin, eine honorige Condition zu geben.

Euler. Aber ich wollte doch noch zwey oder drey Collegia pränumeriren.

Martial. Pränumeriren? Kerl, bist Du mit der Pelzmütze geschossen, oder bist Du gar toll? Wer Teufel wird pränumeriren, und dazu noch gar Collegia? Die postnumerirt ein honoriger Bursche nicht eher, als bis der Pedell kommt, und ihn mit Gewalt dazu zwingt. Pfuy, pränumeriren! Hat man sein Lebetag so eine Dummheit gesehen! Pränumeriren, und dazu noch Collegia! Ja, sieh Bruder, ich will ewig des Teufels seyn, ja was noch mehr ist, ich will ein blamirter Junge seyn, wenn ich meine Tage auch nur einen Scandal So hieß man damals in Gießen die Pfennige. Die Thorheit mit diesem Worte ging weit; fragte einer, was kosten deine hirschledernen Hosen, so antwortete der andere nicht etwa: neun Gulden, sondern er rechnete erst im Sinne, und sagte dann: 2160 Scandal. Wer jährlich 300 Gulden zu verzehren hatte, sagte: er habe 72 000 Scandal Wechsel. Vermittelst dieser Lapperey lernten die Gießer Studenten damals fertig im Sinne rechnen; also war die Thorheit doch zu etwas gut. L. für Collegia ausgegeben habe.

Euler. Aber Bruder, wie hast Du denn das gemacht? Ich weiß doch, daß die Professoren nicht umsonst lesen, und daß sie mitunter, trotz einem Hökerweib, manichäern können.

Martial. Hast Du denn jemals schon Bier oder Schnapps bezahlt, wo Du nichts getrunken hattest? Oder bezahlst Du der Lise auf dem Selzer Weg ihre Nacht, ohne bey ihr geschlafen zu haben?

Euler. Da müßt' ich mich zwingen.

Martial. Siehst Du, ich habe keine Collegia gehört, und durfte also auch keine bezahlen.

Euler. Du meinst doch nicht, daß ich es auch so machen soll?

Martial. Nach Belieben; aber wenn Du Collegia hörst, so pränumerire wenigstens nicht, das ist drastisch und läßt nicht für einen honorigen Burschen. Behalte Dein Geld und gieb Conditionen; ich werde morgen Gesellschaft mitbringen.

Daß Martial Wort gehalten haben werde, bezweifelt wohl schwerlich einer von meinen Lesern, der die Studenterey kennt. Gleich um ein Uhr den folgenden Tag Nachmittags war Eulers Stube voll Kakodämonisten, welche alle sich's auf des neuen honorigen Fuchses Unkosten wohl schmecken ließen. Sie machten alle mit dem Fuchs Brüderschaft, und nun ließ sich Mosjeh Fuchs auch kein Geld dauern, um seine Herren Brüder nach den Regeln des echten Fuchscomments zu regaliren. Gegen zehn Uhr waren die Köpfe der ganzen Gesellschaft äußerst heroisch, und Senior Martial schlug vor, ob man nicht beliebte, noch einen Jux für den Abend auszuführen? Die Herren waren gleich dabey, und versprachen, den Jux nach ihren Kräften zu secundiren.

Eh bien, sagte Senior Martial, laßt uns dem Schuster Wannig die Fenster einschlagen; der Kerl schimpft hernach wie ein Rohrsperling, und das macht vielen Spaß.

Unter Herrn Martials Anführung begab sich die noble Gesellschaft vor das Haus des Schuster Wannigs, welcher in Gießen eben die Rolle spielte, die ein gewisser Schuster Sauer vor einiger Zeit auf der Universität zu Schilda gespielt hat. Die Fenster wurden dem Freund Wannig alle eingeworfen; er schimpfte mortalisch, und gab den Pereirenden und Fenstercanonade machenden Musensöhnen die rühmlichsten Titel; aber Titel dieser Art, von welchen Schurke, Esel, dummer Junge u. d. gl. noch die leidlichsten sind, beleidigen keinen Studenten, wenn sie ein von ihnen erst beleidigter Philister austheilt, wenigstens machten sie den damaligen Gießer Herren viel Freude, und wahren Spaß. Der Student kann von seines Gleichen, wenn er ihn auch noch so arg selbst beleidigt hat, kein schnödes Wörtchen vertragen; aber von einem Nichtstudenten nimmt er alles an, nur muß der Herr Studiosus der erste Beleidiger gewesen seyn; denn war dies der Philister, dann mag ihm Gott gnädig seyn!

Der Schuster Wannig blieb beym bloßen Schimpfen, aber ein Offizier, der neben Wannig wohnte, ärgerte sich über den pferdemäßigen Lärmen auf der Straße, und schrie zum Fenster hinaus: machen Sie doch nicht solchen Scandal, meine Herren, das ziemt ja keinen besoffenen Gnoten!

Was will der Kerl da oben? schrie Martial; allons, pereat tief! Fenster ein! Im Augenblick flogen Steine in die Fenster des Offiziers, welcher selbst einen Wurf ins Gesicht bekam, daß er wegen der fürchterlichen Gestalt seiner Nase in vierzehn Tagen nicht auf die Parade kommen konnte.

Indessen schickte der Offizier seinen Bedienten nach der Hauptwache; der wachthabende Capitain ließ eine Patrouille gehen, und diese griff unsern Euler, denn die Andern hatten alle die Flucht ergriffen. Euler wurde auf die Hauptwache geführt, und mußte den folgenden Tag zu Seiner Magnificenz. Unterwegs erhielt er folgendes Billet:

Lieber Bruder!

Du bist geschleppt worden wegen des Juxes von gestern; der Rector wird wohl wissen wollen, wer die Andern waren; aber Du bist, wie man hofft, ein honoriger Kerl, und wirst schweigen. Denn sagst Du ein Wort, so wirst Du für einen krassen Fuchs, für einen Erzschisser und Drasticum erklärt, und kriegst Ohrfeigen pro patria. Schmeiß dies Billet gleich zum Teufel, daß es niemand sieht, der vielleicht die Hand kennt. Mache Deine Sachen gut, so sind wir Freunde.

Euler hatte schon längst einen Abscheu gegen Denunciationen und Angebereyen unter Studenten, welche man in der Studentensprache Petzereyen nennt, und deren Urheber mit Recht verhaßt und unter dem Namen der Kiliansbrustflecke und der Blaustrümpfe bekannt sind; aber die kräftigen Motive des Billets machten ihn vollends stumm gegen alle Vorstellungen des Rectors. Er erklärte: daß er nichts sagen werde, daß er ein honoriger Bursche sey, und folglich nichts sagen dürfe. Der Rector, welcher einst auch ein honoriger Jenenser gewesen war, fand die Stimmung unsers Eulers eines braven Burschen würdig, und steckte ihn bloß für seine eigenen Verbrechen vier Tage ins Carcer, welches zu Gießen den Namen Cardanopolis führte.


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