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Drittes Kapitel.
Die Substitution


Der Cantor war eher zu Gießen, als der Pastor dahin kam. Früh machte er sich auf, nahm eine große Knackwurst und trug sie zum Herrn Superintendent Quodammodarius. Dieser war ein großer Freund von Bauernwürsten, so groß, als es nur ein Feldwebel oder Kaptenarmus Ich schreibe dieses Wort wie man es gewöhnlich ausspricht. Eigentlich sollte man capitaine d'armes schreiben. L. seyn kann. Freundlich nahm er die Wurst aus der Hand des Cantors, ließ ihn neben sich hinsetzen und fragte ihn, warum er schon so früh nach Gießen gekommen sey?

Der Cantor erzählte dem hochwürdigen Herrn ein Langes und Breites von dem grausamen Skandal und Aergerniß, welches sich am vorigen Tage zu Kirchberg im Pfarrhause begeben hatte, und räsonnirte dabey so stark über die Uebertretung des Gebotes, welches das hochwürdige Consistorium gegeben hatte, daß der Superintendent aufsprang, mit beyden Fäusten auf den Tisch schlug, und hoch aufschwur, daß dieser Mangel an Subordination dem Ehrenpastor theuer sollte zu stehen kommen. Der Cantor hatte nun seinen Zweck erreicht und ging weg, um bey Eberhard Busch einen halben Schoppen zu machen.

Indessen war der Pastor Selsam zu Gießen angelangt; er machte erst ein Schlückchen Rheinwein beym Wirth im Einhorn, genannt der grobe Müller, und nachdem dies geschehen war, ging er in das Haus des Herrn Quodammodarius, und ließ sich melden. Madam Quodammodarius, welche, weil Pastor Selsam keine Frau hatte, nicht mit zu ihm auf die Kirchenvisitation kommen und keine Küchenvisitation bey ihm anstellen konnte, war dem guten Manne abhold, und ließ ihn eine gute Weile vor der Thüre warten, bis sie ihn zum Herrn Gemahl ins Protzstübchen, (so nannte Herr Quodammodarius sein Studierzimmer,) hineinführte.

Quodammodarius saß eben an Gunneri Institutionibus theologiae dogmaticae und zwar am Artikel de communicatione idiomatum, um sich zu seiner Lection zu bereiten: denn er hatte drey Zuhörer, welchen er die heilige Dogmatik vorleyerte. Er war sehr vertieft, oder schien es doch zu seyn, wie der selige Johann Christian F…, wenn ihn die Frau zum Studiren ermahnte, und er am Fenster lag, und die Steine auf der Gasse anguckte. Der Pastor mußte einige Mal räuspern und mit dem Stocke pochen, bis endlich das große Kirchenlicht aus seinem gelehrten Taumel erwachte.

Wer ist denn da, fragte der Superintendent, ohne sich umzusehen?

Pastor. Ich bin's, Ihr Hochwürden.

Superintendent. Wer ist der Ich?

Pastor. Der Pastor Selsam von Kirchberg.

Superint.: ( hastig aufspringend). Ah bene, bene, daß Sie selbst kommen. Ich hätte Sie ohnedies durch den Consistorialboten hieher bescheiden lassen. Haben schön Zeug gemacht, Herr, das muß wahr seyn, allerliebstes Zeug.

Pastor. Ich bin mir nichts Böses bewußt, hochwürdiger Herr.

Superint.: Nichts bewußt? Also ist das nichts Böses, wenn man die Befehle seiner Obrigkeit gering achtet, dawider handelt und gerade das Gegentheil von dem thut, was befohlen worden ist. He, Herr, ist das vielleicht etwas lobenswürdiges?

Pastor. Nein, Ihre Hochwürden: aber ich habe dies auch nicht gethan. Doch ich merke, man ist mir schon zuvorgekommen, also erlauben Sie mir, daß ich Ihnen den ganzen Vorgang erzähle.

Superint.: Machen Sie's nur kurz.

Pastor. So kurz, als es möglich seyn wird.

Hierauf erzählte der Pastor den ganzen Vorfall, und machte sich anheischig, alles durch glaubwürdige Zeugen zu bestätigen. Der Superintendent horchte unruhig zu; als aber endlich der Pastor mit seiner Relation fertig war, schüttelte der Hochwürdige den Kopf, machte einige Mal Hm, Hm! und befahl dem Pastor, den folgenden Tag früh halb neun Uhr auf der Consistorialstube zu erscheinen. Der Pastor, welcher den Superintendenten kannte, und wußte, daß sein Starrkopf nie von dem abging, was er einmal gesagt hatte, machte seinen Kratzfuß, und wollte fort.

Apropos, rief der Superintendent, noch ein Wort, Herr Pastor.

Pastor. Zu Befehl, Ihre Hochwürden.

Superint.: Wer ist denn der Vater zu dem Hurenbalg? Sie sollten sich schämen, in Ihrem Hause solches Gewerbe zu leiden.

Pastor. Ich konnte leider die Gelegenheit nicht verhindern.

Superint.: Es war aber Ihre Schuldigkeit, alle verdächtigen Mannspersonen aus Ihrem Hause zu jagen.

Pastor ( lächelt). Was würden Ihre Hochwürden gesagt haben, wenn ich einen von Ihrem Gefolge bey der letzten Kirchenvisitation hätte fortjagen wollen?

Superint.: ( heftig). Von meinem Gefolge? Herr, wissen Sie auch, was Sie sprechen?

Pastor. O ja! Ich wills Ihnen nur sagen: der Herr Candidat Simon ist der Urheber des ganzen Scandals und der Schwängerer meiner Haushälterin. Wir haben Beweise genug dazu, auch ohne daß das Mädchen schwören müßte; diese Beweise werde ich morgen dem Consistorium vorlegen.

Der Superintendent erblaßte; denn dieß war ein garstiger Strich durch seine Rechnung. Der Candidat Simon war eben im Begriff, eine Pfarrey zu erhalten; er war zwar schlecht im Examen bestanden, aber er unterhielt schon seit langen Jahren ein Liebesverständniß mit der Schwester Seiner Hochwürden, einer schiefhälsigen sechs und dreyßigjährigen Mamsell, und der Superintendent, welcher seiner Schwester doch auch noch gerne die Freuden der Ehe gegönnt hätte, machte, daß der Herr Candidat Simon die Pfarre erhielt, unter der ausdrücklichen Bedingung, sich gleich drey Wochen nach der Installirung mit Mamsell Anne Ursel Quodammodarius ehelich zu verbinden. Nun hatte der Candidat ein Kind fabricirt, und kam die Sache heraus, so war die Pfarre verloren, und wo blieb alsdann Mamsell Anne Ursel?

In der größten Verlegenheit ging der Superintendent in der Stube auf und ab: endlich näherte er sich dem Pastor freundlich, und bat ihn, sich nieder zu setzen. Obgleich der Pastor noch nie im Haus des Superintendenten gesessen hatte, so machte er doch Gebrauch von der ihm zugestandenen Freyheit und setzte sich: der Superintendent setzte sich neben ihn und klingelte. Der Famulus, ein hungriger Stipendiat aus der Herrschaft Epstein, erschien. Ich lese heute nicht, sagte der Hochwürdige; bring Er eine Flasche Malaga herauf Vor noch nicht sehr langer Zeit war es in Gießen Mode, daß der Ephorus die Stipendiaten oder Freytischler per Er anredete: doch ist dies jetzt nicht mehr so. Wenn aber ein gewisser Hofrath und Professor Sch. in Jena gelehrte Männer Er nennt, so ist das ein Beweis, daß manche Gelehrte recht grobe Gesellen sind. L.. Der Pastor wußte nicht, was er sagen sollte, als ihm der Superintendent Malaga einschenkte. So etwas war ihm noch nie in praxi vorgekommen, doch verbarg er seine Verwunderung und trank tapfer darauf los.

Endlich nahm ihn der Hochwürdige freundlich bey der Hand, und sagte: nicht wahr, Herr Pastor, wenn man ohne der guten Sache zu schaden, einen Gefallenen retten kann, so muß man es auch thun?

Pastor. Nicht anders, Ihre Hochwürden; so will es die Vernunft und die Religion.

Superint.: Warum aber wollen Sie es denn nicht thun?

Pastor. Ich sehe nicht ein, wie Sie das meynen.

Superint.: Sie wollen doch den Candidat Simon als den Schwängerer Ihrer Haushälterin angeben.

Pastor. Allerdings: denn ich muß.

Superint.: Und wer zwingt Sie?

Pastor. Meine Pflicht: denn erstlich muß ja doch das Kind einen Vater haben: zweytens muß es ernährt werden.

Superint.: Aber der Simon wird dadurch unglücklich.

Pastor. Freylich wohl; aber ich bin nicht Schuld daran; warum war er so vorwitzig? Und wie's im Sprüchwort heißt:

Vor gethan und nach bedacht,
Hat Manchen in groß Leid gebracht.

Superint.: Wie aber, wenn man dem Kind einen Vater, das heißt einen Mann, der seinen Namen dazu hergibt, und eine hinlängliche Nahrung verschaffen könnte?

Pastor. In diesem Fall würde ich gerne zugeben, daß Simon aus der Schlinge gezogen würde. Er hätte zwar verdient, niemals eine Pfarre zu bekommen: aber wir sind ja alle sterbliche Menschen.

Superint.: Bravo, Herr Pastor, das heiß ich vernünftig gesprochen. Jetzt bitte ich Sie, reinen Mund zu halten, und mich sorgen zu lassen. Sie kommen morgen nicht vors Consistorium, auch mag Sibylle in Gottes Namen in Ihrem Hause bleiben.

Der Pastor ging vergnügt nach Hause, und schon am folgenden Tag erhielt er vom Superintendenten folgenden Brief:

T. P. Hochgeehrtester Herr Pastor!

Der Ehrsame Johann Nickel Kapper, Schornsteinfegergeselle dahier, giebt coram notario publico Herrn Strohmichel folgendes ad protocollum, wie er beim Schornsteinfegen zu Kirchberg im Pfarrhause sich mit der Haushälterin des S. T. Herrn Pfarrers fleischlich vermischt habe, und daher nicht leugnen könne, daß er Vater zu dem von ihr neugebohrnen Kinde sey. – Sie werden daher die Güte haben, gedachten Johann Nickel Kapper, gebürtig aus Bunzlau in Schlesien, als Vater des Kindes quaest. in das Kirchenbuch einzutragen. Was übrigens die Alimentation des Kindes betrifft, so empfängt dasselbe vierzehn Jahr nacheinander jährlich 24 fl., thut zusammen 336 fl. oder 30 Carolin 6 Gulden, welche ich Ihnen hiermit zusende, und mir eine Quittung darüber ausbitte. Sie werden schon für Mutter und Kind Sorge tragen. Bin übrigens mit aller Hochachtung

Ihr
ergebenster
Joannes Georgius Quodammodarius,
S. S. Th. D. ejusdemque, Prof. P. O.
nec non Rev. Consist. Assess.
Superintend. Gener. et Stip. Eph.

Gießen
den 12ten May 17–

Nun war die Sache abgethan, und statt des Candidaten Simon ein Anderer substituirt. Der Pastor blieb ruhig, nicht aber so der Cantor und seine Saufbrüder. Diese warteten zwar noch acht Tage, ob vielleicht der Pastor die Aufwärterin schassen würde; aber als dies nicht geschah, liefen sie abermals in corpore nach Gießen zum Superintendenten, dem der Cantor im Namen der Uebrigen eine Klage gegen den Pastor schriftlich einreichte.

Packt Euch, schrie der Superintendent, nachdem er den Wisch gelesen hatte; Ihr seyd Otterngezüchte, generationes viperarum seyd Ihr. Ihr verleumdet ehrliche Männer, und habt selbst gegen Euren braven Pastor keinen Respekt. Und Er, Mosjeh Cantor, Er sollte sich schämen, daß Er, das räudigste Schaf im ganzen geistlichen Schafstalle zu Kirchberg, gerade der erste ist, der sich über andere redliche Leute hermacht. Er heißt Schönleben: ja, Luderleben sollte Er heißen, Schweineleben, Sauf- und Sauleben wären Seine rechten Titel. Ich werde einmal hinter Ihn kommen, und dann will ich nicht Doctor Johann Georg Quodammodarius heißen, wenn Er nicht geschaßt wird. Merk Er sich das, und Ihr Andern trillt Euch auch; ich habe zu thun.

Erschrocken zog die ganze löbliche Saufgesellschaft ab, und der Cantor kratzte sich hinter den Ohren. Au wei geschrien! rief er einmal über das andere, meine schöne Wurst! mußt ich meine hübsche, große Knackwurst so in den Dreck werfen. Pfuy, und abermal pfuy, und noch einmal pfuy!


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