Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

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Die letzte Dithyrambe

                                    Geklärt sind nun die trüben Bäche,
Gebändigt liegt der Ozean,
Und auf der spiegelglatten Fläche
Zieht episch leicht dahin der Kahn.
Denn wenn des Lebens Stürme schweigen,
Das Wort verhallt, die Waffen ruhn,
Wenn sich zu minniglichem Reigen
Die Menschen fromm zusammentun,
Wenn sich alsdann das Wohlbehagen
Bequemlich auf den Stuhl gesetzt
Und stillvergnügt und so zu sagen
Mit Wonne schon das Messer wetzt,
Dann ist dem Menschen so zumute
Wie einer lieben Schäferin,
Die, Wiesenblümichen am Hute,
Die weißen Lämmer treibt dahin.
Der Kuckuck jauchzt, die Felder prangen,
Das kleine Hündchen sagt: »Wau wau!«
Der junge Schäfer kommt gegangen
Und will die Schäferin zur Frau.
Dann ist's, als müßte just zur Stunde
Vom Dorf ein Abendläuten wehn
Und sacht in einem kühlen Grunde
Noch ein verträumtes Mühlrad gehn.
Dahin das Leid, das schmerzumkrallte,
Der Mensch ist wieder sonder Weh
Und fühlt sich wie 'ne brave Alte
Beim Täßchen Lindenblütentee.

So war's auch in der »Goldnen Traube«;
Denn mit dem Ölzweig, den sie trug,
Da schwebte jetzt die Friedenstaube
Ob Martinsgans und Tafeltuch.
Sie kam direkt aus Küch' und Keller
Und brachte viel des Guten mit
Und legte jedem auf den Teller
Den allerbesten Appetit.
Zufrieden waren alle Schnäbel,
Ein jeder pries sein eignes Los,
Und ein heroisches Gesäbel
Ging gleich auch zur Attacke los.
Was kurz zuvor sich noch gemieden,
Aß jetzt mit freundlichem Gesicht;
Man aß versöhnt, man aß zufrieden,
Denn böse Menschen essen nicht.
Der Doktor, eine Memnonsäule,
Die sacht zu grunzeln schon begann,
Nahm gleich mit einer Gänsekeule
Den Kampf auf Tod und Leben an.
Herr Wieprecht saß in arger List da;
Er funkte durch sein Gläserpaar
Und futterte a prima vista
Wie ein tunesischer Korsar.
Der Dichter auch; er nahm vom Mahle,
Was die Gelegenheit ihm bot;
Denn trotz der höchsten Ideale,
Auch seine Kunst ging hier nach Brot.
Desgleichen Zenz; er aß 'nen Bürzel.
Herr Hubaleck war auch so frei
Und knabberte im Mundtuchschürzel
Am Gänsebürzel Num'ro zwei.
Und was die Herren sich nicht nahmen,
Was ihre Gabel nicht erwischt,
Das wurde liebevoll den Damen
Mit Gönnermiene aufgetischt.
Man fühlte sich beim reichen Prassern
Beim Rauh- und Wildgraf von dem Rhein
Und ließ auch klares Brunnenwasser
Nicht in den Moselkelch hinein.
Man war vergnügt wie Meister Lampe,
Wenn er ins hohe Kleefeld zog,
Und hörte bei dem Geschlampampe
Noch auf den Gänsemonolog,
Der, eine ferne Geisterstimme,
Die Schmausenden in Anspruch nahm
Und bald elegisch, bald im Grimme
Wie aus dem Gänsehimmel kam.
Nicht Banquos Geist fand solche Worte,
So höllenwarm, so kalt umeist,
Wie diese Stimme hier am Orte,
Und also sprach der Gänsegeist:

    »O weh, ich armer Gänserich,
    O weh, du arme Gans!
    Wir haben beide, du und ich,
    'nen Trauerflor am Schwanz.

    Was hat man dir, Frau Adelheid,
    Was hat man mir getan?!
    Weshalb denn mußten wir zu zweit
    Den Todesstoß empfahn?!

    An Liebe – ach! so reich, so reich,
    An Sorgen arm wie nie,
    Wir schäkerten am Mühlenteich,
    Gleich anderm Federvieh.

    Und war erledigt dieser Fall,
    Das Minnespiel vorbei,
    Dann gingst du in den warmen Stall
    Und legtest dort ein Ei.

    Ein Ei so schön, ein Ei so weiß,
    So groß und strohumhegt,
    Wie Hubaleck bei allem Fleiß
    Es niemals noch gelegt.

    Der Doktor und der Dichter nicht,
    Und wie sie auch gedruckt,
    Sie brachten nie ans Tageslicht
    Solch köstliches Produkt.

    Vielleicht jedoch, daß es Herr Zenz
    Mit Krähen und Gesang
    Und auch, bei größter Vehemenz,
    Herrn Wieprecht noch gelang.

    Doch wie dem sei, Frau Adelheid,
    Wir haben nichts getan,
    Und wir, wir mußten doch zu zweit
    Den Todesstoß empfahn.

    Die schöne Gänsewelt verblich,
    Sie wurde kreidebleich;
    Ihr folgte der Gedankenstrich
    Und ihm das Himmelreich.

    Der Menschen fürchterliche Macht,
    Sie ist doch wie vertiert!
    Wir wurden aus dem Stall gebracht
    Und dann guillotiniert.

    Das taten die von Brixius,
    Und ach! sie taten's gern . . .
    Gib mir noch schnell den Abschiedskuß,
    Dann fressen uns die Herrn.«

So sprach der Gänsegeist und wellte
Und wiegte, wogte sich heran
Und lamentierte, schrie und stellte
Sich äußerst ungebührlich an.
Er kam in schleppenden Gewändern,
Mit leeren Augen, leerem Kropf
Und schob aus Flor und Trauerbändern
Den skelettierten Gänsekopf.
Er wurde frech und hätte drohend
Uns gern die Köpfe abgesenst;
Mit fahlen Funken auf uns lohend,
Schrie das entartete Gespenst:
»Gott schlage euch mit tausend Blitzen!
Denn wo im gierigen Verein
Die Geier auf dem Gatter sitzen,
Da kann kein Gänserich gedeihn,
Kann keine Gans der Minne pflegen,
Nicht mehr im lieben, langen Jahr
So gegen dreißig Eier legen,
Wie es von jeher Mode war.
Denn wie die streifenden Panduren
Das Kalb erwürgen mit der Kuh,
So würgt ihr Moselkreaturen
Die Gans gleich mit dem Ei dazu.
Ihr seid entmenscht, ihr seid Erpresser,
Der Tierschutz ist euch eitel Dunst;
Ihr seid die größten Gänsefresser,
Besonders hier die schwarze Kunst;
Besonders Zenz, der Leberschlecker,
Der Mann, stets voll des süßen Weins,
Der Schöffenurteilsspruchvollstrecker,
Der Amtsgerichtsrat Num'ro eins!
Der Dichter dichtet auch bloß Scherben,
Und seinem Schaffen fehlt der Sinn;
Doch bei dem großen Gänsesterben,
Da stellt er sich als Meister hin.
Ihr seid ja . . .«
                          Doch je mehr der Schemen
Verteilte Grimm und Gram und Haß,
Je mehr belachte dies Verfehmen
Die lustige Fidelitas.
»Ihr seid ja . . .«
                            »Himmel, diese Schrulle!«
Der Dicke sträubte Haar und Schopf
Und warf die erste beste Pulle
Dem Geist an den Gespensterkopf.
Da schwand der Zauber. – Kinder, Kinder!
Und Wieprecht tanzte frank und frei,
Wie Hirsch getanzt im Festzylinder,
An der Frau, an der Magd, an der Bank vorbei.
Da gab's kein Halten, kein Sichsperren,
Ein jeder wagte Schritt und Tritt,
Und alle Damen, alle Herren
Und alle Stühle tanzten mit.
Und dann ein Hoch! – Die Gläser klangen;
Man stellte sich in Reih und Glied,
Und alle, alle, alle sangen
Die Strophe vier vom Mosellied:

    »Und wär' ich der Wild- und der Rauhgraf bei Rhein
    Und hätte der Weinkeller sieben
    Und wär' eine Krone mit funkelndem Stein
    Ums Haupthaar mir haften geblieben –
    Was Wildgraf bei Rhein und was funkelnd Geschmeid!
    Will lieber in härenem Büßerkleid
    Im Tal hier auf Tod und Verderben
    Beglückt sein und trinken und sterben!«

O diese Wonne, dieser Trubel!
Die Freude stieg zum höchsten Knauf.
Da plötzlich riß mit lautem Jubel
Der Dichter alle Fenster auf:
»Die Herzen auf, empor die Herzen!
O kommt, o kommt, so Weib wie Mann!
Der Herr steckt seine Freudenkerzen,
Die lohen Martinsfeuer an.
Kommt, seht das Spiel der wilden Mächte
Und hört das flammende Gebraus . . .!«
Und selig deutete die Rechte
In Gottes hehre Nacht hinaus.
Und was die Sterne überspannten –
Von allen Höh'n in ernster Pracht,
Da zuckten, loderten und brannten
Die Martinsfeuer durch die Nacht.
Hoch auf den starrenden Kulissen,
Dem Tal entwachsen, steil und schwer,
Von allen Scheitern aufgerissen
Gen Himmel trieb ein Funkenheer.
So wie die Welt beim frühen Tagen
Sich brämt mit leuchtendem Fanal,
So stand, den Scharlach umgeschlagen,
Das weite, liebe Moseltal.
Es war, als schritten rings die Brände
Dahin aus feuerfalbem Schuh,
Als würfen sich Zyklopenhände
Die roten Bälle wechselnd zu.
Und was auf waberndem Gefieder
Gen Himmel stieg in ernster Glut,
Das spiegelte die Mosel wider
In ihrer lichtdurchperlten Flut.
Rings Feuer, stolzgeschwellt im Winde!
Rings Feuer, Feuer, wild und schön!
Sie flammten bei der Lescher Linde,
Sie grüßten von den Eifelhöh'n.
Dem schroffsten Saum, den schmalsten Pfaden
Entwuchs die ausgestreute Saat;
Es stiebten lodernde Kaskaden
Vom Burgberg bis zum Pinnergrat.
Von allen ragenden Emporen,
Sie schilderten aus Busch und Pfriem,
Wie einst vor Sions goldnen Toren
Die erzumschienten Cherubim.
Und dort auf kühn gesteilter Warte,
Ein hehres Zeichen, stolz und frei,
Da krönte eine Lichtstandarte
Das Felsmassiv der Brauselei.
Sie loderte mit vollen Garben,
Und majestätisch hoch am Schaft
Verkörperten die lohen Farben
Die deutsche Einigkeit und Kraft;
Denn schwarz der Wald, der sie begrenzte,
Ihr Rauchtuch licht und silberweiß,
Und blutrot wirbelte und glänzte
Die Flammenzunge selbst im Kreis.
Schwarz, weiß und rot! –
                                          So groß die Stunde;
Sie trug uns auf standartenwärts,
Und jedem von der Tafelrunde,
Dem hämmerte beseelt das Herz.
Uns kam ein Lied, bald laut, bald leiser,
Wie Schwertklirr dann und Zapfenstreich . . .
Und »Hurra!« klang's, »ein Hoch dem Kaiser,
Ein donnernd Hoch dem Deutschen Reich!«
Dann Stille rings. – Das Rot verglühte,
Verdunkelt lagen Tal und Strom;
Nur Gott in seiner milden Güte
Umglitzerte den Himmelsdom.
Und wie ein Licht mit leisem Singen
Sich selbst verzehrt im eignen Glanz,
Erstirbt beim letzten Gläserklingen
Das Liedchen von der Martinsgans.


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