Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die erste Dithyrambe

                O Gastwirtschaft zur »Goldnen Traube« . . .!
Hier wirst aus Saulus du ein Paul,
Hier fliegt die schönste Ringeltaube
Beim Eintritt dir direkt ins Maul.
Hier lebt man gut und fromm wie Abel,
Saugt stillvergnügt an seinem Glas
Und hält so zwischen Bi- und Babel
Ein ganz gesundes Mittelmaß.
Doch wenn vorbei die Traubenlese,
Wenn's in den Fässern braust und gärt,
Wenn sich nach hergebrachter These
Der »Federweiße« lieblich klärt,
Dann geht auch hier, vom Weine trunken,
Die Freude korybantisch um –
Der göttlichste von allen Funken,
Die Tochter aus Elysium;
Dann pafft die brave Tafelrunde
Noch mal so stramm den Tabaksrauch . . .
Sie ahnt den Wert der großen Stunde,
Sie spürt des Dionysos Hauch.
O Dionysos! – Thyrsusschwinger,
Verklärter auf beschwingtem Fuß,
Du Sorgenbrecher, Freudenbringer,
Sohn des Kroniden, Heil und Gruß!
Beredter Gott der vollen Tonne,
Du unser Leit- und Wirtshausstern,
Du schwimmst in deiner eignen Wonne
Gleichwie im Most der Traubenkern.
Du kommst zu uns als Gottgesandter,
Das Haupt mit Rebenlaub umzweigt,
Wenn du und deine beiden Panther
Im stillen Moseltal euch zeigt.
Und wo du ziehst die frohen Pfade
Durch Feld und Flur, durch Hof und Haus,
Da gießt du deine volle Gnade
Verschwendrisch über jeden aus.
Verklärter wird die Himmelsbläue,
Der Specht verdoppelt sein Gepoch,
Und wonnig düftelt rings der »Neue«
Aus jedem feuchten Kellerloch.
Der Pfarrer steigt mit Holzpantinen
Zum Fuderfaß mit Tripp und Trapp
Und zieht, vom Kellerlicht umschienen,
Den ersten goldnen Anstich ab.
Die Menschen werden zu Mänaden,
Von allen Kneipen winkt der Kranz,
Und feste Moselmädelwaden,
Die drehen fröhlich sich im Tanz.
Zum Korybanten wird der Mucker,
Der Jungbluth wird zum Perserschah,
Herr Hubaleck vergißt den Zucker,
Der Doktor Gicht und Podagra.
Herr Peter Zenz zieht seine Nase
Von dem beschriebenen Papier
Und sieht im wohlgefüllten Glase
Des Lebens einziges Brevier,
Indes Herr Wieprecht Haupt und Tolle
Mit duftigem Gerank umziert
Und kurzentschlossen Geist und Rolle
Des trefflichen Silen kreiert.
Tyrtäisch fühlt und sinnt der Dichter
Trotz Nebel und Novemberbö
Und bläst auf einem Kellertrichter
Die allerfeinste Epopö.
Er reckt sich auf, der hochbeglückte,
Und ruft, ein weinbeseelter Mann,
Die alabasterbrustgeschmückte,
Die elfte Muse brünstig an.
Sein Auge rollt, die Lippen beben,
Er schlägt den feurigsten Akkord,
Und er erteilt auf Tod und Leben
Dem Amtsgerichtsrat eins das Wort.

Da stand Herr Zenz, der hochgelahrte,
Das Haupt von edelm Grau umhegt,
Als hätte eine Keilerschwarte
Sich sorglich drüber hingelegt.
Der Mann stand mitten drin im Leben
Als ausgezeichneter Jurist
Und düngte seine eignen Reben
Noch nebenher mit eignem Mist.
Hoch ob der trauten Moselwelle
Und unterhalb vom dunkeln Tann,
Bei Valwig, jenseits der Kapellen
Wuchs ihm manch Fuder Wein heran.
Das war ein Wein – beim Zeus! ich schwöre –
Wie keiner noch das Herz erfrischt!
Den hätten auch die Engelchöre
Dem lieben Herrgott aufgetischt.
Ein Wein wie der, ein Wein wie dieser . . .
Da konnte selbst im Schritt und Tritt
Dem Freiherrn Schorlemer auf Lieser
Sein bestes Hochgewächs nicht mit.
Der war kein Blender und Betreuger;
Von allen Weinchen war's der Chef
Und gab drum seinem Herrn Erzeuger
Ein ganz besondres Relief.
Und er, der Vater dieser Tropfen,
Kam gern dem Ruf des Dichters nach;
Ans Gläschen tät er dreimal klopfen
Und hob es auf und trank und sprach:
»Harmonisch drehn sich uns die Zeiten;
Ihr Rhythmus wird durch nichts beengt,
Und ihrem wechselvollen Schreiten
Sind goldne Tage eingesprengt.
Die Weihnacht bringt uns frohe Gäste,
Auch Ostern beut uns allerhand,
Jedoch das herrlichste der Feste,
Das schickt uns dieser Tag ins Land.
Kein Protokoll wird mehr gezüchtet,
Zum Wandschrank pilgert der Talar,
Und ad calendas graecas flüchtet,
Was noch zu referieren war.
Kurzum, die amtlichen Geschäfte
Beschweren nicht mehr Herz und Sinn,
Denn magisch ziehn uns alle Kräfte
Zum Schank der »Goldnen Traube« hin.
Man will doch schließlich auch mal leben,
Nicht immer sein im Arbeitsflaus,
Und wem der Herr ein Weib gegeben,
Der läßt es heute still zu Haus.
Damit nun keiner etwa denke,
Daß mich daheim ein Drache plagt,
Ad publicandum dies gesagt:
O, eine edle Himmelsgabe,
Ein fleischgewordner Morgentau,
Gar eine süße Honigwabe
Ist a priori meine Frau.
Sie ist die Helmzier meiner Ehre,
Mein Glockenklang auf weiter Flur,
Die allerfeinste Traubenbeere
In meiner ganzen Weinkultur.
Sie ist für mich die Lebenssonne,
Mein Reichsjuwel, mein Kronwardein
Und wird auch stets die Primadonne
In meinem Haustheater sein.
Und welchen Wunsch sie auch mag tragen,
Er bleibt – ich mache draus kein Hehl –
Für mich in allen Lebenslagen
Ein echter Hindenburg-Befehl.
Doch heute . . .« und der stolze Recke
Erschauerte gedankenschwer
Und sah sich um und sah zur Decke
Und trank den vollen Becher leer –
»Doch heute hält mich kein Ermahner,
Wie auch die Seele warnend spricht,
Denn heute bin ich Brixianer
Und steh' als solcher hier in Pflicht.
Denn erstens heischt es die Methode,
Wenn ich in dulci jubilo,
Und zweitens will es so die Mode,
Und drittens bleibt es immer so.
Denn hier auf dem geweihten Boden,
Des Dielen rumpeln dumpf und hohl,
Vertauschen sich die Eh'standsloden
Mit meinem Zecherkamisol,
Dem Kamisol, das angezogen,
Sich froh im Wirtshausodem bauscht
Und, wie es ist in Bausch und Bogen,
Von ganz allein zum Keller rauscht.
Und was sie auch zu Hause schafften –
Für mich gibt's heut nur ein Brevier:
Die Gans, ich will sie hier verhaften,
Sonst schmeckt mir nicht das Flügeltier.
Wer anders denkt an diesem Orte,
Verfällt dem rechtlichen Verschiß;
Er geht nicht durch die Ehrenpforte
Als heros invicibilis.
Und jetzt, nachdem ich so entschieden:
Wir hier bei Tisch, das Weib zu Haus –
Ich ruf' in signo des Präsiden
Den Martinsgänseabend aus.«

So sprach Herr Zenz, der hochgelahrte,
Nach alter Satzung, Recht und Pflicht,
Und unter seiner Keilerschwarte
Erstrahlte purpurn das Gesicht.
»Wollt Zimbeln und Triangel schlagen –
Der Mann ist ohne Konkurrenz . . .!«
Und um den Tisch sah sich getragen
Der Amtsgerichtsrat Peter Zenz.
Rings Jubel, Prosit, glücklich Trinken!
Und als verhallt der laute Chor,
Das volle Gläschen in der Linken,
Trat jetzt der Doktor schmunzelnd vor.
Wenn Zenz dem Volk sich präsentierte
Ganz kurzer Hand als Mann der Tat,
Bei unserm Doktor vigilierte
Aus jedem Loch der Diplomat.
Bald ging sein Wort auf zarter Watte,
Bald kam es rauschend wie ein Aar;
Doch wie dem sei – ein jedes hatte
Den feinsten Ambraduft im Haar;
War spintisierend ausgeklügelt,
War ohne jegliches Geschrei,
War attisch scharf und gutbeflügelt,
Doch immer nicht bakterienfrei;
War allumfassend, alldurchdringend,
Dem Schalk, der Laune zugeneigt . . .
Schon hub er an . . . und leise singend,
Die zweite Dithyrambe steigt.


 << zurück weiter >>