Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

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Die zweite Dithyrambe

              Ein Königreich! – so mancher gäbe
Es hin für einen Marschallstab;
Jedoch der herrlichste der Stäbe,
Das ist wohl der vom Äskulap.
Denn wer ihn trägt, dem stehn die Kräfte
Des Weltalls sämtlich zu Gebot;
Er mischt damit die feinsten Säfte,
Mit denen er das Leid bedroht.
Dem Reich der vielbegehrten Pillen
Entnimmt er manchen Lebensquell
Und fordert täglich die Bazillen
Ganz unerbittlich zum Duell.
Und alles, was die Pflanzen heilen,
Was Herz und Leib zusammensteppt,
Das wird in Hieroglyphenzeilen
Von ihm gemodelt zum Rezept.
Er weiß gleich Rat, wenn unterm Mieder
Der Busen allzu stürmisch klopft,
Und was zu tun, wenn hin und wieder
Die Sitzaffäre sich verstopft.
Galénus schon, der Erstverkünder
Der allopathischen Doktrin,
Desgleich Vesal, der Mitbegründer
Der hochmodernen Medizin,
Auch Theophrast mit seinem Sohne,
Der große Doktor Eisenbart,
Dann Cohn und all die andern Cohne,
Die sich um diesen Cohn geschart,
Sie waren weltbekannte Ärzte,
Bei Gott und Menschen angesehn,
Und alles, was den Körper schmerzte,
Sie heilten das für drei Mark zehn.
Sie machten wundersame Kuren;
Teils säbelten, teils schnitten sie,
Und teils mit allerlei Mixturen
Behoben sie die Agonie.
Doch half nicht ihr gelehrtes Kraxeln,
Versagte Gunst und Kunst und Stab,
Dann zuckten sie bewegt die Achseln
Und deuteten auf Gruft und Grab.
Sie fuhren vor und kondolierten
Mit einem Leichenbitterton;
Doch um so lauter präsentierten
Sie ihre Liquidation.
Ja, ja, sie wußten schon zu leben,
Dem Tod zu nehmen Gift und Dolch
Und alle Übel zu beheben,
Wenn auch nicht immer mit Erfolg.
Was aber wollten diese Größen
Jetzt im Vergleich zu diesem da?!
Sie hatten doch so manche Blößen,
Wenn man auf unsern Doktor sah.
Des Praxis war wie eine Blume,
Die, wohl gepflegt und brav gedüngt,
Gleichwie in einem Heiligtume
Sich täglich immer mehr verjüngt.
Nichts war ihr fremd; sie kannte alles,
Und war das Übel noch so groß,
Der Doktor ging, selbst schlimmsten Falles,
Wie Blücher auf die Krankheit los.
War irgendwo ein Bein gebrochen,
Ein Arm luxiert, wie's oft geschah,
Kam irgend jemand in die Wochen –
Gleich war der Pflasterkasten da.
Und wo die Zähne Qualen machten,
Wo Mitgefühl im ganzen Haus,
Er zog sie, daß die Schädel krachten,
Mit Hurra und Hallo heraus.
Sah irgend jemand weiße Mäuse
Als Trugbild rings um sich herum,
Er säuberte das Denkgehäuse
Vom drohenden Delirium.
Selbst – schien verloren Malz und Hopfen
Bei mancher nervenschwachen »sie«,
Mit Baldrian- und Hoffmannstropfen
Bekämpfte er die Hysterie.
So war der edle Mann beschäftigt
Im Moseltal und querfeldein,
Daß bald, durch eignen Fleiß gekräftigt,
Sein Ruhm ertönte bis zum Rhein.
Nicht dieses nur! – sein Geist entflammte
Sich leicht für Wein und Weib und Skat,
Und außerdem: im Nebenamte
War er ein feiner Diplomat,
War würzig wie ein Mainzer Käschen,
War wie ein Messer scharf gewetzt,
Und so, zur linken Hand sein Gläschen,
Mit blanken Augen sprach er jetzt:
»Seh' ich umher in diesem Kreise,
So wird mir augenblicklich klar,
Daß unerschrocken, klug und weise
Sich alles gibt, wie stets es war.
Denn was Herr Zenz in stolzer Pose
Verkündete durch seinen Mund,
Erkannte meine Diagnose
Als einwandfrei und kerngesund.
Gewiß, die Lösung dieser Frage,
Dies frauenlose Stelldichein,
Es mochte, bei Sankt Urbans Plage,
Nicht leichthin zu bewirken sein.
Wer kennt sie nicht, die Rosenketten,
Mit denen uns die Frau umwebt,
So daß man gleichsam wie die Kletten
An ihrem Unterrocke klebt?!
Da hilft kein Bitten, kein Gerede,
Das beste Schmeicheln führt zu nix,
Denn furchtbar ist in Kampf und Fehde
Die holde Venus Genetrix.
Da rappelt sie mit Topf und Schüssel
Und mauzt und murrt und spricht kein Wort
Und holt dir endlich noch den Schlüssel
Vom Gurt der Hose heimlich fort.
Dann wimmert sie von Kind und Kegel,
Sie spricht sogar vom Herrn Pastor
Und beißt nach aller Kunst und Regel
Dich schließlich noch ins linke Ohr.
Dann heißt's bei Tränenperlgetropfe:
›Geh nicht dem Wirtshausleben nach;
Das Gänschen schmurgelt schon im Topfe,
Und heute ist Sankt Martinstag.
Schon singt der Tee im Delfter Kännchen,
Schon ist das Bettchen angewärmt;
Drum bleibe, vielgeliebtes Männchen,
Bei der, die selig dich umschwärmt.
Wenn nicht‹ . . . und ihre Augen funkeln,
Ein Zeichen, daß sie Böses sinnt;
Sie gleicht dem Kätzchen, das im Dunkeln
Verärgert hinterm Ofen spinnt.
Und gehst du dennoch, hast du Töne,
Sagst du nicht gleich zu allem »Ja«,
So bist du reicher um viel schöne
Epitheta ornantia.
Gewiß, mir dreht zu Haus die Spindel
Kein treues Weib, mir blüht kein Kind;
Bei mir im Garten bläht die Windel
Bis jetzt kein sanfter Frühlingswind;
Kurzum, ich harrte noch vergebens
Auf meine bräutlichholde Nacht;
Die schön're Hälfte meines Lebens
Hat sie noch immer nicht gebracht.
Und dennoch sagt mir mein Verständnis,
Das wie ein Adler mich umfliegt:
Ihr habt in göttlicher Erkenntnis
Gekämpft, gerungen und gesiegt.
Ihr führt daheim noch Zaum und Zügel,
So daß ihr lorbeerkranzumzweigt,
Gleichwie von einem Feldherrnhügel
Per aspera ad astra steigt.
Des Stammtischs würdige Gestalten,
Sie sind mir nah in altem Glanz.
Was ich erhofft, ihr habt's gehalten;
Drum hurra, hoch – die Martinsgans!«

So sprach, sich selbst und uns zum Lobe,
Der Doktor unter viel Applaus
Und leerte bis zur Nagelprobe
Das wohlgefüllte Gläschen aus.
Und hurra, hoch! – die Funken stäubten,
Und Wieprecht jauchzte unterdes:
»Und bammelt auch zu unsern Häupten
Das Schlachtschwert des Themistokles,
Und sitzt auf dem Orakelkissen
Auch Pythia, ganz zorndurchloht –
Denn immerhin kann man nicht wissen,
Was uns noch von den Frauen droht –
Mir ganz egal! – wir sind bei Kasse,
Sind heute jedem Mißmut gram,
Und so, als Männer erster Klasse,
Wir pfeifen auf den Weiberkram.
Wir haben auch noch andre Pflichten;
Drum angestoßen, eingeschenkt!
Denn Hubaleck soll jetzt berichten,
Was er von meinen Worten denkt.
Und ist sein Wahlspruch so wie meiner,
So herzhaft und so frisch vom Faß,
Als ein gediegener Lateiner
Ich sage Deo gratias

Dem Rufe gab sich unverhohlen
Dies fromme, duldende Gemüt
Und war vom Kopf bis zu den Sohlen
Doch ganz von Moselwein durchglüht.
Der Bied're tät am Gläschen saugen,
Dann sah er auf ins helle Licht
Mit Augen, ach! mit blauen Augen,
So blau wie ein Vergißmeinnicht.
Jetzt aber los! – Das ist sein Wille . . .
Die ganze Tafelrunde schweigt,
Und unter atemloser Stille
Die dritte Dithyrambe steigt.


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