Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

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Die siebente Dithyrambe

                                So mollig war's! – Die Lampe zirpte,
Die alte Standuhr tackte schwer,
Und ein versprengtes Heimchen schirpte
Behaglich hinterm Ofen her.
Der stand auf seinem alten Flecke
In vollem Wichs und langem Rohr
Und sprach aus trauter Dämmerecke
Wie ein gemütlicher Pastor.
Ein lust'ger Kauz war dieser Ofen,
Ein Wärmespender überdies,
Der bald in Prosa, bald in Strophen
Sich sprachekundig hören ließ.
Von Zeit zu Zeit die größte Stille!
Dann wieder mit sonorem Ton
Las er aus seiner Hauspostille
Das Märchen vom »Verlornen Sohn«.
Bald war's ein Lallen wie von Psalmen,
Ein Rauschen, schwer an Blut und Sinn,
Als glitte durch ein Meer von Halmen
Die Hand des Ewigen dahin;
Dann wieder ein verliebt Getuschel,
Mit leiser Kicherei verknüpft,
Wie wenn mit Rascheln und Geruschel
Ein Mädel aus dem Hemdchen schlüpft.
Und gleich darauf ein lautes Knacken,
Ein Wirbeln und ein Funkensprühn,
Wobei des Ofens volle Backen
Sich spiegelten im eignen Glühn.
Dann pfiff ein Kobold gar ins Weite
Und gab sich wie ein Kakadu,
Und lustig knisterten die Scheite
Die passende Musik dazu.
Was ihnen einst, vom Licht umwoben,
Der Wald gesungen mit Gebraus,
Das streuten jetzt die Buchenkloben
Mit lieblichem Gesummel aus.
Und in dem Summeln welch Verlangen,
Welch Duften im beblümten Klee!
Im Frühschein durch die lichten Stangen
Auf flinken Läufen zog das Reh.
Der Buchfink plusterte sein Häubchen,
Der Kuckuck jauchzte vom Geäst,
Und friedlich saß das Ringeltäubchen
Auf seinem eibelegten Nest.
Ein »Fiepen« dann in niedern Fichten,
Von einer, die noch nicht vermählt;
Dann ferner niedliche Geschichten,
Die besser man hier nicht erzählt.
Piff paff! – ganz fern ein Schuß im Walde . . .
Dahin ein zartes Rehbockglück!
Und fröhlich von der nahen Halde
Kam Gruß und Weidmannsheil zurück. –
So plauderte der alte Paster,
Begeisterte so Herz und Ohr
Und blies dabei den feinsten Knaster
Dickwolkig durch sein Pfeifenrohr.

Ja, mollig war's! – Die Lampe zirpte,
Die alte Standuhr tackte schwer,
Und ein versprengtes Heimchen schirpte
Behaglich hinterm Ofen her.
Und fröhlich waren alle Herzen;
Ein jedes fühlte sich entdeckt,
Denn abertausend Freudenkerzen,
Die waren plötzlich angesteckt.
Auch Hubaleck war eitel Wonne;
Dahin der Bimmelbammelflor.
Zur Seite die geliebte Nonne,
War er ein Cid Campeador.
Was ihn bedrängte, schien verflogen,
Dem Trübsinn gab er Paß und Lauf;
Ein nagelneuer Regenbogen
Ging ihm mit bunten Farben auf.
Was nicht ein Peter Zenz vollbrachte,
Nicht Wieprecht, der beherzte Hahn,
Das hatte düftelnd, süß und sachte
Die Frau von Eitelsbach getan.
Und jetzt, von ihrem Arm umschlungen,
Beseligt durch ihr junges Blut,
Er redete mit Feuerzungen,
Und was er redete, war gut.
»Hallirohe! – reicht mir den Becher!«
So hub er an mit frischem Ton.
»Verzeiht, ihr lieben Schoppenstecher,
Und gebt mir Absolution.
Ich weiß, ich war ein Grillenfänger
Vor Gott und Mensch die taubste Nuß,
Ein lendenlahmer Bänkelsänger,
Ein trauriger Seraphikus.
Ich war . . . bei Gott! ich war ja alles,
Ich war ein faulgebrütet Ei
Und hockte klaftertief im Dalles,
In sündigster Melancholei.
Doch hier mein Wort: Ich brach die Traille,
Die Blick und Ausgang mir verwehrt;
Die andre Seite der Medaille
Hat sich mir lächelnd zugekehrt.
Der Heimatstrieb, er machte Pleite;
Mein Herz ist jubelhell und schnalzt
Gleichwie ein Birkhahn auf der Freite,
Wenn seine Hennen er umbalzt.
Und würde Manna mich umtauen
Daheim, im eigenen Quartier,
Und wären mein auch sieben Frauen –
Mir ganz egal, ich bleibe hier.
Ich bleibe hier! – nur hier im Kreise,
Geschmückt mit feuerfalbem Kranz,
Nur hier in altgewohnter Weise
Verjubeln wir die Martinsgans.
Und jetzt ein Lied!« – Er hob sich mächtig,
Den Körper straffte Niet bei Niet,
Und stimmgewaltig, voll und prächtig
Sang er das neue Mosellied:

    »Wo die Berge so sonnig, die Höhen so frei,
    Die Reben im Winde sich biegen,
    In blauen Lüften mit jauchzendem Schrei
    Die stolzen Falken sich wiegen,
    Wo die Kelter rumpelt, der Böller kracht,
    Die Mosel durchs blühende Moseltal lacht,
        Da will ich auf Tod und Verderben
        Beglückt sein und leben und sterben!

    Und könnt' ich mit goldnem Saitenspiel
    Durchs Reich mit dem Kaiser reiten,
    Und wären der Ehren so viel mir, so viel
    Wie Sterne an himmlischen Breiten –
    Herr Kaiser, Herr Kaiser. gebt Urlaub mir,
    Die Mosel allein beut mir dauernd Quartier,
        Da will ich auf Tod und Verderben
        Beglückt sein und singen und sterben!

    Und käm' mir, wenn wieder nach Trier sie ging,
    Als Pilgrim daher aus der Fremde,
    Die Freifrau von Droste und Vischering
    Entgegen im schlohweißen Hemde –
    O ihr blühenden Rosen in wonniger Zeit!
    Nur im Arm einer nußbraunen Moselmaid,
        Da will ich auf Tod und Verderben
        Beglückt sein und lieben und sterben!

    Und wär' ich der Wild- und der Rauhgraf bei Rhein
    Und hätte der Weinkeller sieben,
    Und wär' eine Krone mit funkelndem Stein
    Ums Haupthaar mir haften geblieben –
    Was Wildgraf bei Rhein und was funkelnd Geschmeid!
    Will lieber in härenem Büßerkleid
        Im Tal hier auf Tod und Verderben
        Beglückt sein und trinken und sterben!

    Und ruft mich der Herrgott, sei's morgen, sei's heut,
    Und mach' ich mich still auf die Socken,
    Ich will nur ein ehrliches Sterbegeläut
    Mit bimmelnden Moseltalglocken.
    Da ist so ambrosisch im Juni die Luft,
    Da wölken den Weihrauch mir um die Gruft
        Die köstlichen Moselreben.
        Juchheissa, die Mosel soll leben!«

Nun denkt euch tausend Korkenstopfen,
Glattbauchig, stramm und derb und groß,
Und diese gingen nun als Pfropfen
Von tausend Sektbouteillen los,
Nun denkt, der Sultan käm' gefahren,
Für meinetwegen an den Rhein,
Und ließ durch seine Janitscharen
Dreimal »Allah il Allah« schrein,
Kurz, laßt den allergrößten Trubel
Urplötzlich unter Dach und Fach –
Just so ein männerfester Jubel
War jetzt in unserm Kneipgemach.
»Ein Hoch dem Cochemer Quiriten!«
Schrie Zenz durch die bewegte See.
»Dich, edelsten der Proselyten –
Absolvo te, absolvo te!«
»Ja, Freude wohnt in Trojas Hallen!«
Der Doktor rief es mit Hallo.
»Der Casus belli ist gefallen,
Da alles nur ein Quiproquo!«
Herr Wieprecht brüllte durch die Szene:
»Geköpft ist das Gorgonenhaupt,
Wie's einst die göttliche Athene
Dem Alcibiades geraubt!
Nun stehst du, größter aller Helden,
Auf unserm Campus Martius,
So, wie es uns die Bücher melden,
Gestanden Titus Tartius!
Bringt ihm ein Glas! – Bringt ihm 'nen Ganzen!
Vor Freude schlagt ein Doppelrad!
Und jetzt: wir wollen tanzen, tanzen,
Bevor die Geisterstunde naht!«
Und kaum gesagt . . . ein Meisterpfeifer,
Herr Hermann Joseph – Gott vergelt's! –
Er pfiff die allerneusten Schleifer
Mit feinstem Okarinaschmelz.
Er pfiff, ein tonbegabter Skalde
Und rhythmisch wie ein Sprudelbach,
»Geschichten aus dem Wiener Walde«
Und »Liebchen unterm Rebendach«.
Schon hielt, nach raschem Kragenlüften,
Ein jeder seine Maid im Arm,
Schon legten um die vollen Hüften
Die Hände minnig sich und warm,
Schon kitzelten die blonden Härchen
Herrn Wieprechts Nase hier und da,
Schon war ein strammes Wadenpärchen
Dem seinen ganz verteufelt nah,
Schon sprach das bleiche Frauenzimmer,
Von Hubaleck aus Herz gedrückt:
»Bedenke, Freund, ich bin noch immer
Ein Röschen, zart und ungepflückt!«
Bei Gott! – die stolzen Feldherrnblicke
Weitaufgerissen, schön und groß –
Schon kommandierte Zenz, der Dicke,
Sein »Eins und zwei und drei und – los!«
Schon brach sie auf, die wilde Schleuse . . .
Als plötzlich, feierlich und tief,
Der Kuckuck aus dem Uhrgehäuse
Die volle Geisterstunde rief.
Da fanden alle sich hienieden
Von einer Einsamkeit umspült,
Wie das Geschlecht der Salmoniden
Sie nur in tiefster Tiefe fühlt.
Auch nicht die leiseste Bewegung!
Kein zartes Tuscheln hin und her!
Man war voll seligster Erregung,
Und alle füßelten nicht mehr.
Man wähnte sich auf Draht gezogen,
Wie im Schlaraffenland zu sein
Und sog des Duftes zarte Wogen
In glücklichster Erwartung ein.
Der Herr des Hauses ließ sein Pfeifen
Und ließ, bewundert und umgafft,
Die weinverklärten Augen schweifen
So stillvergnügt und gönnerhaft,
Als wollt' er jetzt, dem Fest zu Ehren,
Mit Mann und Maus, mit Hahn und Huhn,
Mit Bergen, Städten, Land und Meeren
Ein ganzes Herzogreich vertun.
Denn ringsum feenhafter Schimmer,
Ein holder, märchenhafter Glanz!
Es tat sich auf das Nebenzimmer,
Und alles schrie: »Die Martinsgans!«
Dort auf dem Tisch, dem ausgestreckten,
Dem Ehrentisch, des Hauses Stolz,
Dem kirschenblütenweißgedeckten,
Dem Tisch aus derbem Eichenholz,
Da ruhte sie, scharmant zum Küssen,
Auf breiter Schüssel lag sie da,
Von allen leiblichen Genüssen
Das Alpha und das Omega.
»Halliro! – Weingedüft im Haare,
Mit Gänsesehnsucht vollgepreßt,
Umstühlen wir die Gänsebahre,
Begehen wir das Gänsefest!«
So klang's! – und als der Klang verflogen,
Als sich verwirklichte der Traum,
Da waren alle schon gezogen
In den bewußten Nebenraum.
Ein Lautenschlag! – Die Herzen puppern;
Was man ersehnte, war erreicht;
Und jetzt, bei wonniglichem Schnuppern,
Die achte Dithyrambe steigt.


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