Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

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Die achte Dithyrambe

                    Jetzt angestoßen, angeklungen
Wie einst beim Gluck von Edenhall!
Jetzt wird die Martinsgans besungen
Mit Harfenton und Paukenschall.
Der Welt ein tönender Rhapsode,
Vor Gott ein strahlender Psalmist,
Ich singe jetzt die Gänseode,
So schön, daß keiner sie vergißt.
»O Martinsgans! – Du Stallgeborne,
Du ein Produkt aus schlichtem Ei,
Du Königin und Auserkorne
In der gesamten Vogelei,
Die du, vom Kieselbach umsprudelt,
Geschnattert hast mit sanftem Ton
Und, tiefgebräunt und maisgenudelt,
Geziert die Tafel des Petron,
Die du in abendlicher Kühle,
Auf taubeglänztem Wiesenplan,
Der Sehnsucht heiligste Gefühle
Mit deinem Bürzel dargetan,
Die du, gefüttert mit Maronen,
m goldnen Kapitol nicht schliefst
Und gegen Brennus, den Senonen,
Die Römer zu den Waffen riefst,
Du zartes Gänsulein der Weiden,
Du Schnabel- und du Magenzier,
Für Christenmenschen, Juden, Heiden
Bis jetzt ein vielbegehrtes Tier –
Nun bist dem irdischen Gesange
Für jetzt und immer du entrückt
Und hast zu deinem letzten Gange
Wie eine Heldin dich geschmückt.
Gewiß, dein Kleid ist dir genommen,
Dein Bürzelchen ist federleer
Und, weder leid- noch lustbeklommen,
Dein armes Herzchen schlägt nicht mehr;
Und dennoch, wenn auch ohne Kragen
Und wenn auch ohne Stutz und Schwanz,
Dem Erdensohn ein Wohlbehagen,
Erstandest du zu neuem Glanz.
Man rupfte dich mit derben Händen,
Man ließ dir nicht das letzte Wort
Und sengte unter lohen Bränden
Dir deine zarten Stoppeln fort.
Nicht stumpf und dumpf, nicht dürr und mager
Ging dir vorlängst das Leben hin;
Fett ruhst du auf dem weichen Lager
Wie eine Kapuzinerin.
Denn sie, die köchliche Susanne,
Sie hat mit Wasser dich geschreckt
Und so in spiegelblanker Pfanne
Mit brauner Kutte dich bedeckt;
Hat dich von hüben und von drüben
Wie eine junge Braut geschmückt
Und Teltows angeschwitzte Rüben
Dir sinnig um den Leib gedrückt.
Die schönste der Apotheosen,
Sie ward Ereignis, kam ans Licht;
Ja, selbst Ovids Metamorphosen,
Sie kannten solchen Wandel nicht.
Und dein Gedüft! – auf weichem Flügel
Ein köstlich Atmen dringt uns zu;
Selbst Galiläas Myrrhenhügel,
Sie düfteln nicht so zart wie du.
So weich nicht, nicht mit solchem Kosen,
Vom blauen Himmel übersonnt,
So weich nicht schmeichelten die Rosen
Im märchenhaften Amathont.
Durch dich wird wieder blank und sauber,
Was humpelnd zog die müde Bahn;
Zum Adler wird der Ringeltauber
Und der Kapaun zum stolzen Hahn.
Als solcher thront er auf der Tenne,
Fühlt sich als Mann in Hof und Haus
Und sucht die allerfeinste Henne
Zum trauten Minnespiel sich aus.
Dahin des Daseins Bettelplunder!
All Weh und Leid, es wird versüßt!
Du größtes aller Vogelwunder,
Sei mir gegrüßt, gegrüßt, gegrüßt!«

Ja so, ein tönender Rhapsode,
Vor Gott ein strahlender Psalmist,
So sang ich meine Gänseode,
So schön, daß keiner sie vergißt.
Nachdem ich so mich ausgeflegelt,
Ward ich von einem Sturm umhegt,
Als hätte Jupiter gekegelt
Und »alle Neune« umgelegt.
Der Taumel schlug mir ins Gekröse,
Der Sinne holde Eintracht schwand,
So daß ich zwischen Gut und Böse
Gleichwie am Scheidewege stand.
Und Friede rings und eitel Trubel!
Der Rest von allem Griesgram wich.
Im Keller kullerten vor Jubel
Sogar die Fuderfässer sich.
Ein Glücksrausch fuhr durch alle Saiten;
Was angeknebelt, wurde frei,
Und Wieprecht tanzte wie vorzeiten
An der Gans, an der Magd, an der Bank vorbei.
»Hurra! – Du bist der größte Klempner
Von Vers und Reim, von Wort und Lied,
Auf den selbst Friederike Kempner
Mit neiderfüllten Blicken sieht.
Ein Garnichts bist du, stolz dich hebend,
Ein Pharus, leuchtend wie Asbest!«
So stellte, in den Wolken schwebend,
Der Doktor kategorisch fest.
Dann legte sich das laute Johlen,
Es ging zurück die wilde See,
Und feiernd kam auf weichen Sohlen
Die Hora sine tempore.
Und wohlig kam die liebe Stunde,
Sanft plätschernd wie ein Entenpfuhl;
Sie drückte jeden von der Runde
Beglückt auf seinen Binsenstuhl.
Dann, als die Äuglein fröhlich glommen,
Sie winkte leise mit dem Kopf
Und ließ die warmen Teller kommen
Mitsamt dem Soßenbeigußtopf.
Altjüngferlich in der Methode,
Sie bot dem Tische Brot und Salz;
Sie stöpselte nach alter Mode
Den Korken aus dem Flaschenhals.
Sie war so einfach, so genüglich,
Mit allen stand sie noch auf du
Und blinkte jedem stillvergnüglich
Mit ihren grauen Augen zu.
So ging sie um, die ehrenfeste,
Erhaben über jedes Lob,
Indes die Gans dem Schwarm der Gäste
Ein Netz von zarten Düften wob.
Erst Kirchhofschweigen, Sabbatweihe,
Dann grunzelnd Brüten, heiße Gier!
Es sehnte jede Tafelreihe
Sich nach dem braunen Flügeltier.
Entgeistert saß die ganze Klicke
Und schob durch Wein- und Tabaksflor
Die durch die Gans erregten Blicke
Auf Hummeraugenstielen vor.
Selbst die beschwipsten Moseldamen,
Sie sagten nicht: »Igitt, igitt!«
Sie gaben erst dem Bild den Rahmen
Und stielten schließlich tapfer mit.
Schon wetzte Hubaleck sein Messer,
Erwartend Gunst und Gänseglück,
Schon schielten Zenz, ein Vollblutesser,
Und Hiemenz nach dem größten Stück,
Schon schliff Herr Wieprecht seinen Schnabel
Und wollte, lüstern wie ein Bock,
Und brillenfunkelnd seine Gabel
Versenken in den Kuttenrock,
Schon gab er das, was ihm beschieden,
Der lieblichen Besitzerin
Der Äpfelchen der Hesperiden
Im Geist uneigennützig hin –
Da plötzlich . . . Kennt ihr jene Stille,
Die heimlich brodelt, düster qualmt,
Die alles lähmt und Wunsch und Wille
Mit stumpfem Räderwerk zermalmt,
Die erst nur durch der Zweige Gitter
Wie eine bleiche Nonne spricht
Und dann, ein prasselndes Gewitter,
Mit Blitz und Donner niederbricht?!
Wenn ihr sie kennt, mögt ihr erwägen,
Wie tief und ernsthaft unsre Not,
Mit welchen fürchterlichen Schlägen
Die Tafelrunde war bedroht,
Wie alles ringsumher erblaßte,
Mit Eis der Hosenboden ging,
Wie gleichsam vom geknickten Maste
Des Unheils schlappes Segel hing.
Denn jählings . . . Will uns alles narren?!
Mir fehlt die Weise, fehlt das Wort;
Ich kann nicht selber weiter karren
Und fahre drum mit Schiller fort:
Wie wenn auf einmal in die Kreise
Der Freude mit Gigantenschritt
Geheimnisvoll nach Geisterweise
Ein ungeheures Schicksal tritt:
Da beugt sich jede Erdengröße
Dem Fremdling aus der andern Welt;
Des Jubels mächtiges Getöse
Verstummt und jede Larve fällt.
Und so auch hier. – Die Festraketen,
Sie schienen ausgebranntes Stroh,
Als wäre zwischen uns getreten
Ein Danton und ein Momoro.
Das Schreckgespenst des Todes kreiste,
Die Larve fiel, die Seele fror,
Wie einst den Menschen sie vereiste
Am fürchterlichen Thermidor,
Da Gott die armen Kreaturen
In seinem großen Zorn verließ
Und dumpf die roten Karren fuhren
Hin durch den Nebel von Paris.

Sapienti sat! – Der Wunderglaube
Sah sich entblättert, dürr und kahl;
Das Schicksal stampfte durch die »Traube«
Und trat in unser Stammlokal.
Zwar nicht als bleiches Furchtgerippe,
Nicht zähneklappernd, grimm und greis,
Jedoch mit Stundenglas und Hippe
Erschien es dem erlauchten Kreis.
Was uns mit Grausen da erfaßte,
Lief über wie ein voller Krug.
Die Valwigbergerin erblaßte
Bis tief ins straffe Busentuch.
Auch die von Trittenheim und Ürzig,
In blinder Angst, in kaltem Graus,
Sie schwitzten wonnig, weich und würzig
Die feinsten Moseltröpfchen aus.
Und sie im Schmuck der Sendelbinden,
Die Klosterfrau voll höchster Zier,
Sie glaubte Schutz und Heil zu finden
Bei Rosenkranz und Skapulier.
Der holde Zauber war vergessen,
Dahin der süße Märchentau,
Und Hubaleck schrie wie besessen:
»O jerum, meine arme Frau!«
Bei diesem Schreckensruf, dem bleichen,
Wir alle, jeder Mann bei Mann,
Wir standen sprachlos wie die Leichen
Und stierten die Erscheinung an.
Das Herz, das geierklaunumkrallte,
Schien jedem Zuspruch abgeneigt,
Bis wiederum das Merkwort schallte:
Die neunte Dithyrambe steigt!


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