Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

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Die vierte Dithyrambe

              Was sind Entwürfe, was sind Pläne,
Selbst noch so klüglich ausgeheckt,
Wenn eine Rattmaus ihre Zähne
Schlägt in das niedlichste Projekt?!
Was sind sie all, die Siebensachen,
Gereiht wie Blumenstrauß an Strauß?!
Ein Sturmwind kommt und bläst mit Lachen
Das schöne Licht der Freude aus.
Wie oft nicht naht sich das Gemeine,
Wie auch der Himmel blinkt und blaut,
Und hagelt einem Dreck und Steine
In Eisbein, Wurst und Sauerkraut!
Des Ruhmes schönste Kränze welken,
Bevor die Uhr noch schlägt vom Turm,
Und in den allerfeinsten Nelken,
Da sitzt zumeist der Totenwurm.
Wie oft begrüßt man Buch und Titel,
Ist auf den Ausgang ganz erpicht,
Bis man erfährt im Schlußkapitel:
Sie kriegen sich schon wieder nicht.
So mancher schnuppert wie ein Igel,
Hat auch bei ihr 'nen Stein im Brett;
Doch öffnet endlich sich der Riegel,
Dann liegt ein andrer längst im Bett.
Das Glück ist schon 'ne kom'sche Base,
Hat weder Pech am Schuh noch Leim
Und fährt auf einer Seifenblase
Meist schnell nach Wolkenkuckucksheim.
Und so auch hier. –
                                Die gute Laune,
Sie pfiff auf den verderbten Speck,
Zumal mit ängstlichem Geraune
Jetzt alles sah auf Hubaleck.
Denn so wie er, so auch die andern . . .
Es grauste ihnen Herz und Ohr.
Sie sahen das entmenschte Wandern,
Sie hörten den entmenschten Chor.
Mag sein, daß die Gespensterstunde
Sich schon bedenklich näher schob,
Daß sich der Geist der Tafelrunde
In höh're Regionen hob;
Mag sein, daß die geleerten Pullen
Gleichwie ein Zauberer gewirkt
Und ein Gemisch von krausen Schrullen
Um jedes Dulderhaupt gezirkt –
Kurzum, vom Teufel zugeritten,
Sie sahen durch den Tabaksrauch,
Jetzt ganz entsetzt und gelb wie Quitten,
Die grimmen Eumeniden auch.
Zu viel für irdische Naturen!
Die Weiber sprühten Höllenlicht,
Und, ähnlich lauernden Lemuren,
Umschlichen sie das Amtsgericht.
Sie duckten sich, um gleich des längern
Sich aufzurichten riesengroß,
Und dann, ein Chor von Orkussängern,
Sie legten sinnbetörend los.
Bald tosend wie die Histrionen,
Bald winselnd wie der West im Ried,
Sie sangen, schreckliche Dämonen,
Dem Ärmsten ihr gewaltig Lied:

    »Wir sind die bekannten Gespenster,
    Wir schreiten durch Wetter und Wind
    Und pochen an alle Fenster,
    Wo böse Menschen sind.
    Wir schärfen das stumpfe Gewissen,
    Wir rauschen wie Sturmwind im Tann
    Und scheuchen von Kulter und Kissen
    Den sündenbeladenen Mann.
                      Hubaleck!

    Wie Esau vor Zeit in die Binsen
    Sein stolzes Ansehn geschickt
    Und für einen Teller voll Linsen
    Die Erstgeburt schmachvoll erstickt,
    So hast du, ganz übel beraten,
    Ganz heimlich und Stück für Stück,
    Um Mosel und Gänsebraten
    Zertrümmert dein häusliches Glück.
                      Hubaleck!

    Wie kannst du solch Treiben verfechten,
    Du Anwalt der hohen Justiz,
    Du Doktor von beiden Rechten,
    Du sella curulis an Witz?
    Das Unglück heult durch die Gassen,
    Im Hofraum seufzt es der Wind:
    Wo hast du dein Weib gelassen?
    Wo schmachtet dein leibliches Kind?
                      Hubaleck!

    Zur Strafe, wir wollen dich plagen
    Mit irdischem Leid und Weh,
    Wir wollen mit Rheuma dich schlagen
    Vom Wirbel hinab bis zur Zeh.
    Sollst nie einen Schoppen mehr trinken
    Im Schank und im Kellerrevier,
    Sollst in den Orkus versinken,
    Du und die andern mit dir.
                      Hubaleck!«

So sangen sie die Rachestrophen
Und drohten mit der Geisterhand
Dorthin, wo dicht beim warmen Ofen
Der Ärmste sich in Qualen wand.
Da aber, wenn auch etwas lallend,
Doch standfest noch auf jedem Bein,
Mit harter Faust die Tafel knallend,
Griff sein Kollege herzhaft ein.
Denn er, juridisch stark an Thesen,
Hellklirrend wie ein Rittersporn,
Er nahm jetzt die entmenschten Wesen
Mit seiner Logik scharf aufs Korn.
Und während noch die andern schwiegen
Ob mangelhafter Eloquenz,
War in die Kanne er gestiegen
Und sprach für alle – Peter Zenz:
»Was ficht euch an, seid ihr benebelt,
Seid ihr bereits so weit verdreht,
Daß ihr, durch süßen Wein geknebelt,
Vor Bäumen nicht den Wald mehr seht?!
Ihr müßt den Kasus einfach nehmen,
So wie er ist und wie er liegt:
Die Eumeniden sind nur Schemen,
Von blöder Phantasie gewiegt;
Denn hätte Schiller nicht gedichtet,
Nicht seinesgleichen in Apoll,
Man hätte gut und gern verzichtet
Auf sie im Daseinsprotokoll.
Doch weil nun mal der große Dichter
Sie herzitiert in unser Nest,
So nehm' ich als Vollstreckungsrichter
Die Eumeniden hiermit fest.
Kraft der Gewalt, die mir gegeben,
Der Einsicht, die ich mir gewann –
Ich klage sie auf Tod und Leben
Des Friedensbruchs im Wirtshaus an.
Nehmt sie in Haft!« – so rief er grimmig,
»Es geht nicht anders, es muß sein!«
Und kurzerhand und jubelstimmig
Drang alles auf die Weiber ein.
Die aber fletschten mit den Zähnen
Und grinsten mit entfleischtem Mund –
Und schüttelnd mit den Natternsträhnen,
Verschwanden sie im Hintergrund.

Nun denkt von uns gewiß ein jeder,
Und das mit vollem Recht und Fug,
Daß Hubaleck mit Haut und Leder
Sich wiederum als Mann betrug,
Daß er – und dieses gilt die Wette –
Fidel an unsrer Tabula
Den Weinpokal geschwungen hätte
Mit Hurra juwifalldera.
Doch weit gefehlt! – Die treuen Worte
Zerteilten nicht den dunkeln Flor.
Die heiße Seelenpeinretorte
Spie wild're Qualen denn zuvor.
Sie trieben ihn aus Hof und Häuschen,
Vergällten ihm den Wein im Glas;
Sie machten ihn zum Zwitschermäuschen,
Das hilflos in der Falle saß.
Bald wieder, ein blessierter Krieger,
Dem abgelaufen schon die Uhr,
Er brüllte wie ein Königstiger,
Gefällt im Land von Singapur.
Denn plötzlich hob er sich vom Sitze,
Ein Dämon, stur und riesengroß,
Und ließ die allertollsten Blitze
Auf unsre Tafelrunde los.
Er fuhr uns an mit Grimm und Greinen,
So wie einst Cicero mit Recht
Gesprochen zu dem hundsgemeinen
Katilinarischen Geschlecht:
» Quousque tandem . . .! – Tag und Stunde,
Sie stellten sich in Reih und Glied,
Wo Gott, der Herr, die Tafelrunde
Vor sein gerechtes Forum zieht.
Dich, Peter Zenz, er wird dich fassen,
Dich, Doktor, und dich, Wieprecht, auch;
Die Augen wird er brennen lassen,
Wie Moses seinen Dornenstrauch.
Erst wird er fragen ganz im stillen
Und traurig euch ins Auge sehn:
›Was denn, um tausend Gottes willen,
Ist meinem Hubaleck geschehn?!
So fromm wie er, so lebte keiner;
Er war gesucht als Kasuist
Und machte sich berühmt als feiner
Und sauber grübelnder Jurist.
Er war ein ganz bescheid'ner Zecher,
Der nie verwechselt Tag und Nacht;
Ihr aber habt 'nen Schoppenstecher
Aus diesem Edelmann gemacht.‹
Dann aber rollt sein Wort im Zorne;
Es kennt nicht Maß, es kennt nicht Ziel.
Gleichwie in einem Gletscherborne
Versauft ihr drin mit Stumpf und Stiel.
Quousque tandem . . .! – Blitz und Hagel,
Ihr seid verderbt an Seel' und Leib
Und schmiedetet den ersten Nagel
Zum Sarge für sein armes Weib.‹
So spricht der Herr, der hochgeehrte;
Er zeiht euch der gemeinsten Schmach,
Und ich, der nunmehr Vollbekehrte,
Ich spreche ihm getreulich nach:
Ihr habt mein häuslich Glück zerrissen,
Den heil'gen Frieden mir zerpflückt
Und mich auf die bedornten Kissen
Der tiefsten Seelenqual gedrückt.
Ich sehe Mäuse, sehe Ratten . . .
O Gott! – mein Weib, mein höchstes Glück,
Es kommt und fordert seinen Gatten
Von euch und Brixius zurück.
Kein Lug, kein Trug! – nur Augenweide!
Ich sehe wahrhaft und genau.
Sie naht im schleierweißen Kleide:
O jerum, meine arme Frau!
Was Martinsgans, was Wein und Lieder!
Das Licht verlosch, das Fest ist aus!
Ich werde brav und fromm und bieder;
Lebt wohl, ich gehe jetzt nach Haus.«
Das war zu viel! – der Doktor lärmte,
Herr Peter Zenz tat's ebenfalls;
Er tobte, wetterte und härmte
Sich fast die Schwindsucht an den Hals.
Und Brixius – wie unterm Messer,
Er brüllte wild: »Mein Renommee!«
Und lobte sich und seine Fässer
Weit über seinen grünsten Klee.
Der Aufruhr steilte gleich dem Kegel
Des Monte Rosa sich empor,
Bis Meister Wieprecht, frisch und kregel,
Den tobenden Orkan beschwor:
»Halt, meine Herrn! – Hier hilft kein Wettern,
Hier fördert nicht brutale Kraft.
Man bändigt solche blonden Vettern
Nur durch den Geist der Wissenschaft.
Nur wer geschichtlich denkt und redet,
Sein Können aus den Büchern nahm,
Durch den allein wird hier befehdet,
Was uns so überraschend kam.
Nur wer wie Moses weiß zu schlagen
Aus nacktem Felsen Born bei Born,
Kann lediglich zum Herzen tragen
Der Überzeugung reifes Korn.
Hat Ödipus durch seine Gabe
Nicht Übermenschliches vollbracht,
Als er, der edle Römerknabe,
Die tollsten Tiere zahm gemacht?!
Hieß nicht Menenius vor Tagen
Ägyptens Völker heimwärts ziehn,
Als sie mit ausgeleertem Magen
Nach panem et circenses schrien?!
Und so auch hier. – Um Christi willen,
Er wird befreit aus tiefster Not!
Ich schlage Unverstand und Grillen
Moralisch und historisch tot.«
So sprach der kundige Thebaner,
Vom eignen Lorbeerkranz umzweigt,
Und rief: »Habt acht, ihr Brixianer,
Die fünfte Dithyrambe steigt!«


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