Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

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Die neunte Dithyrambe

                      Des Menschen irdische Geschicke
Sind meist betrüblich anzusehn;
Man kann in jedem Augenblicke
Vor gänzlich Unerforschtem stehn.
Der eine glaubt, den Gott zu fesseln,
Der ihn mit ew'gem Lorbeer schmückt,
Bis er gewahrt, daß eitel Nesseln
Der Schalk ihm auf das Haupt gedrückt.
Der geht, die Fische zu besprechen,
Vor Tau und Tag aus seinem Haus
Und schmeißt an erlumbuschten Bächen
Mit Emsigkeit das Würmchen aus.
Schon bibbert's an der Angelruten;
Er hebt und zieht und wirft im Nu
Und wirft, weiß Gott! nur aus den Fluten
'nen abgelebten Bauernschuh.
Ein Dritter nimmt, da just es maite,
Sich Weib und Haus und Ingesind,
Und sieh, die Jungfer, die er freite,
Hat von 'nem andern schon ein Kind.
Betrüblich zwar, doch nicht zu ändern,
Denn solches kommt ja öfters vor.
Ihm bleibt nichts übrig, als zu bändern
Den Hut mit einem Trauerflor.
Und viele, viele, ach! so viele,
Die froh dem Stammtisch sich gesellt,
Sie sitzen fromm beim Kartenspiele
Und wähnen glücklich alle Welt.
Doch haben sie den Skat erledigt,
Sich brav entfernt mit Heil und Gruß,
Die grimmigste Gardinenpredigt
Verhagelt ihnen Grus und Mus.
Noch trauriger, wenn zwei im Roggen
Die Ähren selig umgelegt,
Und ungestüm wie Englands Doggen
Das Bauernvolk dazwischen fegt.
Dann wettert's Flüche, setzt es Hiebe,
Denn so ein Rüpelkorps vergißt,
Wie zart und süß der Gott der Liebe
Zumeist im hohen Kornfeld ist.
Am traurigsten, wenn edle Männer,
Nachdem des Tages Lasten ruhn,
Sich stillvergnügt als brave Kenner
Des Moselweins zusammentun,
Um froh ihr Gänsefest zu feiern –
Wenn dann mit kaum gehörtem Schritt
Und gleichsam wie auf faulen Eiern
Die Nemesis ins Zimmer tritt;
Denn proper wie 'ne Frau aus Delfte,
Wie Milch und Blut, so frank und frei,
Erschien vor uns die bess're Hälfte
Des Amtsgerichtsrats Num'ro zwei.
Im Pelzwerk von den feinsten Nerzen,
Sie rauschte vor, sie war uns nah;
Doch nicht zum Liebeln und zum Scherzen,
Nein, kampfgewärtig stand sie da.
So mochte Juno einst, die hehre,
In lichterlohem Aufruhr sein,
Als sie den Gatten, bar der Ehre,
Erwischt bei einem Stelldichein.
In ihren Augen – welch ein Blitzen!
In ihrer Haltung – welch ein Bann!
Gleichwie mit scharfen Nadelspitzen
Sah sie auf den verstörten Mann.
Und er, der Pfeiler der Familie,
Sonst sprachgewaltig, er blieb stumm,
Und wie der Stengel einer Lilie
Fiel dieser stolze Pfeiler um.
Er wollte rufen: »Gebt mir Flügel,
Ihr Götter, laßt mich nicht im Stich!
Wenn nicht, ihr lieben Moselhügel,
Fallt über mich, fallt über mich!«
Er konnt' es nicht . . . der Ernst der Stunde,
Er war zu schmetternd, war zu groß,
Und auch die sonst beherzte Runde
War dieses Mal ganz fassungslos.
Ja, selbst die Damen, froh entstiegen
Dem heit'ren Glas, sie waren's auch;
Bekreuzten sich, und stillverschwiegen
Vergingen sie in Schall und Rauch.
Nur Wieprecht, dieser wack're Degen,
Ja, dieser selbstbewußte Pfau,
Er stürzte vor und sprach verwegen:
»Ei guten Abend, gnäd'ge Frau!«
»Was – guten Abend?! – Guten Morgen!
Das steht euch besser,« hub sie an,
»Und wähnst du selber dich geborgen.
Bist du im Irrtum, lieber Mann.
Ja, warte nur, du flotter Tänzer,
Historischer Pastetenkoch,
Du Allerweltsherumscharwenzer,
Es schlägt auch dir die Stunde noch.
Auch du mit deiner Dichterleier . . .
Trät' deine Frau hier plötzlich ein,
Du kröchst bei dieser Gänsefeier
Ins nächste Mauseloch hinein.
Was ich ertrug, was ich erduldet,
Was ich durchlebte feuchten Blicks,
Das nur allein hast du verschuldet,
Denn alle Dichter taugen nix.
Und du, mein Doktorjunggeselle,
Du hältst natürlich immer still,
Denn, falls die Schwester hier zur Stelle,
Die sagte nur: »Wie ›Er‹ es will.«
Und du, und du . . .« sie rückte näher,
Der Zorn riß sie zum Gatten fort,
Und hoch am Hut den flotten Häher,
Ergriff energisch sie das Wort.
Ihr Busen flog, der Häher nickte,
Im Herzenskämmerchen war Sturm,
Und wie 'ne weiße Henne pickte
Sie nach dem armen Unglückswurm:
»So muß ich hier in Pein und Plage
Als Dulderin jetzt vor dir stehn,
Dich hier beim sündigen Gelage
Als abgefeimten Schlemmer sehn!
Du bist mir schon das rechte Männchen,
Das, wenn auch ehrlich mir getraut,
Viel lieber in sein Deckelkännchen
Als in den Blick der Gattin schaut.
Warum denn ohne Zaum und Trense
Trieb's in die Ferne dich hinaus?
Ich weiß: die dümmsten Wirtshausgänse,
Die liebst du mehr als die zu Haus.
Bei Brixius die Kellerschwellen,
Die feucht vom Moselweine sind,
Die Flaschen und die Spießgesellen
Stehn höher dir als Weib und Kind.
O diese Zucht! Wohin mich wenden,
Wenn so wie hier das Unglück kreist,
Wenn unter den frivolen Händen
Mein schönster Lebenstraum zerreißt?!
Wer bessert mir den lieben Sünder,
Der zweifellos ein guter Christ
Und hier als Stammtischmitbegründer
Zudem noch Amtsgerichtsrat ist?!
Bei dieser dummen Gansgeschichte
Und dem infamen Kandelbrett –
Mensch, hast du keine Ehepflichten?
Und denkst du nicht an Tisch und Bett?!
Ich sehe schon die schwarzen Pferde,
Den schwarzen Leichenwagen – du . . .!
Denn nur in gutgeweihter Erde,
Da findet meine Seele Ruh.«

Sie sprach's in schweren Bitternissen,
Sie sprach's mit leisem Wehgestöhn,
Und ach! vom Zorne hingerissen,
Die Frau, sie war noch immer schön.
Doch Wieprecht, voll der guten Tropfen,
Schien aller Milde bar und bloß;
Er sprang wie ein Champagnerpfropfen
Auf die Beklagenswerte los.
»Ha!« schrie er auf, »sind das Manieren?!
Das nennt man Tusch, das ist Skandal!
Wie können Sie so hier blamieren
Den melankonischen Gemahl?!
Ich, Wieprecht, bin kein feiger Mucker,
Bin grimm gelaunt und scharf bei Sinn
Und stelle mich als Zeitungsdrucker
Und Freund vor diese Unschuld hin.
Ha! würde mir von meinem Weibe,
Was ihm von seinem Weib geschehn,
Ich würde, aufgelöst am Leibe,
Wie Titus Tartius hier stehn.
Ich würde hier auf der Tribüne,
Vom Zorne lichterloh entbrannt,
So stehn, wie einstens Karl der Kühne
Vor seinem Weib Alkmene stand.
Ich würde . . . Kinder, Kinder, Kinder . . .!
Ha, Hubaleck, was ficht dich an?
Nimm deinen Amtsgerichtszylinder
Und zeige dich als ganzer Mann!«

Zu dem, was Wieprecht hier verhandelt,
Mit forschem Ton und lautem Hals,
Sprach sie kein Wort und schien verwandelt
In eine Säule Glaubersalz.
Sie regte sich mit keinem Gliede,
War pyramidenstarr und bleich
Und schien, die schönste Niobide,
Gekommen aus dem Geisterreich.
Sie nickte nur mit ernster Miene,
Doch äußerst zart und sehr geschickt,
Wie hinter Vorhang und Gardine
Ein Regisseur zum Auftakt nickt.
Und sieh, wie aus 'nem Zauberdöschen,
Mit Muff und Boa angetan,
Am Hut die feinsten Schirtingröschen,
Erschien Frau Wieprecht auf dem Plan.

»Na, Freundchen,« sprach die neue Schöne,
»Ich füg' mich schon, wie Gott es will;
Hier redest du die höchsten Töne
Und bist im Schlafrock mäuschenstill.
Daheim nur ein Zubettgehmahner,
Ein »Kuckinstöpfchen« stets zu Haus,
Bist du jedoch als Brixianer
Ein Ludrian und Schüppendaus.
Weshalb denn just bei diesen Pflanzen,
In dieser saubern Kumpanei
Mußt du allabends lustig tanzen
An der Frau, an der Magd, an der Bank vorbei?!
Weshalb denn hier die Gans verzehren,
Just hier, von Tabaksqualm umweht,
Wo sie bei uns in allen Ehren
Schon pretzelnd auf dem Tische steht?!
Doch wie du willst, du feiner Bruder.
Die Stunde kommt zu guter Letzt,
Wo du in einem Moselfuder
Wirst auf dem Kirchhof beigesetzt.
Bevor jedoch, mein Herzenskünder,
Du, mit der Bux voll Vogelleim –
Mach' deine Rechnung, alter Sünder!
Das Weit're findet sich daheim.«

»Genug, genug! – Sind wir noch Männer,
Ist uns ein Herz noch oder keins?!«
So rief, ein feuriger Bekenner,
Der Amtsgerichtsrat Num'ro eins.
»Bei meinem eignen Heil und Frommen,
Bei Donner, Blitz und Doria –
Ist uns abhanden denn gekommen
Die heilige Justitia?!
Was hatten wir? – nur saure Wochen.
Was geben wir? – ein kleines Fest,
Und dieses wird uns jetzt zerbrochen,
Wie man ein Glas zerspringen läßt.
O Weiberlist, o Weibertücke,
Die immer blitzt und immer kracht
Und aus der allerkleinsten Mücke
Gleich einen Elefanten macht,
Sei uns verflucht! – Noch sind wir Leute,
Die wissen, was uns nutzt und frummt;
Wir gehen, Gott sei Dank! bis heute
In Deichsel nicht und Sielenkumt.
Noch sind wir nicht als feige Sklaven
Hier zum Pantoffelkuß verdammt;
Noch hat das Strafrecht Paragraphen,
Und wir vertreten auch ein Amt.
Und daher – nicht als sanfter Schlichter,
Der meistens nur daneben schafft,
Nein, hiermit als Vollstreckungsrichter
Nehm' ich die Damen jetzt in Haft.
Nehmt sie in Haft . . .!«
                                        Der Zornumschiente,
Er sprach es, feuerfestgestählt,
Indes der Doktor heimlich griente,
Weil er bis dato unvermählt.
Doch sie, Frau Wieprecht, so behandelt,
War zugeknöpft bis an den Hals;
Sie fühlte plötzlich sich verwandelt
In eine Säule Glaubersalz.
Sie regte sich mit keinem Gliede,
War pyramidenstarr und bleich
Und schien, die schönste Niobide,
Gekommen aus dem Geisterreich.
Sie nickte nur mit ernster Miene,
Doch äußerst zart und sehr geschickt,
Wie hinter Vorhang und Gardine
Ein Regisseur zum Auftakt nickt.
Und sieh, von stillem Ernst getragen,
Zwar nicht im allerjüngsten Lenz,
Doch mit kokettem Biberkragen,
In tiefster Trauer kam Frau Zenz.
O, eine edle Himmelsgabe,
Ein fleischgewordner Morgentau,
Gar eine süße Himmelswabe
War a priori diese Frau.
Sie kam nicht an mit Wortpräsenten
Und sonstigem Brimborium;
Die Frau des Tafelpräsidenten
War wie ein Bahrtuch kalt und stumm.
Kein Wort, kein Ton, nicht eine Silbe;
Die Stille war ganz unerhört.
Man hätte selbst die kleinste Milbe,
Falls sie vorhanden, auch gehört.
Und dennoch wurden Herz und Laune
Durch diese Stille mehr bedrängt,
Als durch 'ne Synodalposaune,
Die plötzlich an zu tönen fängt.

Gefahr in Sicht! – Gefahr vorhanden!
Die Frau, sie gab uns all den Rest,
Denn, frei und los von allen Banden,
Die Angst umflügelte das Fest.
Die Tafelrunde stand versteinert,
Gen Himmel sträubte sich ihr Haar;
Es wankte, was nicht gut geschreinert,
Verdiebelt und vernagelt war.
Nur Hermann Joseph . . . sonst voll Schwänke,
Doch jetzt des tiefsten Elends voll,
Er stürzte über Stuhl und Bänke
Und jammerte im tiefsten Moll:
»Wo ist das Glück der »Goldnen Traube«,
Mein Renommee, mein ganzes Sein?!
Es flog wie eine Ringeltaube
Ins Nimmerwiedersehn hinein.
Barmherzigkeit, wie soll das enden!
Mein ganzer Tempel dreht sich rund.
Ich bin ein Wirt mit toten Händen,
Ein Faß mit eingeschlag'nem Spund.
Umsonst vertan sind Speck und Butter,
Sind Senf und Soßen, Glast und Glanz!
Und sie, die ach! so schön im Futter,
Verloren ist die Martinsgans!
Wer rettet, hilft?! – Wer schützt mich Armen,
Wer leiht mir ein geneigtes Ohr . . .?!«
Und sieh – mit innigem Erbarmen
Noch einmal trat der Dichter vor.
Kraft der Gewalt, die ihm verliehen,
Er weckt die Saiten, singt und geigt.
Und horch! – aus goldnen Melodien,
Die zehnte Dithyrambe steigt.


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