Artur Landsberger
Raffke & Cie.
Artur Landsberger

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Zwanzigstes Kapitel.

Frau Röhren war schon aus dem Hause, als Cäcilie an das Haustelephon stürzte und hineinrief:

»Frida Linke soll sofort zu mir heraufkommen!«

»Sehr wohl, gnädige Frau!« war die Antwort. »Ich werde sofort sehen, ob Fräulein Ury zu Hause ist. Ich glaube, sie ist zur Probe.«

Frida Linke war nicht zur Probe. Vielmehr lag Viccy Ury in seidenem Pyjama auf der Chaiselongue, rauchte eine Zigarette und trillerte ein Schlagercouplet aus Victor Grüns letzter Operette.

Als der Diener den Befehl der Gnädigen überbrachte, verzog sie das Gesicht und sagte:

»Zu der Alten auf nüchternen Magen? Danke!«

Der Diener lachte.

»Im übrigen: wenn sie 'was von mir will, weshalb kommt sie nicht zu mir?«

»Soll ich das ausrichten?«

Frida setzte sich auf und sagte:

»Ne! Das geht nicht. Ich muß Rücksicht auf meinen Vater nehmen.« – Sie betrachtete sich: »In dem Aufzuge? Was meinen Sie, ob das geht?«

Der Diener nahm gerade eine nähere Besichtigung vor, als die Tür aufging und Cäcilie ins Zimmer stürzte.

»Wo bleiben Sie?« rief sie. »Was ist das für eine Art, mich so lange warten zu lassen?«

Während der Diener sich ängstlich an die Wand drückte, war Frida keinen Augenblick verlegen. Nicht einmal die Zigarette legte sie aus der Hand.

»Wir beratschlagten gerade, ob ich in diesem Aufzuge . . .«

»Sie haben ja Hosen an!« rief Cäcilie entsetzt.

»Allerdings! Sogar seidne. Akt zwei, dritte Szene der neuen Operette!« log sie.

Cäcilie legte die Lorgnette an und meinte:

»Sehr fesch!«

»Danke!« quittierte Frida.

Cäcilie wandte sich an den Diener und sagte:

»Lassen Sie uns allein! – Ich bin für niemanden da. Auch am Telephon nicht.«

»Sehr wohl!« erwiderte der Diener, verbeugte sich und ging.

Als er draußen war, trat Cäcilie dicht vor Frida, die jetzt neben der Chaiselongue stand, hin und sagte:

»Sie sind mir ja eine nette Person!«

»Darf ich fragen, wieso?«

»Verstellen Sie sich nicht! Ich weiß alles.«

»Was meinen Sie?«

»Ihre Beziehungen zu meinem Sohne.«

»Ich habe mir nichts vorzuwerfen.«

»Aber ich habe Ihnen vorzuwerfen, daß Sie an Größenwahn leiden! Wer sind Sie eigentlich, daß Sie sich einreden, mein Sohn wird Ihretwegen auf die Ehe mit Suse Röhren verzichten? Fällt ihm nicht ein. Morgen kommt er zurück. Übermorgen verlobt er sich. In vier Wochen ist die Hochzeit.«

»Nein!« rief Frida empört und trampste mit dem Fuße auf. »Das wollen wir erst einmal sehen! Ich habe mir seinetwegen alles vom Halse gehalten. Darunter die aussichtsreichsten Sachen, bei denen eine Ehe durchaus nicht ausgeschlossen war. Nur weil ich sein Wort hatte.«

Cäcilie wankte ein paar Schritte zurück. Es stimmte also! Frida hatte sich bluffen lassen und war gleich mit der ganzen Wahrheit herausgeplatzt.

»Und was besagt dies Wort?« fragte Cäcilie.

»Daß, wenn er einmal heiratet, er nur mich heiratet.«

Cäcilie lachte laut auf. Aber man spürte, wie gequält das war.

»Und das haben Sie ihm geglaubt?« rief sie höhnisch.

»Regen Sie sich nicht auf!« erwiderte Frida. »Ich kenne Ihren Sohn besser, als Sie ihn kennen. Wenn einer auf ihn Einfluß hat, bin ich's. Lassen Sie ihn ruhig kommen. Er wird Suse Röhren nicht heiraten. Und wenn ich mit ihm nicht fertig werde, dann gehe ich zu Röhrens selbst. Da respektiert man ein gegebenes Wort mehr als hier.«

»Ich werde dafür sorgen, daß man Sie nicht empfängt.«

»Uns, Frau Raffke, hat man den Zutritt bei Röhrens noch nie verweigert,« lautete Fridas nicht mißzuverstehende Antwort.

»Sie sind von Sinnen! Was ist das für ein Ton, in dem Sie mit mir sprechen?«

»Ich gebe zu, ich bin gereizt. Aber wenn Sie derart aufs ganze gehen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn ich mich meiner Haut wehre, so gut ich kann.«

Cäcilie sah sich vor eine vollendete Tatsache gestellt. Sie wußte, wie renitent Günther von klein an ihr gegenüber war. Sie sah auch, wie sicher Frida ihrer Sache war. Und schließlich dachte sie an die Äußerung Frau Röhrens, in der sie es ablehnte, einen Zwang auf Günther auszuüben.

Alles das wirkte zusammen. Andere Taktik! sagte sie sich, schlug im Ton um und lenkte ein: »Ich sehe das ein.«

Frida beruhigte sich und sagte: »Nun also.«

»Schließlich ist es für Sie ja keine Kleinigkeit, auf Günther zu verzichten.«

»Ich denk' nicht dran!« erwiderte Frida.

»Wir müssen das in Ruhe bereden,« sagte Cacilie und nahm Frida bei der Hand. Dann setzten sie sich nebeneinander auf die Chaiselongue.

»Geben Sie zu, daß das eine Mesalliance wäre?« fragte Cäcilie.

»Für mich nicht.«

»Aber für ihn.«

»Wenn schon! – Wenn es sich herausstellt, daß wir nicht zueinander passen, gut, so lassen wir uns eben scheiden.«

»Und wozu war dann das ganze?«

»Sehr einfach! Ich bin Frau Raffke, und er muß für mich sorgen.«

»Das könnte auch ohne Ehe geschehen.«

»Aber wie! Das kennt man. Und vor allem: ich bliebe dann, was ich bin, Frida Linke.«

»Sie bleiben Viccy Ury. Auch wenn Sie seine Frau würden. Sie würden doch die Kunst nicht an den Nagel hängen.«

»Und ob ich das täte! An den festesten und höchsten, von dem man sie nie mehr herunterbekäme. – Oder glauben Sie, diese ganze sogenannte Soubrettenkunst ist etwas anderes als eine bessere Männerfalle? Mit der Stenotypistin Frida Linke hätte sich Günther Raffke im Bestfalle auf eine Liaison auf Tage, Wochen oder Monate eingelassen. Bei Viccy Ury, der ersten Soubrette der Residenzbühne, lag der Fall schon anders. Da war ich wer! Das gab mir, wenn ich mich nur hielt und keiner sich meines Besitzes rühmen konnte, das Recht, Ansprüche zu stellen, die man bei Frida Linke für Tollheit erklärt hätte. – Sie sehen, ich decouvriere mich Ihnen vollkommen. Ich habe nichts zu verbergen. Sie können mir nachspüren, soweit Sie wollen. Ich handle ganz zielbewußt. Ich lebe nicht ins Blaue hinein. – Aber genau, wie Sie sich einmal aus Ihren kleinen Verhältnissen herausgesehnt haben und nicht Ihr Leben lang hinter einem Ladentisch sitzen und Butter verkaufen wollten« – Cäcilie hielt sich die Ohren zu und schnappte nach Luft – »genau so liegt mir daran, nicht Zeit meines Lebens das Dasein eines ›Domestiken‹ zu führen.«

»Ich bringe Ihrem Streben durchaus Verständnis entgegen. Nur, ich sehe nicht ein, warum ausgerechnet mein Sohn das Opfer sein muß.«

»Gnädige Frau, das würde mir in solchem Fall vermutlich jede Mutter sagen.«

»Es wäre demnach klüger, wenn Sie sich an jemanden gewandt hätten, der nicht, wie Günther, auf seine Mutter angewiesen ist.«

»Wie meinen Sie das?« fragte Frida.

»Das ist doch sehr einfach. In demselben Augenblick, in dem Günther Sie heiratet, sperren wir ihm die Gelder. Das steht fest! Günther ist zwar ein gesunder und kräftiger Mensch, aber sehr unpraktisch. Und ich glaube, für den Lebensunterhalt der Familie müßten schon Sie sorgen.«

»Was?« rief Frida empört. »Ich soll Ihren Sohn ernähren?«

»Ihren Mann!« verbesserte Cäcilie.

»Das sollte mir einfallen!«

»Wir würden ihn selbstredend auch enterben. Und auf das Pflichtteil zu warten, wäre eine harte Geduldsprobe.«

»Sie werden Ihren Sohn nicht hungern lassen,« sagte Frida verzweifelt.

»Gewiß nicht. Ich würde Ihnen voraussichtlich gestatten, daß Sie abends aus dem Leutehaus Essen für ihn holen.«

»Und Sie glauben, dazu gebe ich mich her?«

»Nein! Denn für so dumm halte ich Sie nicht.«

»Was soll also geschehen?«

»Sie werden auf meinen Sohn verzichten.«

»Und was weiter?«

»Das bleibt Ihnen überlassen. Ich denke mir, Sie werden die ›bessere Männerfalle‹ wieder in Tätigkeit setzen. Auf Grund der gemachten Erfahrung mit mehr Vorsicht. Und vor allem: Sie werden von hier fortziehen und mir versprechen, nie wieder mit Günther in Verbindung zu treten.«

»Ja, wie käme ich denn dazu? Sie stellen da Forderungen an mich und denken nicht daran . . .«

»Doch! doch!« unterbrach sie Cäcilie. »Ich denk' schon dran. Wir verstehen uns ausgezeichnet. Ich weiß gottlob, was sich schickt, und lasse mich nicht lumpen. Aber vor allem muß ich wissen, daß ich mich auf Sie verlassen kann.«

»In welcher Beziehung?«

»Sie müssen mir helfen, daß diese Ehe zustande kommt.«

»Günthers? Mit dieser Suse?«

»Ja!«

Und nun erzählte Cäcilie alles, was sich soeben zwischen ihr und Frau Röhren zugetragen hatte.

Frida kannte die Zusammenhänge besser als irgendwer. Aber den Ausschlag gab für sie doch immer das eigene Interesse.

»Ich kenne Ihren Sohn,« sagte sie bedächtig, »und weiß, daß er ehrenhaft bis zum Fanatismus ist. So viel steht fest: die Vorbedingung für das Zustandekommen dieser Ehe ist eine andere Ehe.«

»Nanu?« rief Cäcilie, und Frida fuhr fort:

»Nämlich meine!«

»Wa . . .?.«

»Nur das wird Günther überzeugen. Nur dadurch wird er sich seines Wortes entbunden fühlen.«

Cäcilie begann zu begreifen.

»Das ist so dumm nicht, was Sie da sagen.«

Frida setzte noch einen Trumpf darauf.

»Natürlich dürfte das nicht die erste, beste Ehe sein,« sagte sie. »Ihr Sohn würde sonst Verdacht schöpfen und womöglich annehmen, daß man einen Zwang auf mich ausgeübt hat. Das aber würde sein Verantwortungsgefühl nur bestärken. Es müßte eine Ehe sein, die glauben läßt, daß es mein freier Wille war. Eine sehr verlockende Ehe also. Verlockender womöglich, als die mit ihm.«

»Als wenn ich Leo sprechen höre!« rief Cäcilie. »An Ihnen ist ein Geschäftsgenie verloren gegangen. Schade, daß Sie nicht sein Junge sind!«

»Haben Sie so eine Partie für mich?« fragte Frida.

»Ich muß sie finden,« erwiderte Cacilie. »Leicht ist das nicht. Und ein Vermögen kostet das wieder. – Ich werde mit dem Maestro reden.«

 


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