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Das Ghettobuch
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David Pinski

Gut jom tow wünschen.

1. Beim Prinzipal.

Als Leiser, der Schlanke, Awrejmel, der Gelbe und Jankel, der Hagere, ihrem Prinzipal Toderos, dem Möbelhändler, gut jom tow wünschen kamen, war die Stube voll von Gästen.

Die Arbeiter wurden verlegen, als sie sich von so vielen Menschen umgeben sahen, aber Leiser, der Schlanke, ermannte sich und schrie mit breiter, doch nicht allzulauter Stimme: »Gut jom tow!«

»Willkommen«, antwortete die Prinzipalin. »Gut jom tow! Gut jom tow!« rief Herr Toderos. »Endlich seid ihr gekommen. Schöne Leute seid ihr!«

»Willkommen«, schrie das Söhnchen des Hauses mit einem dünnen Stimmchen und schlug Leiser, den Schlanken, auf den Rücken.

Leiser lächelte.

Man wies den Arbeitern Stühle am Tischende an. Vorsichtig hoben sie die Rockschöße in die Höhe und setzten sich. Sie wußten nicht, was sie mit sich anfangen sollten, betrachteten die Bilder an den Wänden und streichelten verlegen die Stuhlsitze.

»Warum sitzt Ihr so!« fragte plötzlich der Hausherr, sein Gespräch mit einem Gast unterbrechend. »Schenkt die Gläser ein und trinkt.«

Leiser sprang auf und langte über den Tisch nach der Branntweinsflasche.

»Oh, bei ihm sind zerrissen die ...« schrie der kleine Toderos und klatschte in die Hände. »Hinten sind sie zerrissen ...«

Leiser wurde rot. Awrejmel und Jankel wurden ebenfalls verlegen. Der Knabe beugte sich vor, um den Gästen den Riß zu zeigen. Die Mutter sah ihn aber strenge an und er entfernte sich lachend.

Leiser schenkte für sich und seine Kollegen die Gläser voll.

»Lechajim«, ruft er zum Prinzipal. »Lechajim!«

»Lechajim«, rufen auch Awrejmel und Jankel.

Leiser lächelte – er fühlt, daß er jetzt etwas sagen muß.

»Lechajim, Lechajim«, antwortet Herr Toderos, der sich gerade mit einem Gast, der einen Zylinder auf bat, unterhält.

Leiser bewegt die Lippen. Awrejmel und Jankel sehen ihn an.

»Lechajim«, ruft endlich Leiser der Prinzipalin zu.

»Lechajim! Alles Gute ...! Trinkt gesund!« antwortet sie und führt ihr Gespräch mit der Nachbarin fort.

»Auf Eurer Tochter Hochzeit sollen wir wieder fröhlich beisammen sein«, fährt Leiser mit einem unterwürfigen Lächeln fort, und auch seine Kameraden lächeln.

Die Hausfrau neigt verbindlich den Kopf.

Sie trinken und nehmen Backwerk. Herr Toderos spricht von seinen Geschäften und sie hören zu.

»Ich kann nicht klagen«, sagt der Möbelhändler gut gelaunt. »Gelobt sei Gott, das Geschäft floriert... Menschen leben von mir ...« Er zeigt mit der Hand auf die Arbeiter. Lustig schlägt er auf den Tisch, »wir wollen trinken Lechajim!«

Er gießt die Gläschen voll.

»Hör' nur, Jankel«, ruft er plötzlich. »Sing' einmal dein Mechalkal Chaim, das Stückchen singt er nämlich ausgezeichnet«, wendet er sich an die Gäste. Alle sehen Jankel erwartungsvoll an.

Auf Jankels Gesicht erscheinen rote Flecke.

»Nun los«, kommandiert Herr Toderos.

»Heute kann ich nicht singen«, antwortet Jankel. »Der Husten plagt mich und ich habe Herzschmerzen.«

»Ach was, wann hustest du denn nicht!« ruft Herr Toderos. »Laß dich nicht bitten. Nimm ein wenig Branntwein und sing!... Schenk' ihm ein. Leiser ...!«

Jankel trinkt und spricht kein Wort. Er sieht nur seine Kameraden an. »Ihr werdet mich doch begleiten«, sagt er leise, Er fängt zu singen an und die Arbeiter stimmen ein: »Pom, pom, pom ...«

»Ein herrliches Stück«, ruft Herr Toderos und singt mit.

Dock plötzlich fängt Jankel fürchterlich zu husten an. Er kann kaum atmen und drückt die Hand auf die Brust. Seine Stirn ist schweißbedeckt ... Besorgt sehen ihn die Arbeiter an und brummen ihr »pom, pom ...« Die Gäste wenden sich mit Widerwillen von ihm.

»Ist das ein Jammer«, ruft Herr Toderos verdrossen. »Mit dem Gesang ist's für heute schon vorbei ... es ist ein wunderbares Lied, sag' ich euch ...«

Jankel kann vor Husten keinen Ton hervorbringen. Er erhebt sich und die Kollegen folgen seinem Beispiele.

»Ein schöner Mensch bist du«, murmelt der Prinzipal. »Man bittet dich, daß du singen sollst und du hustest uns etwas vor...«

Die Hausfrau bemerkt jetzt, daß Awrejmel einen neuen Kaftan trägt.

»Du hast ja einen neuen Rock«, sagt sie süß. »Trag' ihn gesund, was hat er gekostet!«

»Acht Rubel«, antwortet Awrejmel und wird rot. »Ich habe ihn bei Ascher gekauft – in monatlichen Raten abzuzahlen.«

»Ein schöner Rock, sieh nur, Toderos«, wendet sie sich zu ihrem Mann. »Fast schöner als der deinige ...«

»Nun ja«, antwortet Herr Toderos mit süßem Lächeln und renommiert vor den Gästen, daß er es gerne sehe, wenn seine Angestellten reichlich verdienen.

Die Arbeiter wünschen allen fröhliche Feiertage und entfernen sich.

»Seht nur, seht den Riß,« ruft der Kleine, Leiser nachlaufend und dessen Rockschöße in die Höhe hebend.

»Hört,« schreit Herr Toderos den Arbeitern nach, »trachtet, um Gottes willen, morgen so früh als möglich zur Arbeit zu kommen.«

II. Beim Angestellten.

Bei Szulim, dem Kommis Mojsze Karlins, haben sich schon viele Gäste eingefunden, aber es ist ihnen noch nicht feiertäglich zumute, wenn auch Hirschel, der Trommelschläger, der ein großer Spaßvogel ist, ab und zu seine Mätzchen zum besten gibt, Er kräht wie ein Hahn, wiehert wie ein Pferd oder verzieht den Mund, daß man lachen muß. Doch bald darauf wird es in der Stube wieder still und ernst, und alles blickt erwartungsvoll auf die Zimmertür.

Szulem und sein Weib Dwosze sind auch nicht gut gelaunt. Ab und zu werfen sie eine Bemerkung hin und sehen ungeduldig zur Tür. Dwosze beeilt sich auch nicht die Gäste zu bewirten.

Man wartet auf Szulims Prinzipal, Reb Mojsze Karlin.

»Vor ihm darf man keinen Aufwand machen,« erklärt Szulim seinen Gästen, »sonst sagt er noch, daß man sein Fleisch ißt und sein Blut trinkt.«

»Geht er denn, ›Gut jom tow wünschen‹«, ruft Dwosze erregt den Frauen zu, die auf der anderen Seite der Stube sitzen. »Er geht doch nur revidieren, ob man ihn nicht bestohlen hat.«

Sie stößt einen Fluch aus.

Auf dem gedeckten Tische sieht man nur eine Flasche Branntwein, einige Plätzchen, Heringe und Gurken. Den Frauen hat man überhaupt nichts vorgesetzt. Sie sitzen auf den Betten und Dwosze trägt ihnen Branntwein und Plätzchen zu.

»Habt nur Geduld«, trösten Szulim und Dwosze ihre Gäste ... »Ein so gutes Jahr auf uns alle, was für gute Sachen in der Ofenröhre stehen – wenn nur erst unser Bal-Habonie fort ist.

Dwosze verrät den Frauen die Schätze, die die Ofenröhre birgt: Ein Eierkuchen, eine gefüllte Gans, Würste und eine Apfeltorte. »Gott sei Dank, alles wie es sich für eine Hausfrau gehört,« schließt sie ihre Beschreibung, »und ich muß alles vor diesem Haman verstecken ...«

Endlich öffnet sich die Tür und Reb Mojsze Karlin, ein kleiner, dicker Jude in mittleren Jahren, tritt ein. Die Gäste erheben sich, Szulim eilt ihm entgegen und hilft ihm den Mantel ablegen. Dwosze schneidet eine Grimasse.

»Schlechte Luft«, sagt der Prinzipal und rümpft die Nase, »warum öffnet man nicht ein Fenster! Pfui ...«

Szulim läßt ein Fenster öffnen.

Der Prinzipal blickt sich in der Stube um und nimmt den Ehrenplatz ein. Die Frauen begeben sich in die Küche.

»Du wohnst hier ganz hübsch«, sagt Reb Mojsze zu seinem Kommis, der neben ihm steht und ihn treu und unterwürfig anblickt, »Wirklich hübsch! Warum sündigst du?«

»Wer sündigt denn! Ich klage doch nicht«, antwortete Szulim. »Wenn es etwas besser wäre, würde es auch nicht schaden ...« »Bes–ser,« stieß Herr Karlin ironisch hervor. »Siehst du, mit diesen Worten sündigst du schon ...«

Dwosze warf ihm einen bösen Blick zu und ging zu den Frauen in die Küche, um sich durch einen Fluch zu erleichtern. Szulim goß inzwischen ein Gläschen für den Prinzipal voll.

»Das ist meine Aufwartung«, sagte er. »Seien sie mir nicht böse, daß ich nichts Besseres vorsetzen kann ...«

»Wieso? Es ist ganz gut«, antwortete Herr Karlin. Er trank ein wenig Branntwein und aß ein Stück von einem Plätzchen.

»Setz' du das deinen Gästen vor«, brummte Dwosze und schleppte die Frauen zum Herd, wo ihr Schmaus vorbereitet war.

Szulim wollte sich beim Prinzipal einschmeicheln.

»Ich habe gestern Herrn Bassewitsch getroffen«, fing er zu erzählen an. Herr Karlin legte die Stirn in Falten und wurde aufmerksam.

»Er gibt schon nach«, fuhr Szulim fort. »Er wird auf unser Angebot eingehen. Ich habe ihm einen Floh ins Ohr gesetzt.«

Szulim erzählte nun, wie er den Mann für das Geschäft zu interessieren verstanden hat. Dwosze stand verärgert in der Küche.

»Was ist das für ein überflüssiges Gerede«, brummte sie.

Die Gäste saßen schweigend. Manche lächelten einfältig, andere begaben sich in die Küche, um mit den Frauen zu plaudern.

»Der Dickwanst will sich gar nicht erheben«, sagte einer verdrossen.

»Laß ihn doch ein wenig ausruhen; er hat schwer genug an seinem Bauch zu tragen«, meinte ein zweiter ironisch.

»Was sagt ihr zu meiner Kesselpauke!« rief Hirschel mit komischer Miene.

»Trommel uns etwas vor«, erwiderte man ihm. Man lachte und betrachtete die ›Kesselpauke‹ im Zimmer.

Szulim ist nun mit seiner Erzählung zu Ende. Herr Karlin lächelt gnädig.

»Warum sitzt man bei dir wie am Tische b'ow,« rief er aus. »Warum singt man nicht etwas!«

»Natürlich, singen soll man noch«, höhnte Dwosze.

Szulim bat einige Gäste, daß sie ein Lied anstimmen sollen. Man begann zu singen, aber aus der Küche winkten die Frauen zum Aufhören. Gleich darauf erhob sich Herr Karlin. Szulim reichte ihm den Mantel, Er wünschte allen einen guten Jom tow und entfernte sich.

Alle atmeten erleichtert auf.

»Wozu hast du ihm noch Geschichten erzählt?« räsoniert Dwosze.

»Hätte ich ihn fortjagen sollen!« erwiderte Szulim mit Achselzucken.

Hirschel, der Trommler, krähte wie ein Hahn und die Unterhaltung begann ...


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