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Das Ghettobuch
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I. L. Perez

Volkstümliche Erzählungen.

I.

Der Schatz.

Es war in einer Freitagnacht zur Sommerszeit. Als Kalman, der Holzhauer, nach Mitternacht in der kleinen Stube, in der er, sein Weib und die acht Kinderchen schliefen, plötzlich erwachte, war es so schwül, daß er nicht Atem schöpfen konnte. Er wusch sich rasch die Hände, warf den Rock über und eilte barfuß auf die Gasse.

Draußen war es still. Alle Läden waren geschlossen und hoch oben über dem Städtchen breitete sich der Sternenhimmel aus. Da schien es Kalman, als sei er ganz allein mit Gott und er erhob seine Augen zum Himmel und flehte: »Herr der Welt, jetzt ist es Zeit, daß Du Dich meiner Not erbarmst und mich mit einem Schatz segnest.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da erblickte er ein Lichtlein, das aus dem Städtchen tänzelte. Er wollte ihm nacheilen, erinnerte sich aber, daß es Sabbat sei und bewegte sich ganz langsam nach der Richtung hin. Aber auch das Lichtlein ging jetzt langsam und der Zwischenraum zwischen ihnen blieb sich immer gleich.

Ab und zu sprach eine innere Stimme zu ihm: »Kalman, sei kein Narr! Zieh' deinen Rock aus, spring' hinzu und lass' ihn auf das Lichtlein fallen.« Kalman aber wußte, daß der Böse ihm diesen Gedanken eingab, und er zog den Rock nicht aus, machte jedoch noch kleinere Schritte, und es freute ihn zu sehen, daß auch das Lichtlein jetzt viel langsamer marschierte.

Der Weg schlängelte sich an Feldern und Wiesen vorbei. Kalman folgte dem Lichtlein. wenn er den Schatz bekommen könnte, dann brauchte er kein Holzfäller mehr zu sein, sagte er sich. Er würde seiner Frau ein neues Kleid kaufen und die Kinder zu einem besseren Lehrer geben. Das älteste Mädchen könnte man bald verheiraten. So aber muß sie den ganzen Tag der Mutter die Obstkörbe nachtragen. Sie hat kaum Zeit, sich zu kämmen. Was für schöne lange Zöpfe hat sie doch und Augen wie ein Reh.

Er sollte doch den Schatz einzuholen suchen!

Der Böse gab ihm diesen Gedanken ein. Wenn es an einem Wochentage gewesen wäre, dann wüßte er schon, was er zu tun hätte, oder wenn sein Sohn Jankel mitgewesen wäre. Der würde es sich nicht lange überlegen ...

Und Kalman ging immer weiter. Von Zeit zu Zeit erhob er den Blick zum Himmel und flüsterte: »Herr der Welt, wen willst Du auf die Probe stellen? Kalman Holzhauer? Wenn der Schatz mir gehört, dann gib ihn mir doch.« Da schien es ihm, als wenn das Lichtlein sich noch langsamer bewegen würde, doch gleich darauf hörte er einen Hund bellen. Kalman merkte, daß er das Dorf Wissoki erreicht hatte und erinnerte sich, daß er am Sabbat nicht weiter gehen dürfe.

»Hier hat der Böse seine Hand im Spiele, aber ich lasse mich nicht verleiten«, murmelte er und machte sich rasch auf den Rückweg. Da regte sich in ihm eine Glückseligkeit ohnegleichen und er war froh darüber, daß er sich nicht hatte in Versuchung führen lassen. Plötzlich erblickte er das Lichtlein vor sich, das nun ebenfalls ins Städtchen spazierte. Die Sterne wurden matt und erloschen und im Osten zeigte sich ein roter Streifen.

Das Lichtlein bewegte sich nach der Gasse, in der Kalman wohnte, und schlüpfte in sein Haus. Als Kalman in die Stube trat, sah er das Lichtlein unter seinem Bette und er warf rasch seinen Rock darüber. Niemand sah es, denn alle schliefen.

Und Kalman schwor sich zu, daß er vor Sabbatausgang niemand etwas davon sagen werde. Es könnte sonst noch der Sabbat entheiligt werden.

Als nun Kalman am Samstag abend unters Bett sah, lag da ein Sack, der eine große Summe Geldes enthielt. So wurde der Holzhauer ein reicher Mann und lebte fortan glücklich und in Freuden.

II.

Sieben gute Jahre.

In Turbin lebte einst ein Lastträger namens Tewje, der sehr arm war. Eines Tages stand er auf dem Markte und blickte sich nach Arbeit um. Es war an einem Donnerstag und Tewje hatte kein Geld, um für den Sabbat Einkäufe zu machen. Es war aber nirgends etwas zu verdienen, und so erhob der Lastträger seine Augen zum Himmel und flehte um Hilfe, damit er, sein Weib und die Kinderchen am Sabbat nicht Hunger leiden sollten.

Da zog ihn jemand beim Rock, und als er sich umblickte gewahrte er einen Jäger, der ihn in deutscher Sprache also ansprach:

»Höre, Tewje, dir sind sieben gute Jahre bestimmt, sieben Jahre voll Reichtum, Glück und Segen, wenn du willst, können die sieben guten Jahre noch heute beginnen, und bevor noch die Sonne untergeht, wirst du ganz Turbin mit deinem Gelde kaufen können, aber nach diesen sieben Jahren wirst du wieder ein armer Mann. Die gute gesegnete Zeit kann aber – wenn du willst – auch zu Ende deines Lebens kommen und du kannst als der reichste Mann aus dem Leben scheiden.«

Der Fremde war der Prophet Elias, der sich als Jäger verkleidet hatte. Der Lastträger aber meinte, daß er einen einfachen Zauberer vor sich habe, und so antwortete er:

»Mein lieber Herr, mich laßt in Ruhe, denn ich bin ein armer Teufel. Ich habe nicht einmal Geld für die Sabbateinkäufe und ich werde Eure Mühe und Eure guten Ratschläge nicht bezahlen können.«

Der Fremde aber ließ nicht von ihm. Er wiederholte seine Worte ein paarmal, bis sich Tewje mit dem Gedanken befreundete.

»Wißt Ihr was!« erwiderte er. »wenn Ihr es wirklich ernst mit mir meint, so muß ich Euch sagen, daß ich mich in allem mit meinem Weibe Serel berate. Ich kann Euch, bevor ich mit meinem Weibe gesprochen, keine richtige Antwort geben.«

Darauf erwiderte der Fremde, daß es sehr vernünftig sei, sich bei der Frau immer Rat zu holen. Er solle doch gleich zu ihr gehen und ihr den Fall erzählen.

Tewje blickte sich nach allen Seiten um, und da es nichts zu tun für ihn gab, sagte er sich, daß er den Weg nach Hause riskieren könnte. So machte er sich gleich auf den Weg.

Der Träger wohnte in einer Lehmhütte in der Vorstadt, wo das freie Feld begann. Als Serel ihren Mann durch die offene Tür erblickte, lief sie ihm freudig entgegen, doch er rief ihr zu:

»Ich bringe dir kein Geld, Serel, denn Gott hat mir heute keinen Verdienst beschert, dafür aber hat mich ein merkwürdiger Mann aufgesucht.« Er wiederholte ihr die Worte des Fremden und erbat sich einen Rat von ihr.

Doch Serel rief, ohne erst lange zu überlegen:

»Sag' dem Herrn, daß die sieben guten Jahre noch heute beginnen sollen.«

»Aber nach sieben Jahren werden wir wieder arm sein und nach der guten Zeit wird es uns sehr schwer fallen, wieder im Elend zu leben«, wendete Tewje ein.

»Mach' dir keine Gedanken, sondern nimm, was man dir gibt und dank' dem lieben Gott dafür«, erwiderte Serel. »Sieh, man hat heute die Kinder aus dem Cheder geschickt weil wir das Lehrgeld nicht bezahlen konnten.«

Tewje eilte gleich auf den Markt und erklärte dem Fremden, daß die sieben guten Jahre gleich jetzt beginnen sollten.

»Überleg' es dir gut«, sagte der Jäger. »Jetzt bist du ein kräftiger Mann und kannst verdienen, aber dann wirst du die Strapazen nicht mehr so gut ertragen können.«

Tewje aber sagte:

»Mein Weib will es so haben. Erstens sagt sie, sollen wir dem lieben Gott für alles Gute, das er uns heute beschert, danken und uns für später keine Sorgen machen, und dann will der Lehrer die Kinder nicht mehr unterrichten, weil wir ihn nicht bezahlen können.«

»Wenn es so ist, dann geh' nur nach Hause«, erwiderte der Fremde. »Bevor du die Stube betrittst, bist du ein reicher Mann.«

Tewje wollte noch etwas fragen, aber der Jäger war plötzlich verschwunden. Der Träger ging also nach Hause, vor seiner Hütte spielten die Kinder im Sand, doch als er näher trat, erkannte er, daß es kein Sand, sondern pures Gold war. Für den Jäger begannen nun die sieben guten, glücklichen Jahre.

Die Zeit jagt dahin und die sieben guten Jahre waren gar schnell vorüber. Eines Tages kam nun der Jäger zu Tewje und erklärte ihm, daß sein ganzes Geld am Vorabend verschwinden werde.

Doch Tewje stand auf dem Markte wie vor sieben Jahren, hatte sein Trägergewand an und wartete auf Arbeit.

Und Tewje erwiderte: »Sagt das meinem Weibe, denn sie hat das Geld während der ganzen Zeit verwaltet.«

Die beiden gingen nun in die Vorstadt, denn Tewje wohnte immer noch in der alten Lehmhütte auf dem freien Felde. Serel stand vor der Tür und war ärmlich gekleidet; nur ihr Gesicht strahlte.

Der Jäger sagte ihr nun, daß die sieben guten Jahre vorüber seien, aber Serel erwiderte, daß die gute Zeit bei ihnen noch gar nicht begonnen habe, das Geld hätten sie nie als ihr Eigentum betrachtet, »denn nur das, was ein Mensch durch seine Arbeit verdient, ist sein Eigentum. Ein Reichtum aber, der einem mühelos in den Schoß fallt, ist nur dazu bestimmt, die Not der Armen zu lindern«. So habe sie es die ganze Zeit gehalten, und wenn Gott jetzt für sein Geld einen besseren Verwalter wüßte, dann sei sie gern bereit, es zurückzugeben.

Als der Prophet Elias diese Worte hörte, verschwand er und legte den Fall dem höchsten Richter vor. Gott aber wußte keinen besseren Verwalter für das Geld als Tewje und sein Weib, und so durften sie den Schatz weiter bewachen und sie waren glücklich bis an ihr Lebensende.


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