Verschiedene
Das Ghettobuch
Verschiedene

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I. L. Perez

Im Mondenschein.

(Autorisierte Übersetzung aus dem jüdischen Manuskript von Mathias Acher.)

(Im Stadtpark, unter einem Baum, im Mondenschein, sitzen Jossel und Malke.)

Jossel: Warum so sinnend, Malke?

Malke: Ach ...

Jossel: Was ach? Du bist ja in der Tat ganz nachdenklich, seufzest unaufhörlich ... Ein Geheimnis, wie?

Malke: Geheimnis! Es ist einfach schrecklich ... Schrecklich, dieses Heiraten ...

Jossel: Weshalb?

Malke (die sich nicht unterbrechen läßt, mehr für sich): Ein fremder, blutfremder Mensch, – zwei- oder dreimal sahen wir uns ...

Jossel: Du wolltest ihn doch –

Malke: Wollte ...

Jossel: Hast ja gesagt ...

Malke: Das Neinsagen wird einem endlich zuwider ... Man hat keine Lust, sitzen zu bleiben ... Kommt da ein blutfremder Mensch herein ...

Jossel: Das heißt, er wird hineingestoßen ...

Malke: Meinetwegen so ...

Jossel: Nun?

Malke: Nun! Schrecklich!

(Pause.)

Jossel: Gestern war ich im jüdischen Theater.

Malke: Du willst mich ablenken ...

Jossel: Nein ... Ich will dir nur von einer Szene erzählen, die in dem Stück vorkam: Ein junges Mädel, jünger als du, steht, nein, sitzt auf einem rotsamtenen Fauteuil, eigentlich liegt sie schon halb ... Da tritt ein junger Mann ein ... ein junger Mann, der sich sehen lassen kann ... also er tritt ein und grüßt. Sie nickt ... schämt sich gar nicht ... ist sogar ein bißchen erfreut ... er geht auf sie zu ... spricht zu ihr ... sie antwortet ganz keck zur Sache... er faßt eine ihrer Hände, dann beide ... – sie wird etwas rot, aber wehrt sich nicht ... er küßt ihr eine Hand, dann die zweite, dann beide zugleich; – sie lacht, ja sie erwidert seine Küsse, zuletzt nimmt er sie um die Mitte ...

Malke: Und!

Jossel: Närrchen ... Es ist doch das Publikum da ... Genug, sie schämt sich nicht ... spielt ihre Rolle ab, wie es sein soll, ganz wie sie der Dichter aufgeschrieben hat, so glatt ...

Malke: Bah ...

Jossel: Und weißt du, Malke, warum sie keine Angst hat, warum sie so fein, so geläufig spielt? ...

Malke: Weil sie's gelernt hat.

Jossel: Richtig! vor dem eigentlichen Spiel macht man Proben, die letzte, schon ganz Parade, ist die Generalprobe, wie man sie nennt ... Kurz, man spielt die Sache gründlich durch.

Malke: Deshalb ist's ja Komödie.

Jossel: Und bei dir vielleicht nicht? Du machst wirklich Hochzeit! Hast den jungen Menschen zwei- oder dreimal gesehen und – schon verliebt? ... Dir ist es wirklich Ernst? (Malke schweigt.)

Jossel: Mir kannst du's doch sagen ... Ich bitte dich, sag' mir's, Malke: Eine Komödie, nicht wahr?

Malke: Ja ... eine häßliche Komödie.

Jossel: Ob schön oder häßlich, das kommt aufs selbe hinaus. Jedenfalls mußt du dich durchspielen; wenn du Angst hast, mußt du Proben machen ...

Malke (lacht): Er ist doch der vielbeschäftigte Kaufmann ... kommt nur zur Trauung ...

Jossel: Spiel' die Probe mit mir, Schauspieler pflegen die Rollen zu wechseln.

Malke (streng): Jossel!

Jossel (bittend): Malke!

Malke (traurig): Ich leide, Jossel.

Jossel: Und ich?

(Pause.)

Jossel: Ja, es schmerzt... Darum muß man eben Komödie spielen. Also, ich fange an ...

Malke (weich): Jossel!

Jossel: Nur Geduld, es wird ganz gut gehn. Zuerst knie ich nieder... So eine große, kluge, schöne Malke läßt sich nicht so leicht erobern! Du bist groß, Malke, gar groß. Nein, heilig bist du! Und ich küsse den Saum deines Kleides!

Malte (gerührt): Jossef!

Jossel: Gut, Jossef klingt schöner als Jossel... Du triffst schon den Ton! Jetzt gib mir die Hand, die weiße... die Finger sind zwar ein wenig zerstochen, aber das macht nichts... So, jetzt küsse ich dir die Hand. – Ah, wie gut! Die Hand einer wahren Malke ... Jeden Finger sollte man küssen, ich tu's, küsse jeden Finger ... Spiel' ich nicht gut, Malke?

Malke (tonlos): Gut!

Jossel: Siehst, es ist gar nicht so schrecklich! Und nun hilf du mit. Leg' deine Hand auf meinen Kopf!...

Malke (ein wenig streng): Jossel!

Jossel: Ach, verdirb die Komödie nicht mit deinen Launen! Stell' dir vor, daß es der Dichter so aufgeschrieben hat. Es muß so sein. Leg' die Hand hinauf! So! Aber sie darf nicht wie tot daliegen, sie muß sich rühren ... Es hat auch nichts zu sagen, wenn du mir das Haar zerraufst.

Malke (tut es lächelnd).

Jossel: Du zitterst ein wenig. Aber du verstehst es, Malke, legst die Hand hin, wie es sein soll. So zart, wie eine Mutter auf ihres Kindes Kopf. Und von deiner Hand, Malke, – hörst, Malke – strömt etwas aus und rieselt mir durch den ganzen Körper! Ah! (er neigt seinen Kopf zu ihr.)

Malke (seufzt).

Jossel: Und dein Herz, Malke ... ich höre es klopfen ... Ja, es klopft ... oder kommt's mir nur so vor!

Malke (sehr gerührt): Und in dir, Josse!, dein Herz?

Jossel: Oh, ich spiele gut ... ich geh' ja so oft ins Theater ... In mir klopft nicht allein das Herz ... Ich horche und glaube, daß mir das Blut in allen Adern klopft ...

Malke (ernst): Jossel?

Jossel: Wie wenn's Ernst wäre! Und es ist doch Komödie. Und du! ... Ei, wie deine Äuglein glänzen! Lichtwürmchen, kleine, liebe Lichtwürmchen ... Gut gespielt, Malke! Doch, warum so blaß? Warum zittert deine Hand so?

Malke: Und warum zittert deine Stimme?

Jossel: Weil ich knie, warte, ich will aufstehen (tut es), ich stehe auf, weil ich dich kniend nicht auf den Mund küssen kann, auf deine roten Kirschenlippen.

Malke (bittend): Jossel!

Jossel: Ruhig! Ich spiele ganz genau, wie die Szene war! Der deinige wird's auch so tun ... auch ein Komödiant – (küßt sie). Ach, wie deine Lippen brennen ... Du hast Feuer in mich gegossen ... Oh!

Malke (weint).

(Pause.)

Jossel: Du weinst, Malke ...

Malke (schwach): Nein ...

Jossel: Du weinst! Ich weiß es, du weinst, ich möchte ja auch so gerne weinen ... Aber man darf doch nicht. Es ist ja nur Komödie, Malke!

Malke (verzweifelt): Warum?

Jossel (ernst): Willst du, daß es keine Komödie sei?

Malke (läßt den Kopf sinken und schweigt).

Jossel: Reine Probe...

Malke: Ach, Jossel, Jossel, wie du mich quälst; wenn du wüßtest, wie du mich quälst ...

Jossel: So willst du also, daß zwei Tote tanzen gehen

Malke: Ich würde wollen ...

Jossel (entzückt aufschreiend): Dein Ernst, Malke!?

Malke (hebt den Kopf, ihre Augen leuchten): Mein Ernst.

Jossel: Malke, meine teure Malke ... (Kurze Pause.) ... Hör' doch. Malke!

Malke: Was, Jossel?

Jossel: Es wird eine Tragödie sein, aber es wird sein! Wir wollen gut und genau spielen.

Malke: Gut und genau und – –

Jossel: Und was, Malke?

Malke: Und glücklich sein ... wenigsten ein bißchen, ein ganz kleines bißchen Glück!

Jossel (sehr gerührt): Närrchen, das hängt ja vom Dichter ab.


 << zurück weiter >>