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Anmerkungen

Die Geschichte Hugo's von Burdigal oder Huon's von Bordeaux, wie er im Französischen heißt, bildet eine Episode des großen karolingischen Sagenkreises, welcher neben der deutschen Völkerwanderungssage von Dietrich von Bern, König Etzel, Siegfried, und neben dem keltischen Sagenkreis vom heiligen Gral, von König Artus und der Tafelrunde, von Parzival, Tristan, Merlin, das Hauptthema der mittelalterlichen Dichtung ist.

Die meisten jener Karolingersagen sind uns in altfranzösischen Gedichten erhalten, oder in solchen aus dem deutschen Mittelalter, die von altfranzösischen abhängig sind. Aber dennoch kann kaum ein Zweifel darüber sein, daß ihr Ursprung germanisch ist. Deutsch war ja der Hof des Frankenkönigs Karls des Großen, und eben zu seiner Zeit mußte die Sagenbildung schon begonnen haben, nicht etwa, wie man sich oft fälschlich vorstellt, in späteren Generationen, die sich für Roland, Wittekind u. s. w. gewiß nicht mehr so ursprünglich begeistern konnten. Die Sage hinkt nicht den Ereignissen nach, sondern begleitet sie, ja läuft ihnen voraus, wie wir es in unseren Tagen an den Ereignissen in Peking erfahren haben. So wurden gewiß schon zu Karls des Großen Zeit die aufregenden Ereignisse auf den Schlachtfeldern in Spanien, Sachsen, Italien, Ungarn von den gleichzeitigen, epischen Sängern, den eigentlichen Journalisten jener Tage, zum Stoff ihrer Vorträge, ihrer historischen Volkslieder benutzt. Freilich geschah dies nicht nach urkundlichen Quellen oder offiziellen Berichten, sondern nach dem Gerücht, dem Hörensagen, ausgeschmückt durch die bilderschaffende Phantasie.

Diese Dichter müssen aber dieselben deutschen Sänger gewesen sein, die damals auch die Haupthüter der germanischen Heldensage waren; aus deren Munde hatte ja Karl der Große die alten Sagenlieder der Völkerwanderungszeit sammeln lassen, und uns ist noch als Originalprobe dieser Sammlung das alte Lied von Hildebrand und Hadubrand erhalten.

Das Reich Karls des Großen wurde geteilt. Es ist nun eine merkwürdige Thatsache, daß jene Sagen aus der Zeitgeschichte Karls des Großen im fränkischen Westreiche ununterbrochener gepflegt wurden, als in Ostdeutschland und Italien. Da aber das Westreich im Laufe der nächsten Jahrhunderte die fränkische, deutsche Sprache, die Sprache des Adels, des Hofes, der Ritterschaft immer mehr aufgab, und dafür die romanische Sprache, die Sprache des von den Germanen unterworfenen gallischen Volkes immer herrschender wurde, so kam es, daß auch unsere karolingischen Heldensagen ihr deutsches Gewand allmählich mit dem französischen vertauschen mußten. So kam es denn auch, daß schon im 12. Jahrhundert die deutschen Dichter jene Sagen erst wieder aus dem Altfranzösischen zurück übersetzen mußten, und daß auch wir heute unser Eigentum aus der Fremde holen müssen. Es ist gut, daß wir uns diese nationale Sorglosigkeit und Unachtsamkeit, die uns viel Schaden gebracht hat, offen eingestehen und uns hüten, nicht so bald wieder in diesen Fehler zu verfallen.

Wie deutsch alle diese Sagen sind, beweist auch unsere hier vorliegende Geschichte, obwohl der historische Untergrund derselben erst aus der Zeit Karls des Kahlen, des Enkels Karls des Großen zu stammen scheint. Obwohl wir die Sage nur durch ein altfranzösisches Gedicht kennen, das ungefähr um das Jahr 1200, also etwa gleichzeitig mit unserem Nibelungenlied, aufgezeichnet wurde, so finden wir doch noch ganz den altfränkischen Ton gewahrt. Die Helden haben ihre altgermanischen Namen, denn das französische Huon kommt von Hugo, Gérard von Gerhard, Seguin von Siegwin, Amauri von Amalrich, Engerran von Engelram, Gautier von Walther, Guiré von Wilrat oder Wigrat, Hondré von Kundrat, Géraume von Gerhelm, Guinemer von Winemar oder Winimar u. s. w.

Merkwürdig ist auch, daß hier wie fast in allen Karolingersagen ein ganz ostdeutscher Fürst, nämlich der Herzog Naime oder Naimes von Baiern die hervorragendste, edelste und liebenswürdigste Rolle spielt; sein Charakter ist mit sichtlichem Vorzug, mit fühlbarer Wärme ausgemalt. Dies scheint aber darauf hinzuweisen, daß der ganze Sagenkreis in den Jahrhunderten zwischen Karl dem Großen und den ältesten französischen Bearbeitungen, also etwa bis 1050, bei deutschen Sängern des Baiernstammes die sorgsamste Pflege gefunden haben muß.

In der That können wir im 10. Jahrhundert eine Blüte der epischen Dichtung in Süddeutschland beobachten, merkwürdiger Weise aber in lateinischer Sprache. Bischof Piligrim von Passau läßt durch seinen Schreiber Konrad die Nibelungensage lateinisch aufzeichnen, und in St. Gallen wird vom Mönch Ekkehard das Walthariuslied in lateinischen Hexametern gedichtet. Es liegt also nahe, zu vermuten, daß auch der karolingische Sagenkreis damals dieselbe Form angenommen hat, und so durch die Vermittlung der lateinischen Sprache in die romanischen Länder kam. So erklärt es sich auch, daß die älteren französischen Epen noch mehr am historischen, deutschen Charakter Karls des Großen, an seinem Sitz in Aachen festhalten; erst die späteren machen ihn zu einem Franzosen, der in Paris residiert.

Der Name des baierischen Herzogs hat im Altdeutschen Naimo geheißen, wenn er nicht aus Haimo entstanden ist, als Abkürzung für Heimerich oder Heinrich, den häufigen Namen bairischer Herzöge, besonders im 10. Jahrhundert. Das N mag durch Vermittlung des Provencalischen hineingekommen sein, wie Naimerics (N'Aimerics) für Aimeri-Heimerich. Sonst gilt Naims in der Sage als der echte bairische Erbe, der durch seinen Oheim Thassilo von der Herrschaft verdrängt, von Karl wieder eingesetzt worden sei.

Für den Einfluß bairischer Dichter spricht auch der Umstand, daß Karls Geburt von der Sage nach Baiern verlegt wird.

Aber noch mehr: die Gestalt des elfischen Zwergenkönigs, den das französische Gedicht Auberon nennt, gehört durchaus der deutschen Mythologie an. Dem französischen Auberon entspricht nämlich das echt deutsche Alberun oder Alberan, so wie etwa das französische » aube«, die Morgendämmerung, von dem lateinischen » alba«, die Helle, herkommt. In der That haben wir es hier mit einem Alben oder Elben, Elfen zu thun, einem germanischen Lichtgenius aus Albheim oder Alfheim, wie die nordische Edda sagt. Er ist schon im Namen mit dem deutschen Zwergkönig Alberich verwandt, aber nicht derselbe; denn Alberich würde auf französisch Auberi oder Aubri heißen. Zudem ist unser Alberich, wie er in den deutschen Heldensagen aus der Völkerwanderungszeit erscheint, in Europa, in Tirol und am Gardasee, auch sonst in Deutschland zu Hause, und hat da sein wohlbegrenztes Reich auf Bergen und in den Höhlen der Erde. Auberon aber ist König im fernen Asien. Aber auch das ist echt deutsches Sagengut; denn auch unsere einheimische Sage kennt einen Standesgenossen und Verwandten der Zwergkönige Alberich. Laurin, Nibelung und Schildung, welcher Walberan heißt und zu Armenien in einem hohlen Berge wohnt; der Sinai und der Tabor, Kanaan und das Thal Mamre, der Kaukasus, das ganze Euphratland ist sein Reich bis an die Grenzen des Paradieses. Ein eigenes deutsches Gedicht, die Fortsetzung des Laurin oder des kleinen Rosengartens handelt von ihm. Dieser Walberan ist aber so sehr derselbe wie Auberon, wie Wodan und Odhin dieselben sind. Dennoch habe ich in dieser Bearbeitung die Form Oberon gebraucht, die durch die Engländer Chaucer und Shakespeare, durch Wieland und Weber bereits eingebürgert ist. Nebenbei bemerkt, ist auch der Erlkönig oder Erlenkönig Göthes nur eine Nebenform des Elfenkönigs oder Elbenkönigs, also unser Oberon.

Auch das Horn, auf dessen Klang ein ganzes Elfenheer gewappnet zum Streit kommt, erscheint bereits in der deutschen Heldensage (Wolfdietrich).

Der »Dürre Baum« am Ende der Welt (Seite 42, 72 u. 120) ist ursprünglich derselbe, an den nach der deutschen Sage Kaiser Friedrich Barbarossa den Schild hängt, wenn es zum Endekampf kommt.

Meine Uebersetzung und Bearbeitung soll demnach eine gründliche Verdeutschung, eine Wiedereroberung sein. Darum ist überall die altdeutsche Form der Namen wieder hergestellt worden, wie sie zur Zeit Karls des Großen wirklich in Uebung war, darum hat die Stadt Bordeaux wieder ihren alten damals gebräuchlichen Namen Burdigal erhalten, der sie auch deutschen Lippen mundgerechter macht, darum ist Karl dem Großen sein Sitz in Aachen wieder gegeben worden, und anderes mehr. So konnte ich z. B. in der schönen Gestalt des fahrenden Spielmanns Estrument unseren deutschen Tragemund oder Traugemund wieder erkennen, der in einem uralten deutschen Rätsellied als der Typus des fahrenden Mannes vorkommt, dem zwei und siebzig Lande kund sind, der Kleider und Speise in eines stolzen Knappen Weise erwirbt (Böhme, altdeutsches Liederbuch Nr. 270).

So erscheint also diese Erzählung in jeder Beziehung geeignet, ein deutsches Volksbuch zu werden; den Vergleich mit der glänzenden, aber willkürlichen Bearbeitung Wielands braucht der unbekannte Dichter des Originals gewiß nicht zu scheuen. Man wird vielmehr seine meisterhafte Erzählungsweise, die vom Anfang bis zum Schluß mit vollendeter Sicherheit fortschreitet, die nie erlahmt, immer spannt, selbst vom höchsten ästhetischen Standpunkt aus bewundern müssen. Auch die Schwächen der Erzählung, nämlich die fabelhaften Wundergeschichten erreichen bei weitem nicht die alles Menschliche überwuchernden Phantastereien von Wielands Oberon. Dennoch ist Göthes günstiges Urteil über dieses Werk bei der damaligen Unkenntnis des Originals gewiß berechtigt. Ebenso unbestreitbar ist das Verdienst Wielands für seine Zeit, die der Kunst des Mittelalters noch so wenig Verständnis entgegenbrachte.

Ich will schließlich, um eine Vorstellung des ganzen karolingischen Sagenkreises zu geben, eine Uebersicht all der epischen Gedichte versuchen, aus denen er zusammengesetzt ist. Denn dies gehört wesentlich zur Würdigung jener nationalen Poesie. Ich möchte damit nur zeigen, daß sich diese mittelalterlichen Sagenkreise gar würdig den griechischen an die Seite stellen, und daß sie es verdienen, eine bedeutsamere Stellung in unserer Poesie, Kunst und Kultur einzunehmen, als man ihnen bisher zugewiesen hat. Die Aufzählung geschieht nach der Chronologie der erzählten Ereignisse.

1. Karls Geburt; seine Eltern sind Pipin und Bertha von Ungarn, die Spinnerin. 2. Karls Jugend; er muß vor seinen Stiefbrüdern nach Spanien entweichen, wo Galiane sein Weib wird. 3. In der Sage von Garin (Werin) von Montglane (Lyon), einem Vasallen Karls, kommt schon der Zauberer Malabrun, der Vater des Riesen Robaster vor; er bringt in Fischgestalt die Nebelkappe Oberons. 4. Derselbe Malabrun spielt auch in die Sage von Dodolin (Doolin) von Mainz und seinem Sohne Galfried hinein. Alzinger, der Zeitgenosse und Nachahmer Wielands hat auch diese Sage bearbeitet. 5. Hernald von Boland, der Sohn Garins. 6. Die Jugendthaten Holgers (Ogier) von Dänemark.

7. Rolands Jugend; er ist der Sohn einer Schwester des Kaisers, namens Bertha, und des Milon von Anglant. 8. Der junge Roland kommt dem Kaiser bei Aspermont zu Hilfe und gewinnt das Schwert Durandart. 9. Roland wird Olivers Freund und verlobt sich mit dessen Schwester Alda. 10. Karl kämpft gegen den Normannenkönig Hakon (Aquin). 11. Es folgt die berühmte Geschichte von Haimon und den vier Haimonskindern mit dem Rosse Bayard, die schon längst ein beliebtes, deutsches Volksbuch geworden ist. 12. Die Burg Lanson wird von Roland durch List erobert. 13. Kaiser Karl zieht in den Orient, nach Konstantinopel und Jerusalem; Jakobine, des Griechenkaisers Tochter, wird Olivers Weib. 14. Der Heide Fierabras (Starkhand) zerstört Rom, wird aber schließlich bekehrt. Auch diese Geschichte ist ein deutsches Volksbuch geworden.

15. Karls erster Zug nach Spanien; Roland tötet den Ferragus. 16. Die Belagerung von Pampeluna. 17. Roland erobert die spanische Stadt Nobels, zerfällt aber mit dem Kaiser, zieht sich, wie Achilles, grollend zurück und geht auf eine Weile in den Orient. 18. Ein gewaltiger Ueberfall des Wittekind (Guiteclin) ruft das Frankenheer aus Spanien nach Sachsen. 19. Endliche Eroberung Pampelunas. 20. Kämpfe gegen den Heiden Otinel. 21. Da die Helden so lange in Spanien verweilen, ziehen ihnen ihre jungen Söhne streitlustig nach unter Anführung des Wido von Burgund, und helfen ihnen im Kampf.

22. Es folgt nun der Mittelpunkt des ganzen Sagenkreises, nämlich der Untergang Rolands, Olivers und der Paladine in den Pässen der Pyrenäen durch Ganelons Verrat und die List der Mauren. 23. Galian, der Sohn Olivers, rächt seinen Vater. 24. Aufstand der treulosen Mainzer (Gaidon). 25. Heimerich von Narbon, der Vater des Wilhelm von Orange. 26. Ansegis von Karthago. 27. Der große Sachsenkrieg. 28. Baldwin, Rolands jüngerer Bruder. 29. Simon von Apulien (Amis und Amilias). 30. Holgers Ende.

31. Nun also folgt unser Hugo von Burdigal mit folgenden sechs Fortsetzungen: 32. Klarmunde. 33. Hugo, König des Feenlandes. 34. Klarisse und Florand. 35. Ida und Olive. 36. Godin. 37. Crescenz.

Den Schluß bildet eine Reihe von zehn Heldengedichten, deren Mittelpunkt der tapfere und heilige Wilhelm von Orange ist. Diese Geschichten reichen schon in die Regierung von Karls Nachfolger, von Ludwig dem Frommen hinein. Der große, deutsche Dichter Wolfram von Eschenbach hat sie zum Teil in seinem Epos Willehalm von Orense verarbeitet. Es sind folgende Epen: 38. Wilhelms Jugend. 39. Die Trennung der Heimrichskinder. 40. Makar und die Geburt Ludwigs des Frommen. 41. Die Belagerung von Narbon. 42. Ludwigs Krönung. 43. Die Eroberung von Nimes. 44. Die Eroberung von Orange. 45. Vivians Jugend. 46. Vivians Gelübde. 47. Die Schlacht bei Alischanz.

Als Nachtrag kann noch die Geschichte von Loher und Maller gelten, die auch zum deutschen Volksbuch geworden ist.

In diesem großen Zusammenhang also soll erst unser Hugo seine richtige Stellung und Beleuchtung bekommen. Er und das Rolandslied ragen in der That wie die zwei Edelsten unter ihres Gleichen hervor. Sie verhalten sich zur ganzen großen Karolingersage wie Gudrun und Nibelungenlied sich zur ganzen Völkerwanderungssage, wie Odyssee und Ilias sich zur gesamten griechischen Heldensage verhalten. Und geradeso wie Ilias und Nibelungenlied sollte das Rolandslied, geradeso, wie Odyssee und Gudrun sollte unser Hugo das Gemeingut aller Gebildeten werden.

Richard von Kralik.

 


Berlin, Druck von W. Büxenstein.

 


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