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Sechzehntes Kapitel.
Der Verrat.

. Der Stallmeister des Abtes spornte sein Roß so eilig, daß er bald an der Herrenburg von Burdigal angekommen war. Er fand dort den Gerhard in der Halle mitten unter seinen Rittern, nahm ihn ein wenig beiseite und sprach:

Herr, der Abt von St. Moritz ladet Dich ein, ohne Verzug nach seinem Kloster zu kommen. Du wirst dort Deinen Bruder Hugo treffen, der eben von seiner Meerfahrt zurückgekommen ist.

Als Gerhard dies vernahm, wallte ihm das Blut empor; aber er bezwang sich und sagte zum Stallmeister:

Großen Dank, mein Freund, für Deine Botschaft! Sage meinem Bruder, daß ich, ohne einen Augenblick zu verlieren, kommen will.

Dann aber suchte er seinen Schwiegervater, den Verräter Gebwart, auf und sagte zu ihm:

Welch eine grausame Verlegenheit! Gieb mir da guten Rat! Der Teufel bat meinen Bruder zurückgeführt; er ist zu St. Moritz und läßt mich eben zu sich bescheiden. Morgen wird er nach Aachen ziehen, er wird seinen Frieden mit Kaiser Karl machen, wird sein Land zurückerhalten, und ich werde leer dastehen. Was ist da zu thun?

Fürchte doch nichts, sagte Gebwart: ich weiß Dir einen guten Rat. Jenseits der Abtei liegt ein kleines Gehölz; ich will nun sechzig Ritter mitnehmen und mich dort verbergen. Du wirst indessen Deinen Bruder aufsuchen, nur von einem einzigen Knappen begleitet, und wirst ihn so herzlich als möglich begrüßen. Morgen noch vor Tagesanbruch wirst Du ihn auf dem Sieg nach Franken begleiten; wenn ihr dann vor jenes Gehölz kommt, so beginne mit ihm einen lauten Wortwechsel. Wenn wir Eure Stimmen hören, wollen wir hervorkommen und alle seine Ritter erschlagen; ihn selber magst Du in Deinen Kerker werfen. Vergiß aber nicht, ihn früher zu befragen, ob er den Schnurrbart und die Zähne des Emirs Galdis hat, und wo er sie bewahrt. Du wirst dann dem Kaiser sagen, Du habest Deinen Bruder deshalb gefangen genommen, weil er trotz des kaiserlichen Verbots und ohne seine Aufgabe ausgeführt zu haben es gewagt hat, in sein Land zurückzukehren. Dafür kann Karl der Große ihn ohne Gericht und Urteil hängen lassen, denn also war es zwischen ihnen bedungen, und der Kaiser hat dafür gute Bürgen. Du weißt, wie sehr er ihn haßt: er wird diese Gelegenheit gern ergreifen.

Bei Gott! sagte Gerhard, das ist ein vorzüglicher Rat.

 

Am Abend begab sich Gerhard, von einem einzigen Knappen begleitet, zur Abtei. Er stieg zur Halle hinauf, wo sein Bruder sich befand. Dieser erhob sich sogleich, als er ihn erblickte, lief auf ihn zu und umarmte ihn; Gerhard aber gab ihm einen ebenso herzlichen Kuß, wie ihn Judas einst dem Heiland gegeben.

Lieber Bruder, sagte Hugo, sei mir willkommen! Aber Du hast gar wenig Leute mit Dir gebracht!

Gerhard antwortete: Ich that es mit Absicht, denn wir müssen klug sein. Du weißt noch nicht, wie Du in den Besitz Deines Landes gelangen wirst; Du mußt vor allem zum Kaiser gehen. Wenn Du mit Gottes Hilfe bei Karl dem Großen Gunst erlangst, dann wollen wir all unsere Ritter versammeln und ein großes Fest bereiten.

Ich bin es zufrieden, sagte Hugo.

Gerhard fuhr fort: Ach, Bruder, welche Freude für mich, Dich heil und gesund wieder zurückgekommen zu sehen! Wie ist Dir Deine Botschaft gelungen? Hast Du Deinen ganzen Auftrag ausgeführt?

Ja, Bruder, sagte Hugo, ich habe den Schnurrbart des Emirs Galdis und seine vier Backenzähne, und überdies noch seine Tochter, die schöne Klarmunde, die mir zu Rom angetraut wurde; auch bringe ich dreißig Saumtiere mit, reich beladen mit allen Schätzen. Bei meiner Treu, ich hätte Dir lange zu erzählen, wenn ich Dir alle meine Abenteuer sagen sollte.

Das glaub ich wohl, sagte Gerhard. Aber sage mir, hat Dir niemand bei diesem schrecklichen Abenteuer geholfen?

O, freilich, sagte Hugo, ein außerordentliches Wesen; er nennt sich Oberon und ist der König des Feeenlandes, schön wie die Sommersonne und ebenso gut. Er bat mir geholfen, den Emir zu töten. Ich habe nun die vier Backenzähne und den weißen Schnurrbart.

Und hast Du dies alles gut aufbewahrt? fragte Gerhard.

Freilich, sagte Hugo, ich will Dir sagen wie: Gerhelm hat es unter seinem Wams; Oberon hat mir dies der Sicherheit wegen geraten.

Wer ist dieser Mann? fragte Gerhard.

Das ist jener Greis, den Du dort siehst, mit dem weißen Bart, weißer als die Blumen der Wiese.

O Gott, sagte Gerhard, welche Wunder erzählst Du mir da! Und aus welchem Lande ist er?

Ei, aus unserem eigenen. Er ist der Bruder des guten Vogtes Wilrat. Ich traf ihn dort in einem Wald, wo er an die vierzig Jahre geweilt hatte. Es ist der rechtschaffenste Mann auf der Welt. Ohne ihn wäre ich verloren gewesen. Er hat für mich Großes erduldet. Und Du, mein Bruder, wie befindest Du Dich? Ich hörte sagen, Du seiest vermählt.

Es ist wahr.

Und wer ist Deine Gemahlin? Aus welcher Sippe ist sie?

Mein Bruder, jagte Gerhard, sie ist die Tochter Gebwarts des Reichen.

Bei Gott! rief Hugo, den kenne ich gar wohl. Aber da bist Du übel verheiratet, Bruder: denn Du hast die Tochter eines Verräters gefreit.

Hugo, sagte Gerhard, Du thust sehr Unrecht, meinen Schwiegervater so zu nennen.

Bei diesen Worten kam der Abt herbei und meldete ihnen, daß das Abendessen bereit sei. Die beiden Brüder gingen Hand in Hand nach der großen Halle. Man gab ihnen das Handwasser in großen silbernen Becken. Zuerst wusch sich Hugo, dann sein Bruder, der alte Gerhelm, der Vogt Wilrat und die andern Ritter.

O Gott! Mit welchen Augen betrachtete Gerhard den alten Wilrat! Er haßte ihn, weil er auf die Suche nach Hugo ausgegangen war, und er gelobte es sich, ihn dafür teuer zu bezahlen, wenn er ihn nur einmal aus dem Kloster draußen hätte. Die andern spielten fröhlich; nur er aß nichts; er dachte immer an seinen großen Verrat. Als die Mahlzeit vorüber war und man abgedeckt hatte, ließ man die Betten aufschlagen. Hugo nahm den Abt bei Seite und sprach zu ihm:

Ehrwürdiger Herr, ich habe da große Reichtümer mitgebracht; ich bitte Euch nun, sie mir bis zu meiner Rückkehr aufzubewahren und sie keinem andern als mir selber auszuliefern.

Sei darüber ganz ruhig, sagte der Abt.

Hugo hatte dasselbe Zimmer mit Gerhard. Vor dem Schlafengehen sagte dieser zu seinem älteren Bruder:

Wenn Du willst, möchte ich Dich morgen mit Tagesanbruch wecken; denn es reist sich gut in der Morgenfrühe.

Ganz recht, sagte Hugo.

Er schlief bald ein; aber Gerhard schlief nicht. Kaum hörte er den ersten Hahnenruf, so weckte er schon seinen Bruder und rief:

Hugo, stehe auf! Beeile Dich; der Hahn hat schon lange gekräht.

Hugo sprang nun auch aus dem Bett und weckte seine Genossen:

Wohlauf, Ihr Herren! es ist Zeit aufzustehen.

Ach, Gott! seufzte Gerhelm, ist es denn wirklich schon Tag? Wir haben ja kaum geschlafen. Laß uns doch noch ein wenig ruhen.

Aber Gerhard sagte: Schäme Dich, Gerhelm! Wenn man ein dringendes Geschäft hat, so soll man weder Tag noch Nacht sich Ruhe gönnen.

Meiner Treu, sagte Hugo, er hat nicht Unrecht. Auf, auf! Ich habe keine Ruhe, bevor ich den Kaiser aufgesucht habe.

Sie standen auf und kleideten sich an. Die Knappen führten die Rosse vor, die Ritter schwangen sich in den Sattel, auch Klarmunde bestieg ein Maultier, das sie von Syrien mitgebracht hatte. Hugo nahm Abschied vom Abt, der ihn mit manchem Segen Gott empfahl; man öffnete die große Pforte, und sie ritten ins freie Feld hinaus.

Nach einer Weile Weges kamen sie an einen Kreuzweg, wo vier Straßen zusammen liefen. Hugo sagte zu seinen Leuten:

Seht, der Weg da führt nach Burdigal; wir dürfen ihn noch nicht einschlagen, um den Gehorsam gegen den Kaiser nicht zu verletzen; dieser da führt aber gerade nach Aachen: Ihr seid alle Zeugen, daß ich ihn gewählt habe.

Bald näherten sie sich dem Gehölz, wo Gebwart verborgen war, und Gerhard fand, daß nun der rechte Augenblick gekommen sei, einen Wortwechsel zu beginnen. Er hub also an:

Mein Bruder, Du wirst nun Deine Herrschaft wieder erhalten; was wird aber für mich bleiben? Ich habe sie in Deiner Abwesenheit treulich verwaltet und nichts dabei gewonnen. Ich habe jetzt keinen Fuß breit Land. Ich bitte Dich also mir zu sagen, welches Einkommen ich haben werde, wenn Du Dein Lehen wieder erhältst.

Hugo erwiderte: Aber mein Bruder, rege Dich darum nicht auf. Ich habe dort im Kloster einen unschätzbaren Hort zurückgelassen: Du wirst davon reichlich erhalten. Ich werde jeden Pfennig mit Dir teilen.

.

Hugo wird gefangen nach Burdigal gebracht.

Aber Gerhard erwiderte: Ich frage nicht darnach; ich wünsche vielmehr meinen wohlabgegrenzten Besitz zu haben, wo ich zuhause bin.

Hugo sah wohl, daß sein Bruder nur Streit suche; aber er antwortete ihm mit Sanftmut:

Wohlan! Wir besitzen die Städte Burdigal und Geronweiler: welche gefällt Dir besser? Eine von beiden wirst Du mir doch lassen?

Als Gerhard einsah, daß er seinen Bruder nicht in Zorn bringen könne, sondern daß er nur immer freundlichere Antworten erhielt, verlor er die Geduld, stürzte sich ohne weiteren Vorwand auf Wilrat und schrie:

Verräter, nur Deinetwegen verliere ich meine Herrschaft; aber bei Gott, Du sollst es mir teuer büßen!

Er zog sein Schwert und erhob laut seinen Schlachtruf. Gebwart hörte es wohl aus seinem Hinterhalt, er gab seinem Rosse die Sporen und sprengte an der Spitze der Seinen aus dem Gehölz hervor; es waren ihrer über sechzig.

Als Hugo diese ganze Schar erblickte und sich verraten sah, wäre er gerne wieder zum Kloster zurückgesprengt, aber die Verräter hatten ihn schon umzingelt. Was vermochte er ohne Waffen gegen ihre Überzahl? Bald waren seine zwölf Ritter erschlagen, er selbst vom Pferd geworfen. Die Verräter verbanden ihm die Augen und fesselten ihm die Hände.

Gerhard hatte auch den Gerhelm über den Haufen geritten und ihm die Zähne und den Schnurrbart des Galdis entrissen. Auf sein gräßliches Geschrei begann Hugo seinen Bruder anzuflehen:

Töte ihn nicht, ich bitte Dich um Gottes willen.

Aber Gerhard ließ ihn nur fesseln und ihm die Augen verbinden.

Ach, wie jammerte da Klarmunde! Hugo bat seinen Bruder auch für sie um Gnade, aber jener rief: Laß uns in Ruhe!

Auch ihr, der edlen Frau, wurden die Hände gefesselt und die Augen verbunden; dann setzte man sie alle drei auf Pferde und schlug den Weg nach Burdigal ein.

Wie klagte da Klarmunde ihrem Gatten: O welch Geschick! Du sagtest mir, ich sollte in Deinem Lande eine goldene Krone tragen, und nun werden wir also behandelt! Welch ein Bruder! Wahrlich, die Franken sind ein böses Volk; ich habe mehr Rechtlichkeit bei den Sarazenen gefunden.

O mein Weib, sagte Hugo, ich habe mehr Kummer um Dich als meinetwegen.

Indessen kamen sie in die Stadt Burdigal; die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ach, wenn die Bürger der guten Stadt diese Verräterei gewußt hätten, sie wären für ihren rechtmäßigen Herrn in den Tod gegangen; aber die Verräter hatten ihre Sache so gut eingeleitet, daß niemand etwas davon ahnte.

Als man in die Herrenburg gelangt war, brachte man die drei Gefangenen in den unteren Kerker; man hatte ihnen wohl die Fesseln und Binden abgenommen, aber kein Sonnenstrahl erhellte diese Höhle. Als Kerkermeister wurde ein Vetter Gebwarts aufgestellt; er durfte ihnen nicht mehr zur täglichen Nahrung geben als drei Gerstenbrote und zwei Maß Wasser.

 

Am nächsten Morgen ritt Gerhard mit seinem Schwiegervater zur Abtei von St. Moritz. Gerhard verlangte den Abt zu sprechen und redete also zu ihm:

Ehrwürdiger Herr, höret mich. Mein Bruder Hugo hat mich wegen der Sachen zurückgeschickt, die er Euch anvertraut hat. Er dachte, sie könnten ihm doch zu Aachen nützlich sein, um dort am Hofe Geschenke auszuteilen; seid daher so gut, mir diese Schätze zu überantworten.

Aber der Abt erwiderte: Deine Rede war umsonst, Gerhard. Bei meiner Kutte! Du wirst davon keinen Heller erhalten; denn Dein Bruder hat mir aufgetragen, das Anbefohlene keinem andern als nur ihm selber zu übergeben.

Du lügst, Schurke! rief Gebhard, Du denkst, all dies Gold und Silber selber einsacken zu können. Aber ich will es trotz Dir haben, und Du sollst mir diese Unverschämtheit büßen.

Er nahm den Abt beim Haar und riß ihn zur Erde. Gebwart stand ihm dazu bei, und alle zwei richteten ihn so übel zu, daß er tot blieb. Alle Mönche ergriffen die Flucht, aber die Unholde folgten ihnen, das Schwert in der Faust.

Gnade, Gnade, rief der Prior. Wir wissen nicht, wo der Abt den Schatz des Herzogs verborgen bat; aber der unsere steht zu Eurer Verfügung.

Das nenn' ich ein Wort, sagte Gerhard; macht schnell und führt uns hin!

Die zitternden Mönche führten sie in ihre Schatzkammer und Gerhard ließ alles fortschleppen: Chorgewänder, Meßkleider, Paramente, Kelche, Weihrauchfässer, Reliquiarien, nichts ließ er zurück. Man bepackte damit wohl fünfzehn Saumtiere. Dann machten sie den unwürdigsten Mönch, der da war, einen Enkel des Gebwart, zum Abt.

Darauf zogen sie nach Burdigal zurück, in Begleitung des neuen Abts.

Alle Bürger sahen sie durch die Gassen ziehen und fragten sich mit Staunen, woher sie wohl so große Schätze hätten. In der Burg angelangt, ließ Gerhard fünf Saumtiere abladen und die Kleinode, die sie trugen, in einem festen Turm verwahren. Die zehn andern blieben bepackt, und gleich nach dem Mittagessen machte sich Gerhard mit Gebwart, dem Abte, zwei Knechten und einem Mönch, und mit jenen zehn Saumtieren auf den Weg nach Aachen.

Eines Abends kamen sie dort an und nahmen bei einem Bürger Herberge. Am nächsten Morgen kleideten sie sich mit großem Aufwand und begaben sich zur kaiserlichen Pfalz.

Drei Saumtiere mit allen Schätzen ließ Gerhard dem Kaiser und zwei der Kaiserin anbieten. Allen Fürsten und Herren am Hofe gab er köstliche Kleinode, goldene Becher, seidene Stoffe, überseeische Teppiche, den Kriegsleuten schöne Pelze, den Knappen gute Mäntel. Alle sangen sein Lob, nur der gerechte Herzog Naims wollte nichts annehmen, denn er zweifelte, ob all diese Güter wohl erworben seien.

Der Kaiser lud sie in die große Halle und ließ Gerhard an seine Seite setzen, dann etwas entfernter Gebwart und den Abt, ja sogar auch den Mönch und den Stallknecht; denn wer mit Geschenken kommt, ist immer gut aufgenommen.

Endlich fragte Kaiser Karl: Nun, Gerhard, welche Sache führt Dich daher?

Eine traurige Angelegenheit, o Herr; mir wäre wohler jenseits des Meeres, als da ich sie Euch hier vortragen soll. Und dennoch muß ich alles erzählen; denn böse ist die Kunde, aber noch böser wäre das Schweigen. Ich thue es ganz wider Willen, denn ich weiß wohl, daß es mir nur Schande bringen wird; aber ich halte das Recht und die Pflicht höher, als den guten oder bösen Leumund.

Da hast Du Recht, erwiderte Kaiser Karl.

Gerhard nahm seine Rede wieder auf: So höre mich, Herr Kaiser. Du hast mich zum Ritter geschlagen, Du hast mir die goldenen Sporen gegeben: ich bin Dein Lehensmann und will vor allem nur Dein Wohl. Das, was ich zu sagen habe, wird allen großen Schmerz bereiten, die es hören, und mein eigenes Herz ist davon ganz zerrissen.

Da unterbrach ihn Naims: Gerhard, Du machst zu lange Reden. Komme endlich zur Sache! Ich fürchte, daß Du nur Uebles sinnst.

Wohlan, sagte Gerhard, so höret mich. Ich saß neulich in der großen Halle meiner Burg zu Burdigal, in Gesellschaft meiner Ritter. Das große Chor war offen und ich blickte hinab auf die Zugbrücke, als ich plötzlich meinen Bruder Hugo kommen sah, die Pilgertasche um die Schulter, einen Pilgerstab in der Hand, mit ihm eine schöne Dame und auch ein Greis, der sich, wie ich glaube, Gerhelm nannte.

Da rief der Herzog Naims: Wie, Gerhelm! Ich kenne diesen Biedermann gar wohl; aber es ist schon lange Zeit her, seit ich ihn zum letztenmal sah; es war bei einem Turnier in Katalon, wo er einen Grafen tötete: er mußte deshalb das Land verlassen. Seit wann ist mein alter Waffengefährte wieder zurückgekehrt?

Laßt mich doch meine Rede beenden! sagte Gerhard. Ich war sehr erstaunt, ihn in solchem Aufzug ankommen zu sehen; dennoch nahm ich ihn gut auf und gab ihm zu essen; dann fragte ich ihn über das Heilige Grab aus. Er wußte mir aber davon nur wenig zu sagen. Ich fragte ihn ferner, wie er den Auftrag an den Emir Galdis ausgerichtet habe; aber er konnte mir davon gar keine Rechenschaft geben. All dies berührte mich sehr unangenehm; ich wußte nicht was thun, denn ihm war es ja verboten, sein Land und seine Stadt zu betreten. Herr Kaiser, ich bin Dein Lehensmann: ich wollte nicht mitschuldig werden einer Auflehnung gegen Deinen Befehl; ich habe daher meinen Bruder mit seinem Gefährten und mit jenem Frauenzimmer in feste Verwahrung genommen. Dies also wollte ich Dir melden: entscheide nun selbst über die weiteren Maßregeln.

Alle Fürsten und Herren brachen bei dieser Kunde in Wehklagen aus; sie schalten den Gerhard und riefen:

Er hat seinen Bruder verraten!

Aber Kaiser Karl erhob sich, schlug auf den Tisch mit seinem Scepter von Olivenholz und rief mit drohender Stimme:

Höret mich, Franken, Baiern und Burgunden! Wo sind die Geiseln, die für Hugo gut gestanden haben? Ich mache sie für seinen Treubruch verantwortlich; wenn er mir entschlüpft, so sollen sie alle hängen. Was ist Deine Meinung, Naims?

Ich sage, Herr Kaiser, daß all dies eine Verräterei dieses Gerhard ist.

Du magst reden, was Dir beliebt, erwiderte Gerhard; denn ich habe gute Zeugen für all meine Worte mitgebracht: hier meinen Schwiegervater, den edlen Gebwart, und meinen Stallmeister, dazu den hochwürdigen Abt mit einem anderen Mönch des Klosters von St. Moritz auf der Wiese.

Ja, ja! schrien diese, er hat nur die Wahrheit gesprochen.

Da fuhr aber der Herzog Naims unwillig auf: Herr Kaiser, das ist doch zu stark. Wie! dieser Elende hat seinen Bruder in den Kerker geworfen und kommt nun selbst daher, es uns zu erzählen! Beim gekreuzigten Heiland, hätte ich einen Bruder, der also aus der Verbannung zurückkäme und meine Gastfreundschaft anspräche, welcher Schuft wäre ich, wenn ich ihn also festnähme und dann noch dazu beim Kaiser verriete! Fürwahr, nicht um das ganze Reich möchte ich dergleichen thun! Ich hätte ihm zu essen gegeben, ich hätte ihn drei oder vier Tage gepflegt, und dann hätte ich ihn weiterziehen lassen, ohne jemandem etwas davon zu sagen. Aber dieser Mensch, der sich rühmt, seinen Bruder so behandelt zu haben, beweist dadurch, daß er gar keinen Glauben verdient. Darum ist meine Meinung, daß er verdient, gehenkt zu werden, und neben ihm Gebwart und dieser angebliche Abt mit seinem Mönch, und ich will es auf die Reliquien aller Heiligen beschwören, daß sie falsches Zeugnis abgelegt haben.

Als Gerhard diesen Antrag vernahm, da entfiel ihm wohl etwas der Mut, und er hätte gern diese üble That ungeschehen gewünscht; aber es war zu spät umzukehren. Darum sprach er in seiner Verlegenheit also zu Herzog Naims:

Du thust mir sehr unrecht; warum hast Du einen solchen Haß auf mich geworfen?

Meiner Treu, sagte Naims, nur wegen Deiner Treulosigkeit. Und Du wolltest einer der Fürsten des Reiches sein? Du hättest dem Kaiser Schönes geraten!

Da fuhr Kaiser Karl dazwischen und sagte: Das ist alles recht und gut; aber es handelt sich jetzt garnicht darum.

Und er rief die zwölf Geiseln Hugos vor und sprach zu ihnen:

Ihr Herren, nun haltet mir Euer Versprechen. Entweder schafft mir Hugo zur Stelle oder ich lasse Euch alle henken.

Da riefen diese alle um Gnade und baten, der Kaiser möge wenigstens ein Gericht darüber bestellen.

Kaiser Karl wandte sich an den Herzog von Baiern mit der Frage: Wohlan, Naims, welchen Rat giebst Du mir da?

Hier ist nur eines zu thun, antwortete der Herzog. Geh' nach Burdigal, rufe Hugo vor Dein Gericht und höre, wie er sich verantworten wird.

Wohlan, sagte Kaiser Karl, ich will Deinen Rat befolgen.

Er stieg zu Roß, mit ihm hundertzwanzig Ritter und die elf Reichsfürsten; der zwölfte, nämlich Hugo, lag im Kerker.

Er wollte noch zuerst die zwölf Geiseln gefangen legen lassen, aber Naims leistete Bürgschaft für sie, und sie durften auch den Kaiser begleiten.



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