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Siebentes Kapitel.
Der Burgherr auf Tormund.

.Die Ritter setzten sich in Bewegung. Nach mehreren Tagereisen, die ich nicht alle beschreiben will, sahen sie eines Abends, bei Sonnenuntergang, die gewaltigen Mauern und Türme einer großen Stadt vor sich.

Ha, sagte Gerhelm, da ist schon die Gefahr; das muß die Stadt Tormund sein.

Fürchte nichts, sprach Hugo, es soll uns kein Unglück zustoßen.

Als sie in die Stadt eintreten wollten, begegneten sie einem Krieger.

Mein Freund, sagte Hugo, der Herr, der für unsere Erlösung gestorben ist, möge Dich behüten!

Der Krieger sah die Reiter mit Staunen an und sagte: Ihr Herren, die Ihr mich im Namen des wahren Gottes begrüßet, ich grüße Euch desgleichen, bitte Euch aber, leise zu sprechen. Denn wenn man uns so hört, so wagt ihr Euer Leben. Ich glaube an denselben Gott wie ihr, aber ich getraue mich nicht, es zu gestehen.

Mein Freund, sprach Hugo, sage mir doch, wer der Herr dieser Stadt ist?

Das ist der Herzog Eudo. Er war dereinst auch Christ; aber er hat seinen Glauben abgeschworen und ist nun so wütig, daß er jeden Christen, den er ergreifen kann, henken oder einkerkern läßt.

Freund, sprach Hugo, ich fürchte ihn nicht; aber sage mir, könnten wir für uns eine Herberge in dieser Stadt finden? Wir reisen zum Roten Meere und sind schon viele Tage in Bewegung; ein wenig Ruhe thäte uns Not.

Guter Herr, geht nicht in diese Stadt, glaubet mir. Wenn der Herzog von Euch hört, läßt er Euch in den Kerker werfen, darin bereits hundertzwanzig christliche Ritter schmachten. Wenn Ihr an das Rote Meer wollt, so kenne ich einen anderen Weg und erbiete mich Euch als Führer.

Ach Herr, fiel Gerhelm ein, thut doch das, was der Mann Euch rät.

Niemals, sagte Hugo. Die Sonne geht eben unter; es wäre Wahnsinn, nicht in die Stadt zu gehen, wo uns ein gutes Abendmahl und ein gutes Bett erwartet.

Nun wohlan, weil Ihr es nicht anders wollt, sprach der Kriegsmann, so will ich Euch zu einem Biedermann führen, wo Ihr gut untergebracht und verpflegt sein sollt. Das ist der Vogt Hundrat. Er glaubt an Gott, wie wir.

Dank, guter Freund, sagte Hugo, geh' voran, wir folgen Dir.

So betraten sie also die Stadt und kamen zu Hundrats Hause. Der Vogt saß auf seiner Zugbrücke. Hugo grüßte ihn im Namen Gottes. Da erhob sich der Vogt und sprach:

Willkommen, edler Ritter; aber ich bitte Euch, sprecht nicht so laut! Wenn man uns hört, droht uns große Gefahr. Wollt Ihr bei mir wohnen, so überlasse ich Euch gerne alle Schätze meines Hauses, dazu Brot und Fleisch, alten Wein und Met, Marderpelze und Hermeline und hundert Ritter, die eine Belagerung von zwei Jahren aushalten könnten. Ich habe in meinem Hause genug Vorräte, um uns so lange zu erhalten.

So mög' Euch Gott, antwortete Hugo, Eure Ritterlichkeit belohnen! Darauf stieg er mit den Seinen von den Rossen, Knappen führten die Tiere in den Stall, sie selber aber stiegen den reichen Palast hinauf. Nachdem sie sich ein wenig erholt hatten, rief Hugo den alten Gerhelm und sprach zu ihm:

Beeile Dich nun, Meister Gerhelm: nimm einen guten Ausrufer mit, geh' durch die Straßen dieser Stadt und laß überall ausrufen, wenn junge Gesellen, arme Knappen, fahrende Sänger gut leben wollen, so mögen sie heute Abend ins Haus des Vogtes Hundrat kommen, dort werde ich ihnen allen Brot und Fleisch, alten Wein und Met im Ueberfluß geben, und ohne daß sie einen Heller für die Zeche zu zahlen hätten. Darauf geh' zu den Bäckern und kauf mir alles Brot auf, dann zu den Fleischern, und laß mir alles Fleisch herbringen, endlich zu den Fischern, und bestelle dort alle frischen wie eingesalzenen Fische. Handle nicht erst, sondern gieb reichlich, was man von Dir verlangt.

Aber, lieber Herr, sagte der Hauswirt, ich habe in meinem Hause Lebensmittel im Ueberfluß und stelle das alles zu Eurer Verfügung.

Nein, teurer Wirt, sagte Hugo, Gott behüte mich, daß ich Euch Auslagen verursache! Ich habe mehr Pfenninge bei mir, als ich ausgeben kann; und wisse zudem, daß ich einen Humpen besitze, der allen Lebenden und Toten Wein zur Genüge verschaffen könnte.

Hundrat sah ihn mit Verwunderung an und fragte sich, ob der Gast etwa seiner spotte. Hugo hatte da noch einen Einfall, der ihm später grimmige Reue kosten sollte: er nahm nämlich sein elfenbeinernes Horn vom Halse und sprach:

Lieber Wirt, thu' mir noch den Gefallen und heb' mir dieses Horn bis morgen auf; wenn ich es bedarf, wirst Du mirs wiedergeben.

Sehr gerne, sagte der Vogt. Er nahm das Horn und ging in seine Kammer, es dort in eine Truhe zu verschließen.

Der alte Gerhelm, der die sarazenische Sprache sehr gut kannte, bestieg sein Roß, nahm einen Herold mit sich und ließ durch alle Straßen der Stadt ausrufen, daß jeder fröhliche Geselle, arme Knappe und fahrende Spielmann, der gut zu leben liebe, diesen Abend ins Haus des guten Vogtes Hundrat kommen möge; dort würde man einem jeden Fleisch und Brot, Met und alten Wein im Ueberfluß geben, ohne daß einer einen Heller Zeche zu zahlen hätte. Diese Neuigkeit verbreitete sich schnell in der Stadt. Ihr könnt Euch die Freude aller lustigen Gesellen denken! Euer Herz hätte sich erfreut, wenn Ihr hättet sehen können, wie sie so eifrig von allen Seiten herbei liefen. Es bedurfte weniger als einer Stunde, so waren schon mehr als vierhundert über die Zugbrücke des Schlosses gerannt. Indessen war Gerhelm bei allen Bäckern, Fleischern und Fischern gewesen. Alles, was er an Brot, Fleisch, frischen und gesalzenen Fischen auftreiben konnte, hatte er ins Haus des Vogtes schaffen lassen.

Dort hatte man die Tische in der großen Halle aufschlagen lassen, und die armen Leute setzten sich alsbald daran. Hugo, der Wirt, der alte Gerhelm und die zwölf Ritter bedienten sie. Hugo hielt seinen guten Humpen, ließ ihn unaufhörlich sich anfüllen und schenkte den Wein in die Becher. Alle betrachteten erstaunt dies Wunder und schworen, niemals so guten Wein getrunken zu haben.

Als nun der Seneschal des Herzogs Eudo auch ausging, um für das Abendmahl seines Herrn die Einkäufe zu besorgen, da fand er weder Brot bei den Bäckern, noch Fleisch bei den Fleischern, noch Fische bei den Fischern.

Ei, was ist das, sagte er, ist hier der Teufel im Spiele gewesen?

Herr, antworteten die Händler, es war ein Greis da mit weißem Bart, der alles aufgekauft hat. Er hat nicht gehandelt, sondern reichlich alles bezahlt, was wir begehrt haben.

Und wohin hat er das alles schaffen lassen?

Zum Vogte Hundrat, war die Antwort.

Voll Zorn kehrte der Seneschal zum Palaste des Herzogs zurück und sprach zu ihm:

Herr, ich weiß nicht, wie wir heut Abend essen sollen: es sind da Leute hergekommen, die alle Vorräte auf dem Markt aufgekauft und zu Hundrat, Deinem Vogte, geschafft haben.

Während er noch so sprach, trat ganz bestürzt einer der Späher, die der Herzog in der Stadt unterhielt, in den Saal und sprach:

O Herr, bei Deinem Vogt ist ein Ritter abgestiegen, der alle Halunken der Stadt zum Abendessen geladen hat. Er giebt ihnen reichlich zu speisen und bedient sie mit einem Wein, der aus einem Humpen quillt, wie Wasser aus einem Brunnen. Er mag ihn leeren, so oft er will, immer füllt er sich wieder, und noch niemals habe ich so guten Wein verkostet.

Beim Barte des Propheten! rief Eudo, ein solcher Humpen käme mir eben recht. Ich will mir diesen Unverschämten ansehen, der es wagt, mir mein Abendessen zu entziehen. Er soll sich nicht dazu Glück wünschen, meine Stadt betreten zu haben.

Rasch nahm er seine Waffen, ließ dreißig Ritter ihm folgen und machte sich eilig auf den Weg zu Hundrats Hause.

Er fand die Zugbrücke herabgelassen und die Thore offen; so stieg er die Stufen zur Halle hinauf.

Als der Vogt ihn erblickte, rief er: Weh' uns, wir sind verloren! Hier kommt der Herzog und wie es scheint, in größtem Zorn. Wenn Gott nicht Mitleid mit Euch hat, werdet Ihr alle ums Leben kommen.

Fürchte nichts, erwiderte Hugo; laß mich zu ihm sprechen.

Damit trat er dem Herzog entgegen, grüßte ihn und sprach:

Herr Herzog, seid uns in Gottes Namen willkommen!

Komm' mir nicht zu nahe, Hund! schrie der Herzog, Du bist ein Christ, und, so wahr Mahomed lebt, will ich Dich so behandeln, wie ich stets Deinesgleichen zu behandeln pflege.

Herr, sagte Hugo, was würdest Du mit unserem Tode gewinnen? Wir haben Dir kein Unrecht angethan; wessen beschuldigst Du uns?

Es genügt, daß Ihr Christen seid, um den Tod zu verdienen. Aber zuerst sage mir, was bedeutet diese Versammlung, die Du hier veranstaltet hast? Wozu hast Du Dir all' diese Landstreicher eingeladen?

Herr, antwortete Hugo, ich habe einen gefährlichen Auftrag zu erfüllen; ich muß jenseits des Roten Meeres ziehen und da habe ich diesen armen Leuten zu Gottes Ehre ein gutes Essen bieten wollen, damit mich der Herr heil und gesund zurückbringe.

Du hast damit einen schlechten Handel gemacht, sprach Eudo, denn dies war das letzte Abendessen Deines Lebens.

Aber so seid doch vernünftig, sprach Hugo Ihr habt noch nicht zu Abend gegessen; legt alle Eure Waffen ab und wascht Eure Hände. Ich werde Euch Brot, Fleisch, frische und gesalzene Fische zu essen geben und Euch mit dem besten Wein bedienen, den Ihr jemals getrunken habt. Nachdem wir gegessen haben, werden wir dann weiter von unseren Geschäften reden.

Meiner Treu! sprach Eudo, Du hast recht. Und er sagte zu seinen Mannen: Legt die Waffen ab und setzt Euch zu Tische, weil man uns eingeladen hat; wir bekämen ohnedies bei uns zu Hause nichts zwischen die Zähne.

So legten also jene die Waffen ab und wuschen ihre Hände in großen Becken, die man ihnen darbot. Darauf nahmen sie, da die armen Leute schon fertig gegessen hatten, mit Hugo, dem alten Gerhelm, den zwölf fränkischen Rittern und dem guten Vogte Platz an der Tafel.

Nach dem Mahle erhob sich Hugo, nahm den goldenen Humpen und sprach:

Seht Ihr, Herr Herzog, diesen Humpen? Er ist leer; nun wohlan! Blickt her!

Er machte das Kreuz über den Humpen und dieser füllte sich mit schäumendem Wein. Er setzte ihn dem Herzoge vor, aber als Eudo ihn kaum berührt hatte, war der Wein verschwunden.

Das ist Hexerei! rief Eudo.

Nein, sagte Hugo; das ist die Folge Deiner Bosheit. Setz' ihn nur hin: Du wirst niemals von diesem Weine kosten.

Ei, Junker, rief Eudo, Du bist keck genug, also in meiner eigenen Stadt zu mir zu sprechen! Ich könnte Dich töten lassen, ohne daß jemand Dich verteidigen dürfte; aber sag mir zuerst, woher Du kommst und aus welchem Lande Du bist.

Das will ich nicht verheimlichen, sagte Hugo, ich bin aus Aquitanien.

Aus Aquitanien? Und wer ist Dein Vater?

Er hieß Siegwin. Gott verzeihe ihm seine Sünden! Er starb vor mehr als sieben Jahren.

So bist Du der Sohn meines Bruders! rief Eudo. Warum kamst Du aber nicht sogleich zu mir? Und was machst Du da und wohin willst Du?

Mein Reiseziel ist jenseits des Roten Meeres; ich soll eine Botschaft Kaiser Karls des Großen an den Emir Galdis ausrichten. Der Kaiser hat mir diesen gefährlichen Auftrag gegeben, weil ich das Unglück hatte, seinen Sohn zu töten. Er hat mir mein Erbe entzogen, und will mirs nur unter der Bedingung zurückgeben, daß ich ihm die Antwort des Emir bringe.

Lieber Neffe, sagte Eudo, ich bin auch einst aus dem Frankenreich verbannt worden. Mein Geschick hat mich hierher geführt; ich habe das Christentum aufgegeben, habe mich verheiratet und durch meine Gemahlin große Länder, Burgen und diese Stadt hier bekommen. Komm' in meinen Palast und schlaf diese Nacht unter meinem Dache. Morgen früh will ich Dir durch meine Ritter das Geleite geben lassen; sie werden Dir nicht unnützlich sein, denn Du wirst üble Gegenden auf Deinem Wege zu durchziehen haben.

Gerne, lieber Oheim, folg' ich Dir, und Gott mög' Dich dafür belohnen!

Du wirst es bereuen, sagte Gerhelm leise zu ihm.

Hüte Dich, sagte ebenso der Vogt Hundrat.

Aber Hugo hörte sie nicht. Er ließ all' seine Sachen in den Palast schaffen. Er vergaß auch nicht den guten Humpen; aber leider vergaß er das Horn in der Truhe des Vogtes.

Die Nacht verlief ohne Ereignis. Am andern Morgen zu frühster Stunde trat Hugo vor seinen Oheim, Abschied zu nehmen.

Dieser aber sprach:

Lieber Neffe, warte noch ein wenig und nimm das Frühstück mit mir. Unterdessen werde ich die Ritter versammeln, die Dich begleiten sollen.

Wie Du willst, mein Oheim, antwortete Hugo.

Während man die Tische aufschlug, rief Eudo einen Ritter, den er aus dem Frankenland mit sich genommen und der ebenso wie er von Gott abgefallen war.

Zu diesem sprach er:

Gottfried, höre mich. Geh' in meine Rüstkammer und laß hundertzwanzig Heiden sich wappnen. Während des Mahles wirst Du sie in den Saal führen, wo sie diesen Franken und all die Seinen töten sollen. Wenn er Dir entkommt, so hast Du auf immer meine Gunst verscherzt.

Sei ohne Sorgen, antwortete Gottfried; er soll nicht lebend von hinnen kommen.

Gottfried ging zur Halle, wo die Panzer, die Helme und die schneidenden Schwerter aufgehäuft waren; er betrachtete diese Waffen, seufzte schwer und sprach bei sich:

Wehe mir, wie kann mir Gott jemals verzeihen? Dieser Mensch muß ein ganz verruchtes Herz haben, da er so verräterisch den eigenen Sohn seines Bruders morden will! Der Herzog Siegwin hat mir dereinst eine große Wohlthat erwiesen, deren ich jetzt gedenken muß: bei einem Turnier, da wir beisammen waren, wäre ich getötet worden, hätte er mich nicht errettet. Das Gute, das er mir einst that, will ich nun an seinem Sohne vergelten. Gott verdamme mich, wenn ich ihm etwas zu Leide thue! Eudo selber soll sich durch seine Verräterei zu Grunde richten.

Gottfried hatte alle Schlüssel des Schlosses; damit stieg er in den tiefsten Kerker hinab, wo hundertzwanzig Franken eingeschlossen waren, öffnete und sprach zu ihnen:

Ihr Herren, höret mich. Gott bietet Euch heute die Freiheit. Sie ist Euer, wenn ihr nur Mut habt.

Alle gefangenen Ritter antworteten:

Bei Gott, sage uns, was wir thun müssen; Du wirst jeden von uns bereit finden.

Wohlan, sagte Gottfried, so vernehmet. Ein edler Junker aus Franken wie wir alle, der Sohn des Herzogs Siegwin von Aquitanien, ist in diesen Palast gekommen. Eudo ist sein Oheim und will ihn töten; aber beim lebendigen Gott, wenn Ihr mir helfen und Euch rächen wollt für all das Uebel, das er Euch angethan hat, so soll der Verräter selber dabei sein Leben lassen.

So sei es, schrieen alle; rechne auf uns!

Wohlan denn, sagte Gottfried; folget mir.

Er führte sie in die Waffenhalle und wies ihnen die Rüstungen. In größter Eile schloffen alle in die Panzerhemden, setzten die Helme auf, gürteten die Stahlschwerter um die Lenden, und Gottfried führte sie auf den Saal hin, wo Hugo eben mit seinem Oheim zu Tische saß. Das Mahl war schon zu Ende; Hugo erhob sich, wandte sich an seinen Oheim und sprach:

Wohlan, sind Deine Ritter schon bereit?

Es handelt sich jetzt um ganz andere Dinge, sagte Herzog Eudo. Bei Mahomed! Du wirst nicht von hinnen kommen, Bursche. Wisse, daß dies der letzte Tag war, den Deine schönen Augen gesehen haben. Tretet ein, meine Ritter, und schlagt ihn nieder: wenn er Euch entkommt, so sollt Ihr für ihn büßen!

Hugo sprang im höchsten Schrecken zurück und riß das Schwert von der Seite; aber als die Pforten sich öffneten, da waren es keine Heiden, die hereintraten, sondern die fränkischen Ritter mit Gottfried.

Sie erhoben allzusammen den wohlbekannten Schlachtruf Karls des Großen und schrieen: Nieder mit diesen Ungläubigen! Damit drangen sie vor, und die Sarazenen stoben nach allen Seiten auseinander; manchem wurde dabei der Arm und der Kopf abgeschlagen. Als Eudo sich so verraten sah, stürzte er auf ein Fenster zu; Hugo folgte ihm, das Schwert in der Faust, aber bevor er ihn noch erreichen konnte, war der Verräter schon in den Schloßgraben hinabgesprungen.

So waren also unsere Franken Herren des großen Palastes; sie töteten alle Sarazenen, die ihnen vor die Augen kamen, warfen mehr als hundert in die Burggräben, schlossen darauf die Thore und hoben die Zugbrücke. Nun erst sahen sie einander an, erkannten, küßten und umarmten sich, und waren voll Freude, als ob sie schon zu Hause wären; aber ihre Freude sollte nur kurze Dauer haben.

Der Verräter Eudo war aus dem Graben aufgestanden und hatte sein Horn geblasen; auf diesen wohlbekannten Ruf waren in kurzer Zeit vierhundert Heiden herzugelaufen. Sie fragten ihn, was es gäbe.

Ihr Recken, sprach Eudo, diese verdammten Franken haben sich meines Palastes bemächtigt. Laßt sogleich meine Belagerungsmaschinen herbeischaffen, meine Steinschleudern und Mauerbrecher! Man brachte all' dies herbei und stellte es vor den Mauern auf; man schleuderte fudergroße Steine, sodaß von allen Seiten die Mauern Breschen bekamen: schon fiel auch ein Turm mit großem Getöse ein.

Wehe uns! sprach Hugo, wir sind verloren: ich habe mein Elfenbeinhorn beim Vogt vergessen!

Ach über Deinen Leichtsinn, der uns zum Verderben wird! jammerte Gerhelm. Wie hast Du denn nur diesem Verräter trauen können?

Indessen hatte sich der gute Vogt Hundrat dem Herzog Eudo genähert und also zu ihm gesprochen:

Herr, wo denkst Du hin? Willst Du mit eigenen Händen Deinen Palast zerstören? Versprich dem jungen Manne Sicherheit, wenn er die Burg verlassen will. Bedenke, daß er doch der Sohn Deines Bruders ist!

Du hast recht, sprach der Herzog. So gehe zu ihm als mein Bote und sage ihm, daß er sich entfernen kann, wenn er will.

Bei sich selber aber dachte er:

Bei Mahomed und dem Gotte, der den Weizen wachsen läßt, er soll hängen, wenn ich ihn nur einmal festhalte!

Der Vogt näherte sich dem Burggraben und rief mit lauter Stimme hinüber:

Herr Hugo, auf ein Wort, wenns beliebt!

Wer ist dort? fragte der Junker.

Ich bins, der Vogt Hundrat.

Ei, mein guter Wirt, was kommst Du mir zu sagen?

Ich komme Dir zu sagen, daß Du in keinem Falle die Burg verlassen sollst, welches Anerbieten man Dir auch mache, denn sei überzeugt, daß Dich der Verräter henken läßt, wenn er Dich einmal in Händen hat.

Ich danke Dir, mein guter Wirt, sagte Hugo; aber höre mich noch weiter an und erbarme Dich meiner um Gottes Willen, denn wenn Du mir nicht hilfst, so bin ich verloren. Du erinnerst Dich, daß ich Dir mein Elfenbeinhorn anvertraut habe: wenn ich es hier hätte, so wäre alles gut. Ach edler Wirt, eile es zu holen und bringe mirs schleunig oder wir gehen hier doch zu Grunde.

Das Horn ist hier, sprach der Vogt Hundrat; ich hatte es unter meinem Mantel mitgebracht. Ich will Dirs durch meinen Knappen bringen lassen.

Also geschah es. Voll Freude ergriff Hugo das Horn, setzte es alsobald an den Mund und blies mit vollen Backen hinein.

Bei diesem Zauberklang fingen alle heidnischen Belagerer zu singen und zu springen an; desgleichen thaten die belagerten Christen. Hugo aber blies immerfort, ohne einmal abzusetzen.

In seiner Hauptstadt Monmur hörte der Elfenkönig Oberon diesen Klang und sprach zu sich:

Mein Gott, ich höre den Ruf meines Freundes, des rechtschaffensten Mannes, der je geboren ward. Er muß in großer Gefahr sein, aber ich will ihn nicht verlassen. Ich wünsche mich hiemit hin zu ihm mit hunderttausend gewappneten Mannen.

Er hatte diese Worte noch nicht ganz ausgesprochen, als er auch schon da war. Die Sarazenen waren ganz lahm vor Schrecken, als sie plötzlich alle Gassen der Stadt von fremden Rittern wimmeln sahen. Sie begriffen garnicht, woher so viele Leute kommen konnten.

Oberon selber erschien plötzlich in der großen Halle des Palastes; als ihn Hugo erblickte, stürzte er ihm entgegen und rief:

O guter König, Du bist uns hoch willkommen! Welch große Güte, so weit her uns zu Hilfe zu kommen!

Das ist die Freundschaft, die ich Dir gelobt habe, sagte Oberon; sie wird Dir nie fehlen, so lange Du Deine Reinheit bewahrst.

Gott möge Dich dafür belohnen, sagte Hugo.

Indessen durchrannten die elfischen Ritter die Stadt und töteten alles, was ihnen unterkam. Oberon aber ließ einen Bann ausrufen, daß jedem, der an Gott glauben wolle, kein Leid geschehen solle.

Alsbald verlangten viele Hunderte die Taufe. Eudo, der arge Verräter, wurde ergriffen und in den Palast vor Hugo geschleppt.

Ah lieber Neffe, jammerte er, erbarme Dich mein.

Aber Hugo sprach:

Bei meiner Treue, Du sollst keinen mehr verraten!

Er riß das Schwert von der Seite, hob den Arm und ließ ihn so gewaltig niederfallen, daß der Kopf des Verräters vom Rumpfe flog. Man hob ihn auf und nagelte ihn an die Zinne der Burg.

Darauf sagte Oberon:

Wohlan, Hugo, mein geliebter Freund, Du bist nun außer Gefahr und magst Deine Reise fortsetzen. Aber höre, was ich Dir sagen will und benütze es zu Deinem Vorteil: es wird mir sehr recht sein, wenn Du meinem guten Rate folgen willst.

Ich höre, sagte Hugo.

Ernst und strenge sprach nun Oberon also:

Dein Weg führt Dich nun an der Burg Dunoster mit dem Wunderturm vorbei, der das Rote Meer beherrscht. Hüte Dich davor. Mein Vater Julius Cäsar hat diese Burg gebaut und mehr als zwanzig Jahre darauf verwendet. Niemals hat ein Sterblicher ähnliches gesehen: es sind dort dreihundert Fenster und fünfundzwanzig wunderbare Hallen; beim Eingang, vor der Zugbrücke, stehen zwei eherne Männer, jeder mit einer eisernen Keule: Winter und Sommer, Tag und Nacht schlagen sie wechselweise zu, so schnell aufeinander, daß nicht einmal eine Schwalbe unverletzt durchfliegen könnte. In der Burg haust ein schrecklicher Riese namens Orgelus; er hat mir dies Wunderschloß entrissen und außerdem mein gutes Panzerhemd, das weißer ist als irgend eine Wiesenblume; es kann durch keine Waffe geritzt werden; es schmiegt sich dem Leibe des Trägers genau an und wiegt nicht mehr als ein Pergamentblatt. Hugo, ich verbiete Dir, dieser Burg zu nahen, denn wenn Orgelus Dich erblickt, so kannst Du unmöglich dem Tode entgehen.

Hugo hörte diese Rede ruhig an und sprach:

Mit Gunst, mein lieber König Oberon, ich bin daher gekommen, um Abenteuer aufzusuchen: und dieses da ist von der Art, daß ich es nicht bei Seite lassen kann. Zudem wünsche ich, Dir die Burg wieder zu gewinnen, die man Dir geraubt hat, und ich wäre sehr glücklich, jenes weiße Panzerhemd zu erobern, davon Du mir so viele Wunderdinge erzählst: ich könnte es sehr gut gebrauchen. Und übrigens, wenn ich in Gefahr gerate, so brauche ich ja nur Dein Horn zu blasen, und ich weiß, daß Du mir zu Hilfe kommen wirst.

Glaube das ja nicht, sagte Oberon, und verlaß Dich nicht darauf: wenn Du trotz meines Verbotes der Burg Dunoster nahst, so kannst Du blasen, so viel Du willst, ich werde Dir dorthin nicht zu Hilfe kommen.

Auch gut, sagte Hugo; Du wirst thun, was Dir beliebt, und ich werde thun, was ich fest beschlossen habe.

Zornig versetzte Oberon:

Wohlan denn, Gott befohlen! wenn Dir aber etwas Uebles zustößt, so gieb nur Deiner eigenen Narrheit Schuld.

Davor möge mich Gott behüten, lieber König, sprach Hugo.

Aber Oberon war schon verschwunden.

Hugo blieb also Herr der Stadt; alle Sarazenen traten zum Christentum über. Dem guten Vogt Hundrat und dem Gottfried übergab er die Stadt und machte sie zu Herren derselben.

Darauf setzten unsere Franken ihre unterbrochene Reise wieder fort, nachdem man ihnen fünfzehn Saumtiere mit Gold und Silber beladen hatte. So nahmen sie also fröhlichen Abschied und wandten sich dem Roten Meere zu.



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