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Elftes Kapitel.
Die Befreiung.

. Wir wollen sie nun dort für eine Weile lassen und wollen nunmehr vom Riesen Agrapart, dem Bruder des Orgelus, sprechen. Dieser erfuhr nämlich den Tod seines Bruders; Rache schnaubend rüstete er mehr als zehntausend Krieger aus und führte sie gegen Babylon.

Als sie vor die Mauern der Stadt gekommen waren, sprach Agrapart zu ihnen:

Erwartet mich hier, meine Mannen; ich will zum Emir gehen und mit ihm sprechen.

Dieser Agrapart war ein noch größerer Riese als sein Bruder; er war achtzehn Fuß hoch, seine Augen waren rot wie feurige Kohlen und zwischen den Augenbrauen war er einen Fuß breit. In seinem Panzerhemd hätten drei Männer Platz gehabt. Er nahm ein großes Sichelschwert, so wie es sein Bruder getragen hatte, und ging damit zu Fuß in die Stadt. Er kam über die vier Zugbrücken, ohne daß einer der Thorhüter ihn anzuhalten wagte; er stieg die Marmorstufen hinauf und betrat die große Halle. Der Emir saß gerade zu Tische, und Gerhelm bediente ihn. Der Riese schlug so mächtig auf die Tafel, daß der goldene Becher umfiel; alles zitterte bei seinem Anblick.

Er rief mit Donnerstimme: Mahomed verderbe den Emir Galdis, diesen Sklaven und argen Verräter!

Der Emir antwortete bestürzt: Mit welchem Recht beschimpfst Du mich also, Agrapart, vor meinem Hofe? Was willst Du von mir?

Ich verlange Rechenschaft von Dir über den Tod meines Bruders. Ich weiß, daß sein Mörder hierher gekommen ist und daß Du ihn in den Kerker gelegt hast: aber Du hättest ihn hängen und durch den Kot schleifen lassen sollen; wenn ich nicht fürchtete mich zu erniedrigen, so würde ich Dich so derb schlagen, daß Dir das Blut herausspringt! Auf, steig' von Deinem Hochsitz herab: es ziemt sich nicht, daß Du vor mir sitzen bleibst. Und er riß ihn mit solcher Gewalt hinweg, daß er ihn fast zu Boden geworfen hätte.

Schurke, rief er wieder, Du wirst von nun an mein Sklave sein, wie Du es meinem Bruder gegenüber warst, denn ich beanspruche seine Erbschaft. Und dennoch will ich noch großmütig sein: laß einen Deiner Türken sich rüsten, oder zwei, wenn Du willst; ich werde sie auf umhegtem Kampfplatz bekämpfen; wenn sie mich besiegen können, sollst Du frei sein, wenn nicht, wirst Du mir Dein ganzes Leben lang dienen.

Ach, seufzte der Emir, ich muß es wohl zufrieden sein; wenn ich mich nur aus der Sache ziehen könnte! Wohlan, meine Mannen, wer von Euch stellt sich zum Kampf? Der Besieger dieses Riesen soll die Hand meiner Tochter Klarmunde und die Hälfte meines Reichs haben.

Ob da einer einen Laut von sich gegeben hätte! Alle schwiegen vielmehr und senkten die Augen. Der Emir fing zu weinen an und klagte: Wehe mir, ich bin verloren!

Aber Klarmunde näherte sich ihrem Vater und sprach leise so zu ihm:

Mein Vater, wenn Du mir versprechen wolltest, mir gar nichts übel zu nehmen, so wollte ich Dir ein Geheimnis sagen.

So rede nur, mein Kind, sag, was Du willst! Ich schwöre bei Mahomed, ich will Dir nichts übel nehmen.

Wohlan, mein Vater, dieser Franke, der den Orgelus getötet hat und den Du in den Kerker warfst, er ist nicht tot, ich habe sein Leben erhalten. Wenn es Dir so gefiele, so würde ich ihn aufsuchen, und ich bin gewiß, daß er den Zweikampf übernehmen wird; aber Du müßtest ihn dann frei ausgehen lassen.

Bring' ihn nur her, meine Tochter, und wenn er willig ist, mir diesen Dienst zu leisten, so soll er mit mir zufrieden sein.

Wie schnell lief da Klarmunde mit Gerhelm zum Kerker hinab! Sie brachten Hugo herauf. Als der Emir ihn sah, so schön und stark und wohlgenährt, sprach er zu ihm:

Ei, mein Ritter, Du hast ein gutes Gefängnis gehabt!

Ja, Herr, antwortete Hugo, Dank Deiner Tochter; man hat Dir keine Speise aufgetragen, von der ich nicht nach meinem Gefallen erhielt. Aber sage mir, warum hast Du mich heraufholen lassen?

Da sagte der Emir: Siehst Du diesen bewaffneten Riesen? Es ist der Bruder des Orgelus; er fordert mich zum Kampf heraus und ich habe keinen Unterthan, der so kühn ist, ihm entgegen zu treten. Willst Du Dich mit ihm messen? Wenn Du mich seiner entledigst, so will ich Dich frei lassen, ja, ich werde Dir Geleit verschaffen bis nach Ackers, das Ihr Ptolemais nennt, ich werde alle Franken, die ich gefangen halte, freigeben, ich werde ein starkes Saumtier mit Gold beladen lassen, und Du wirst es in meinem Namen dem Kaiser Karl darbieten und jedes Jahr will ich ihm den gleichen Tribut schicken; wenn er irgend einen Krieg führt, so will ich ihm zu Wasser und zu Lande eine Hilfe von hunderttausend Bewaffneten leisten. Ich ziehe es vor, einen Herrn im fernen Franken zu haben, als im eigenen Lande geknechtet zu sein; und wenn Du bei uns bleiben wolltest, so würde ich Dir meine Tochter und die Hälfte meines Reiches geben.

Es ist gut so, sagte Hugo: ich übernehme den Zweikampf; aber verschaffe mir zuerst wieder meine gute Rüstung, meinen Humpen und mein Elfenbeinhorn!

Der Emir gab diesen Befehl und man brachte alles, worüber Hugo große Freude empfand.

Vorwärts, sagte Agrapart, Du hast einen Kämpen: so laß ihn schnell sich rüsten, denn ich will mich nicht entwaffnen, bevor ich ihn getötet habe. Dann will ich zu meinen Mannen zurückkehren, die dort unten auf den Wiesen meiner harren.

Hugo nahm zuerst den Humpen und das Horn und gab es dem Gerhelm zur Aufbewahrung, dann griff er zitternd nach dem Panzerhemd. Er bekannte Gott alle seine Sünden und schlug sich reumütigen Herzens an die Brust. Er zögerte und wagte nicht den Ringelpanzer anzulegen, indem er daran dachte, wie er Oberon beleidigt habe.

Ach, seufzte er, werde ich ihn anlegen können? Lieber Meister Oberon, wirst Du mir verzeihen?

So nahm er endlich den Halsberg, hob den Rückenteil in die Höhe und steckte den Kopf durch den Halsausschnitt: die Rüstung schmiegte sich an seinen Körper wie angegossen.

Gott sei gelobt! dachte Hugo; der edle Elfenkönig ist mir wieder hold. Er war so großmütig mir zu verzeihen, obwohl ich gelogen und ihn noch dazu gescholten habe. Nun fürchte ich nichts mehr.

Jener Sarazene, der ehedem das Schwert des überwundenen Hugo bei Seite geschafft hatte, beeilte sich nun auch, es ihm zurück zu bringen. Hugo dankte ihm und gürtete es um seine Hüften.

Der Emir ließ ihm sodann sein gutes Roß Balzent vorführen; es war schwarz mit weißen Flecken, der Sattel war mit Edelsteinen ausgelegt, das köstliche Zaumzeug war wohl hundert Mark Goldes wert. Es war mit dreißig goldenen Schellen behangen; wenn es sich bewegte, so klangen sie süßer als der Ton einer Harfe oder Fiedel.

Hugo sprengte das Roß über die Wiese und ließ es hin und her tänzeln unter den Augen des Emirs, der von hoher Zinne herabschaute und so zu den Seinen sprach:

Seht hin, welch schöner Ritter, wie anmutig er seine Waffen trägt! Es wäre doch schade gewesen, wenn ich ihn getötet hätte. Wohlauf, junger Mann, Mahomed beschütze Dich, und wenn der Gott, den Du anbetest, mehr vermag als Mahomed, so bewahre er Dich heil und gesund!

Hugo ritt den Schranken zu, die in der Mitte des Rasenplatzes aufgeschlagen waren; tausend Sarazenen behüteten ihn, um jeden Verrat abzuwehren.

Als der Riese ihn kommen sah, schrie er ihn also an: Mensch, wer bist Du und woher stammst Du? Bist Du dem Emir Galdis unterthänig?

Gott behüte! sprach Hugo. Ich komme aus dem schönen Franken und ich bins, der Deinen Bruder gefällt hat.

Bei Mahomed! Dann mußt Du ein tapferer Mann sein. Schwöre Deinen Glauben ab, nimm den meinen an und komm mit mir nach dem Osten: ich werde Dich zum Herrn eines großen Reiches machen, ja, ich will Dir ein noch reicheres Geschenk geben, nämlich meine leibliche Schwester; sie ist noch größer als ich, schwarz wie Tinte und hat fußlange Zähne.

Meiner Treu, antwortete Hugo, der Teufel mag sie heiraten! Dazu bin ich nicht hergekommen. Sieh Dich vor; ich widersage Dir im Namen Gottes.

Und ich widersage Dir im Namen Mahomeds.

Sie nahmen Abstand von einander und stürmten darauf los. Sie trafen sich mit solcher Gewalt, daß beide zur Erde fielen. Aber schnell waren sie wieder auf den Beinen. Der Heide nahm seine große Sichel und führte einen furchtbaren Streich auf den Jüngling. Aber Hugo wich gewandt aus, und während Agrapart noch gebückt dastand, traf er dessen Helm so gut, daß er ihn bis auf die weiße Stepphaube spaltete, den Riesen zu Fall brachte und ihm das rechte Ohr abschnitt.

Du hast mich gut getroffen, sprach Agrapart: noch ein solcher Schlag und ich bin ein toter Mann; da will ich lieber des Galdis Sklave sein, als mich töten zu lassen. Ich ergebe mich; thu mir nichts mehr!

Sei ohne Sorge, sprach Hugo.

Und er faßte ihn bei seinem Panzerhemd und führte ihn so zum Palast zurück.

.

Hugos Zweikampf mit dem Riesen Agrapart.

Als Gerhelm von der Höhe der Zinne den Sieg seines Freundes schaute, sprach er also zum Emir:

Höre mich, Herr: Als ich neulich zu Dir kam, da gab ich vor, ein Sarazene und der Sohn Deines Bruders zu sein; aber das ist nicht wahr: ich bin auch ein Franke und der Lehensmann des Ritters Hugo; ich habe mich nur deshalb für Deinen Neffen ausgegeben, um auf diese Weise etwas über ihn zu erfahren.

Da rief der Emir: Man sagt wohl mit Recht, daß man vor einem Franken nicht genug auf der Hut sein kann!

Alle gingen dem Hugo entgegen, als er eben die Marmorstufen herauf steigen wollte. Er sprach zu Galdis:

Siehe, hier übergebe ich Dir Deinen Feind: mach mit ihm, was Dir beliebt.

Der Riese umarmte die Füße des Emirs und bat um Gnade. Er, der der Herr des Galdis sein wollte, wurde nun sein Sklave, nach eigenem Zugeständnis. Er leistete seinen Lehenseid und zog darauf mit all seinen Mannen wieder ab.

Heute herrschte denn auch große Freude an der Hoftafel in der hoben Halle des Palastes. Der Emir sprach zu Hugo, der an seiner Seite saß:

Wohlan! Was wirst Du nun thun? Willst Du in Deine Heimat kehren, oder willst Du bei uns bleiben? Ich werde all meine Versprechungen halten, die ich Dir zuvor gegeben habe.

Herr, sagte Hugo, davon wollen wir später reden. Gerhelm, bringe mir meinen Humpen.

Nachdem Gerhelm den Humpen herbeigeholt hatte, sagte Hugo zum Emir:

Sieh einmal, wie Gott mächtig und gütig ist. Dieser Humpen ist, wie Du siehst, ganz leer.

Sicherlich, sagte der Emir.

Hugo machte das Zeichen des Kreuzes darüber, und der Humpen füllte sich mit klarem Weine.

Nun nimm und trink, sagte Hugo.

Der Emir ergriff den Humpen und wollte ihn an die Lippen führen, da war aber der Wein schon wieder verschwunden.

Das ist Zauberei, rief Galdis.

Dein, sprach Hugo: das ist Deine Sündhaftigkeit. Setze ihn nieder, er ist nicht für Dich gemacht, er ist zu edel, als daß einer daraus trinken könnte, der nicht rechtschaffen und frei von schweren Sünden ist. Ach, habe doch Mitleid mit Deiner eigenen Seele, lieber Emir! Lasse Deinen Mahomed, der nichts gilt und vermag! Glaube an den wahren Gott, so wirst Du in dieser und in jener Welt gerettet sein. Wenn Du aber widerstrebst, so hüte Dich: Gott wird hier so viele Krieger versammeln, daß Deine ganze Stadt davon wimmeln wird.

Hohnlachend sprach der Emir: Hört ihr diesen Verrückten? Ich habe ihn solange gefangen gehalten, ohne daß mich irgendwer darüber zur Rechenschaft gezogen hätte, und er prahlt, mit mir nach seiner Willkür handeln zu können! Bei Mahomed! Ich staune über solchen Wahnsinn. Wo sind denn diese Leute, die ihm zu Hilfe kommen sollen?

Ist dies Dein letztes Wort, fragte Hugo.

Ganz und gar.

Wohlan! Du wirst es bereuen.

Damit ergriff er das Horn, das Gerhelm ihm reichte, setzte es an den Mund und blies gewaltig hinein. Rings herum, im ganzen Palast, huben da die Leute an zu singen und zu tanzen.

Oberon hörte den Ton in seinem Forst und sprach zu sich: O Gott! ich höre meinen Freund, den ich in so schweren Leiden ließ. Ich verzeihe ihm sein Unrecht, denn ich könnte doch keinen rechtlicheren Menschen finden, als ihn, obwohl er ein wenig zu leichtsinnig ist. Somit wünsche ich mich jetzt zu ihm hin, und zugleich mit mir hunderttausend bewaffnete Krieger. Bedarf ich ihrer noch mehr, so will ich noch mehr aufbieten.

Kaum gesagt, war es auch schon geschehen. Von allen Seiten strömten seine Scharen nach Babylon und erfüllten die ganze Stadt. Oberon selber stieg zum Palaste hinauf. Als Hugo ihn erblickte, umarmte er ihn voll Freude und sprach:

Dank Dir, Herr, daß Du so weit hergekommen bist, mir beistehen!

Ich will Dir immer helfen, sprach Oberon, solange Du meine Ratschläge befolgst.

Da wandte sich Hugo zum Emir und sagte:

Wohlan, hast Du Dirs überlegt? Glaubst Du an den wahren Gott? Wenn nicht, so mußt Du sterben.

Lieber sterben, rief der Emir, als Mahomed verlassen.

Hugo dachte an Klarmunde und blickte weg; aber auf ein Zeichen Oberons zog der alte Gerhelm sein Schwert, trat zu Galdis und schlug ihm den Kopf ab. Dann schnitt er ihm seinen weißen Schnurrbart ab und brach ihm die vier Backenzähne aus.

Da hast Du, Hugo, den Schnurrbart und die Zähne, sagte Oberon; hüte sie wohl: in ihnen liegt Dein Heil oder Dein Verderben.

Herr, sagte Hugo, Du weißt, daß ich immer unbedacht und leichtsinnig war: verwahre sie an einem Ort, wo ich sie nicht verlieren kann.

Du sprichst recht. Ich rate Dir daher, sie dem Gerhelm anzuvertrauen; sie sollen dort verwahrt bleiben, ohne daß es jemand erspüren soll.

Und nun vernimm mich wohl, setzte Oberon fort. Ich ließ Dir ein Schiff bereiten, mit dem Du heimkehren kannst; Du wirst mit Dir die Tochter des Emirs, die schöne Klarmunde, nehmen, Deine verlobte Braut. Nun warne ich Dich, bei dem Verlust meiner Freundschaft, sie nicht früher zu küssen, als bis Du zu Rom mit ihr Hochzeit gehalten hast. Wenn Du mir unfolgsam bist, so wirst Du Dir das größte Unheil zuziehen, das je ein Mensch ausdenken konnte.

Herr, sagte Hugo, ich werde mich wohl hüten.

Darauf nahm Oberon von ihm Abschied, umarmte ihn und weinte heftig.

Was hast Du, fragte Hugo.

Ich habe großes Mitleid mit Dir, denn ich glaube nicht, daß ich Dich wiedersehen werde, bevor große Leiden über Dich gekommen sind.

Darauf verschwand er, ohne weiter ein Wort zu sagen.


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