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Sechstes Kapitel.
Oberon.

. Bald traten sie in den Forst ein, der, wie Gerhelm sagte, schon zu Oberons Reiche gehörte. Sie erreichten eine schöne Lichtung und hielten dort unter einer Eiche an, um zu ruhen. Den Rossen nahmen sie Zaum und Sattel ab und ließen sie auf dem grünen Rasen weiden.

O Gott! sagte Hugo, wir haben weder Fleisch noch Brot mehr; schon den dritten Tag sind wir ungesättigt geblieben!

Ei, Ihr versteht nicht zu fasten, sprach Gerhelm. Kostet doch von diesen guten Wurzeln da: die sind schon seit dreißig Jahren meine einzige Nahrung.

Ach mein Freund, sagte Hugo, ich bin solches nicht gewohnt, ich könnte es nicht vertragen.

Als sie sich so unterhielten, sahen sie plötzlich vor sich aus dem Dunkel des Waldes einen kleinen Mann hervortreten, nur drei Fuß hoch. Aber er war schön wie die Sommersonne. Seine Haare fielen in goldenen Locken auf seine Schultern; er war in den reichsten Seidenstoff gekleidet, der in Streifen geteilt und mit goldenen Borten zusammengenäht war. Seidene Bänder umgürteten seine Hüften; in der Hand trug er einen silbernen Bogen mit seidener Sehne und goldenem Pfeil. Von den Schultern hing ihm ein elfenbeinernes Horn, beschlagen mit goldenen Reifen, herab. Er setzte es an die Lippen und plötzlich fingen die vierzehn Ritter an zu singen und zu tanzen.

Das ist Gott selber, der uns besucht! rief Hugo. Ich fühle weder Hunger noch Mühe mehr.

O nein, sprach Gerhelm, das ist der Zwerg Oberon: sprich nur kein Wort zu ihm, wenn Du nicht ewig in seiner Gewalt bleiben willst.

Der Zwerg näherte sich und sprach mit klarer Stimme:

Seid mir gegrüßt in meinem Walde, ihr vierzehn Mannen, ich grüße Euch im Namen des wahren Gottes; und bei diesem Gott, beim Wasser, dem Chrysam und dem Salze der heiligen Taufe beschwöre ich Euch um Euren Gegengruß!

Aber die vierzehn Ritter ließen ihre Pferde dort stehen und gebrauchten alle ihre Beine, sich davon zu machen.

Oberons Augen flammten vor Wut; er schlug mit einem Finger auf sein Horn und alsobald erhob sich ein furchtbarer Sturm. Wind und Regen wüteten, der Blitz zerschmetterte die Bäume, wilde Tiere stoben betäubt nach allen Seiten. Die Ritter flohen voll Entsetzen. Aber bald fanden sie sich vor einem schäumenden Wildbach, der mit Getose überschwoll.

Wehe uns! rief Hugo, wir sind verloren. Welche Thorheit von mir, diesen Zauberwald zu betreten!

Fürchte nichts, sprach Gerhelm, all dies ist nur Blendwerk. Wir können diesen Wildbach trockenen Fußes durchschreiten.

Aber im selben Augenblick war auch alles verschwunden und der Sturm hatte sich gelegt.

Bei meiner Treue, sagte Hugo, Gott hat uns behütet; aber ich habe niemals in meinem Leben solchen Schrecken verspürt!

Unsere Ritter kehrten zu ihren Rossen zurück, schwangen sich in den Sattel und setzten ihren Weg fort.

Wohlan! sprach Hugo, wir sind ihm glücklich entkommen.

Ei, erwiderte Gerhelm, wir sind ihn noch immer nicht los!

Während sie so sprachen und eben eine kleine Brücke übersetzen wollten, sahen sie plötzlich wieder den Zwerg vor sich.

Hugo riß sein Roß zurück, machte das Kreuz und rief:

O Gott! da ist denn wieder dieser Höllengeist!

Du sprichst nicht recht, Ritter, sprach der Zwerg: ich bin weder ein Dämon noch ein böser Geist; ich bin ein Mensch von Fleisch und Blut wie Ihr anderen; aber noch einmal, ich beschwöre Euch im Namen des Herrn, der alles erschaffen hat, bei der heiligen Taufe und bei der Gewalt, die mir Gott verliehen hat: antwortet mir!

Aber Gerhelm rief: Laßt uns fliehen! Wenn man ihn anhörte, er würde alle Welt verführen.

Sie setzten ihre Rosse in Galopp und flüchteten. Dabei sahen sie sich oftmals um, aus Furcht, ihn auf ihren Fersen zu sehen. Aber auf einmal fühlen sie sich wie festgebannt; sie hören den Klang seines Zauberhornes, beginnen dazu zu singen, und sogar ihre Rosse tanzen unter ihnen.

.

Oberon erscheint dem Hugo.

Oberon, der ihnen entrüstet nachsah, sprach zu sich selbst: Diese Thoren glauben mir zu entwischen, aber da sie nicht Vernunft hören wollen, sollen sie es teuer büßen.

Dabei schlug er mit seinem Horn dreimal auf seinen silbernen Bogen; alsobald umgaben ihn vierhundert Reiter, und alle riefen: Was befiehlst Du, König?

Ich will es Euch sagen, obwohl mein Herz darüber in Trauer ist; aber nachdem sie mir nicht das zollen wollen, was sie mir schulden, so mögen sie es teuer büßen. Vierzehn fränkische Ritter ziehen durch meinen Forst: obwohl ich sie höflich begrüßte, haben sie mir doch Antwort und Gegengruß verweigert. Setzt ihnen nach und tötet sie.

Da trat Gloriant, der beste von Oberons Rittern, vor und sprach:

O König, thue nicht also. Prüfe sie noch, ehe Du sie verurteilst. Sie wissen ja nicht, mit wem sie es zu thun haben. Beruhige sie durch gute Worte, und wenn sie Dir dann immer noch nicht Rede stehen, dann wehe dem, der noch Mitleid mit ihnen hat!

Ich bin es zufrieden, sprach Oberon.

Die Franken hatten sich indes von ihrem Schrecken etwas erholt und ritten weiter durch den Forst. Da sprach Hugo wieder zu Gerhelm:

Nun sind wir wohl schon so weit gekommen, daß ich meine, wir sind den bösen Zwerg los. Aber das muß ich Dir sagen, daß ich noch niemals ein so wunderschönes Wesen geschaut habe. O Gott! wie ist sein Anblick so zierlich! Wie ist der Ton seiner Stimme so süß, und wie schön spricht er sogar von Gott! Wenn Beelzebub selber also spräche, man müßte ihm antworten. Wie kann ein solches Wesen böse und gefährlich sein! Er dünkt mich ein Knabe von kaum fünf Jahren.

Was, ein Kind? rief Gerhelm. Wisse, daß dies kleine Kind schon vor Christi Geburt auf der Welt war.

Das thut nichts, sprach Hugo. Aber ich bitte Dich, nimm mirs nicht übel, wenn ich Dir erkläre, daß ich ihm jedenfalls antworten werde, wenn er wieder kommen sollte.

Er hatte diese Worte noch nicht beendet, als Oberon bereits vor ihnen stand und sagte: Nun wohlan, meine Herren, habt Ihrs Euch überlegt? Zum letztenmal komme ich Euch zu grüßen; zum letztenmal, im Namen Gottes und bei der Gewalt, die er mir gegeben hat, beschwöre ich Euch, mir Rede zu stehen. Ihr seid wahrhaftig Thoren, wenn Ihr vermeint, daß Ihr meinen Forst ungestraft durchwandern könnt, ohne mir die gebührende Rücksicht zu schenken! Aber höret mich wohl an: Ihr könnt mir so wenig entrinnen, als ein Ochs in den Himmel fliegen kann. Wohlan, Hugo von Aquitanien! ich kenne Dich gar wohl und weiß alles, was Dir geschehen und wohin Du willst. Du hast den Sohn Kaiser Karls des Großen getötet, Du hast Amalrich besiegt, der Kaiser hat Dir Dein Lehen entzogen, er schickt Dich mit gefährlicher Botschaft zum Emir Galdis nach Babylon. Wähne nicht, daß Du ohne meinen mächtigen Schutz solches ausrichten kannst. Sprich zu mir, und ich will Dir helfen, Deine Aufgabe zu erfüllen; ich werde Dich dort beim Emir beschützen, ich werde Dir zu seinem weißen Schnurrbart und zu den vier weißen Stockzähnen seines Gebisses verhelfen. Ich werde Dich sicher und heil mit all Deinen Begleitern in die Heimat zurückgeleiten, wenn Du nicht durch eigene Schuld es verhinderst. Ich weiß wohl, daß Du zu mir gesprochen hättest ohne dieses Plappermaul, diesen Gerhelm da. Aber ich will Dir noch ein anderes Vergnügen bereiten, wenn Du mir antworten willst. Ihr habt seit drei Tagen schon keine gute Mahlzeit mehr gehabt: ich will Dir nun eine zurüsten mit allen Speisen und Getränken, die Du nur wünschen magst, und gleich nach genossener Mahlzeit will ich Dir auch Urlaub geben weiter zu ziehen. Fürchte nichts: Ihr sollt vollkommene Freiheit haben.

Nun, Du Wunderkönig, sprach Hugo erfreut, so sei uns allen hochwillkommen!

Hei, sagte Oberon, das ist ein gutes Wort. Niemals soll ein schöner Gruß besser belohnt sein als dieser da.

Ist dies alles wahr? sprach Hugo. Ich wundere mich über die Maßen, warum Du, o mächtiger König, Dich so sehr um uns bekümmerst.

Darauf versetzte der Elfenkönig: Ich liebe Dich, weil Du das rechtschaffenste Herz hast, das ich jemals an einem Menschen finden konnte. Du weißt nicht, wer ich bin. So höre! Mein Vater war Julius Cäsar und meine Mutter war die Fee Morgane. Meine Geburt wurde durch große Feste gefeiert; drei Feeen kamen, meine Mutter zu besuchen und mir ein heilvolles Geschick anzuwünschen. Darunter war aber eine, die vermeinte, man hätte ihr nicht genug Ehre erwiesen: darum bestimmte sie mir als Gabe, daß ich nach drei Jahren nicht mehr wachsen, sondern immer so zwerghaft bleiben solle, wie Du mich hier siehst. Sie bereute wohl sogleich diesen Zauberwunsch, kaum daß sie ihn ausgesprochen, und gab mir zum Ersatz ein anderes Geschenk, daß ich nämlich nach Gott das schönste Wesen auf der Welt sein solle, so schön wie die Sommersonne. Die zweite Fee verlieh mir eine bessere Gabe: die Macht, die Herzen und Gedanken der Menschen, alle ihre Handlungen und Sünden zu durchschauen und zu erkennen. Die dritte Fee aber hat mich am allerreichsten begabt: es ist nämlich kein Land noch Reich bis zum Dürren Baum am Ende der Welt, wohin ich mich nicht durch meinen Willen im Augenblicke selbst versetzen kann, und zwar mit soviel Leuten als ich nur wünsche. Meine Hauptstadt Monmur liegt mehr als vierhundert Meilen weit von hier; ich bin schneller dort, als ein Pferd ein Joch Landes durchrennt. Und wenn ich mir einen Palast mit großen Säulen und vielen Stockwerken wünsche, so steht er mir sogleich zu meiner Verfügung. Ich brauche nur zu wünschen, um alle erdenklichen Speisen und Getränke zur Stelle zu haben. Aber das ist noch gar nichts; denn zu diesen Feeengaben hat mir Gott der Herr selber noch ein viel höheres Gut gefügt: ich mag so lange leben, als ich wünsche, niemals werde ich altern, mein Sitz im Himmel ist schon bereit, ich kenne alle Geheimnisse des Paradieses und höre schon hier den Gesang der Engel.

Das sind freilich schöne Gaben, meinte Hugo.

König Oberon aber fuhr fort: Wie gut hast Du gethan, Hugo, mir zu antworten! Das war das glücklichste Wort, das je über Deine Lippen kam. Nun höre: wo willst Du jetzt essen? auf einer Wiese, im Walde oder in einer Halle?

Ach König, antwortete Hugo, das gilt mir gleich, wenn ich nur etwas zu essen bekomme.

König Oberon hörte diese Rede mit Lachen und sprach: So legt Euch alle hier aufs Gras und wisset, daß alles, was Ihr sehen werdet, mit Gottes Hilfe geschieht.

Sie lagerten sich auf den Rasen. Oberon that seinen Wunsch und sagte alsbald zu ihnen: nun stehet auf!

Sie gehorchten und erblickten vor sich einen großen und glänzenden Palast: viele Stockwerke erhoben sich übereinander und hohe Türme überragten noch das Ganze; eine breite Freitreppe von Marmor führte auf einen großen Saal. Es war, als ob dies Wunderwerk von jeher da gewesen sei. Die Ritter stiegen voll Erstaunen und ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, die Stufen empor. In der Halle fanden sie eine große Tafel aufgeschlagen und reich gedeckt, rings um dieselbe vierzehn Sitze, an einem Ende einen Elfenbeinstuhl mit Gold eingelegt, den die Feeen einst dem großen König Alexander geschenkt hatten, von dem er wieder bis auf Julius Cäsar gekommen war.

Darauf nahm König Oberon Platz und lud Hugo an seine Seite; Edelknappen brachten ihnen in goldenen Becken Wasser, die Hände zu waschen.

Jung Hugo speiste mit großem Appetit. Oberon betrachtete ihn mit Zärtlichkeit und schnitt ihm selber Brot und Fleisch vor; nur Gerhelm aß nicht, die Thränen liefen ihm vielmehr auf den Teller herab.

Da sprach Oberon lächelnd zu ihm:

Iß und trink doch, Meister Gerhelm, und fürchte nichts. Gleich nach dem Essen sollt ihr von hier fortkommen.

Da begann der greise Gerhelm sich ein wenig zu getrösten und auch zuzulangen.

Als das Mahl zu Ende war, erhob sich Hugo und sprach zum Zwergkönig:

Wohlan, Herr, mit Deiner Erlaubnis möchten wir nun gerne unseren Weg fortsetzen.

Warte noch einen Augenblick, sprach Oberon; ich will nicht, daß Du ohne Geschenk von mir gehest. Gloriant, bring' mir meinen Humpen.

Als ihm dieser gebracht wurde, sprach er so zu Hugo:

Mein Sohn, betrachte diesen Humpen: Du wirst daran meine große Macht erkennen. Du siehst, er ist jetzt leer? Nun gut! Sieh nur!

Damit stellte er ihn auf die Tafel, machte das Zeichen des Kreuzes darüber und der Humpen füllte sich mit frischem, purpurnem Weine.

Du kennst nun, Hugo, die Tugend dieses Humpen. Wisse, daß wenn alle Lebenden hier versammelt wären und dazu alle bereits Verstorbenen wieder auferstünden, dieser Humpen ihnen allen Wein zur Genüge gewähren könnte. Aber er hat noch eine höhere Würde: nur ein Biedermann, der frei von schwerer Sünde ist, vermag daraus zu trinken. Sobald ein Böser mit seinen Lippen ihn berührt, verliert der Humpen all seine Kraft. Versuche ihn: wenn Du davon trinken kannst, so sei er Dir geschenkt.

Großen Dank, Herr, sprach Hugo; aber ich fürchte sehr, daß ich unwürdig bin, daraus zu trinken, obwohl ich erst jüngst dem Papste zu Rom gebeichtet habe; ich habe damals die Lossprechung von meinen Todsünden empfangen und fühle keinen Haß in meinem Herzen gegen niemand.

Damit trat er hinzu, hob den vollen Humpen und leerte ihn auf einen Zug.

Wahrlich, sprach Oberon, ich kannte Dein Herz, Hugo, ich wußte, daß Du ein Biedermann seist: ich will Dir denn auch helfen; rechne nur auf mich! Den Humpen schenk ich Dir; aber wisse, daß Du alsobald seine Kraft und meine Freundschaft verscherzest, wenn Du nur eine einzige Lüge sprichst.

Guter König, sprach Hugo, ich werde mich wohl hüten, und nunmehr möchte ich gerne Abschied nehmen.

Warte, sprach Oberon, ich habe noch ein anderes Geschenk für Dich; nimm dieses Elfenbeinhorn mit goldenen Reifen und häng' es um Deine Schultern. Wenn Du es blasen wirst, so wird jeder, der es hört, anfangen zu singen und zu tanzen, und so ferne Du auch sein magst, ich werde seinen Ruf in meiner Hauptstadt Monmur hören und alsogleich mit tausend gewappneten Mannen Dir zu Hilfe eilen. Aber ich verbiete Dir das Horn zu blasen, wenn Du nicht in wahrhafter Gefahr bist. Vergiß das nicht, sonst würdest Du vergebens auf meine Hilfe rechnen.

Herr, ich bedanke mich nochmals, sprach Hugo. Aber nunmehr bitte ich um meinen Urlaub.

So gehe, sprach Oberon, und sei Gott befohlen!

Hugo und seine Genossen stiegen also die Treppe hinab und fanden unten ihre Rosse. Sie schwangen sich hinauf, Hugo befestigte den goldenen Humpen an seinem Gürtel, das Elfenbeinhorn hängte er sich um den Hals. Bevor sie davon ritten, umarmte Oberon noch Siegwins edlen Sohn, und Thränen entstürzten seinen Augen.

Was habt Ihr, edler Herr? sprach Hugo; warum weinet Ihr?

O mein Freund, antwortete Oberon, Du entführst mein Herz mit Dir. Aber ich kann nicht weiter sprechen … so zieh' dahin in Gottes Hut!

Die vierzehn Ritter setzten also ihre Reise fort, indem sie sich über Oberon und über seine Wunder lebhaft unterhielten. Bald fanden sie sich am Ufer eines Flusses, sahen aber weder Brücke noch Furt; sie blieben fassungslos stehen und wußten nicht was thun. Aber ein Bote Oberons war ihnen nachgefolgt; in seiner Hand hielt er eine goldene Rute. Damit trat er, ohne ein Wort an irgend wen zu richten, bis zum Ufer vor und schlug auf das Wasser. Alsobald blieb das herzufließende Wasser stehen und erhob sich wie eine Mauer. Darauf verschwand der Bote. Hugo und seine Mannen durchritten trockenen Fußes den Fluß; als sie sich darauf umblickten, sahen sie, daß das Wasser wieder seinen alten Lauf genommen hatte.

Meiner Treu! sprach Hugo, das ist wieder eines von den Wundern Oberons. Er hat uns nichts als Gutes erwiesen; aber, mag er nun gut oder böse sein, wir sind jetzt außerhalb seines Machtbereichs und brauchen ihn nicht mehr zu fürchten.

Fürwahr! sprach Gerhelm, Du hast dabei mehr Glück gehabt, als irgend einer vor Dir.

Während sie also sprachen, gelangten sie auf eine schattige Wiese, wo eine klare Quelle sprudelte. Da sagte Hugo:

Hier ist ein schöner Platz, hier wäre es gut, Halt zu machen und das Abendessen einzunehmen. Oberon hat uns ja genug Vorräte mitgegeben; breitet hier die Tischtücher auf dem Rasen aus und laßt uns sehen, ob der Humpen seine Pflicht thut!

Sie setzten sich nieder, aßen und ließen den Humpen kreisen, der sich in Hugos Händen immer wieder füllte.

Bei meiner Treue! sprach Hugo, Gott selber hat mirs eingegeben, mit diesem Zwerg zu sprechen. Er muß mich wahrhaft lieben, da er mir ein so unschätzbares Geschenk gemacht hat. Wenn ich wieder heimkomme, werde ich mir das Vergnügen machen, den Humpen dem Kaiser anzubieten: wenn er nicht daraus zu trinken vermag, so werden wir viel zu lachen haben. Aber ach! was rede ich da? An welche Narrheiten denke ich hier? Wer weiß, ob ich jemals die Heimat wieder sehen soll. Ich wäre getroster, wenn ich an die Tugend dieses Hornes glauben dürfte. Wahrlich, ich muß es doch einmal versuchen, damit ich sicher bin, ob Oberon meinen Ruf auch thatsächlich hört.

Wirklich setzte er das Horn an die Lippen, aber Gerhelm fiel ihm schnell in den Arm.

Was denkst Du? rief er. Hast Du vergessen, was er Dir eingeschärft hat. Wenn Du das Horn ohne Not blasen willst, so wird er Dich dafür bestrafen.

Zum Teufel, rief Hugo, erspare mir Deine Ratschläge!

Er nahm das Horn und ließ es in langen Tönen erklingen. Alsbald begannen Gerhelm und die anderen mit großem Ergötzen zu singen und zu tanzen.

Fahre fort, mein Sohn, fahre fort! schrie der alte Gerhelm. Blase zu, und Gott segne Dich dafür, sowie den, der Dir das Horn gegeben hat.

Und Hugo fuhr fort zu blasen, sodaß das Echo nah und fern wiederhallte. Oberon vernahm es in seinem Forst und sprach zu sich:

O Gott, ich höre meinen Freund mich rufen, ihn, den ich von allen Menschen auf der Welt am meisten liebe; eine Gefahr bedroht ihn. Wohlan, so wünsche ich mich in seine Nähe mit hunderttausend gewappneten Kriegern!

Auf einmal sah Hugo vor sich unzählige Helme glänzen und sich schleunig nähern. An der Spitze jagte Oberon einher.

Weh uns! Wir sind verloren! Es ist um uns geschehen! schrie der alte Gerhelm.

Schweig, sagte Hugo; laß mich nur sprechen.

Oberons Augen flammten vor Zorn und er rief:

Unglückseliger Hugo, wo ist der Feind, der Dich bedroht? Wie hast Du so schnell meiner Gebote vergessen können?

Da sagte Hugo unerschrocken und frei:

Lieber König Oberon, um der Liebe Gottes willen, verzeihe mir; ich will Dir alles gestehen. Wir haben hier auf diesem schönen Rasen Halt gemacht, um zu Abend zu essen, wir haben Deinen Humpen versucht und ihn erprobt gefunden; aber noch hatte ich keinen Versuch mit dem Horn gemacht, und ich durfte mich doch nicht in die Gefahren stürzen, die mir bevorstehen, ohne mich vollkommen versichert zu haben, daß ich mich auch auf Dich verlassen kann. Nunmehr aber weiß ich, daß all Deine Worte wahrhaft sind und es reut mich, daß ich daran einen Augenblick gezweifelt habe. Verzeihe mir um der Liebe Gottes willen, oder, wohlan, nimm hier mein Schwert und töte mich!

Oberon lächelte und sprach:

Du hast weiser gesprochen, als gehandelt. Ich verzeihe Dir. Aber höre nun. Du wirst bald auf diesem Wege zur Stadt Tormund kommen; sie gehört dem Herzog Eudo, einem Verräter ohne gleichen, und dennoch ist er Dein Oheim, der Bruder Deines Vaters; Du hast vielleicht schon von ihm reden hören? Dereinst hatte er, unter dem Namen Wilhelm, gegen den Kaiser sich verschworen, und er entging nur dadurch dem Tode, daß er eine Wallfahrt zum Heiligen Grabe gelobte. Aber als er zu den Heiden kam, verleugnete er sein Christentum; nunmehr verehrt er Mahomed und den bösen Feind, und der Verräter ist so erbittert gegen seinen alten Glauben, daß er alle Christen, deren er habhaft werden kann, henken oder in den Kerker werfen läßt. Wenn er Dich fassen kann, wird er Dir desgleichen thun. Wenn Du mir daher Glauben schenkst, so vermeide den Eintritt in die Stadt Tormund.

Hugo jedoch erwiderte auf dies Ansinnen:

Aber König Oberon, was sprichst Du da? Wie sollte ich nicht meinem Oheim einen Besuch machen? Ist er wirklich so, wie Du sagst, so werde ich ihm den Kopf von den Schultern fliegen lassen; und wenn ich in Gefahr kommen sollte, dann blase ich einfach Dein Horn, und Du kommst mir zu Hilfe, nicht wahr?

Lächelnd entgegnete Oberon:

Das ist wahr, mein Hugo, aber wenn Du meine Freundschaft nicht verscherzen willst, so empfehle ich Dir so teuer wie Dein Augenlicht, blase das Horn nur, wenn Du schwer verwundet oder in unmittelbarer Todesgefahr bist.

Zuversichtlich fiel ihm Hugo in die Rede:

Ja, König Oberon, fürchte nichts: für alles Gold der Welt will ich dies Horn nicht mehr meinen Lippen nähern, außer wenn ich schwer verwundet oder in unmittelbarer Todesgefahr sein sollte.

Hugo nahm Abschied, Oberon aber betrachtete ihn mit Wehmut und seine Augen füllten sich mit Thränen.

Verwundert fragte Hugo:

Um Gottes Willen, was hast Du, o König?

Traurig sprach Oberon:

Ich habe großes Mitleid mit Dir, mein Hugo denn ich sage Dir, kein Mensch vermag sich die großen Leiden und Arbeiten vorzustellen, die Dich erwarten … Aber gehe nun, und Gott möge Dich bewahren.



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