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Achtzehntes Kapitel.
Oberon in Burdigal.

. Oberon war eben in seinem großen Wunderwald, allwo seine Zaubergewalt einen herrlichen Palast hatte erstehen lassen; er saß zu Tische, umgeben von seinen Elfenscharen; aber er aß nichts, er war nachdenklich und Thränen rollten von seinen Augen.

Seine Mannen fragten ihn, was ihm fehle, und er antwortete:

O meine Getreuen, ich denke an einen Unglückseligen, den ich so zärtlich geliebt habe: es ist jener Ritter Hugo von Aquitanien. Er hat seine Fehler schwer gebüßt. Nun ist er in sein Land zurückgekehrt mit seinem Weib, das ihm zu Rom angetraut wurde, nachdem sie die Taufe, und er die Lossprechung seiner Sünden durch den Papst empfangen hat. Nun aber hat ihn sein eigener Bruder treuloser Weise verraten, und er befindet sich jetzt in der größten Gefahr, die ihm jemals drohte. In seiner eigenen Stadt, in seiner eigenen Burg ist er gefangen, an den Füßen gefesselt. Kaiser Karl der Große hat bei seinem weißen Barte geschworen, daß er nur einmal essen werde, bevor er seine Hinrichtung schaue; aber, bei Gott! Er wird diesmal an seinem weißen Barte meineidig werden, denn ich will meinen Freund retten. Somit wünsche ich meine Tafel in die Halle der Herrenburg zu Burdigal, vor derjenigen, daran Herr Karl speist, und noch um zwei Fuß höher, als die seinige; und ich wünsche zugleich auf die Tafel hin meinen guten Humpen und mein Horn von Elfenbein und mein Panzerhemd; und endlich wünsche ich dahin hunderttausend bewaffnete Reisige.

In diesem Augenblick war sein Wunsch auch schon erfüllt. Seine Tafel befand sich auf einmal auf der Bühne der Halle zu Seiten der kaiserlichen Tafel, aber noch um zwei Fuß höher; und auf der Tafel lagen das Horn, der Humpen und das Panzerhemd.

Ganz erschrocken sagte Kaiser Karl zu Naims: Was ist denn das? Sieh doch hin; das ist Zauberei!

Auch alle Herren und Ritter staunten darob nicht wenig.

Da hob auch Gerhelm den Kopf, erblickte den Halsberg, den goldenen Humpen und das Horn von Elfenbein, voller Freude erkannte er die Kleinode und sprach zu Hugo:

O Freund, fasse Mut, ich sehe dort Dein gutes Panzerhemd, Dein Horn von Elfenbein und Deinen goldenen Humpen; ich denke, das deutet auf Hilfe!

Nun blickte auch Hugo hin, hob die Arme zum Himmel und rief:

O Gott, ich danke Dir! Mein freundlicher Elfenkönig hat doch nicht mein vergessen!

In diesem Augenblick ritt auch schon Oberon mit seinem ungeheuren Heere in die Stadt ein. In unglaublicher Schnelligkeit erfüllten sich die großen Straßen mit den elfischen Reitern; Oberon eilte zur Burg und stieg die Marmorstufen hinauf, begleitet von einem glänzenden Gefolge. Er war in den köstlichsten Seidenstoff gekleidet, den goldene Buckeln und Spangen über der Brust zusammenhielten; er strahlte wie die Sommersonne. Er schritt behende vor dem Kaiser vorbei, ohne ihn eines Blicks zu würdigen, und streifte dessen Schulter so heftig, daß ihm die kaiserliche Krone vom Haupte flog.

Ha, rief Herr Karl, wer ist denn dieser Zwerg, der also stoßt? Er hat mich fast vom Stuhl geschleudert und ist so stolz, daß er mich kaum zu bemerken scheint. Was denkt er sich denn! Aber, bei unserer lieben Frau, ich muß gestehen, daß er schön ist.

Oberon ging gerade auf Hugo zu und hieß ihn sich erheben: da fielen seine Elfenfesseln von ihm ab, und ebenso geschah es bei Klarmunden und Gerhelm. Dann führte er alle drei an seinen Tisch und ließ sie an seiner Seite Platz nehmen. Er nahm darauf seinen guten Humpen, machte darüber das Zeichen des Kreuzes, und der Humpen füllte sich mit rotem Wein. Er bot ihn Klarmunden: sie trank und reichte ihn dem Hugo weiter, der ebenso trank, wie auch Gerhelm.

Nun sagte Oberon: Hugo, nimm nun diesen Humpen und biete ihn dem Kaiser Karl dem Großen; sag' ihm, er möge ihn zum Zeichen des Friedens austrinken und nicht verschmähen.

Kaiser Karl wußte nicht, was er davon denken sollte; so schwieg er also beim Anblick all dieser Wunder. Hugo erhob sich, nahm den Humpen, der bis zum Rand voll war, näherte sich dem Kaiser und bot ihm denselben dar.

Herr Karl wagte nicht den Trank zurückzuweisen. Er faßte nach dem Humpen; aber kaum hatte er ihn berührt, so war der Wein verschwunden.

Ha, rief der Kaiser, das ist Zauberei!

Nein, sagte Oberon, das ist Deine Bosheit; denn dieser Humpen hat die Würde, daß nur ein Biedermann und Sündloser daraus trinken kann. O Kaiser Karl, ich weiß gar wohl von einer großen Sünde, die Du vor langer Zeit begangen und doch noch nie gebeichtet hast. Wenn ich mich nicht scheute, Dir die Schande anzuthun, so würde ich es hier aller Welt künden.

Der Kaiser senkte zitternd das Haupt, aus Furcht, daß Oberon ihm die Schmach anthue.

Hugo aber nahm den guten Humpen wieder und trug ihn zum Herzog Naims, der leerte ihn auf einen Zug; aber außer ihm war in der ganzen Halle kein einziger Baron, der den Humpen berühren konnte, ohne daß der Wein verschwunden wäre.

Hugo kehrte wieder zu Oberon zurück, und dieser rief den Herzog Naims:

Herzog von Baiern, Du bist ein Biedermann; komm und setze Dich zu uns!

Dann wandte er sich wieder an Karl den Großen und sagte:

Höre mich, Kaiser. Du thatest sehr unrecht, den edlen Hugo auf diese Weise zu behandeln, denn er ist im Recht. Ich bestätige Dir nach der vollen Wahrheit, daß er Deine Botschaft beim Emir Galdis ausgerichtet hat: ich half ihm, ihn zu töten, ich stand dabei, als er ihm seinen Schnurrbart abschnitt und die vier Backenzähne ausriß. Ich war es, der ihm den Rat gegeben hat, sie von Gerhelm bewahren zu lassen. Ich bestätige, daß alles, was er gesagt hat, die reine Wahrheit ist. Gerhard hat seinen Bruder verraten, und ich werde ihn dessen überführen. Tritt näher, Gerhard!

Gerhard wagte keinen Widerstand; er trat vor, zitternd wie ein Blatt im Winde.

Oberon sprach: Nun höre, Gerhard, ich beschwöre Dich bei Gott, die Wahrheit zu sagen, und ich fürchte nicht, daß Du lügen wirst.

Es war dem Gerhard nicht mehr möglich auszuweichen oder zu lügen; also sprach er:

Ja, Herr, es ist wahr: ich ging zum Kloster von St. Moritz, um meinen Bruder abzuholen; mein Schwiegervater Gebwart hatte sich mit sechzig Rittern bei jenem Wald in den Hinterhalt gelegt.

Sprich lauter, sagte Oberon; man versteht Dich nicht.

Was soll ich weiter sagen? fuhr Gerhard fort. Ich habe übel gehandelt, ich sehe es ein. Ich forderte meinen Bruder auf, noch vor der Morgendämmerung das Kloster zu verlassen; als wir in der Nähe des Waldes waren, fing ich mit Hugo Händel an; da kam mein Schwiegervater mit seinen Mannen aus dem Hinterhalt hervor, und wir erschlugen Hugos Gefährten; dann führten wir ihn, sein Weib und den alten Gerhelm gebunden und gefesselt in die Stadt her; dem Gerhelm entriß ich die wohlverwahrten Zähne und den Schnurrbart des Emirs. Wenn ihr wollt, so geh' ich, es zu holen.

Aber Oberon sprach: Denke nicht, daß wir Dich also entschlüpfen lassen; fahre fort!

Wohlan denn! Ich legte meinen Bruder in den Kerker und kehrte dann mit meinem Schwiegervater zum Kloster zurück. Dort forderten wir vom Abt Hugos Reichtümer, die dort verwahrt lagen; da er aber die Auslieferung verweigerte, so töteten wir ihn und setzten einen anderen Abt ein, diesen da nämlich. Wir entführten die Klosterschätze auf zehn Saumtieren, und ich machte damit am Hofe reiche Geschenke. Meine Absicht war, nach Hugos Verurteilung das Erbe zu erlangen. Ich gestehe meine große Verräterei; aber Gebwart, mein Schwiegervater, hat mich dazu verleitet. Ohne ihn hätte ich nicht einen solchen Gedanken gefaßt.

Sei nur ruhig, erwiderte Oberon: das Gericht wird Euch beide treffen, und man wird auch nicht diesen unwürdigen Abt und seinen Mönch vergessen, wegen des falschen Zeugnisses, das sie abgelegt haben.

Freilich, sagte Herr Karl, so ist es recht und billig.

Naims aber sprach zu ihm: Siehst Du nun, o Kaiser, welch großes Unrecht Du zu begehen bereit warst!

Die Fürsten und Herren bekreuzten sich vor Schrecken, als sie solche Scheußlichkeiten vernahmen.

Oberon fragte nun den Gerhard: Wo sind also die Zähne und der Schnurrbart?

O Herr, sie sind sorgfältig eingeschlossen; wenn Du mir erlauben willst, so werde ich sie holen gehen.

Es ist nicht der Mühe wert: ich wünsche sie einfach hierher! sprach Oberon.

Und alsobald lagen sie auch schon vor ihm auf dem Tische zum großen Erstaunen aller.

Nun aber trat Hugo vor Oberon, ließ sich auf ein Knie nieder und sprach:

O Herr, wenn es Dir nicht mißfiele, so würde ich für Gerhard um Gnade bitten. Wir werden Friede machen und in Zukunft gute Brüderschaft halten. Gebwart ist der Hauptschuldige und Anstifter dieser Verräterei. Darum verzeihe meinem Bruder und erlaube mir, daß ich ihm die Hälfte meines Erblands gebe.

Alle hörten dies mit Thränen der Rührung an; aber Oberon sagte:

Beim lebendigen Gott! alles Gold der Welt könnte ihn nicht retten. Ich wünsche daher dort auf diese Wiese hin einen großen Galgen, höher noch als ein Pfeil fliegen kann, und ich wünsche daran Gerhard mit seinem Schwiegervater Gebwart und den Abt mit seinem Mönch.

Kaum hatte er so gesprochen, als man schon von den Fenstern der Halle draußen auf der Wiese einen großen Galgen mit vier Querbalken stehen sah, und an einem jeden hing einer der vier Schurken. Alles staunte gewaltig, und Karl rief:

Der Zwerg ist ja allmächtig!

Oberon aber sagte: Nein, o Kaiser, ich bin ja nicht Gott, sondern nur ein Geschöpf. Ich heiße Oberon und bin zu Monmur geboren: mein Vater war Julius Caesar, derselbe, der die großen Römerstraßen gemacht hat, die man noch jetzt sieht; und meine Mutter ist die Fee Morgane. Bei meiner Geburt waren viele Feen anwesend; eine wünschte mir in ihrem Mißmut, daß ich immer ein Zwerg bleiben solle: so wuchs ich denn auch nicht seit meinem dritten Lebensjahre. Sie bereute aber ihren Schicksalsspruch wieder und wünschte mir zum Ersatz, daß ich das schönste Geschöpf der Welt nach Gott sein solle, so schön wie die Sommersonne. Ich will nicht alle die Gaben aufzählen, die mir die anderen Feen gegeben haben; wisse nur, daß ich als höchstes Gut die Gnade Gottes besitze. Daher schätze ich über alles Treue und Rechtschaffenheit, und deshalb liebe ich auch Hugo, weil er so bieder ist, wie ich es oft erprobt habe. Nun wohlan, Freund Hugo, übergieb hier dem Kaiser Schnurrbart und Zähne: er wird Dir dafür Dein Erbe zurückgeben.

Bei diesen Worten stand Kaiser Karl der Große auf, empfing Hugo in seinen Armen, küßte ihn und sprach:

Alles ist vergeben, nimm Deine Lande wieder ein und laß uns von nun an Freunde sein.

Alle Fürsten und Herren brachen bei diesen Worten des Kaisers in Freudenrufe aus, am meisten aber freute sich der alte Naims.

Oberon sprach nun zu Hugo: Höre mich weiter an: nach drei Jahren sollst Du zu mir nach Monmur kommen; ich werde Dir mein Reich und alle meine Gewalt übergeben, denn ich habe die Befugnis dazu. Du wirst auf Deinem Haupte die Krone des Elfenreiches tragen. Dein Herzogtum übergieb an Gerhelm: er hat es wohl verdient, denn er hat als treuer Genosse viel um Dich gelitten. Ich selber aber will nicht länger auf dieser Erde weilen. Unser Heiland ruft mich zum Paradies, wo mein Sitz schon bereitet ist. Vergiß nicht, was ich Dir gesagt habe und vermeide jeden Streit mit dem Kaiser; er ist Dein Herr, Du bist ihm Treue schuldig.

Darauf nahm König Oberon Abschied von Karl dem Großen; er umarmte Hugo und kehrte mit seinem ganzen Heere nach Monmur zurück. Der Kaiser zog wieder nach Aachen, und Hugo blieb in seiner Stadt Burdigal.

Seine erste Sorge war, nach dem Kloster von St. Moritz zu gehen. Er gab den Mönchen alles zurück, was man ihnen geraubt hatte und fügte noch gute Ländereien hinzu; darauf ließ er von ihnen einen heiligmäßigen Mann zum Abte wählen.

Seine Lehensmannen und die Bürger feierten die Heimkehr mit großen Freudenfesten. Hugo, Klarmunde und Gerhelm waren voller Freude über diesen glücklichen Ausgang all ihrer Abenteuer.

Ich könnte Euch noch viel erzählen von Hugos späteren Abenteuern, wie er die Aepfel der Jugend gewann, wie er nach Oberons Lande kam, wie seine Tochter Jutta Malabruns Gemahlin ward, wie seine andere Tochter Klarisse nach vielen Abenteuern die Gattin des Prinzen Florant von Arragon wurde, wie Hugos Sohn Godin endlich auch Herzog von Aquitanien wurde und noch manches andere. Das gehört aber in andere Geschichten, und wir müssen hier endlich doch einmal unsere Erzählung schließen. Somit grüße ich Euch alle zum Abschied, die Ihr mir gerne zugehört habt, und möge Gott Euch alle wie auch mich, den Erzähler dieser Geschichten, einst aus dieser Welt in sein heiliges Paradies geleiten.



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