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Ortnid. Der Ortnid und der Wolfdietrich des deutschen Heldenbuchs behandeln die Geschichten der nächsten Generation nach Hugdietrich. Wenn also der Hugdietrich die sagenhafte Geschichte des Kaisers Theodosius des Großen giebt, so muß Ortnid und Wolfdietrich den Söhnen des Theodosius, Honorius und Arkadius entsprechen. Ortnid-Honorius erscheint in der Sage wohl nicht als der leibliche Bruder des Wolfdietrich-Arkadius, wohl aber als sein Bundesbruder. In der Person des Ortnid, in seiner Genealogie, in seinen Thaten und seinen Schicksalen verkörpert die deutsche Sage im allgemeinen den Eindruck, den das weströmische Kaisertum auf die germanischen Nationen hervorbrachte, die ja schon seit langem sich gewöhnt hatten, sich als die Stützen dieses Reichs zu betrachten. Der Ortnid ist also ein Teil der römischen Kaisersage, wie sie seit Julius Cäsar sich in der Phantasie der Germanen ausgeprägt hatte und wie sie in der deutschen Kaiserchronik und verwandten Quellen vorliegt. Die Ortnidsage deshalb, weil er oft ein »Lamparte« genannt wird, für eine langobardische Stammsage anzusehen, wie gewöhnlich geschieht, ist ganz unzutreffend. Kaiser Ortnid wird Lombarde genannt, weil er außer in Rom auch mit Vorliebe auf seiner Burg Garda in der später sogenannten Lombardei haust. Er und seine Vorfahren werden nicht als Langobardenherzöge geschildert, sondern als römische Weltkaiser.

Die Sage giebt dem Ortnid als Ratgeber seinen Oheim den König Ilias von Reußen zur Seite. Eine gleichnamige Gestalt kommt allerdings im russischen Epos von Wladimir und seiner Tafelrunde vor, doch mag man auch an den Vormund, Reichsverweser und Schwiegervater des Honorius, den Vandalen Stilicho denken. Beim Zwergenkönig Alberich, der sich für den Vater des Ortnid ausgiebt, der ihm die Hand einer Heidenprinzessin verschafft, der ihm aber schließlich nicht helfen kann im Kampf gegen die Tod bringenden Drachen, ist eine Erinnerung an den westgotischen Balthen Alarich nicht ausgeschlossen. Daß aber in Alberich zugleich ein göttliches Wesen steckt, geht aus seinem ganzen wunderbaren Wirken hervor, auch daraus, daß er mit dem alten Götterberg Kaukasus in Verbindung steht. Er ist ein Albe vom Elbrus, er stammt wie die Asen aus dem alten Asenland Asien. Die Volksphantasie verschmelzt eben hier wie überall Geschichte und Mythus.

In Sidrat (Desiderata) oder Liebgard scheinen Züge der historischen Plazidia, der Schwester des Honorius, verwebt zu sein, die auch eine Zeit der Bedrängnis durchzumachen hatte. Sie wurde, nachdem sie den Goten als Geisel gedient, vom Westgoten Athaulf, dem Nachfolger des Alarich, zur Gattin genommen.

Es mag noch erwähnt werden, daß Ortnid oder, wie er auch heißt, Otnid, stark anklingt an Odenathus, den Gatten der Zenobia in Palmyra, der Mesopotamien von den Neupersern wieder zurückeroberte und von Gallienus (260-268) als Mitregent anerkannt wurde, ebenso wie ein Tetrikus (Dietrich) in Gallien und Spanien sich damals behauptete. Vielleicht ist Montabur nicht Tabor, sondern Thadmor = Palmyra. Unter dem Heidenkönig, der in »Dietrichs Flucht« Godian, im Ortnid selber Machorel heißt, ist wohl einer der Sassanidenfürsten zu verstehen. Madain am Tigris war deren Winterresidenz, das alte Ktesiphon. Vielleicht ist Machorel eine Verderbnis von Sapor.

Der Ortnid ist uns in einem in gereimten Langzeilen abgefaßten Gedicht des dreizehnten Jahrhunderts erhalten. Er wurde im fünfzehnten Jahrhundert als Teil des Heldenbuchs gedruckt, im sechzehnten Jahrhundert von Jakob Ayrer dramatisiert. Die Geschichten seiner Vorväter sind durch ein anderes Gedicht des dreizehnten Jahrhunderts von Dietrichs Flucht, oder wie es sich selber nennt »das Buch von Berne« erhalten. Es ist in kurzen Reimpaaren abgefaßt. Vielleicht liegt im Dietwart eine Erinnerung an Theodosius, den Vater des großen Theodosius, der aus Spanien stammte.

Ortnid und Alberich

Kaiser Ortnid ist der Nachkomme Dietwarts und Minues. Dietwarts Sohn Siegeher freit Amelgard von Normandie. Deren Sohn Ortnid beschließt mit Alberichs, des Zwergenkönigs, Hilfe eine Meerfahrt, um die syrische Prinzessin Sidrat zu freien.

 

Nun lassen wir die Mären von Wolfdietrichen stehn
Und wollen zu neuen Mären von Kaiser Ortnid gehn
Und manchem andern Helden, der auch nach Ehren rang
Und viele starke Feinde in fernem Land bezwang.

Es wuchs in römischen Landen ein König reich und hehr,
Geheißen war er Dietwart, er saß am Wendelmeer, Mittelmeer.
Zu Rom der reichen Burge weithin wohlbekannt.
Mehr als vierzehn Lande dienten seiner Hand.
Vierundzwanzig Räte pflagen sein mit Fleiß;
Die rieten ihm das beste, daß er errang den Preis.
Da war der Landgraf Erewin, ein auserwählter Degen,
Da war der Herzog Hermann, getreu, des Herrn zu pflegen.
Da war der Herzog Abel und Kandung von Spolet Spoleto.
Und von Tuskan Toscana. Herr Iwan, die Mannen treu und stät.
Da war Ruan von Barut Bari?, ein Recke stark und gut;
Arnold hieß sein Bruder, gar stolz und hochgemut.
Da war der edle Berchtram, da war auch Baldewin,
Der hatte einen Bruder, den mannlichen Balin.
Da waren noch zwei Brüder, der edle Turian
Und Mimung, der die Lande zu Isterreich Istrien. gewann.
Da war Biterung von Heste, Este. am meisten doch bekannt
War jener treue Recke, der Berchtung ist genannt.
Sein Vater war von Griechenland und hieß Wizlan, er hatte
Des Herzogs Hermann Schwester zur Eh' als treuer Gatte.
Da war der kluge Tibald geboren von Pullenland, Apulien.
Ein guter Redegeselle, der bald den Tod drauf fand.
Da war der edle Balmung von Kalaber Calabrien. genannt,
Dann war der tapfre Reinher, Fürst von Cecilienland Sicilien..
Da war der kühne Hunold zu Schwaben überm Rhein,
Und Diepold auch zu Franken, von jedem Makel rein.
Herzog zu Westfalen war Siegeher der Recke,
Und Herzog zu Zähringen der Fürst Wigold der Kecke.
Der letzte der ist Friedger; nun hab' ich alle genannt.
Das waren alles Fürsten und hatten reiches Land.

Es lebte in blühenden Tugenden Dietwart dreißig Jahr,
Bis er erwuchs zu Manne und Ritter worden war.
Da rieten ihm seine Mannen, daß er sich nehme ein Weib,
Davon geteuert würde sein Land und auch sein Leib.
Und seiner Räte Lehre behagte Dietwart wohl,
Er folgte ihnen gerne, wie man den Freunden soll.
Er hieß ein Weib sie suchen, die beste, die man da
In allen Reichen konnte finden fern und nah.

Minne war geheißen König Ladiners Kind,
Die schönste aller Frauen, die auf der Erde sind.
Sie saß auf hohem Schlosse, Valdanis genannt,
Rother hieß ihr Bruder, Westermeer Hesperien, Estremadura; Portugal. das Land.
Da fuhren mit reichem Gute Starkher und Erewin,
Arnold der Hochgemute, als vierter Baldewin,
Die Werber Königs Dietwarts, nach Westermeer ins Land,
Und warben bei König Ladiner um der schönen Minne Hand.
Mit guter Zucht empfing sie Ladiner der Held,
Und sprach, er wolle geben die Tochter auserwählt,
Dazu die Stadt zu Mundal und Portegal Oporto. am Meer,
Doch seinem Sohne Rother, dem gab er Westermeer.

Es war in jenen Tagen, da sich alles mai't
Und da die Heide sich blümet zur süßen Sommerzeit,
Da fuhr zu Schiffe Dietwart wohl mit viertausend Mann.
Die Mark daheim zu schützen blieb Reinher und Iwan.
Sie waren nur acht Tage gefahren auf dem See,
Da kam ein Sturm, ein wilder, der that den Schiffen weh
Und schlug sie an ein Eiland. Der König ankern hieß.
Man ließ die Segel nieder, die Schiffe man verließ.
So saßen sie nun dorten und klagten ihr Unglück sehr.
Da kam ein ungeheurer Lindwurm im Sturm daher,
Dem fuhr das wilde Feuer aus seinem schrecklichen Mund.
Wenn er erhub die Stimme, so bebte der Erdengrund.
Da ließ Dietwart vom Schiffe Gere bringen und Schild,
Daß sie sich wehren möchten gegen das starke Wild.
Zuerst kam da zur Wehre Tibald, der Degen gut;
Den Geren nahm der Recke mit unverzagtem Mut.
Mit Stechen und mit Schießen und manchem starken Schlag
Begann er aus der Nähe den Kampf am Meereswag.
Doch durch des Wurmes Feuer kam er nicht lebend von dannen.
Indessen kam der König mit vierzig seiner Mannen.
Dreißig seiner Leute, die lagen bald auch tot.
Da ward der König grimmig in dieser großen Not,
Er traf den Wurm am Halse, eh dieser sich's versann.
Da begann der Drache zu brüllen, daß weit umher im Tann
Hernieder von den Bäumen mußt' fallen Laub und Ast.
Doch auch Dietwart der König war ohne Leben fast.
Da nahmen ihn die Seinen und trugen ihn in der Not
Hin in das Schiff von dannen. Sie meinten, er wäre tot.
Er kam nicht eher zu Sinnen als bis am dritten Tag,
Da auch sein Schiff vor Anker im sichern Hafen lag.
Da stieg er, kaum gesundet, zu Westermeer ans Land,
Wo er mit großer Freude die schöne Minne fand.

Ladiner der reiche gab seine Tochter dort
Zur Eh' dem jungen König. Drauf zog man wieder fort.
Mit vierzig ihrer Maide und vierzig Rittern hehr
Fuhr Minne und Herr Dietwart von dannen übers Meer.
Zu Rom im Laterane die frohe Hochzeit war.
Herr Dietwart lebte seitdem mit Ehren vierzig Jahr,
Und hatte von Frau Minne wohl vier und vierzig Kind,
Die leider außer einem alle gestorben sind.
Siegeher hieß der Knabe. Vierundzwanzig Reiche
Bezwang noch König Dietwart, der Held, der ohnegleiche
Bevor er kam zu sterben. Da ward das Land und Gut
Siegeher dem jungen. Da er so hochgemut
Erwuchs zu einem Manne und auf Ehre sann sein Leib,
Da rieten ihm die Seinen, daß er sich nähme ein Weib.
Sie rieten ihm nach einer zu Normandie ins Land:
Pallus war ihr Vater, sie Amelgard genannt.
Zwei reiche Fürsten wurden auf Werbung ausgesandt,
Siegeband hieß der eine, Meran war sein Land;
Der andere hieß Sindold. Sie fuhren diese Fahrt
Und warben bei Herrn Pallus um Jungfrau Amelgard.
Die Hochzeit ward gefeiert. Nach seines Mutes Begehr
Lebte noch viele Jahre der edle Siegeher.
Ihm ward ein Sohn geboren, Ortnid hieß das Kind,
Und eine schöne Tochter, die holde Siegelind.

Nach seines Vaters Tode nahm jung Ortnid das Reich;
Ihm war bei seinen Zeiten kein andrer König gleich.
Sie mußten alle fürchten den Starken und sein Heer,
Die Lande hätt' er bezwungen vom Gebirge bis zum Meer.
Brixen Brescia. und auch Berne Verona. war ihm unterthan,
Ihm dienten ohne Weigern auch Rom und Lateran.
Ihm dienten auf Garden Garda am Gardasee. täglich wohl zwei und siebzig Helden.
Zwölf-Männer-Stärke hatt' er, wie uns die Weisen melden.
Gerecht war er den Seinen, den Freunden war er mild;
Einen goldnen Elefanten führt' er im Wappenschild.

Als nun der edle Degen erwuchs an Mut und Leib,
Da rieten ihm die Seinen, daß er sich nähm' ein Weib,
Die ihm zu haben zieme nach seinem eignen Sinn
Und auch mit Ehren hieße im Lande Königin.
Da sprach der edle König zu seinen Magen und Mannen:
»Nun ratet, meine Räte, mit treuem Sinn, von wannen
Ich eine Frau mir hole, die mir genoßsam sei,
Daß ich durch ihr Geschlechte der Schande bleibe frei!«

Sie saßen nun am Rate wohl zu fünf langen Tagen,
Und konnten für die Wahrheit dem König doch nicht sagen,
Wo eine Frau sie fänden, die er wohl möchte nehmen,
Daß sie sich ihres Rates hernach nicht dürften schämen.
Da sprach der edle Markgraf Helmnot von Tuskan:
»Was Könige hier sitzen, die sind dir unterthan.
Wir können keinen finden dieshalb des Meers zu Land.
Da ist kein König, der nicht müßt dienen deiner Hand.«

Da sprach des Königs Oheim, der König Ilias
Von Reußen, der nach Ortnid der allerteuerste was:
»Ich weiß wohl eine Fraue, gar schön und hochgeborn,
Die hat noch niemand erbeten, der nicht sein Haupt verlorn.
Ihren Vater will ich dir nennen: der heißet Godian,
Der Herr von Montabure, ein mohrenschwarzer Mann.
Er hat sich vorgesetzet, des er sich sollte schämen:
Wenn ihm die Mutter stirbet, will er die Tochter nehmen.
Sie leuchtet aus allen Frauen, gleichwie das schöne Gold
Thut neben fahlem Bleie; sonst ist keine so hold.
Sie strahlt aus allen Weiben recht wie die Rose thut.
Es ward nie Kind so schöne; man sagt, sie sei auch gut.
Ihr Vater ist der reichste der Fürsten weit und breit,
Ihm dienen mehr der Heiden, als dir der Christenheit.
Suders, die Burg in Syrien, ist seine Hauptstadt.
Doch wer in Botschaft jemals um seine Tochter bat,
Der mußte den Leib verlieren, drum läßt es jeder sein.
Was hilfts da mehr zu sagen; sie wird doch nimmer dein!«

Da sprach zu seinen Räten der König Ortnid hehr:
»Viel liebe Schargenossen, wir müssen übers Meer!
Wer mir zur Reise helfe, dem bin ich immer hold;
Ich habe lang geheget mein Silber und mein Gold.
Es steht ein Turm zu Garden, darinnen liegt mein Hort,
Der ist gefüllt mit Golde vom Boden bis zum Bord.
Den Hort will ich euch bieten, dazu mein Land und Gut.
Ich will ihm's immer danken, wer mir da Hilfe thut.«
Da sprach der König von Reußen, sein Oheim Ilias:
»O Kind du meiner Schwester, weh, warum sagt' ich das!
Kommst du zu Montabure, so sieh' die Zinnen an!
Zweiundsiebzig Häupter hat er gesteckt daran,
Die hat er ob der Jungfrau den Boten abgeschlagen.
Daß ich je ihrer dachte, das will ich Gott nun klagen.«
Da sprach der edle Burggraf auf Garden, Engelwan:
»Du hast auf dieser Feste wohl zweiundsiebzig Mann,
Denen du bist zum Vogte gesetzet und geborn,
Die müßten all es klagen, würdest du uns verlorn.«
Mit Zorne sprach sein Bruder, der kühne Helmnot:
»Nicht recht ist's, daß du reitest nach Frauen in den Tod.
Du solltest billigerweise bei deinem Lande sein,
Eines reichen Fürsten Tochter im Lande solltest du frein!«

Da sprach in hohem Mute Ortnid der König reich:
»Du magst es mir nicht wehren; sorgst du des Leibes gleich,
So bleibe denn zu Hause! Doch mir ist wohl bekannt,
Daß Biedermannes Erbe liegt in einem Land.«
Da sprach der edle Truchseß, ihr Vater Hüteger:
»Wir wissen deinen Ernst nun und irren dich nicht mehr.
Dir geben auf dem Schlosse die zweiundsiebzig Mann
Jeglicher hundert Ritter, willst du in Wahrheit dran.«
Da sprach wieder von Reußen der König kühn gefaßt:
»Weil du denn dein Gemüte daran gewendet hast,
So will ich mit dir wagen den Leib und auch das Leben.
Ich will fünftausend Ritter und auch mich selber geben.«

Da sprach der von Sizilien, der Heide Zachareis:
»Ich sitze in deinem Gedinge, du bist mein oberster Preis.
Um was du andre flehest, das thu ich ungebeten.
Ich will gar hoch dir steuern, willst du die See betreten.
Willst auf der See du fließen von deines Reichs Gestaden,
So will ich dir zwölf Kiele mit reicher Speise beladen
Und mit dem besten Weine, den man je Königen trug.
Sitz auf, wann du willst; ich geb' dir wohl auf drei Jahre genug.
Dazu will ich dir zwanzig mal tausend Helden geben,
Und reiches Tuch von Golde, von Sammt- und Seidengeweben!«
Da sprach der edle Markgraf Helmnot von Tuskan:
»So nimm von mir zur Steuer fünftausend kühner Mann!
Die will ich mit dir senden über das wilde Meer;
Soll ich selber mit dir fahren, wird dir vielleicht noch mehr.«
Da sprach der Fürst von Trojen Troja in Apulien., der Herzog Gerwart:
»Ich will, o Herr, dir steuern zu deiner Heeresfahrt.
Nutschier Nocera bei Salerno. und Bonavente Benevento. das ist mir unterthan;
Daraus will ich dir senden wohl auch fünftausend Mann.
Und willst du, fahr' ich selber mit dir nach der Königin gleich.«
Da sprach zu Herzog Gerwart Ortnid der König reich:
»Das will ich nicht verlangen, du kühner stolzer Degen!
Du sollst hie heime selber indes der Herberg pflegen.
Garden und all meine Ehre soll dir befohlen sein.
Ich befehl dir auch meine Mutter, Herr, auf die Treue dein,
Dir und dem edlen Grafen Helmnot in die Hand.
Ich befehl euch auf die Treue beides, Leute und Land!«

Da sprach der Fürst von Reußen, sein Oheim Ilias:
»Weil du von starkem Gute die große Tugend hast,
Und auch so reiche Würde, so kies dir einen Mann,
Der dich beraten könne, der recht dich leiten kann!«
Da sprach zu seinem Oheim des Reußen Schwesterkind:
»Weil nun die Fürsten alle in meiner Macht hier sind,
Will ich dich zum Rater kiesen; du sei der Vater mein.
Die Leute und mich selber empfehl ich der Treue dein!«

Da sprach der Ohm von Reußen, Ilias der König hehr:
»Du magst viel wohl ertrinken, fährst du jetzt auf das Meer.
Der Segelwind ist böse, 's ist noch nicht Fahrens Zeit,
Dir wird von Winterstürmen, o König, hartes Leid.
Wenn uns der Mai erscheinet gegen den lichten Tagen,
So bitte deine Freunde, daß die den Helden sagen,
Daß sie sich dann bereiten, wie's ihnen drauf ergeh',
Daß wir mit Vogelsange ziehn auf den wilden See!«

Da sprach zu seinen Mannen Ortnid der König gut:
»Weil denn an euch gelegen all meine Freude und Mut,
So leistet eure Treue, die ihr mir habt gegeben!
Das will ich noch verdienen, so lang ich möge leben.
Doch merkt, ihr werten Ritter, was ich euch sagen will,
Die mit mir fahren wollen: es ist nicht Kindes Spiel!
Es sei zu allen Zeiten ein jeder so gesinnt,
Daß er zurück nicht denke weder an Weib noch Kind!«

Die Treue ward geleistet, sie schwuren ihm also,
Daß sie's viel gerne thaten; des ward der König froh.
Da sah man manchen dringen durch Gabe und durch Gut,
Da drang auch mancher andre durch seinen hohen Mut.
Sie waren alle willig dem reichen Könige hehr,
Darum erschaute mancher die Heimat nimmer mehr.
Viel Rosse und auch Ringe wurden da gegeben;
Um des Gutes Willen wagten sie das Leben.
Der König gab so lange, bis nichts des Gutes blieb;
Daß sie des Gutes begehrten, das war dem Kühnen lieb.
Sie waren froh der Pflege und ließen sich nicht bitten.
Darauf nahmen alle Urlaub; aus Garden sie da ritten.

Da sprach auch der von Reußen, der König Ilias:
»Es nahet fast dem Jahre, daß ich daheim nicht saß.
Ich sähe gern daheime mein Weib und auch mein Kind,
Und möchte die Helden schauen, die dir verheißen sind.« –
So gab er ihnen allen den Urlaub und auch Dank.
Doch von der starken Minne war Ortnid siech und krank.
Den nur von sagenden Dingen der Jungfrau Schöne zwang,
Dem König ward der Winter und die kurzen Tage lang.

Da sprach nun eines Morgens der König weitbekannt:
»Mir ist ein Traum gekommen; bring mir mein Sturmgewand,
Mein viellieber Knappe! Bring mir die Ringe Den aus Stahlringen geflochtenen Panzer. bald!
Ich muß nach Abenteuern nun reiten in den Wald.
Mir ist so leicht zu Mute; vielleicht gelingt mirs wohl.
Der Biedre aller Zeiten sein Heil versuchen soll!«
Da sprach mit Klagen die Mutter, das minnigliche Weib:
»Sohn, du geruhest nimmer, bis du verlierst den Leib!
Du solltest billig hören auf deiner Freunde Mut;
Es geht viel selten eben, was ohne Rat man thut!«
Da sprach zu seiner Mutter der König ihr zum Leid:
»Du sollst mir nimmer wehren den Willen noch den Streit!
Was du mir sonst gebietest, o Fraue, das geschieht.
Doch hätt' ich tausend Mütter, ich blieb durch keine nicht!«

Mit Züchten sprach die Fraue, die schöne Königin:
»Mein Vater, Mann und Herre, mein Kindlein, zieh denn hin!
Weil dichs so sehr gelüstet, so will ich dirs nicht wehren;
Nun müsse Glück und Sälde dir Gott dazu bescheren!
Doch daß du mir nun immer mußt desto holder sein,
Wenn du von mir ausreitest, so nimm dies Ringelein!
Ich geb' es dir zur Steuer, nun habe dir das Gold!
Giebst du es aber jemand, werd' ich dir nimmer hold.
So du von Garden reitest, so kehr zur linken Hand
Ueber Rohnen und über Gebirge neben der steinernen Wand,
Und warte, wo die Linde unterm Gebirge steht
Und aus der Felsenmauer ein kühler Brunnen geht.
Die Linde ist hoch und mächtig, darunter ein Anger breit;
Fünfhundert Rittern wahrlich die Linde Schatten beut.
Kommst du unter die Linde, so bleibe dorten stehn!
Du findest Abenteuer, das soll vom Stein geschehn
An deinem Ring; drum birg nicht, mein Sohn, das Ringelein!«

Da dankte König Ortnid der lieben Mutter sein.
Es ritt der edle Fürste viel unverzagt von dannen
Wohl von der Burg zu Garden ohn' alle seine Mannen.
Da mied er das Gefilde, wie ihn die Mutter bat,
Und kehrte in die Wilde ohne Straße, ohne Pfad.
Gegen die Sonne hielt er das Ringlein an der Hand
Und ritt durch Unbetretnes zu Thal die steinerne Wand.
Da kam er in eine Aue neben dem Gardasee;
Dort sprangen auf der Haide der Blumen viel und Klee.
Die Vögel sungen schöne, des Schalles er genoß.
Die Nacht hatt' er gewachet; des Reitens ihn verdroß.
Es kam nun durch die Wolken gen Tag der Sonne Schein,
Und immer noch besah er das Gold und auch den Stein.
Da fand er überm Anger das grüne Gras zertreten
Und sah von kleinen Füßen den schmalsten Pfad getreten.
Demselben Pfade folgt' er unter die Steinewand,
Wo er den kühlen Brunnen und auch die Linde fand.
Da stieg er von dem Rosse und zog es an der Hand.
Wie freute sich sein Herze, da er die Linde fand!

Die Linde schaut' er lange, er lachete und sprach:
»Das wisse Gott vom Himmel, du bist ein schönes Dach!
Es ging von einem Baume wohl nie so süßer Wind.«
Da lugte er unter die Aeste – er sah ein kleines Kind,
Von Golde und von Seiden war sein Gewand allgar.
Da stund er und beschaute des Kleinen Leib und Haar.
Das Roß das hängt' er feste an einen Lindenzweig.
Er wollte da versuchen, wie sich der Kleine zeig',
Wenn er erwachet wäre. Der edle König rief –
Der Kleine blieb doch liegen, als ob er feste schlief.
Da wollt er ihn zum Rosse in Kindesweise tragen.
Doch da ward ihm auf einmal ein starker Schlag geschlagen.
Der Zwerg war's, der mit Fäusten den großen König schlug
Und sich mit Stärke wehrte, daß er ihn nicht enttrug.
Der Große ward erzürnet, der Kleine der ward froh.
Der Zwerg fing an zu lachen, dem andern wars nicht so.
Doch endlich zog den Kleinen des Großen Stärke hin,
Gar sehr betrog den Zwergen die Hochfahrt und sein Sinn.
Nur durch sein vieles Lachen ward ihm sein Preis benommen,
Und hätt' er nicht gelachet, hätt' er ihn nicht überkommen.
Der Große nahm den Kleinen und warf ihn auf das Gras;
Das kam von seinen Kräften, die Ortnids Leib besaß.
Zwölfmännerstärke hatte der ungefüge Mann,
Doch hielt er kaum den Kleinen, daß er ihm nicht entrann.

Als nunmehr vor dem König der Kleine niederlag,
Griff Ortnid zu dem Schwerte und holte aus zum Schlag.
Da fiel ihm schnell zu Füßen der klein geschaffne Genoß:
»O laß mich, König Ortnid, durch deine Herrschaft groß!
So geb ich dir zur Minne so gutes Kriegsgewand,
Daß niemand auf der Erde so festes nimmer fand,
Die Brünne und den Halsberg, dazu ein Beingewand,
Da ist kein Ring so kleine, ihn schmiedete meine Hand.
Das Gold ist ohne Falschheit und lauter wie ein Glas,
Ich nahm's an einem Berge, der heißet Kaukasas.
Wohl fünfzigtausend Marke ist diese Brünne wert.
Ich will dir zu dem Halsberg noch geben solches Schwert:
Die Klinge heißet Rose, von Farbe ist sie licht;
Was du damit auch streitest, doch hat sie Scharten nicht.
Und zu dem lichten Schwerte geb ich dir einen Schild,
Einen festen und so starken, wenn du mir's danken willt,
Den nie Geschoß verwundet noch keines Schwertes Schlag,
Auch keines Feuers Hitze hindurch gelangen mag.
Zu allem dem Geschmeide geb ich ein Hauptdach dir,
Daß man ob Ritters Haupte nie schaute schönre Zier.
Der Mann, der diesen Helm trägt, ist selig alle Zeit,
Man kann sein Haupt erschauen eine halbe Meile weit!«

Da sprach zum kleinen Manne der König Ortnid dreist:
»Giebst du so große Gabe, so sage, wer du seist!«
Da sprach wieder mit Züchten der kleine wilde Zwerg:
»Mir dient in diesem Lande wohl mannig Thal und Berg.
Lang eh du warst, schon herrscht' ich als König sicherlich.
Willst du mich gerne nennen, so ruf mich Alberich!
Wie klein ich dir doch dünke, das glaube mir fürwahr,
Ich hab' auf meinem Halse mehr denn fünfhundert Jahr.
Ich bin wie du ein König, laß mich auf Treuen frei!
Wieviel du hast der Lande, ich hab' mehr als deiner drei.
Du hast wohl ob der Erde Gewalt und Ehre viel,
So hab' ich auch darunter alles, was ich will.
Mir ist gesteint die Krone mit Wundersteinen reich,
Du möchtest sie nicht gelten mit deinem Königreich.
Ich gebe, wenn mich lüstet, viel Silber und auch Gold;
Der Mann wird reich und selig, dem ich bin treu und hold.«
Da sprach zum Zwerglein wieder der König adelich:
»Ich wag's auf deine Treue, o König Alberich!«
Von sich ließ er den Kleinen, der vor ihm züchtig nun
Mit Fürchten stand und Zagen, wie die Gefangnen thun.

Drauf sprach der König Albrich zu Ortnid alsogleich:
»Gewähr mir eine Bitte, Ortnid, o König reich!
Ich will dein Diener immer dann und dein eigen sein:
Durch aller Könige Würde, gieb mir dein Ringelein!«
Da sprach zum Zwerglein wieder Ortnid, der König hehr:
»Ich gäbe dir's viel gerne, wenn mir's versagt nicht wär'.
Was du von mir sonst gehrest, das will ich dir gewähren.
Ich gäb' dir's auch viel gerne, darf sein doch nicht entbehren.
Es gab mir's meine Mutter, der habe ich's verschworen,
Ich fürcht', ob ich's dir gäbe, ich hätt' ihre Huld verloren.
Viel weh thut's meinem Herzen, wenn es sie trauern sieht.
Nun lache oder zürne, ich geb' dir's wahrlich nicht!«

Da sprach der Kleine wieder, Albrich der König gut:
»Was sollen dir Königreiche, hast du nicht milden Mut?
Was soll dir Mannesstärke, was soll dein großer Leib,
Daß du so sehre fürchtest Schläge von einem Weib?«
Da mußte König Ortnid zum Zwerge wieder sagen:
»Nie hat wohl meine Mutter mit Gerten mich geschlagen!
Doch gäb' ich dir noch lieber eine Burg oder ein Land,
Als ich dir jetzo gäbe das Gold von meiner Hand.
Weil du aber so sehnlich nach diesem Golde strebst,
So gieb mir deine Treue, daß du mir's wiedergäbst!«
Er wollt' ihm's nicht erlassen, er mußt' ihm Eide schwören.
Der Zwerg griff ihm nach den Händen, das wollt' er ihm nicht wehren.
Als er ihm von dem Finger das Ringlein zog allda,
Zuhand verschwand der Kleine, daß er ihn nimmer sah.

Mit Spott sprach nun der Kleine zu König Ortnid hin:
»Nun suche, König Ortnid, nun suche, wo ich bin!
Du hast von deinen Händen ein Ringelein gegeben,
Das du nicht wieder findest, solange du magst leben!
Daß du zuerst mich fingest und mich dein Auge sah,
Von diesem selben Steine dies Glück dir nur geschah.
Ich müßte dir immer dienen, hättst du das Ringelein.
Nun heb' dich, wo du wollest, es wird nimmermehr dein!
Was sollen dir auch Ringe, o König Ortnid reich?
Oder was soll einem Thoren so hohes Königreich?
Ich will die Ringe senden dem, der ihr baß bedarf,
Der nicht die besten Steine so thöricht von sich warf!«
Da sprach der König Ortnid, als ihm dies war geschehn:
»Ha, möcht' ich dich erlaufen und könnt' ich, Zwerg, dich sehn,
Was du mir hast verheißen, das müßtest du mir tragen,
Oder würdest bei dem Beine um diesen Stein geschlagen!«

Da gürtete er dem Rosse in wildem Mute baß.
Von dannen wollt' er reiten, im Zorn er darauf saß.
Da rief ihm nach das Zwerglein, der König Albrich gleich:
»Hei, guter Mann, so bleibe, Ortnid, o König reich!
Wem willst du denn nun lassen dein liebes Ringelein?
Wer soll dir Huld gewinnen wohl um die Mutter dein?
Wenn du dich nicht erzürnest, was von der Mutter eben
Ich rede oder spreche, will ich den Ring dir geben.«
Da sprach der edle Ortnid, der reiche König hold:
»Was magst du Uebles reden? Ich ließ dir eh dein Gold,
Als daß ich dich ließe höhnen das tugendreiche Weib.
Wüßt ich, wo ich dich fände, ich nähme dir deinen Leib!«

Mit Züchten sprach da Albrich, der mächtge Zwerg geschwind:
»Wohl dir! Du hast der Treuen beste, selig Kind!
Ich sag von deiner Mutter nichts als die Wahrheit an.
Du zürnest eine Weile, und dankst mirs doch alsdann.
Ich mach dirs also süße, daß du's wohl hören mußt.
Gieb mir des deine Treue, daß du mir nichts anthust.«
Da sprach zu König Albrich der edle Ortnid wert:
»Es mag ein Mann des Wahren reden, so viel er begehrt.
Doch werde ich dir nimmer, du wilder König, hold,
Wird mir nicht eher wieder mein Ringelein von Gold.«

Ortnid der Held war listig, die Kraft er auch besaß.
Das Gold mußt jener bieten, da warf er ihn ins Gras.
Das Gold an seinen Finger der König Ortnid stieß;
Allerst sah er den Kleinen, von sich er ihn nicht ließ:
»Nun sag mir, König Albrich, nun sag mir, böser Geist,
Eh' ich dich heute lasse, nun sag' mir, was du weißt!
Du brauchst dich nicht zu fürchten, daß dir etwas geschieht.
Nun freuet sich mein Herze, daß dich mein Auge sieht.
Mir ist dein Leib noch lieber denn dieses Ringelein.
Sag' alles, was du wissest von der lieben Mutter mein!«

Da sprach der wilde Weise: »O König hochgelobt,
Nun hüte deine Treue, die du mir hast gelobt!
Ich sage deine Mutter von allem Wandel frei,
Ich wähne, daß auf Erden nicht bessre Fraue sei.
Ich dünke dir gar kleine, und du bist mächtig groß,
Bist über alle Könige, fast wie ein Riesensproß.
Wie groß du dich auch dünkest, wie viel ungleich auch sind
Die Glieder an uns beiden, so bist du doch mein Kind.
Ich hörte deine Eltern gar sehnlich flehn und bitten
Nach alter Leute Weise in trauriglichen Sitten,
Daß ihnen Gott beschere ein kleines Kindelein.
Von mir empfing dich, Ortnid, die Mutter; du bist mein!«

Mit Staunen und mit Schweigen vernahm Ortnid dies Wort.
Und Alberich, sein Vater, fuhr drauf zu reden fort:
»Ich will dir nicht, auf Treuen, gelogne Worte sagen,
Ich will dir her die Waffen auf deinem Schilde tragen.«

Alsbald entwich der Kleine dem König in den Berg,
Da trug er von der Esse das wonnigliche Werk.
So lauter wie ein Brunnen und licht gleich einem Glas,
So setzt er ihm die Brünne nieder auf das Gras.
Er brachte ihm zum Halsberg den Helm so fest und licht,
Der war so gut gewürket, kein Schwert durchschnitt ihn nicht.
Der Helm war rings bespänget; gleich dem Sonnenschein
Schien aus jeglichem Orte ein Karfunkelstein.
Doch in der Mitte drinnen stund ein Adamant.
Die Waffen faßte Ortnid; den Helm aufs Haupt er band.

Ortnid griff da in Freuden nach seines Rosses Zügel;
Das Zwerglein wollt' ihm halten den Stegreif und den Bügel.
Dann reichte ihm der Kleine aufs Roß hinauf den Schild:
»Ich sehe wohl, mein Lieber, daß du nun von mir willt!«

Eh' er den Schild empfangen, schaut' Ortnid noch sein Schwert,
Damit war er in Nöten zu Streite wohl bewehrt.
Da fand er beidenthalben die Schrift bei seinem Namen:
Wer mit der »Rose« fliehet, der muß sich immer schamen …
Von Gold war seine Scheide; was die Fessel sollte sein,
Das war mit Gold durchschlagen eine Borte von Seide fein,
Was oberhalb des Heftes war des Schwertes Kloß,
Das war gar ein Karfunkel, wohl einer Faust gleich groß.
Den Schild nahm er zu Halse, er wollte nun hindann.
Da sprach der wilde König Albrich, der kleine Mann:
»Du wirst mich nicht verlieren, bedarfst du etwa mein,
So lang du trägst am Finger das goldne Ringelein.«

Der König Ortnid kehrte von dannen in den Wald,
Gar leicht war ihm zu Mute, seine Lust war mannigfalt.
Allerst war er zu Streite viel schöne nun gewehrt,
Gern wollt' er nun versuchen den Harnisch und das Schwert.
Für sich ritt er nach Streite bis an den dritten Tag,
Daß er vor Uebermute gar keiner Ruhe pflag.

Zu Garden und im Lande war jämmerliche Not;
Sie wähnten dort gar alle, der König wäre tot.
In jämmerlicher Trauer siechte die Mutter hin;
Es konnte niemand trösten die edle Königin.
Am vierten Morgen endlich ritt Ortnid durch den Thau
Wohl vor die Burg zu Garden in die grüne Au.
So wie das Morgensternlein durch finstre Wolken brach,
Dem Sterne gleich erglänzte sein Schild und auch sein Dach.

Doch war dem guten Wächter der Gast viel unbekannt.
Gleich lichtem Morgenblicke, so blitzte sein Gewand,
Her vor die Burg zu Garden ritt er zum grünen Hag.
Das Rößlein trieb er fester. Da ward es lichter Tag.
Er ging nun vor gewaltig bis an des Schlosses Graben,
Gleich als ob er die Mauer erstürmet wollte haben.
Aus schwerer Angst erwachte die Königin edel und rein,
Sie lugte durch das Fenster, da sie ersah den Schein.
Die in dem Schlosse waren, beides Männer und Frauen,
Die gingen auf die Zinne, das Wunder anzuschauen.

Da sprach der edle Burggraf auf Garden, Engelwan:
»Du mußt dich allerst nennen, eh' wir dich lassen heran!«
Da sprach der kühne Ortnid, er wollte die Wahrheit nicht sagen:
»Ich bin ein wilder Heide und hab' deinen Herrn erschlagen!
Nun sind auf diesem Schlosse wohl zweiundsiebzig Mann,
Die sollen den Schaden rächen, den ich ihrem Herrn gethan!«

Das Thor bis an den Angel mit Zorn der Burggraf warf,
Sie zuckten auf der Brücke zwo schöne Klingen scharf.
Wie kühn der Wirt auch wäre, doch stärker war der Gast,
Er schriet von ihm die Brünne recht so wie faulen Bast.
Hätt' es ihn nicht erbarmet, er hätt' ihm den Leib genommen.
Gewaffnet war auch Helmnot, der andre Bruder, gekommen.
Da sprach der König Ortnid, des Streits hatt' er genug:
»Nun müß' es Gott erbarmen, daß ich ihn heute schlug!
Allerst will ich es glauben, daß ihr getreu mir seid;
Ich bin's ja selber, Ortnid; die Unthat ist mir leid!«

Da ward viel wohl empfangen der König allzuhand.
Ihn weisten seine Leute, wo er die Mutter fand.
Die Frau ihn schier erkannte; sein Haupt das war nun bloß.
Da ward allerst von Liebe der Frauen Weinen groß.
Die Mutter fragt' ihn eifrig, was er im Walde sah;
Da sagte er ihr alles, was Wunders ihm geschah.


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