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Fünftes Kapitel

1

Auf der Fahrt von Rußland nach Frankreich verlor das Regiment 253 sieben Offiziere . . . Alle erkrankten, wie sie sagten, an Magenleiden. Kein Arzt konnte sie halten.

2

Die Transporte hatten in Berlin einen Aufenthalt von 7 Stunden. Den Mannschaften war verboten, die Bahnhöfe zu verlassen. Die Offiziere erhielten Stadturlaub.

An den Bahnsteigen wurde ein Merkblatt verteilt.

Berlin, 1. 11. 1917.

Ein Wort an die Herren Kameraden!

Die Disziplin in einer Stadt wie Berlin, zu einer Zeit, wie wir sie jetzt durchleben, aufrechtzuerhalten, ist eine ernste Aufgabe. An jeden einzelnen von Ihnen richte ich die Bitte: »Helfen Sie mir, diese Aufgabe zu lösen.« Die Armee ist durch die Disziplin groß und stark geworden, ihr haben wir zu gutem Teil die Erfolge zu danken, welche wir bisher gegen zahlenmäßig überlegene Feinde davongetragen haben. Diese Manneszucht unter den Mannschaften auch hier in der Heimat zu erhalten und zu fördern ist unser aller Pflicht, um ferner siegreich in dem großen Kampfe zu bestehen, den zu glücklichem Ende für uns durchzuführen die Mehrzahl der hier weilenden Soldaten noch oder wieder berufen ist. Das gute Beispiel, welches die Offiziere hierin geben, wird diesem hohen Zweck am förderlichsten sein. Mag auch dem einzelnen, der aus dem Felde kommt, die eine oder andre Vorschrift oder Einrichtung, die im besonderen für Berlin getroffen ist, lästig sein oder überflüssig erscheinen, seien Sie überzeugt, daß diese Vorschriften eine bestimmte Veranlassung haben und nur dem Wohle des Ganzen dienen sollen.

Üben Sie Selbstzucht in ihrem Benehmen auf der Straße, in Lokalen, in dem Verkehr untereinander und mit Untergebenen. Weisen Sie Offiziere, die gegen unsere guten Standessitten verstoßen, kameradschaftlich zurecht und melden Sie mir dieselben ohne Ansehen der Person bei Vergehen, die unsere Standesehre berühren.

Meine Erfahrungen der letzten Zeit veranlassen mich, auf folgende Punkte besonders hinzuweisen: . . .

Offener Paletot, Spazierstock – sofern die Verwundung einen solchen nicht dringend erfordert –, keine Waffe, keine Handschuhe vertragen sich nicht mit den Anschauungen über einen ordentlichen Straßenanzug. Ein Sichgehenlassen in dieser Beziehung wird nur zu rasch von den Mannschaften nachgeahmt.

Es ist unmännlich und ungehörig, wenn der gesunde Offizier an einer Dame Halt sucht, sich also von ihr führen läßt.

Es entspricht nicht den Gepflogenheiten, wenn bei dem Gruß unter Kameraden die eine Hand in der Paletottasche versenkt bleibt, oder wenn Offiziere bei Betreten eines öffentlichen Lokals die Mütze auf dem Kopf behalten . . . Haben die Herren Fensterplätze in größeren Kaffees eingenommen, so ist es ungehörig, wenn sie von vorbeigehenden Kameraden keine Notiz nehmen.

. . . Ich warne im besonderen die jüngeren Offiziere, da, wo sie auf der Straße oder in Lokalen einzuschreiten Gelegenheit haben, vor einem gar zu schroffen Ton, der Mißfallen im Publikum hervorzurufen geeignet ist. Es ist zu berücksichtigen, daß alte Wehrmänner und junge Mannschaften unter den Leuten sich befinden, die freiwillig zur Fahne geeilt sind und einer gründlichen militärischen Durchbildung noch entbehren. Da wird häufig eine ernste, auch gewissen kameradschaftlichen Wohlwollens nicht entbehrende Vermahnung oft am Platze sein.

Die einmütige Begeisterung, der absolute Wille zum Durchhalten in unerschütterlicher Siegeszuversicht, die Opferfreudigkeit in allen Schichten unseres Volkes können leicht ins Wanken kommen, wenn der Offizier, wo immer er sich zeigt, nicht die Haltung bewahrt, die dem Ernst unserer Zeit entspricht. Das Ansehen unseres Standes, das durch die glänzenden Erfolge unserer Waffen auf den Schlachtfeldern auch in den Volksschichten, die vor dem Krieg mit Mißgunst auf den Offizier blickten, seinen vollen Wert besiegelt hat, ist ein hohes Gut, das zu erhalten ein jeder bestrebt sein muß. Es ist deshalb von der höchsten Bedeutung, daß der Offizier überall mit Würde auftritt, die unserem Stande entspricht. Daß Verfehlungen einzelner leider schon mehrmals gerechten Unwillen in weiten Kreisen der Bevölkerung hervorgerufen haben, ist eine sehr bedauerliche Tatsache, die mich nötigt, zum Schluß die Punkte noch hervorzuheben, welche hierzu Veranlassung gegeben haben. – Es ist eines Offiziers unwürdig, sich in Uniform mit zweifelhaften Frauenspersonen auf der Straße oder in Lokalen zu zeigen; er ermangelt des Taktes, wenn er in derartiger Begleitung Wirtschaften aufsucht, in denen er damit rechnen kann, Kameraden mit ihren Damen zu treffen. – Kabaretts, Bars, Nachtkaffees und ähnliche Lokale in Uniform zu betreten, ist eine Verunglimpfung unseres Ehrenkleides. – Vor überreichlichem Alkoholgenuß, der den Heilverlauf einer Wunde nur verzögern kann, muß der Offizier sich hüten, wie er in seinem ganzen Lebenswandel vor allem darauf bedacht sein muß, hier den Körper zu schonen, um vor dem Feinde wieder seinen Mann zu stehen. Wer dies sich nicht vor Augen hält, versündigt sich an sich selbst und an dem Vaterland, das heute mehr wie je dringend gesunde Offiziere in der Front gebraucht.

Der Kommandant
v. Bonin, Generalleutnant

3

. . . keine Waffe, keine Handschuhe, vertragen sich nicht . . . wenn der gesunde Offizier an einer Dame Halt sucht . . . wenn die eine Hand in der Paletottasche versenkt bleibt . . . die dem Ernst unserer Zeit entspricht . . . . auch in den Volksschichten, die vor dem Krieg mit Mißgunst auf den Offizier blickten . . .

4

Die Sozialdemokratie betrachte Ich als eine vorübergehende Erscheinung; sie wird sich austoben. (Wilhelm II. 9. 1. 1900)

5

F.A.R. 253 landete nach der langen Fahrt auf einem Truppenübungsplatz nahe Valenciennes.

Hier bekam man die erste Berührung mit vielen neuen Kampfmitteln, von denen man in Rußland nur sagenhaft hatte läuten hören. Gasmunition, Tankabwehrgeschosse. Wozu?

Es wurde exerziert. Und es wurden, für die Offiziere aller Stäbe und Batterien, Kurse abgehalten.

Nach jedem Vortrag wurde es klar: der Kampf der Maschinen wird immer entscheidender sein, die Artillerie wird das letzte Wort haben. Man lernte um. Man lernte neu. Alle alten Reglements wurden ersetzt. Jeder Offizier lief mit Büchern unter dem Arm herum, Ausbildungsvorschriften, Schießanleitungen, Gefechtsparagraphen.

Eine unangenehme Stimmung griff weit um sich. Das alles war zu wenig geheuer, man witterte –

Hinzukam das Fehlen guter Offiziere, der Ausfall durch die Krankmeldungen während des Transportes. Er sah nach Verabredung aus, nach Drückerei. Man wollte es nicht wahr haben. Aber man spottete darüber. Und man ließ sich davon deprimieren. Sollte der Aufenthalt in Rußland genügt haben, so zu demoralisieren? Wenn es die Mannschaften merkten?

Und, vor allem, woher neue Offiziere nehmen?

Die III. Abteilung 253 brauchte vier. – Nachfrage bei der Ersatzabteilung in der Garnison: kein Kriegsverwendungsfähiger ist verfügbar.

Besprechungen: vier Vizewachtmeister wurden innerhalb weniger Tage befördert. – Aber was konnte man mit diesen jungen Offizieren anfangen? Keiner von ihnen kannte überhaupt den Westen. Es war sehr fraglich, wie sie sich benehmen würden.

Neue Besprechung: wer denn vom Regiment war überhaupt schon in Frankreich gewesen? – Die Meldung der III. Abteilung ergab kein gutes Resultat: fast 99 Prozent aller Mannschaften stand seit 1914 in Rußland. Ebenfalls 80 Prozent der Offiziere. – Vom Stab kannte keiner westliche Verhältnisse außer Reisiger.

6

Die Lage in Rußland und Italien wird es voraussichtlich ermöglichen, im neuen Jahr einen Schlag auf dem Westkriegsschauplatz zu führen. Das beiderseitige Kräfteverhältnis wird etwa gleich sein. Es können für eine Offensive etwa 35 Divisionen und 1000 schwere Geschütze verfügbar gemacht werden. Sie werden zu einer Offensive ausreichen, eine zweite größere gleichzeitige Offensive, etwa zur Ablenkung, wird nicht möglich sein. – Unsere Gesamtlage fordert, möglichst früh zu schlagen, möglichst Ende Februar oder Anfang März, ehe die Amerikaner starke Kräfte in die Wagschale werfen können. – Wir müssen die Engländer schlagen. – Auf diesen drei Leitsätzen sind die Operationen aufzubauen. (Richtlinien der O.H.L. für die Vorbereitungen der Frühjahrsoffensive 1918, Grundlegende Besprechung Ludendorffs mit den Heeresgruppenchefs, Mons, 11. 11. 1917)

7

WTB meldet 6. 6. 18: Vernichtung der stolzen Manövrierarmee der Entente. – Amerikanische Truppen im Westen sind von 200000 anfangs 1918 auf 700000 angewachsen. (Leop. Schwarzschild, Tagebuch, 3. 11. 1918)

8

An der Front tobte die große Schlacht. Man verfolgte Tag um Tag die Heeresberichte. Ging es vorwärts? Kam nun endlich, von allen ersehnt, der Bewegungskrieg? Brachte er das endliche Ende?

Man verfolgte die Heeresberichte. Aber man wurde bei den Phrasen nicht glücklicher, nicht mutiger. Der Regimentskommandeur befahl des öfteren abends seine Offiziere zu sich, und dann wurde an Hand von Karten der deutsche Angriff erörtert, soweit sich Unterlagen dafür finden ließen. Dann eine Juninacht: »Meine Herren, soweit ich die Lage übersehe, ist in den letzten Monaten zwar viel geleistet, nur – es fehlt Reims. – Unser Angriff scheint einstweilen zu Ende zu sein. Aber denken Sie an das Wort vom General Ludendorff: Es darf nicht geglaubt werden, daß wir eine Offensive haben werden, wie in Galizien oder in Italien; es wird ein gewaltiges Ringen, das an der einen Stelle beginnt, sich an der andern fortsetzt und lange Zeit in Anspruch nehmen wird, das schwer ist, aber siegreich sein wird. – Meine Herren, ich wünsche uns allen, daß unser Regiment bald dabei ist.«

Zwei Tage später Abmarsch! Alle Befehle, die eintrafen, waren erregend geheimnisvoll. Man wußte nichts, erfuhr nichts, konnte kaum weiter denken und diskutieren als über einige Marschstunden. Drei Nächte, immer zwölf Stunden auf dem Pferde, durch Dörfer und Städte. Die Formationen auseinandergerissen.

Der Stab der 3. Abteilung ritt allein, bei ihm nur einige Meldereiter der unterstellten drei Batterien. Und immer nach drei oder vier Stunden stand ein Offizier am Wege, Ordonnanzoffizier der Division, mit versiegeltem Brief in der Hand: Marschziel für die nächsten Stunden.

Eines Morgens: Laon. Hier sollte längere Ruhe sein. Die Batterien wurden in kleinen Dörfern in der Nähe der Stadt untergebracht oder in Stücken des großen Waldes, der überall stand.

Von der Front war nichts zu sehen. Man war ihr näher: In der Luft lag der unaufhörliche Donner. Am Himmel erschienen trotz den Abwehrbatterien Scharen von feindlichen Fliegern, die Laon und die Dörfer bombardierten. Aber sonst war Ruhe.

Man nutzte sie aus.

Am Hang eines Hügels standen einige Bretterbuden, vielleicht vor Monaten von der Infanterie gezimmert. Sie wurden Quartier des Abteilungsstabes.

Es gab nichts zu arbeiten. Es wurden nicht einmal Telephonleitungen zum Regimentsstabsquartier gelegt. Zwar kam jeden Abend ein Befehl, man zitterte jeden Abend seinem Inhalt entgegen: Wann geht es nach vorn? Doch es blieb Ruhe. Mehr als das: Es wurde ausdrücklich befohlen, den Pferden und den Mannschaften nach Möglichkeit uneingeschränkte Erholung zu gönnen. Dazu gab es reichliche Verpflegung, viel Brot, viel Klippfisch. Zuweilen pro Kopf ein Viertel Liter Branntwein.

Weller und Reisiger spielten fast den ganzen Tag Schach. Der Hauptmann hatte in der Umgebung eine recht gute Kantine eines Reiterregiments entdeckt. Dort hielt er sich eigentlich immer auf.

Dort war er auch, als eines Abends kurz vor Eintritt der Dunkelheit Weller und Reisiger ihn erreichten, um ihm den Befehl vorzulesen, der dem Frieden ein Ende machte.

Etappeninspektion VII, Ia, 365 geheim.

Gemäß A.O.K. 7, Ia Gen. Art. 4431/18 vom 26. 6. 18 ist in zwei Nachtmärschen, beginnend in der Nacht vom 1. 7. 18 abends Gegend Longueval zu erreichen. Es marschieren ab a) L.M.K. in Nacht vom 1. 7. abends b) Regiments- und Abteilungsstäbe mit Kommandeuren, sowie von jeder Batterie ein Offizier mit Begleiter in Nacht vom 1. 7. abends. c) Batterien ohne große Bagage in Nacht vom 2. 7. abends. Marschstraße Presless, Lierval, Grandelain, Bray–En-Laonnois, Soupir, Chavonne, St. Mard, Vauxtin. – Marschleistung jede Nacht etwa 20 Kilometer. – Marschrichtung Fismes, wo jeweils durch einen am letzten Tag vorauszusendenden Offizier weiteres Marschquartier bei dortiger Ortskommandantur zu erfragen ist. Ein besonderer Offizier vom A.O.K. wird dort die erforderliche Auskunft erteilen. – Es dürfen grundsätzlich nur Nachtmärsche ausgeführt werden und zwar so, daß erst bei Eintreten der Dunkelheit abmarschiert wird und bei beginnender Morgendämmerung schon die neuen Biwacks erreicht sind. – Bei allen Formationen ist mit größter Strenge darauf hinzuweisen, daß beim Marsch in der Nacht beim Nahen feindlicher Flieger alle Fahrzeuge usw. soweit möglich unter Chausseebäumen halten, auf freier Strecke jede Bewegung sofort eingestellt wird. Und daß ferner bei Tag jedes Biwack feindlicher Sicht entzogen wird. Unterstellen der Pferde und Fahrzeuge unter Bäumen, Häuserresten; auch in Dörfern muß beim Nahen feindlicher Flieger Deckung gegen Sicht aufgenommen werden. Lagerfeuer verboten. Rauch muß vermieden werden. Auf Unterkunft ist nicht zu rechnen. – Sämtliche Formationen haben sich bei Etappenmagazinen Athis oder Laon so mit Verpflegung zu versehen, daß sie nach Überschreiten der Linie Piermand–Laon–Sissonne noch für zwei Tage mit Verpflegung ausgerüstet sind. – Große Bagage nicht mitnehmen! Es wird darauf hingewiesen, daß diese Maßnahmen überwacht werden. Lebensmittel-, Futterwagen mitnehmen, desgleichen Wasserwagen. Auf schlechte Wasserversorgung beim Marsch über Chemin des Dames wird hingewiesen.

Zusatz des Regiments: Marschroute und Ziel darf jeweils nur an Offiziere bekanntgegeben werden. Mannschaften über Verhalten auf Marsch, in Biwack und bei Fliegergefahr eingehend belehren. Auf Marsch Vorsicht mit Taschenlampen und Anzünden von Streichhölzern! – Achselklappen und Nummern auf Fahrzeugen verdecken.

Hauptmann Brett las den Befehl, schob ihn an Weller zurück: »Meine Herren, ich denke, das ist das endgültige Todesurteil.«

9

»Auf Unterkunft nicht zu rechnen.« – »Auf schlechte Wasserversorgung beim Marsch über Chemin des Dames wird hingewiesen.«

Das Regiment marschiert.

Voran die Trupps, die Kommandeure mit ihren Stäben.

Reisiger jede Nacht neben Weller.

Es geht fast immer im Trab. Gegen Morgen teilt sich der Trupp, die Abteilungsführer lassen ihre Batterien vorkommen und Biwack beziehen.

Die trostloseste, grauenhafteste Gegend, die Reisiger je erlebt hat.

Unmöglich, wenn er neben Weller reitet, sich zu unterhalten. Wo das Pferd auch hintritt, wo der Blick auch hinfällt: es ist nichts als die letzte Vernichtung. Die Fahrzeuge, ist befohlen, sollen nach Möglichkeit unter Bäumen aufgestellt werden: Es gibt nichts als die letzten Reste zersplitterter und zerschlagener Stämme. Man soll Deckung nehmen unter Häuserresten: Es gibts nichts, als Kalkfelder, in Atome zerstaubt. – Darauf stehen Schilder, immer wieder Schilder: »Hier war das Dorf X« ». . . Hier lag das Dorf Z.«

Die Nächte sind dunkel. Um so erschreckender ist es gegen die Morgendämmerung hin, wenn die Schleier gehoben werden: Verlassenste, kälteste, entsetzlichste Kraterlandschaft. Kein Gras, keine Blume, kein Stein neben oder auf dem andern. Nichts als tiefe Löcher, zum Teil mit grünlichem stinkendem Wasser gefüllt. Unsägliche Anstrengung. Oft über halbe Stunden steigt man vom Pferd, nimmt das Tier am Halfter, stolpert mit ihm in die vorgeschriebene Richtung. Oft gegen Morgen kommt statt der Batterie, deren vier Geschütze man erwartet, nur ein einziges. Die andern sind liegengeblieben, irgendwo im Dreck. Es mag Stunden dauern, bis sie folgen.

Kein Wasser außer in den kümmerlichen Fässern, die man bei sich führt. Niemand kann sich waschen. Nach acht Tagen Marsch sind die Mannschaften und Offiziere dick verkrustet, haben Bärte.

Da nicht gekocht werden darf, nährt man sich von Brot und Brot und kaltem Büchsenfleisch.

Und immer, wenn man ein Ende, ein Ziel erhofft, taucht wieder der Offizier auf mit dem versiegelten Befehl. Und man schleicht weiter. Unvorstellbar, daß diese Truppe, die den Eindruck macht, als bestünde sie nur noch aus kranken Menschen, in die Schlacht soll.

Nach 10 Tagen bessert sich die Gegend. Jetzt wachsen Bäume, jetzt gibt es Häuserreste. Jetzt gibt es ein Dorf. Da steht wieder der Offizier. Der Befehl wird entsiegelt: Der Stab der 3. Abteilung bezieht hier im Dorf Quartier. Die Batterien der Abteilung gehen in der nächsten Nacht in die festgelegten Feuerstellungen. Und die Front? »Ja, die Front ist nahe.«

Es ist seltsam ruhig. Über Tag fällt nicht ein einziger Schuß.

Jetzt gegen abend hört man ganz selten eine Granate, kleines Kaliber.

Der Hauptmann sitzt mit seinen beiden Offizieren und Winkel in einer großen Stube des Stabsquartiers. Herein kommen die drei Batterieführer, um sich zur Feuerstellung abzumelden.

Mit fragenden Blicken: Was wird?

Niemand weiß etwas. Auch der Hauptmann nicht. Der Regimentsbefehl ist inzwischen eingegangen, mit belanglosen Kleinigkeiten. Der Hauptmann schüttelt den Offizieren jovial die Hand: »Aber meine Herren, was soll schon werden. Wir haben sicher wieder Schwein gehabt. Der ganze Zinnober scheint sich in einer andern Gegend abzuspielen. Sie hören ja: völlige Ruhe an der Front.« Er unterbricht sich. Ein Ordonnanzoffizier des Regiments ist eingetreten. »Neuer Befehl für die III. Abteilung.«

Der Hauptmann öffnet das Schreiben: »Kinder, Ihr seid wohl nervös? Ihr macht einen ja ganz verrückt mit Eurer Geheimniskrämerei. Was ist denn los?«

Der Ordonnanzoffizier zuckt die Achseln: »Ich weiß auch nichts, Herr Hauptmann.«

Befehl, geheim, nur durch Offizier zu schreiben und zu übermitteln: Der Einsatz der Batterien geschieht folgendermaßen: es geht, ab heute abend 10 Uhr, stündlich von jeder Batterie nur ein Geschütz in Stellung. Nach einer Stunde das nächste und so fort. Es muß auf das allerstrengste darauf gesehen werden, daß das Einrücken völlig geräuschlos erfolgt. Räder von Lafetten und Protzen sind mit Stroh zu umwickeln. Die Mannschaften sind darauf hinzuweisen, daß jeder Gebrauch von Taschenlampen oder Streichhölzern und das Rauchen auf das strengste bestraft werden! – Es darf unter keinen Umständen Telephon benutzt werden. Jedes Leitunglegen wird verboten! – Statt dessen hält sich Tag und Nacht ein Offizier jeder Batterie mit Pferd bei seinem Abteilungsstab auf – Alle Stellungen sind bereits reichlich mit Munition versehen. Sobald das letzte Geschütz jeder Batterie postiert ist, verlassen sämtliche Offiziere und Mannschaften die Stellung bis auf eine Wache von je zwei Mann, die unter Androhung strengster Bestrafung darauf hinzuweisen sind, daß bei Tagesanbruch unter keinen Umständen auch nur die geringste Bewegung innerhalb der Stellung gezeigt werden darf – Die herausgezogenen Offiziere und Mannschaften liegen bis auf weiteres in den auf anliegender Skizze bezeichneten Höhlen etwa 3 Kilometer hinter ihren Batterien. Auch für sie gilt völlige Bewegungslosigkeit von morgens bis nachts. – Ab morgens früh 3 Uhr darf kein Gespann oder Reiter mehr das Gelände passieren. Verpflegung wird nachts durch Fußgänger in die Stellung und in die Bereitschaft gebracht. Auf Post ist in den nächsten Tagen nicht zu rechnen. Auch die Absendung von Feldpost ist verboten.

Der Hauptmann legt den Befehl auf den Tisch. Der Ordonnanzoffizier des Regiments verbeugt sich, geht. Der Hauptmann: »Alles klar, meine Herren? Nicht wahr, Sie verstehen: alles, was geschieht, unter allen Umständen so geheim, daß auch die Mannschaften absolut im Unklaren bleiben. Schicken Sie mir Ihren jüngsten Herrn als Meldeoffizier. – Ich danke Ihnen. Hals- und Bauchschuß!« –

Der Ordonnanzoffizier des Regiments kommt in dieser Nacht noch dreimal. Der Hauptmann hat sich längst in das Bett gelegt, das in der oberen Etage des Hauses steht. Oben, im Zimmer neben ihm, liegen auch die Batterieoffiziere.

Weller und Reisiger sitzen allein mit einigen Schreibern und Zeichnern unten und bearbeiten die neuen Befehle.

An Schlaf ist nicht zu denken. Hier wird, das spürt man, eine Maschine in Gang gesetzt, die trotz ungeheurem Ausmaß der von ihr geforderten Leistung diffizilste Präzision als wichtigste Voraussetzung haben muß.

Die Genauigkeit der Ziffer kann allein diese Präzision gewährleisten! Und der Rausch der Zahl ist so groß, daß Weller und Reisiger längst darüber vergessen haben, wie jede Zahl einen, hundert, hunderttausend Menschen bedeutet. Wie ein Millimeter auf den Karten, die vor ihnen liegen, Tod einer Batterie bestimmt, wie ein roter Tintenkreis einen Hagel von Gasgeschossen, ein schwarzes Quadrat einen Regen von Granatsplittern befiehlt.

Mit neuen Meldereitern kommen neue Karten, Fliegeraufnahmen, Aufklärungsberichte. Immer klarer ergibt sich das Bild der Front, festgelegt für jede Fußbreite. Und es gibt endlich bis auf etwa 40 Kilometer rechts und links von Reims, dem ersehnten, ersehnten Ziel, nicht Eine Sappe, nicht Einen Graben, nicht Eine Bereitschaftsstellung, nicht Eine einzige leichte oder schwere Batterie beim Feind, die nicht auf Meter genau in die immer mehr vervollkommneten Kartengebilde eingezeichnet sind.

Jedes feindliche Geschütz, jede im einzelnen lächerlich unerhebliche Position erhält eine Nummer.

Jede dieser hundert Nummern wird verteilt auf die geballte Masse der deutschen Artillerie.

Für jede Nummer liegen seit Tagen Berge von Munition bereit.

Aber wird das alles klappen? Wird wirklich, wenn der große Befehl kommt, jeder einzelne Schuß dort einschlagen, wo allein er nötig ist? – Über den Berechnungen gehen die Nächte hin.

Zuerst schlägt die Arbeit, Zahlen, Zahlen, Messungen, dieses Einkreisen des Feindes, dieses Umzirkeln: hier müssen hundert Schuß liegen, hier zwanzig, hier achtzig, hier muß getrommelt werden – schlägt das alles immer wieder als Rausch in Reisiger hoch. Ist immer neuer Taumel: »Sehen Sie, hier, Weller, hinter der Bodensenke, steht, das neue Fliegerbild zeichnet das haarscharf, eine ausgezeichnet gedeckte Batterie. Die wir flankieren sollen. Was meinen Sie – dreihundert, na, fünfhundert Schuß drauf, wie, das kann unsere 8. Batterie noch übernehmen, nicht wahr? – Also gut. Notieren, auf Ziel 318e schießt 8/253 von X plus 80 Minuten 500 Schuß Bunt.«

Aber dann, wenn die beiden Offiziere morgens dem Hauptmann die Listen und Pläne vorgelegt haben, wenn alles zum drittenmal durchgerechnet, notiert ist, wenn die beiden schlafen dürften: dann ist der Rausch verjagt.

Dann kommt lähmende Erschöpfung und ist so groß, daß an Schlaf nicht zu denken ist.

Dann wälzen sich die beiden, auf eine Seite, auf die andere Seite. Vor den krampfhaft geschlossenen, brennenden Augen zittern die Bilder der Karten. »Herrgott, Reisiger, haben wir das Wegekreuz im Quadrat 17 über Graben 107 auch nicht vergessen« – »Sagen Sie, Weller, ich fürchte, unsere 9. Batterie hat noch nicht die genaue Angabe für die Stellung der Batterie 33 Caesar.«

»Was, Reisiger, macht die Siebente um X plus 20 Minuten?«

Und, ganz wirr, endlich in Halbschlaf gezerrt: »X plus 20 Minuten? X plus, wie meinten Sie, Weller – X plus 20 Minuten, X plus X, X –« Und schon wieder wach, hochgerichtet von der Matratze: X, X? Was wird X sein?

Wann ist X? An welchem Tag ist X? Welche Stunde heißt X? – Nach der Uhr gesehen: Zwei Uhr mittags. – Die Hand fallen gelassen: ist in 12 Stunden die große Stunde X?

Und wenn diese große Stunde X schlägt: ist dann wirklich alles in Ordnung? Wird die Maschine auch nicht Eine Sekunde, von X bis X plus 60 Minuten und nochmal plus 60 Minuten und bis zu X plus Unendlich auch nicht Eine Sekunde den Gleichtakt verlieren?

Aufstehen. Aha, Weller schläft wirklich. Etwas trocken Brot kauen. »Guten Tag, Herr Hauptmann.« Der sitzt jetzt über den Karten, blättert in angehäuften Akten, liest in der neuen Gefechtsvorschrift, blättert, wie man Bibelstellen sucht, hier ein paar Zeilen, dort. »Reisiger, das ist das beste Buch, das es gibt. Ausgezeichnet geschrieben.«

Reisiger kennt den Satz schon. Die alte Marotte seit dem Übungsplatz. Der Papa im Kreise der Seinen, vorlesend. »Ich muß mich wohl um die Wetterberichte kümmern, Herr Hauptmann.«

Der Hauptmann blättert schneller. »Hören Sie doch erst mal zu. Passen Sie mal auf, hier, wie das gesagt ist, hier, Ziffer 53: ‚ Völlige und dauernde Niederkämpfung der feindlichen Artillerie gelingt selten. Je nach der Gefechtslage ist daher zu unterscheiden, ob es darauf ankommt, die feindliche Artillerie für kurze Zeit lahmzulegen oder sie wenigstens zu dämpfen oder ob Zerstörung ihres Geräts, ihrer Munition und ihrer Unterstände beabsichtigt ist.

Im ersteren Falle ist besonders Gasmunition wirksam. Beschießung mit Brisanzmunition verspricht bei nicht allzu hohem Munitionseinsatz nur Erfolg, wenn mit Beobachtung geschossen werden kann oder wenn es wenigstens gelingt, die Streugrenzen in engen Grenzen zu halten. Ob hierbei schlagartiges Vernichtungsfeuer oder langsames Störungsfeuer abzugeben ist, ist je nach der Gefechts- und Munitionslage zu entscheiden.

Ist dagegen Zerstörung des Geräts usw. beabsichtigt, so erfolgt die Bekämpfung der feindlichen Artillerie im sorgfältig geleiteten, bis zur Erledigung des betreffenden Einzelzieles durchgeführten Zerstörungsfeuer. Der Erfolg hängt neben dem Einsatz ausreichender Munition in besonderem Maße von der Beobachtung ab, die bis zum Ende des Schießens durchgeführt werden soll. Fehlt Beobachtung, so müssen wenigstens genügend sichere Schießgrundlagen vorhanden sein.‘ – Na ja, das haben wir ja Gott sei Dank. –« Er blättert weiter, leckt dabei am Finger. Reisiger will zur Tür gehen. »Augenblick noch, warten Sie doch mal – sehen Sie hier, für unsere Situation, wohlgemerkt: Ziffer 54, hier unten: ‚ Die artilleristische Vorbereitung des eigenen Infanterieangriffs erfolgt meist in ruhigem Zerstörungsfeuer, bis die Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Angriffsziele gut und gleichmäßig unter Feuer liegen und erkannte besonders wichtige Ziele (Nahkampfgeschütze, Maschinengewehre, Unterstände usw.) in größerem Umfang zerstört sind‘.« Er sieht auf: »Das wird bei uns unter Garantie um X Uhr plus 90 Minuten restlos geschehen sein.« Dann liest er schmunzelnd weiter: » Das Feuer steigert sich dann zum Vernichtungsfeuer, das jedoch zur Schonung des Geräts mit Zerstörungsfeuer noch abwechseln muß. Der Infanterieangriff wird durch das Vernichtungsfeuer bis unmittelbar zum Einbrechen in die feindliche Linie begleitet. Alsdann verlegt die Artillerie das Feuer in Sprüngen nach vorwärts. Das weitere Verfahren hängt von den eigenen Absichten ab und muß daher genau geregelt sein!‘ –« Er klappt das Heft zu. Lacht: »Von den eigenen Absichten, das weitere, ha, na ja. Reisiger, wir machen das Rennen.« Das war am 13. 7. 1918.

10

Bereits am 7. Juli konnte der Führer der 4. französischen Armee, gegen die sich der Angriff in erster Linie richtete, seinen Truppen sagen: »Ihr wißt alle, daß niemals eine Verteidigungsschlacht unter günstigeren Bedingungen stattfinden wird. Wir sind vorbereitet und auf der Hut. Ihr kämpft in dem Gelände, das ihr durch eure Arbeit und Standhaftigkeit in eine mächtige Festung verwandelt habt.« (Der Große Krieg, 1914-1918, Kurzgefaßte Darstellung auf Grund der amtlichen Quellen des Reichsarchivs von Erich Otto Volkmann, Berlin, 1922, S. 178)

11

Der Nachrichtenoffizier der Heeresgruppe Rupprecht (von Bayern) und unabhängig von ihm ich als Nachrichtenoffizier der Heeresgruppe Kronprinz, konnten auf Grund von Ermittlungen aus Gefangenenaussagen, erbeutetem Schriftmaterial, Spionage und endlich sogar noch Überläuferverrat frühzeitig melden, wann ungefähr und wo genau die erste Foch-Gegenoffensive erfolgen würde.

Am 11. Juli, also genau 8 Tage vor dem großen Wendetag, sandte ich an die Oberste Heeresleitung und sämtliche höheren Führerstellen der Westfront einen ausführlichen Bericht über die seit 3 Wochen erfolgende Versammlung von etwa 20 der besten französischen Kampf- und Angriffsdivisionen im Walde von Villers Cotterêts und westlich davon. Jede französische sowie jede der fünf dabei beteiligten amerikanischen Divisionen konnte mit ihrer Nummer angegeben werden und laut Überläuferaussage sollte diese Kampfreserve Fochs »um den 17. Juli herum« mit dem rechten Flügel an der Ourqc, mit dem linken auf Soissons zu in 20 Kilometer Breite die dort nur sehr schwach besetzte deutsche Front angreifen.

Besonders glückliche Umstände und Zufälle hatten also diesmal eine vorherige Kenntnis der feindlichen Absichten ermöglicht, wie man sie im Kriege sonst nur äußerst selten hat.

Aber diese Meldung und ebenso die ähnlich lautenden anderer Nachrichtenoffiziere der Westfrontarmeen machten wenig Eindruck auf die deutsche oberste Führung. Warum, das ergibt sich vielleicht aus einem Telephongespräch, das ich am 13. Juli mit einem höheren Offizier des Nachrichtendienstes im Großen Hauptquartier hatte. Ich fragte ihn besorgt und unruhig, ob auf meine Meldung vom 11. Juli hin denn gar nichts weiter geschehen würde und meinte damit vor allem eine Verstärkung des bedrohten Frontabschnittes. Die Kräfte dazu waren vorhanden, standen doch in jenen Tagen in Belgien noch etwa 20 deutsche Kampfdivisionen in Bereitschaft für einen dort geplanten deutschen Großangriff gegen die englische Front. Ich hatte geglaubt, man würde jetzt von dort wenigstens einige Divisionen hinter unseren bedrohten Frontabschnitt schicken, der in einer Breite von etwa 20 Kilometern von nur 9, noch dazu stark abgekämpften Divisionen besetzt war. Aber meine nervösen Fragen wurden von dem Herrn der Obersten Heeresleitung mit dem kurzen Bescheid abgefertigt: »Lassen Sie Foch nur versammeln, was er will, und planen, was er will. Ehe er den von Ihnen so schön gewitterten Angriff macht, werden wir ihm diktieren, wo er zu kämpfen hat, und zwar als Verteidiger, nicht als Angreifer!« (Major a. D. Kurt Anker, Berliner Tageblatt, 20. 7. 1929)

12

Am 13. 7. 1918 kamen von der Front Meldungen, daß die Mannschaften z. T. an heftiger Grippe erkrankt seien. Befehl: alles bleibt möglichst in den Stellungen!

Grippe, Blitzkatarrh, Influenza, meist epidemisch auftretende, sehr ansteckende, durch das Influenzabakterium verursachte Infektionskrankheit. (Der Kleine Brockhaus, 1915)

Am 13. 7. 1918 kamen Meldungen, daß an manchen Stellen der Front heftige Ruhranfälle zu verzeichnen seien. Befehl: die Sanitätsstationen und Feldlazarette sorgen für die Unterbringung der Kranken. Es ist nach Möglichkeit darauf zu achten, daß die Truppenteile schnellstens wieder auf die normale Stärke gebracht werden.

Ruhr, Dysenterie, epidemisch auftretende, diphtheritische Entzündung der Dickdarmschleimhäute; Fieber, Leibschmerz, quälender Stuhldrang und Durchfall, wobei schleimige oder blutige Stühle unter großen Schmerzen entleert werden; kann chronisch werden, aber auch durch Entkräftung tötlich ausgehen. (Der Kleine Brockhaus, 1915)

Leutnant Reisiger sitzt, gegen 10 Uhr abends, neben Leutnant Weller, über Karten und Listen gebeugt. So gebeugt, daß sich das Kinn gegen die Tischkante preßt. Er kann kaum sprechen, hat rote Schleier vor den Augen, hat Feuer in seinem Leib. Hat Schmerzen, unter denen er jede Zahl, jede Angabe stöhnend herauspreßt.

Der Arzt, Winkel, kommt ins Zimmer. Er sieht Reisiger, faßt ihm über die Stirn: »Sie haben Fieber.«

Reisiger: »Kunststück – ich scheiße seit heute mittag nur noch pures Blut.«

Winkel: »Aber Herr Reisiger, Sie gehören ins Lazarett. Sie haben die Ruhr.«

Weller: »In Planquadrat 18 steht auf Kleinquadrat 8 Schrägstrich 11 . . .«

Reisiger, brüllend: »Doktor, das ist ja zum Wahnsinnigwerden.«

Weller: »Wir sind bald fertig, Reisiger –«

Reisiger springt auf, stürzt zur Tür hinaus. Kommt nach einer Weile zurück: »Ich habe ja überhaupt nichts mehr in mir. Dabei drängt es so entsetzlich in den Gedärmen.«

Der Arzt fühlt seinen Puls: »Herr Weller, ich mache dem Hauptmann die dienstliche Meldung, daß Herr Reisiger absolut krank –«

Da tritt der Ordonnanzoffizier des Regimentes ins Zimmer. »Morgen, meine Herren. Bitte sorgen Sie dafür, daß sämtliche Offiziere der Abteilung heute nacht 3 Uhr sich im Divisionsstabsquartier in der Kirche des Ortes einfinden. Dazu natürlich der Abteilungskommandeur und Sie alle. Jetzt ist es –« er sieht zur Uhr, »– dreiviertel zwölf. Also gute Zeit. Höchstens eine Stunde Ritt.« – Er kratzt sich die Schläfe: »Meine Herren, der Laden brummt, glaube ich. Vielleicht gehts los. – Morgen!«

Weller, zur Tür hinaus: »Die Pferde satteln.«

Reisiger, hinauf zum Hauptmann, der fest schläft: »Herr Hauptmann, wir müssen heute nacht zur Division.«

Der Arzt: »Aber Herr Reisiger, Sie dürfen nicht. Es ist doch glatter Irrsinn. Sie fallen ja vom Pferde.«

Reisiger, müde, abwinkend: »Totgeschossen oder totgeschissen, lieber Doktor – es ist schon ganz egal.«

13

Drei Uhr nachts, vom 13. zum 14. 7. ist die Kirche des Dorfes, in dem sich das Stabsquartier befindet, von Artillerieoffizieren aller Dienstgrade überfüllt. Auf allen Emporen, allen Gängen, im Mittelschiff steht Offizier neben Offizier. Majore und die jüngsten Leutnants.

Der Raum ist mit Kerzen schwach beleuchtet. Am Altar stehen große schwarze Kandelaber mit brennenden Kerzenbündeln. Das Altarbild, Jesus am Kreuz, rührend gemalt, ist dunkel. Man sieht nur merkwürdig kalkig das Gesicht des Christus. Zwei schlecht gezeichnete, sehr langfingrige, weiße, durchbohrte Hände.

Auf Sekunden hat die Versammlung vergessen, daß sie nicht in einer Kirche, sondern zu einem Kriegsrat versammelt ist: Es wird nur sehr leise geflüstert.

Die Kirchturmglocke schlägt drei.

Die Feldgendarmerieposten reißen das Kirchtor auf. Es erscheint mit hallenden Schritten ein kleiner Offizier, Hakennase. Unter dem Arm einen blauen Aktendeckel. Er behält die Mütze auf dem Kopf, nimmt von der Versammlung keine Notiz, geht auf die Altarstufen.

Den Rücken gegen das Christusbild.

Es ist der artilleristische Berater der Heeresgruppe.

Er öffnet den Aktendeckel, beginnt zu sprechen. Mit schneidender Stimme, kalt, sachlich, haargenau. Sagt, man habe sich abgewöhnt, irgendwelche Voraussagen zu machen. Man müsse, bis zum äußersten, auf dem Boden der Tatsachen stehen. Hebt die Stimme etwas: »Meine Herren, es ist gleichgültig, ob das, was wir planen, die endgültige Entscheidung bringt oder nicht. Ich hoffe, Sie alle haben das Menschenmögliche getan. Ich wünsche, und übermittle dabei den eindeutigen Willen der Obersten Heeresleitung, Sie haben mehr getan. Phrasen überlassen wir dem Feind. Wir handeln. Wir siegen. Oder wir sterben. – Und nun zur Sache: Meine Herren, wir arbeiten, oder vielmehr Sie arbeiten zum erstenmal in diesem Feldzug mit zwei Unbekannten: Niemand weiß, an welchem Tag und zu welcher Stunde unser Unternehmen beginnen wird. Unter gar keinen Umständen darf das zur Lässigkeit führen. Wir erwarten, meine Herren, daß Sie im Gegenteil zu jeder Sekunde bereit sind, und daß diese Bereitschaft, auch wenn sie noch tagelang dauert, nicht zur Nachlässigkeit werden darf.

Das Unternehmen heißt: Anna. Die Uhrzeit heißt X. Weitere Sorgen brauchen wir uns nicht zu machen. Auf das Stichwort Anna werden sämtliche Stellungen besetzt. Folgt diesem Stichwort der Befehl, X ist gleich 11 Uhr, oder was weiß ich, so beginnen zur angegebenen Zeit die Geschütze das festgelegte Feuer.

Das muß klappen. Und meine Herren, alles weitere ergibt sich dann von selbst.

Wir sind nicht dazu da, festzustellen, ob die Zeit ernst ist, ob der Gegner stark oder schwach ist. Wir sind nur dazu da, zu handeln.

Und meine Herren, und das ist wichtig, schweigend zu handeln. Unsere Unternehmung verspricht allen Erfolg. Unbedingte Notwendigkeit ist es aber, daß der Feind auf keinen Fall Nachrichten darüber erhält.«

Der Major klappt seinen Pappdeckel zu, legt die Hand an die Mütze. Die Anwesenden verbeugen sich. Der Major geht steif durch den Mittelgang ab.

Die Kirche leert sich.

14

Die zwei Unbekannten, Datum und Stunde des Unternehmens »Anna«, werden jetzt zu einer Qual.

Man hat bis jetzt gearbeitet, aber nun, wo bis auf Millimeter und Sekunden alles auf dem Papier steht, wo es nichts mehr zu tun gibt, als zu warten, wandelt sich das normale Denken in das sinnlose Kreisen eines Karussels. Man ist allein, oder man ist mit andern zusammen, man sitzt und stiert vor sich hin, oder man versucht eine Unterhaltung, man kaut an dem entsetzlich trockenen, bröckligen Brot oder man raucht: Immer kreist es sinnlos nach sinnlosen Melodien, plärrend, zischend – Anna, X, X, Anna.

Das setzt bereits ein, als die Offiziere auf den Pferden durch die Dämmerung ins Quartier zurückreiten. Der Hauptmann, mißtrauisch gegen den Morgenhimmel: »Na, Weller, was meinen Sie, wenn uns nur ‚Anna‘ nicht verregnet.«

Die Pferde in Trab.

Nach einer Weile Weller: »X plus vier Stunden. Vielleicht sitzen wir dann wieder auf dem Gaul und reiten nach Paris.«

Die Pferde im Trab.

Reisiger, vor Schmerzen so gekrümmt, daß ihm einmal das Kinn auf den Sattelknopf aufschlägt, halblaut mehr zu sich oder zum Pferd: »Das verfluchte X!« Und nun noch leiser, ganz in sich hinein: Wie gut das gemacht ist – und wenn man jede Stunde im Leben nach der Uhr fixieren kann – eine Stunde X gibt es bestimmt – die große Unbekannte – wo man abkratzt.

Trab. Reisiger kann sich nicht mehr halten. Hinter ihm reitet sein Bursche. Der sieht, wie der Leutnant links über den Hals des Pferdes abrutscht. Fängt ihn auf, legt ihn auf den Boden. Das Pferd bleibt stehen. »Herr Feldunterarzt!«

Aber die sind schon weit vorweg, hören nicht.

Was bleibt übrig? Reisiger läßt sich wieder aufs Pferd heben, reitet nach.

Die Sonne scheint. Das Quartier ist recht freundlich. Am langen Tisch unten im Arbeitszimmer sitzen wieder die Schreiber und Zeichner.

Als Reisiger eintritt, ist Dr. Winkel schon im Zimmer, geht ihm entgegen: »Hören Sie, Herr Reisiger, das ist doch glatter Wahnsinn. Sie sehen aus wie Käse. Wenn Sie nicht hören wollen, muß ich dem Hauptmann Meldung machen.«

Reisiger setzt sich an den Tisch: »Der Hauptmann schläft schon. Im übrigen, lieber Doktor, haben wir andere Sorgen als ihr hohe Sanitätsbeamte.« Und da Weller eintritt: »Herr Weller, ich glaube, wir schreiben jetzt die endgültigen Befehle, nur von Offizieren geschrieben, lassen ‚Annas‘ Datum und das ‚X‘ aus.«

Das geschieht.

Am Nachmittag dieses Tages gegen 3/45 Uhr reißt der Ordonnanzoffizier des Regiments unhöflich und unbekümmert die Tür auf. Der Hauptmann macht ein ungnädiges Gesicht. Er kommt aber nicht dazu, die Ungnade zu äußern. Der Ordonnanzoffizier, aufgeregt, mit breitem Lächeln, sagt: »Regimentsbefehl: Anna 15. Juli, X gleich 2 Uhr morgens.«

Es ist schwer, den Bleistift zu halten. Weller und Reisiger malen in die ausgeschriebenen Befehle: »Anna gleich 15. Juli, X gleich 2 Uhr morgens.«

Es ist kaum dämmerig draußen, da galoppieren die Meldeoffiziere zu den Bereitschaftsstellungen der Batterien.

Wenig später reiten Hauptmann Brett, Leutnant Weller, Leutnant Reisiger, Feldunterarzt Winkel zur Stellung. Im Quartier wird Anweisung gegeben, sofort alle Sachen zu packen und den Bagagewagen die Nacht über angespannt in Bereitschaft zu halten. Alles Gepäck kommt auf den Wagen.

Die Offiziere haben nichts bei sich als Karten und Gasmaske.

15

15. 7. 1918, 1.30 Uhr vormittags. Was an der Front geschieht, ist ein ungeheuerliches Kostümfest des Krieges. Wenn du dem Hauptmann Brett und seinem Stab gefolgt bist, wenn du dich ihnen angeschlossen hast, als sie abstiegen und ihre Pferde mit den Burschen wieder nach hinten schickten, wenn du nun mit ihnen durch die Nacht die Anhöhe vor dir hinaufsteigst, mühsam, da überall ein dickes Gewucher von Brombeeren steht, wenn du nun oben bist, auf dem Rücken der Höhe: Du wirst es nicht begreifen, du kannst es nicht begreifen.

Ungeheuerlichstes Kostümfest des Krieges. Da wimmelt es von Menschen. Da stehen mehr Menschen nach rechts und nach links und vor dir und hinter dir als du zählen kannst. Da schwirrt es von Stimmen, geflüstert halblaut, aber laut genug, um wie das Auf und Nieder von Wellen immer neu an dein Ohr zu schlagen.

Sieh dir die Menschen an. – Sind das Soldaten? Keine Uniformen, keine Mützen, kein Stahlhelm. Gewiß, hohe Stiefeln über feldgrauen Hosen. Aber nackte Arme, nackter Hals, die Brust frei. Sind das Soldaten?

Das schlendert durcheinander, das pfeift leise vor sich hin, das scherzt, macht Witze.

Ja, es sieht aus, als seien das alles Kinder, die hin und und her springen, die Versteck spielen und sich fangen, die hin und her huschen zwischen den Kulissen dieses Kostümfestes.

Du mußt sagen: Das Fest ist gut dekoriert. Verschwendet hat der Festleiter.

Als ob er zeigen wollte, wie viel er hat.

Geh quer über den Höhenrücken, zähle deine Schritte, miß die Entfernung: 100, 200, 300 Schritt. Hier mußt du halten, hier ist sorgfältig gezogen ein Drahtzaun: Ende des Festsaals. Und nun geh, zum Spaß, zwischen den hüpfenden Kindern hindurch, diese 300 Schritt noch einmal zurück. Und beginne, Schritt nach Schritt, die Kulissen zu zählen, kleine Lauben, kleine Séparés – und in jedem eine Kanone. – Ein Schritt, zwei Schritt: Die erste Reihe mit einem Meter Zwischenraum, soweit du sehen kannst, nach rechts und links. Und, wenn es heller wird: Weiter, viel weiter als du sehen kannst.

Neue Schritte, eins, zwei, drei, vier, fünf: Die nächste Reihe. Gut gemacht, sorgfältig erwogen. Die zweite Reihe steht, so sagte man doch im Turnunterricht, auf Lücke.

Neue Schritte. Eine dritte Reihe, eine vierte Reihe, eine fünfte Reihe. Und wenn du müde wirst, und wenn du den Festleiter fragen könntest: Glaub mir, er wird lachend sagen: Aber das ist ja noch gar nichts. Und er wird die Arme ausbreiten, stolz und protzig: Wir haben ja viel, viel, viel mehr. Und er wird den Daumen heben und wird dir vorrechnen: Bitte, wie groß ist Ihr Wohnzimmer?

Du denkst nach, sagst, schätzungsweise, 6 mal 8 Meter. Da lacht er noch mehr: »Sehen Sie, in einem Raum von der Größe Ihres Wohnzimmers stehen hier, wo wir beide jetzt sind, na sagen wir drei bis vier Geschütze. – Das heißt,« dabei macht er ein etwas weinerliches Gesicht, »allerdings kleine. – Wir haben natürlich auch große.« Und er kommt in Wärme: »Ach, was denken Sie, wir haben sogar ganz große. So große, daß eins von ihnen schon zu groß wäre, um in Ihrem Wohnzimmer, das ich dabei beileibe nicht schlecht machen will, Platz zu finden; – kurz und gut: Wir sind ein Warenhaus.« Und dann will er einen Witz machen und klopft dir auf die Schulter wie ein allzu vertraulicher Rayonchef, und sagt: »Es gibt kein Geschütz, was Sie sich auch denken, von 7,5 bis 38 Centimeter Durchmesser, das nicht hier oben heute morgen greifbar wäre.« – Und dann zieht er den Kopf etwas zwischen die Achseln, wieder etwas weinerlich, und fährt fort: »Allerdings – wir können Ihnen zurzeit keins ablassen. Wir brauchen nämlich alles selber.« Das erschrickt ihn, er sieht nach seiner Armbanduhr, murmelt nervös: »Sie müssen mich bitte entschuldigen – es ist ja bereits 10 Minuten vor zwei.«

Schon ist er weg.

Die wimmelnden Menschen in Hemdsärmeln sind inzwischen an die Séparés herangekrochen.

Immer ein Geschütz mit den hockenden, flüsternden Gestalten. Daneben, höher als ein Mensch, sorgfältig gestapelt, ein Berg von Munition, Geschütz, Munition, Geschütz, Munition – nicht abzusehen wieviel.

Kostümfest? Kostümfest? Kostümfest?

Irgendwo am Festplatz steht hoch aufgerichtet ein Mast. An seinem Wipfel schaukeln einige Drähte. Am Boden neben ihm sitzen zwei Menschen, haben Telephonhörer um die Ohren, sind regungslos.

Du trittst zu ihnen.

Plötzlich ruckt der eine mit dem Kopf, sagt zum andern: »Jetzt höre ich den Summerton, lang, lang, kurz, lang, lang.«

Sagt der andere: »Das heißt Punkt 1 Uhr 55.«

Sie vergleichen die Uhren. Sie spritzen auseinander. Nach rechts der eine, nach links der andere. Du hörst, weitergegeben durch alle Reihen der Geschütze: »Genaue Zeit 1 Uhr 55 und 10 Sekunden.«

Kostümfest?

Aber die spielenden Kinder sind ganz still geworden.

Das Flüstern hat aufgehört.

Ab und zu halberstickt eine Stimme: – 1 Uhr 57. Nach einer Weile: 1 Uhr 58.

Kostümfest? Dieses Herausstoßen der Zahlen macht fast wahnsinnig.

Wie ein Fetzen durch die Luft: »Neun-und-fünfzig –«

Dann! – Dann gibt es keine Nacht mehr, keine Höhe, keinen Wald, kein Geschütz, keinen Menschen. Dann ist das Ganze aufgelöst in das furchtbarste Gebrüll, das jemals aus der Erde gebrochen ist. Du siehst nur noch eine einzige, Hunderte von Metern lange und Hunderte von Metern breite Feuergarbe.

Das ist: Unternehmung Anna, am 15. 7. 1918, 2 Uhr morgens.

16

Da wir nunmehr vor einem Abschluß der gegenwärtigen großen Kämpfe im Westen stehen, deren Verlauf einen bedeutenden Erfolg und großen Sieg für uns zeitigte, haben wir nunmehr keine etwaigen Überraschungen Fochs mehr zu fürchten, zumal wir bereits durch unsere Märzerfolge die Initiative der Entente aus den Händen gerissen und die Operationsarmee des Generals Foch lahmgelegt haben. Der wichtigste Erfolg ist nun aber der, daß wir die Pläne des Feindes für das Jahr 1918 zunichte gemacht haben und der Feind keine Möglichkeit mehr besitzt, die Initiative zu ergreifen. (Pressekonferenz, Berlin, 8. 6. 1918 / Kurt Mühsam, »Wie wir belogen wurden«, S. 113)

17

Vor der ersten Linie der Geschütze von III/253 sitzen in einem Loch Brett und Reisiger. 10 Minuten vor 2 sind sie hineingestiegen. Seit 2 ist das Loch ununterbrochen von einem rötlichen Feuer erhellt. Das Mündungsfeuer der ersten Geschütze schlägt höchstens 5 Meter hinter ihnen empor.

Beide wissen: Es ist zwecklos, hier zu sein. Diese gigantische Maschine, die jetzt in Bewegung ist, läßt sich nicht mehr korrigieren, läßt sich durch keine Macht der Welt mehr aufhalten.

Das Krachen ist so laut, daß man kein Wort versteht, auch nicht, wenn man sich auf Zentimeternähe in die Ohren brüllt. Also sitzen sie beide stumm, schauen vor sich hin. Sie haben Listen bei sich, vergleichen diese Listen ab und zu mit der Uhr. Jetzt, wissen sie, schießt die 9. Batterie auf die französische Batterie 217; das wird noch 15 Minuten dauern, dann wird die französische Batterie ein Haufen Dreck und Blut sein. Jetzt, zur gleichen Zeit, trommelt die Achte auf den französischen Maschinengewehrstand »Leopold«, nur 5 Minuten, das genügt, und sie kann weiter feuern, drei Teilstriche nach links, 4 Minuten auf die Sappe »Senta«, dann weiter, noch 2 Teilstriche links, auf die Kuppe des großen Unterstandes »Emil«, den die Fliegerbilder so deutlich zeigten. Sehen zur Uhr, aha, jetzt ist das Feuer aller drei Batterien auf die feindliche schwere Batterie »11 Ludwig« vereinigt. Das dauert nach der Liste 12 Minuten. Hier nützt nur Gas. Hoffentlich vergessen die Batterieführer nicht, die Grünkreuzmunition vorher abzuzählen.

Reisiger krümmt sich immer noch in Ruhrschmerzen. Ab und zu läßt er die Liste fallen, legt sich um. Der Hauptmann nimmt keine Notiz davon. Also wieder aufrichten, weiter verfolgen.

Das Schießen der Batterien ist die beste Hilfe, sich selber ganz zu vergessen. Und wenn man schon Fieber hat: dieses Blitzen und dieses Brüllen machen das Blut noch heißer. Das ist ein Zustand, wirklich: Fieber vervielfacht. Daß man ganz leicht wird, fast zu schweben scheint. Bis der verfluchte Schmerz allzu stechend wird und einen immer wieder an die Erde drückt.

Liste vergleichen. Nach der Uhr sehen: Jetzt geschieht dies, jetzt geschieht das, immer auf den Feind, genau festgelegt. Kein Aas wird entrinnen. Es ist völlig undenkbar, daß ein einziges Wesen dort drüben leben bleiben kann.

Die Batterien schießen erst seit einer Stunde. Aber, ohne Übertreibung: Schon jetzt kann kein Feind mehr leben.

Reisiger sieht Brett an. Der schlägt sich gerade lachend auf das Knie. Reisiger weiß, was er denkt: Ein fabelhafter Krieg. Die Infanterie nachher ist zu beneiden. Die können sicher spazieren gehen, soweit der Himmel blau ist. Denen wird bestimmt kein einziger Mensch mehr begegnen.

Also nur weiter, noch drei Stunden.

Also noch drei Stunden. – Das setzt sich um, schmerzhaft: Dreimal sechzig Minuten sind hundertundachtzig Minuten. Hundertundachtzig Minuten dieses entsetzliche Krachen und Brüllen und Toben. Nicht nur die Ohren tun weh. Man wird allmählich differenzierter. Man kann sich schon einbilden, daß der Luftdruck jedes einzelnen Schusses einem gegen die Brust schlägt. Hundertundachtzig Minuten, in denen pro Minute – ja wieviel Schuß fallen? Das ist nicht auszurechnen. Das ist nicht zu schätzen. Wenn man noch so genau hinhört: Unterscheiden kann man eigentlich gar nichts. Hier schießt ja nicht hundert- oder tausendmal ein Geschütz, sondern hier brüllt unaufhörlich, unaufhörlich der endlose Wall.

Wann schweigt er?

Die Schmerzen im Ohr werden stärker. Man tut sich Watte hinein. Aber man reißt sie schnell wieder heraus, weil man das Gefühl hat, daß sie einem direkt ins Gehirn gejagt wird. Dazu Schmerzen in der Brust.

Und nun, als träfen unaufhörlich winzige Kugeln den ganzen Körper, Schmerzen auf der ganzen Haut. Nadelstiche, ein brennendes Prickeln. Nicht zu erklären. Als sei die Luft zertrümmert und riesele auf einen nieder.

Und bei Reisiger immer wieder und immer neu die Ruhranfälle, dieses furchtbare Brennen im Leib. Er hat seit zwei Tagen nichts gegessen, durfte nichts trinken.

Ein irrsinniger Durst stellt sich ein.

Es wird um so schlimmer, als man genau weiß, daß es aussichtslos ist, auch nur einen Tropfen Wasser zu bekommen. Man kann sich ja überhaupt nicht rühren. Es ist für die nächsten Stunden vollkommen aussichtslos, aus dem Loch herauszukommen. Noch wenn man auf dem Bauche auf der ebenen Erde läge, würde man vom Mündungsfeuer der nächsten Geschütze einfach verbrannt.

Was bleibt also Trost? – Die Uhr und die Liste. Und verfolgen, was tut jetzt diese Batterie, wohin schießt das Geschütz. Und wenn man will, kann man sich ausmalen: Wie wird es den Mannschaften gehen, wie den Offizieren?

Dabei fällt einem wie ein Schreck ein: Schießt eigentlich der Feind? Feststellen kann mans nicht. Um so grauenhafter wird der Gedanke: Wenn er schießt: Wer lebt noch. Denn Deckungen sind nicht vorhanden. Damit hat niemand gerechnet.

Reisiger sieht zum Hauptmann. Der hat sich jetzt endlich eine Zigarre angesteckt, knautscht sie zwischen den Zähnen. Ein gutes Zeichen. Er scheint also zufrieden zu sein, fühlt sich wohl. Reisiger beneidet ihn: Wie viel robuster er ist. Daß er jetzt rauchen kann.

5 Uhr früh. Herr Gott, noch eine Stunde.

Reisiger empfindet die Spannung langsam so unerträglich, daß er sich Mühe geben muß, um nicht plötzlich aufzuspringen und loszulaufen. Gleichgültig wohin, wozu.

Besser habens doch die, die jetzt die Geschütze bedienen. Und noch wenn der Feind antwortet: Sie haben wenigstens etwas zu tun. Dieses untätige Herumsitzen ist entsetzlich.

Reisiger sieht auf die Uhr, sieht auf die Liste. Er weiß, daß sich allmählich das Feuer aller Batterien auf der gesamten Front vereinigt. Nur die ganz schweren Kaliber trommeln weiter auf das feindliche Hintergelände. Alles übrige schließt sich zusammen, bildet die Feuerwalze.

Die berühmte Feuerwalze. Dieser Vorhang aus Feuer und Splittern, der jetzt kurz vor dem ersten deutschen Graben aufgerichtet wird. Und der dann, 5 Uhr 28 Minuten, seine Wanderung beginnt, 5 Uhr 28 Minuten 10 Meter vor der deutschen Stellung; 5 Uhr 32 Minuten 20 Meter. Und dann rollt er feindwärts. Hinter ihm, aufrecht, das Gewehr in Anschlag, unsere Infanterie. Feuerwalze, walzt vor. Walzt vor. Viel Leben wird ja nicht mehr sein. Aber vielleicht hat sich doch irgendwo durch einen Zufall ein armseliger Mensch gerettet. Walzt vor – und wird den jetzt in alle Winde zerreißen. Walzt weiter. Hinter ihm, langsam, fast gemütlich, die deutsche Infanterie. Walzt vor, hält noch einmal 10 Minuten auf dem ersten feindlichen Graben, springt 30 Meter weiter, damit die deutsche Infanterie jetzt, im ersten feindlichen Graben zwischen den toten Feinden, ein wenig verschnaufen kann. Rollt weiter. Nun großzügiger 30 Meter und nochmal und 20. Zweite feindliche Stellung. 10 Minuten verharren, bis die deutsche Infanterie heran ist. Weiter, weiter über die dritte Stellung, über die vierte. Die Deutschen immer hinterher. Es muß in der Tat ein Spaziergang sein. Es kann kein Feind mehr leben. 5 Uhr 55 schon weit im Hintergelände, wo sicherlich keine Gräben mehr sind. – 5 Uhr 57: Jetzt springt die Feuerwalze bereits um 100 Meter, wälzt sich gewiß durch die Dörfer hinter der Front, wird die Stäbe erwischen, die Bagagen, die Kolonnen. 5 Uhr 58, 5 Uhr 59.

Der Hauptmann springt auf. Reisiger springt auf. 6 Uhr früh. Es schweigt die ganze Front. Es ist absolute Totenstille.

Reisiger und der Hauptmann gehen ein paar Schritte bis zur ersten Reihe ihrer Batterien. Die Rohre rauchen. Die Berge der leeren Kartuschen rauchen. Erschöpft liegen Mannschaften und Offiziere auf der Erde, Hände und Gesicht schwarz, Hosen und Hemden verbrannt.

Totenstille.

Der Hauptmann hält es für notwendig, irgend etwas zu sagen. Aber er ist so erregt, wie ihn Reisiger noch nie erlebt hat. Er findet nur ein Wort: »Ausgezeichnet.«

Sie gehen zum Loch, in dem Weller und Winkel liegen. »Na, meine Herren, feine Sache, was?«

Sie sehen in einer Ecke Winkel, den Kopf in die Hände gestützt. Er stiert auf die Erde.

Der Hauptmann: »Doktor, was ist denn los?«

Winkel versucht aufzustehen, sackt wieder zusammen, zeigt in die gegenüberliegende Ecke: »Leutnant Weller ist tot.« Er erklärt stammelnd, sie hätten über ihr Loch eine Zeltbahn gedeckt, um nicht dauernd vom Mündungsfeuer belästigt zu werden. – Ein Kanonier, der wohl Munition suchte, hatte das Loch nicht gesehen, war hineingestürzt. Weller hat das offenbar in der Erregung der Nacht für einen Schuß des Feindes gehalten. »Begreifen tu ich das nicht«, sagt Winkel, »Leutnant Weller hat entsetzlich aufgeschrien. – Vermutlich hat ihn der Schreck getötet. – Herzschlag.«

18

Die Offiziere der Batterien III/253 sammeln sich um Hauptmann Brett. Sie stehen in Hemdsärmeln, denn sie haben ja mitgeschossen oder Munition herangetragen.

Ja, und nun? Was ist los? Geredet wird nicht. Ab und zu tritt einer seitwärts an das Loch, wirft einen Blick auf die Zeltbahn, unter der Weller liegt. Einmal sagt einer: »Das dürfte der einzige Tote sein. Wirklich Pech. So kurz vor dem Ende.« Dabei sehen alle fragend den Hauptmann an.

Was der schon wissen kann. Nichts weiß er. Antwortet auch nicht, sieht nur auf die Uhr, trampelt hin und her.

10 Minuten vergehen: irgend etwas müßte nun allmählich geschehen. Es könnte doch wenigstens einer von den hohen Stäben hinter der Front, die angeblich die Nacht über gewacht haben, hier erscheinen, etwas sagen, über das Resultat, über den Fortgang.

Oder vielleicht kommen die Protzen gleich. Sie sollen, das weiß man, automatisch eine Stunde nach dem Schluß des Artilleriefeuers anrücken. Damit man aufprotzen kann – und dann vorwärts marsch, marsch!

Wissen denn die Funker nichts? Sie stehen sicher in drahtloser Verbindung mit der Heeresgruppe. – Ein Offizier wird hingeschickt, dort, wo der Mast mit der Antenne ist. Er kommt zurück: Nichts bekannt. Man kann überhaupt nichts empfangen. Offenbar sendet der Feind Störungswellen.

Hm. Kommt denn keine Infanterie? Es ist doch klar, daß jetzt allmählich die Reserven nach vorn müssen. Denn alles, was vorn lag, wird jetzt viele Kilometer weiter gestürmt sein. Und irgendwo müssen doch Verbindungen zum Hinterland geschaffen werden. – Offiziere werden ausgeschickt. Kommen wieder: Ja, man sieht größere Kolonnen. Das heißt, die liegen auf freiem Feld, haben also wohl noch keinen Befehl, vorzugehen.

6 Uhr 30. Dem Hauptmann wird die Warterei zu dumm. Wie er nach rechts und links sieht, stehen überall andere Stäbe, Gruppen von Offizieren. Unschlüssig gleich ihm und seinen Herren.

Er wendet sich schließlich hart auf dem Hacken um: »Herr Leutnant Reisiger, bitte nehmen Sie sich einen Unteroffizier, gehen Sie nach vorn. Versuchen Sie aufzuklären. Es ist ja lächerlich, daß man uns hier sitzen läßt. Ich wünsche zu wissen, wo ungefähr die erste Linie unserer Infanterie liegt.« Er wendet sich zu den anderen Offizieren: »Schließlich fordern die da vorn Feuer an und man schießt in die eigenen Leute. Mir ist das zu albern. Ich mache das Warten nicht länger mit. Begriffen, Herr Leutnant?«

Reisiger holt sich den Unteroffizier Boll, den er aus Rußland her gut kennt. Nicht älter als er, schneidig, ruhig. – »Boll, nehmen Sie die Gasmaske, irgendeinen Karabiner, los.« Grüßt, klappt mit den Hacken, geht nach vorn.

»Ich lege Wert darauf, daß Sie den Unteroffizier zurückschicken, falls Sie glauben, länger als eine Stunde vorn bleiben zu müssen«, ruft ihm der Hauptmann nach.

Nochmals wenden: »Zu Befehl.« Reisiger und Boll verschwinden.

19

Es geht einige 100 Meter weit bergab.

Reisiger fühlt sich etwas wohler. Jetzt, wo die Sonne auf dem Abhang liegt, wo man das grüne Gras sieht, ziemlich hoch, mit viel Mohnblumen, fühlt er sich sogar recht wohl. Er setzt sich schneller in Bewegung, fängt schließlich an zu laufen. Es macht ihm Spaß, sich wieder bewegen zu können. Boll neben ihm. Die Gasmaske ist noch in der Bereitschaftsbüchse. Die Büchse hängt am Koppelhaken, klappert und trommelt einen vergnügten Takt.

»Macht Spaß, nicht wahr, Boll?«

Boll ist etwas außer Atem: »Jawohl, Herr Leutnant, entschieden besser als in Rußland.«

Reisiger rennt weiter: »Sehen Sie den vielen Mohn. Dieses Fleckchen Erde scheint keine Ahnung davon zu haben, was heute morgen über ihm vor sich gegangen ist. – War ziemlich happig?«

»Befehl, Herr Leutnant.« Boll sagt das stolz und ein wenig grinsend.

Immer noch bergab. Dann geht das Gelände sanft wieder nach oben. Näher kommt ein Birkenwald. Noch junge Bäume, vielleicht 3 Meter hoch. Die Sonne scheint gegen die weißen Stämme. Es sieht schön aus.

Plötzlich stoppt Boll und hält Reisiger am Arm.

»Was ist denn, Boll?«

»Verzeihen, Herr Leutnant, ich halte den Wald nicht für ganz waschecht. Die Blätter sind ja nicht grün, sondern lila.«

Lila Blätter? – Reisiger bleibt stehen. Das sieht allerdings sehr seltsam aus. In der Tat, lila Blätter. Jedenfalls von einer Farbe, wie sie ein Birkenwald bestimmt nicht hat. Überhaupt ohne jede Spur von Grün. »Na und, Boll? – Sie denken an Gas?«

Boll nickt: »Zu Befehl, Herr Leutnant, Gas.« – Sie gehen langsam näher. Gas? überlegt Reisiger. Von uns kann keine Batterie hierher geschossen haben. »Haben Sie denn heute morgen irgendwelche feindlichen Batterien gehört, Boll? Ich meine, der Wald kann doch höchstens vom Feind vergast sein?«

Noch ein paar Schritte näher. Es sieht grauenhaft aus. Jetzt erkennt man, daß auch die weißen Stämme mit einer lilaroten schmierigen Flüssigkeit bespritzt sind. Und man sieht kleine, flache Sprengtrichter. Frische Erde. Ja, der Feind hat also wohl geschossen, ohne daß man es hörte.

Karte raus. Hindurch müssen wir. Es fragt sich nur, wo ist der kürzeste Weg, um wieder auf das freie Feld zu kommen. Zum einstigen deutschen Graben.

»Boll, das ist gar nicht so schlimm. Das ganze Birkenwäldchen ist höchstens einen Kilometer tief. Das schaffen wir in 10 Minuten.« Also Gasmasken auf und dann hinein.

Das geschieht. Schwer zu entscheiden, wie man sich am besten benimmt. Eins ist klar, so schnell wie möglich hindurch, am liebsten laufen, Galopp. Aber wie kann man das mit der Gasmaske aushalten? – Klar ist weiter: Um des Himmels willen nicht an irgendeinen Baum stoßen. Kein Blatt berühren. Hände in die Hosentaschen. Sich möglichst eng und klein machen. Dann wird es schon gehen.

Sie sind bereits zwischen den Birken, sehen vorne und hinten und zu allen Seiten nichts als den vergasten Wald. Mit den lila Blättern, mit den roten Spritzern auf den weißen Stämmen.

Vielleicht wäre es besser, recht langsam zu gehen. Oder noch besser, zu kriechen. Denn das Ganze ist entsetzlich unheimlich. Ist so, als läge alles unter einer schweren Glocke voller Öl.

Reisiger schielt nach oben. Er muß stehen bleiben. Dieses ist, denkt er, ein geschändeter Wald. Dieses sind Bäume, Birken, dreijährig oder fünfjährig. Die mit dem Krieg nichts, nichts, nichts zu tun haben. Die sich weder für die Deutschen noch für die Franzosen entscheiden wollen. Die nicht hetzen, nicht morden. Die nur dastehen und in jedem Frühling ihr Laub bekommen und blühen und im Herbst das Laub verlieren und ganz geduldig bis zum nächsten Frühling frieren. Ohne Hast. Von nichts weiter belebt als, vielleicht, von dem Drängen, Sonne zu haben.

Und jetzt? – Jetzt sind die größten Bestien, die es auf der Erde gibt, die Menschen, über diese armseligen Birken hergefallen.

Eine Laune hat sich an diesem Wald vergriffen. Und der stirbt so wortlos und so ergeben wie keiner von den Mördern. Gewiß, es ist ein bißchen Wind und deswegen schütteln die Bäume noch ein wenig das Haupt. Aber alle Äste haben sich bereits gestreckt und sich gebeugt. Und die Blätter rieseln und rieseln. Und das dauert keine vierundzwanzig Stunden mehr, dann stehen hier nackte Pfähle. Und alles bloß, weil die Menschen es so wollten.

Es ist kindisch, hier zu träumen. Boll ist voraus. Viele Schritte. Er dreht sich um und bleibt stehen. Er sagt irgend etwas. Das sieht man daran, das die Gasmaske sich aufbläht. Verstehen kann Reisiger noch nichts. Aber er nickt mit dem Kopf und folgt. Die beiden Rüssel der Masken klappern gegeneinander. »Was sagen Sie, Boll?« – »Das ist eine Sauerei.« Boll schielt durch die großen Gläser der Gasmaske gegen die Bäume. – »Ja, Boll, bloß erst raus hier.«

Sie gehen weiter. Boll vor Reisiger, sehr behutsam. Endlich, da vorn, lichtet sich der Wald. Man sieht bräunlichen Mahlsand, darüber Fetzen von blauem Himmel.

Reisiger sitzt Boll auf den Hacken: »Schnell, Boll, gleich sind wir aus dieser Schweinerei raus.« – Boll springt an.

Plötzlich bemerkt Reisiger, daß von einer Birke ein Ast weit in die Spur vorstößt. Ja, sieht denn Boll das nicht? – »Boll!« – Da reißt der Ast dem Unteroffizier hinter dem Augenglas über die ganze rechte Backe die Maske auf. Die Gummihaut klappt wie eine große Wunde auseinander. Boll hebt die Hand, deckt sie auf die Wunde. Stürzt weiter. Reisiger hinter ihm her. Noch drei Schritte. Da liegt ja das freie Feld. »Boll!«

Da öffnet Boll weit die Arme. Will er die Freiheit nach diesem Gefängnis begrüßen?

Aber er fällt ja in die Knie, ganz langsam. Graziös.

Reisiger springt zu ihm: »Boll, was ist Ihnen denn?«

Das Weiße im Auge von Boll ist plötzlich tiefrot. Am Mund sind viele weiße Bläschen. »Boll!« – Der liegt in den Knien. Der Oberkörper fällt langsam immer weiter nach hinten. Biegt sich, den Kopf endlich hinter den Stiefelabsätzen. »Boll!« – Reisiger schüttelt ihn. Wenn er doch noch ein Wort sagen wollte!

Es gibt kein Mittel, ihm dieses Eine Wort zu erpressen.

Hier muß doch irgendein Mensch in der Nähe sein. Ich weiß doch ganz genau, daß hier hunderttausende von Infanteristen liegen. Und sicher Sanitäter. Mit Sauerstoffgebläse. Es gibt ja bestimmt für Gaskranke ausgezeichnete Abwehrmittel. Aber soll ich Boll so lange hier allein lassen?

Oder muß ich es doch noch einmal versuchen –: »Boll, soll ich einen Arzt holen?« Reisiger kniet noch immer neben ihm. Sieht immer noch das Rote in den Augen. Aber warum so kompliziert, denkt er. Puls fühlen. »Boll, lassen Sie mich mal ihren Puls fühlen.«

Er nimmt Bolls Hand. Aber viel schneller, als er sie ergriffen hat, läßt er sie wieder fallen. Das ist ja keine Hand mehr. Das ist ja leblos.

»Dann muß ich eben allein weiter. Schade – Boll.« Reisiger sagt das laut. Dann trabt er nach vorn.

Es ist freies Feld, vielleicht ehemals ein Acker. Mahlsand, und hier ein ganz guter, recht breiter Weg.

Wo ist nur die Infanterie? Und ist es überhaupt möglich, hier aufrecht zu gehen?

Karte heraus, die Gegend verglichen. Richtig, halbrechts liegt eine neue Schonung. Abermals Birken, ganz kleine. Reisiger, wenn du dort hindurch bist, stößt du unfehlbar auf die zweite Linie. Und da sind Laufgräben. Und dann geht es schon weiter.

Herrgott, diese Gasmaske! Sie ist klitschenaß, immer rechts und links sammelt sich das Wasser vom Atmen. Und das spült jetzt beim Laufen gegen das Kinn und schwappt zuweilen in den Mund. Pfui Deibel!

Und dann die Augengläser. Sehen kann man eigentlich nichts mehr. Als sei die ganze Landschaft mit Nebeln verhängt.

Aber wenn man die Maske nicht hat: – es ist schon Pech mit dem Boll.

Reisiger hält im Laufen inne. Etwas ist ja sehr merkwürdig, denkt er. Daß man keinen einzigen Schuß hört.

Dieser Gedanke ist sonst recht tröstlich. Aber jetzt, hier, jagt er ihm einen Schrecken ein.

Als alter Krieger pflegt man nur auf den Bauch zu fallen, wenn es schießt. Reisiger ertappt sich dabei, daß er sich hinfallen läßt, weil es nicht schießt.

Er liegt platt wie eine Padde mitten auf freiem Feld. Die Sonne scheint. Der Rüssel der Gasmaske wühlt fast im Sand. Das ist ihm alles sehr bewußt, kommt ihm einen Augenblick höchst lächerlich vor. »Mensch in der Landschaft«, denkt er spöttisch. Der Krieg ist schon eine ulkige Erfindung. So müßten mich meine Eltern mal sehen. Hier auf französischer Erde. In der Morgensonne, alle Viere ausgestreckt, mit dem Rüssel im Dreck.

Es wäre schön, hier liegen zu bleiben. Wenigstens schlafen. Schießen tut ja doch keiner. Wer weiß, wo unsere Infanterie ist. Vielleicht haben die es schon gut, in den Proviantämtern, in den feindlichen Stellungen. Die Engländer haben Whisky. Und im übrigen ist es schon sehr reizvoll, sich wieder einmal davon überzeugen zu können, was Butter ist.

Nein, nein, so geht das doch nicht. Verehrter Reisiger, du bist hier nicht im Sonnenbad. Ja, schiele nur. Da vorne liegt noch ein Wäldchen. Da mußt du durch. Da wird doch verdammt noch mal endlich irgendein Infanterieposten stehen, der den ungefähren Weg nach Paris angeben kann. Also los!

Die paar Minuten waren erholsam. Man muß ab und zu, denkt Reisiger, mit sich selber quatschen. Das erhöht den sogenannten Kampfesmut. – Er steht auf, klopft sich sehr sorgfältig den Sand von Rock und Hose, geht weiter.

Kein Schuß fällt.

Ja, und was ist das? – Wie das Birkenwäldchen, das kleine, erreicht ist: Keine lila Blätter, keine bespritzten Stämme.

Das ist ein richtiger normaler Wald, wie man ihn zu Hause auch hat. Das ist ein Wunder. – Jetzt also hindurch. In 5 Minuten ist die deutsche Infanterie erreicht.

Reisiger nimmt die Gasmaske ab. Er tut es wie eine kleine private Feierlichkeit. Macht gegen die Birken eine leichte Verbeugung, schiebt sich von hinten den Stahlhelm vom Kopf, streift sich langsam und mit den Bewegungen eines amtierenden Priesters die verfluchte Gummihaube vom Gesicht.

Er will sie erst hinschmeißen. – Nein, nein, sie ist schon ausgezeichnet. Er legt sie langsam, feierlich in den Stahlhelm. – So, aber jetzt komme ich dran. Er stemmt die Hände in die Hüften und grätscht die Beine, holt Atem – Eine richtige, anständige, klare Luft. Einen tiefen Schluck. Ein tiefes Ausatmen. Gott sei Dank, noch lebe ich!

Dann wird die Gasmaske mit einem verdreckten Taschentuch abgetrocknet. Vorsichtshalber auf die Brust gehängt. Stahlhelm auf. Galopp durch den Wald.

Hindurch. Richtig: Hochaufgeschüttet der Wall der hintersten deutschen Infanteriestellung.

»Posten!« – Niemand meldet sich.

Aber natürlich, es kann sich ja auch niemand melden. Das wäre ja auch kümmerlich. Die Herrschaften sind ja ausgezogen, wer weiß, wie weit nach vorn.

Reisiger springt in den Graben hinein. Neugierig: Ich bin der erste Artillerist, der die Verbindung mit der braven Infanterie herstellt. Na, werden die sich freuen. Was sie wohl sagen?

So, hier gehts um die Ecke. Durch den Laufgraben, und nun Trab nach vorn! – Das muß man sagen: Eine anständig ausgebaute Stellung.

Fast müßte man singen. Hier ist alles so sauber, mit guten Rosten auf der Erde. Man kann darauf poltern. Das macht Spaß.

Vorwärts. Aha, schon einen Quergraben. Na, ob hier jemand sitzt? »Posten!« – Reisiger sieht nach rechts: Niemand. Nach links. Er läuft ein Stück hinein. Hier ist der erste Bunker. »Hallo!« – Niemand. Also zurück in den Laufgraben. – Donnerwetter, die scheinen ja gut gerannt zu sein. Ja, ja, Unternehmung Anna. So arbeitet die Artillerie. – Und Trab weiter.

Wenn es nur nicht so warm wäre. Aber schließlich laufe ich jetzt bereits gute zwanzig Minuten im Trab durch diese Enge hier. Allmählich wird es öde. Trotzdem, er trabt weiter.

Nach vorn, nach vorn! Und endlich, über einen dritten Quergraben hinaus, sieht er von weitem einen vierten. Eine schwarze hohe Wand. Die Brustwehr besonders hoch. Aha, das wird der frühere erste Graben gewesen sein. Ich werde zwar auch da nur noch einige Posten finden. Aber sie werden mir sagen können, wie weit das Gros vorgestoßen ist.

Natürlich, da bewegt sich ja was. »Hallo!« – Donnerwetter, das ist ein Offizier. Ein älterer Offizier. Der wird nicht sehr entzückt sein, wenn ihn ein junger Leutnant mit Hallo anbrüllt. Also schnell weiter und schnell zu ihm.

Reisiger stolpert fast, so rasch schlagen seine Füße klappernd über die Holzroste.

Er steht zwei Schritt vor einem Offizier mit grauem Bart, mit grauem Haar. – Nanu, ohne Helm?

Er geht noch näher heran und grüßt. – Richtig, ein Major, die Achselklappen sollen zwar umhüllt sein, aber die eine Umhüllung ist etwas verrutscht und man sieht die dicken Raupen.

»Leutnant Reisiger, Ordonnanzoffizier 3. Abtlg. Feld 253 gehorsamst zur Stelle.«

Der Major rührt sich nicht.

Die Hand noch immer am Helm: »Gestatten Herr Major, Ordonnanzoffizier Reisiger – von der Feldartillerie.«

Der Major geht einen Schritt auf ihn zu, hebt die Hand, als will er ihn am Kragen packen, läßt sie fallen. Grinst breit. Dann kommt aus seinem Mund ein entsetzliches, kreischendes Gelächter.

Ja, was ist denn um des Himmels willen los? Reisiger ist ratlos. – Ob der mich nicht versteht. Hand am Helm, immer noch vorschriftsmäßig, wenn auch die Stimme etwas zittert: »Mein Kommandeur bittet Herrn Major um ungefähre Angabe, wo unsere Infanterie jetzt liegt.«

Der Major hebt die Hand wieder. Aber jetzt greift sie nicht auf Reisiger. Sondern der Arm winkelt sich und der Handrücken fährt jäh über die Augen. Und dann klingt es erst wie ein Lachen. Und dann merkt Reisiger, daß dieses Lachen ein furchtbarer Weinkrampf ist. Unter dem Handrücken gießen die Tränen heraus.

Was soll man um Gottes willen reden? Ob der wahnsinnig geworden ist? Wie kann man sich bloß verständlich machen? Ach Quatsch, militärische Formen.

Reisiger geht dicht an ihn heran, möchte ihm seine Hand auf die Schulter legen. – Er getraut sich nicht, sagt aber: »Kann ich Herrn Major irgendwie behilflich sein?«

Die Hand des Majors fällt vom Gesicht ab, fällt nach unten. Große graue Augen sehen Reisiger an. Sehen ihn immerzu an. Sehen ihn immer noch an. Schließlich bewegt sich der Kopf. Dann zucken die Schultern hoch. Dann dreht sich der Kopf zur Seite in die Richtung des Grabens. Dann drehen sich die Schultern nach. Dann dreht sich schwer der Rumpf. Dann versucht der linke Arm eine hilflose Bewegung, deutet auch in Richtung auf den Graben.

Reisiger tritt etwas vorbei, sieht in die Richtung. »Herr Major!«

Kein Wort mehr. – Da liegt auf der Brustwehr, Knie auf der Sturmleiter, ein Infanterist mit weißem Gesicht. Einer daneben. Der Dritte. Der Vierte. Der Fünfte. Zehn. Hundert. Soweit man sehen kann: Ein Mann neben dem andern. Immer den Kopf ziemlich hoch, die Hand am Gewehr. Immer das linke Knie auf der letzten Stufe der kleinen wackligen Sturmleiter. Und immer ein kleines Loch unter dem Stahlhelm, zwischen den Augen, oder in der Backe, oder neben dem Ohr, oder im Hals.

Es hat gar keinen Sinn, mit dem armen Major zu reden. Reisiger beachtet ihn nicht weiter. Er geht in den Graben hinein. Sein Kopf ist ungefähr in der Höhe dieser merkwürdig versteinerten Knie, die auf der letzten Stufe der Sturmleiter liegen. – Er geht weiter. Verlassene Bunker. Konservenbüchsen. Überall in großen Haufen fein säuberlich zurechtgelegt Handgranaten.

Er geht mit geschlossenen Augen. – Er sieht nicht mehr hin, weil er es spürt: Du kannst gehen, soweit du willst: Immer an deiner linken Schulter hakt ein Knie in einer Sturmleiter. Immer in der Höhe deiner linken Hand steht ein Fuß in einem ungeputzten, verdreckten Stiefel.

Aber es muß doch irgendein lebendes Wesen hier im Graben sein!

Er geht weiter. Er möchte laufen. Er hat keinen Mut dazu. Er geht langsam, Schritt vor Schritt, die Augen zu Boden, an der linken Schulter . . . . Es ist nicht vorzustellen. – Manchmal flüstert er in den Eingang eines Bunkers hinein: »Infanterie.« Auch das Flüstern gibt ein Echo. Aber keine Antwort.

Er ist glücklich, daß endlich quer über dem Graben mit dem Kopf nach unten, die Knie in die Sturmleiter gehakt, ein Unteroffizier hängt. Endlich ein anderes Bild. Der ist auch tot. Aber er ist wenigstens ein Gefühl von Mensch. – Weiter. – Hier kommt eine Sappe. Ob da jemand lebt? – Er zögert hineinzugehen –. Dann tut er es doch. Es sind nur wenige Schritte. Ein Maschinengewehr. Der Unteroffizier, Kopf nach unten: Tot. Zwei Mann, auch –. Nein, nein, der eine lebt ja! Natürlich lebt der! Er liegt auf der Seite, ohne Stahlhelm. Er hat die Hand, die frei ist, in den aufgerissenen Rock gesteckt. Er atmet.

Reisiger geht langsam näher: »Na, Kamerad?« – Stille. – Das dauert eine Weile. Dann werden die Augen größer. Das ist seine Antwort.

»Was ist denn los, Kamerad?«

Wahrhaftig, das hat er verstanden. Er richtet sich halb auf. Reisiger greift ihm mit dem Arm um den Hals und stützt ihn.

»Du kannst mirs glauben – jetzt ist Schluß. – Was überhaupt – aus dem Graben herausgekommen ist – liegt hundert Meter vor uns – natürlicherweise tot. – Und wir andern – na, da siehst du ja –. Kannst du mich nicht mitnehmen?«

Reisiger legt ihn wieder hin, streichelt ihm den Kopf: »Ist denn der Feind noch vor uns?«

Antwort: »Muß er wohl sein. Ich habe noch nie – so viel Maschinengewehrfeuer – wie heute früh – nimm mich mit.«

Unternehmung Anna?

»Kamerad, du mußt mich mitnehmen.«

Mitnehmen?

Es rast ein Maschinengewehr los. – Das ist der Feind. Dazu haben wir also fünf Stunden getrommelt? Was heißt mitnehmen? Am besten stellt man sich jetzt breitbeinig hier über das Maschinengewehr – nein, nein, der Hauptmann wartet auf Nachricht.

»Kamerad, ich kann dich schlecht mitnehmen. Soll ich dir einen Sanitäter schicken? – Außerdem ist ja euer Major noch da.«

»Nimm mich mit!«

Also gut. Aber wie? – »Kannst du auf meinen Rücken klettern?« Der Infanterist richtet sich höher auf, sieht auf den toten Unteroffizier, der ihm über den Füßen liegt. Lächelt.

Ach ja! – Reisiger schiebt den toten Unteroffizier beiseite. Der poltert in den Graben. »So, nun wird es gehen.« – Der Infanterist sitzt, macht die Beine breit. Reisiger schiebt sich mit den Rücken gegen ihn.

Da bellt wieder das Maschinengewehr los. Reisiger duckt sich, weil ihm so scheint, als ob ihm die Kugeln um die Ohren fliegen. Da hört er, wie der Infanterist auf seinem Rücken einen dumpfen Schrei ausstößt und seinen Kopf weit nach vorn wirft. Ein fingerdicker Blutstrahl schießt an Reisigers Backe vorbei. Der Infanterist fällt ganz schwer zur Erde. Das war das Maschinengewehr.

Jetzt vergißt Reisiger alles. Es ist völlig gleichgültig, ob noch irgendwo jemand lebt. Auch die Toten sind völlig uninteressant.

Er rast los. Da kniet der Major und weint und weint. Das ist genau so uninteressant. Und Reisiger dreht ihm den Rücken zu. Und er hört die Schreie hinter sich. Aber das ist ja völlig piepe. Der brüllt wie ein Stier. Piepe! Und aus einem Maschinengewehr, das bis jetzt gebellt hat, scheinen plötzlich hundert geworden zu sein. Auch das ist egal. Um so besser kann man laufen.

Und durch den Laufgraben hindurch und durch das Birkenwäldchen und über den Sand und den Stahlhelm ab und die Gasmaske auf und an Boll vorbei und wie ein Indianer durch den geschändeten Wald geschlichen und mit geblähten Seiten der Gasmaske über das Feld und die Anhöhe hinauf und Gasmaske ab und zum Hauptmann gesprungen, der im Kreise der Offiziere gemütlich auf Geschoßkörben sitzt und seine Zigarette pafft: »Herr Hauptmann, da vorn ist alles tot. Der Angriff ist schief gegangen.« Und umgefallen. Und erst einmal zehn Minuten den Krieg vergessen und die Welt und das Leben.

Mit Salmiak getränkt. Über sich Herrn Winkel, der ein mütterliches Gesicht macht: »Guten Morgen Herr Reisiger, Sie wachen gerade zur rechten Zeit auf.«

Da ist bereits das Kommando: »Batterien aufprotzen.« Da ist bereits der Bursche mit dem Pferd. Da schmettert bereits am hellerlichten Tag aus den Stimmen vieler Offiziere das Kommando: »Batterie marsch!«

Es geht nach rückwärts.

Man hört bereits hinter sich auf allen Seiten das wütende Gebell der Maschinengewehre. Das ist der Feind.

Es schlagen bereits vor einem überall Rauch und Feuer hoch. Das ist der Feind.

20

Unsere Mensuren werden im Publikum vielfach nicht verstanden. Das soll uns aber nicht irre machen. Wir, die wir Corpsstudenten gewesen sind, wie Ich, wir wissen das besser. (Wilhelm II., 7. 5. 1891)

21

16. Juli

Westlicher Kriegsschauplatz

Heeresgruppe deutscher Kronprinz:

Südwestlich und östlich von Reims sind wir gestern früh in Teile der französischen Stellungen eingedrungen. An den Vorbereitungen für die artilleristische Kampfführung hatten Vermessungstruppen besonderen Anteil. Artillerie, Minenwerfer und Gaswerfer öffneten durch ihre vernichtende Wirkung im Verein mit Panzerwagen und Flammenwerfern der Infanterie den Weg in den Feind.

22

Schon während des Feuers, das am 15. Juli von 2 bis 6 Uhr früh stattfand, gingen bei der Artillerie Gerüchte um: Der Plan des Angriffs ist durch einen Offizierstellvertreter der Infanterie, der übergelaufen ist, verraten worden.

23

Diesmal wurden die Franzosen nicht überrascht. Seit dem 1. Juli, also 15 Tage vor Beginn der Offensive wußte Foch, was bevorstand. Überläufer und Gefangene verrieten ihm alle Einzelheiten. Er führte eilig Reserven heran und befahl, daß sich die Armeen stärker, als es bisher üblich gewesen war, nach der Tiefe gliedern sollten. Die erste Stellung wurde geräumt. . . . Am 15. Juli zerschlugen die deutsche Artillerie und die Minenwerfer, wie es auch in früheren Schlachten gewesen war, vor allem die vordersten Gräben, die jedoch dieses Mal fast leer waren. (»Der Große Krieg«, kurzgefaßte Darstellung auf Grund der amtlichen Stellen des Reichsarchivs von Erich Otto Volkmann, Berlin 1922)


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