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Viertes Buch.
Der Bundschuh.

 

Doch was ihr auch im Kleinen mögt verheeren;
Das Große, Ganze müßt ihr doch verschonen.
Derweil ihr unten tilgt mit stumpfen Scheeren,
Rauscht über euch der Wald mit stolzen Kronen.
Ihr habt es nicht zu thun mit Vagabunden,
Mit meuterisch gedankenlosen Horden,
(Gesindel, das zusammen sich gefunden)
Nein! mit der Menschheit, die da reif geworden!

Fr. v. Sallet.

 

I.

Von den malerischen, sagenreichen Ufern des Lechs von den Alpen, die ihre schneeigen Häupter in den Wolken bergen, bis an die Donau hin, senkt sich das Allgäu in sanfter Abdachung und zerfällt selbst wieder in das Ober- und Unterland, beide von eigenthümlicher Schönheit. Grünbelaubt bis zum Gipfel erheben sich die Berge des Oberlandes fast bis zur Alpenhöhe, von den Schwaigen mit ihrer fetten Trift läuten die Heerdenglocken nieder in die Thäler und Ebenen, die von klaren Bächen und Flüssen durchströmt sind; gleich Edelsteinen funkeln hier die Gebirgsseen in ihrer grünen Einfassung voll romantischen Reizes. Schöne, kräftige Menschen, ein reines, unverdorbenes Hirtenvolk, wohnen in den zahlreichen Höfen und Weilern, mit denen die Bergabhänge und Höhen besäet sind, in den stattlichen Dörfern und Flecken, welche die Ebenen schmücken. Abteien und Klöster und feste Herrensitze beherrschen die Niederungen und vollenden die malerische Pracht des schönen Gebirges. Und allmälig senken sich die Berge, die scharfe Gebirgsluft wird milder, sanfte Hügelketten schlingen sich durch fruchtbare Felder und fette Weiden; die Heerdenglocken tönen nicht mehr von der Alm, aber der Bauer geht hinter dem Pfluge und singt ein heimathlich Lied, oder der Hirt lagert am klaren Wiesenquell und bläst seine Schalmei. Es ist das Unterland, in das wir gekommen sind.

Die volksthümliche Freiheit erhielt sich überall länger unter den Söhnen des Gebirgs, deren kräftige Natur dem aufzulegenden Joche mehr entgegenstrebt, als auf dem flachen Lande; aber auch hier war das alte schöne Verhältniß der freien Landleute zu ihren adligen oder geistlichen Schirmherren bis auf einen Schatten untergegangen. Die Freiherrn, Städte und Klöster hatten im Laufe der Jahrhunderte die Freiheit der Bauern an sich zu reißen gewußt, und das Glück war ihnen nicht beschieden, wie den Schweizern, das Joch abzuwerfen. Die Sonne von Sempach leuchtete ihnen nicht. Die auflodernde Flamme wurde erstickt, ehe sie noch recht zum Ausbruche kam.

Es war im Beginn des Jahres 1525; Berge und Thäler hatten ihren grünen Schmuck verloren und lagen in Schnee gehüllt; die Iller bahnte sich gewaltsam einen Weg durch das Eis ihrer Ufer. Aus allen Marken des Stiftes Kempten, von dem engen Felsenthal der Iller, der wildromantischen Huminfurt, von der steilen Regginsfluh des Hauenberges, vom Hellengerst, dem Ißner Wasser, der Eschach und der Lautrach, der Wertach, der Geltrath und der Rottach, von allen Seiten her zogen Haufen bewaffneter Landleute gen Luibas, der uralten Mallstatt des oberallgäuer Landvolkes. Es waren kühne, kraftvolle Gestalten, die daherzogen mit Sang und Klang, in ihrer malerischen Nationaltracht. Von den spitzen Filzhüten flatterten Bänder, bunt oder schwarz, je nach dem Alter des Mannes; die Augen blitzten darunter trotzig und herausfordernd; die wohlgepflegten Bärte gaben den scharfgeschnittenen Zügen einen kriegerischen Ausdruck. Die Juppe von grobem Zeuge war vorn offen und ließ den rothen Brustlatz sehen und das weiße Hemd, dessen Kragen, von einem Tuche lose umschlungen, sich um den Hals legte. Kurze Beinkleider, die bis an die Kniee reichten, wurden von dem breiten, nicht selten zierlich gestickten Gürtel festgehaltene die Kniee waren nackt; die musculösen Waden wurden vom gezwickelten Strumpf umschlossen, der plumpe Bundschuh bekleidete den Fuß. Jeder Mann trug am Arm eine Axt, und ein blankes Messer steckte im Gürtel; nur die Leibeigenen oder Gotteshausleute gingen unbewaffnet.

In hellen Haufen zogen die Männer durch die Stadt Kempten gen Luibas. Es war lange kein so bewegtes Leben darin gesehen worden; alle Herbergen und Schenken füllten sich mit Bauern, die sich's wohl sein ließen bei den gefüllten Kannen. Viele von der Bürgerschaft mischten sich unter sie, tranken mit ihnen und sprachen mit ihnen über den allgemeinen Nothstand, während Andere die kecken Söhne des Gebirgs mit Ungunst betrachteten, denn sie hielten es aus verschiedenen Gründen mit dem Fürstabt, dem die laute Demonstration der Landleute galt.

Als nun die Männer auf der Mallstatt zusammentrafen, begrüßten sie sich mit freundlichem Händedruck und gaben sich durch Wort und Blick das Versprechen, für ihr gemeinsames Recht mit allen Kräften zu streiten. Die Herzen fühlten sich näher gezogen, die allgemeine Noth hatte sie verbunden; denn sie alle litten ja unter dem Druck eines und desselben gewaltthätigen Mannes, und das Unglück führt die Menschen zusammen und verbindet sie fester, als es das Glück vermag. Aus der Stadt Kempten waren Neugierige und wahrhaft Theilnehmende mit herausgezogen; selbst angesehene Mitglieder des Rathes waren zugegen, sie der Bürgermeister Gordian Seuter, ein erklärter Freund der Bauernsache. Die Bauern betrachteten anfangs diese Gäste mit unverhehltem Argwohn, ihr Benehmen war aber so freundlich und gewinnend, daß dieser Argwohn bald beschwichtigt wurde.

»Bist du auch gekommen, Willi?« redete ein kurzer stämmiger Mann einen Jüngling an, der etwas abseits von dem lauten Getümmel in schwermüthige Gedanken versunken stand. »Das ist schön von dir; wenn du auch nicht mit rathen kannst, so darfst du doch mit thaten, wenn der Spectakel los geht, und du hast gut Ursach' dazu, armer Bueb!«

»Grüß di Gott, Knopf!« antwortete Willi, indem die Röthe der Scham über seine Stirn flammte, denn die Erinnerung an seinen Stand als Leibeigner des Gotte hauste hatte ihm wehe gethan. »Ist aber nit fein von dir, daß du drauf hinzielst, daß ich keine Axt am Arme trage. Wär' der Fürstabt ein guter und gerechter Mann, so wär' ich frei, als nur irgend Einer von euch! Weil's aber nit ist, so soll mir keiner das Unglück vorrücken, oder ich schlag' ihm mit der bloßen Faust den Schädel ein!«

»War nit bös gemeint, Willi!« beruhigte der Andere, indem er gutmüthig dem Jüngling die Hand reichte. »Kannst einem Andern den Schädel einschlagen, weist wohl wen, aber nicht deinem besten Freunde! Wer weiß, wie's geht, Willi! Mancher ist schon ein freier Mann worden, der's minder verdiente, als du! Aber fein sachte! Lug dort die spitzige Spürnase, die sich nach uns ausstreckt. Ich wett' um mein Seelenheil, das ist Einer von des Fürstabts Volk.«

Der Mann, der damit bezeichnet wurde, entsprach wirklich allem Anscheine nach dieser Vermuthung. Er war städtisch gekleidet; seine kleinen grauen Augen blitzten stechend unter buschigen Brauen hervor, und die ganze Physiognomie trug den Ausdruck des Lauernden.

»Ei, das ist ja der Weißbart, des Fürstabts Vogt und treuer Helfershelfer in allen Schelmenstücken;« flüsterte Willi. »Wahrlich, wo der ist, da ist nicht gut sein!« –

Als endlich die Männer aus allen siebenundzwanzig Gemeinden der Landschaft versammelt waren, wurde ein Messer klingend aus eine Axt geschlagen, und auf dieses Zeichen schwieg das Getöse, welches bisher die Versammlung durchbraust hatte, und wo noch Einer mit seinem Nachbar sprach, da brachte ihn ein ermahnendes »Bst – « augenblicklich zum Schweigen. Alle Häupter entblößten sich und mit Spannung sah man auf den hohen stattlichen Greis, der auf den als Tribüne dienenden Tisch stieg. Die langen Silberlocken seines Haars, welche den Scheitel, über den schon mehr denn siebzig Jahre mit ihren Leiden und Freuden dahingezogen sein mochten, umkränzten, waren nach hinten gestrichen und wurden dort von einem breiten Kamm festgehalten. Ein eisgrauer Bart floß ihm bis nieder auf die Brust. Seine Gestalt war noch ungebeugt und aus seinen klaren hellblauen Augen blitzte jugendliches Feuer. »Das ist Konrad Riedinger!« hörte man es hier und da in der Versammlung flüstern.

»Im Namen Gottes, lieben Männer und Brüder!« begann der Greis. »Wir sind zu rechter Tagsatzung nach dem Beschluß der Gemeinden allhier versammelt, nach altem Recht und Gebrauch, um zu berathen über unser Wohl und Wehe! Es ist allen Gemeinden kund gethan, also daß kein Mann auftreten und sprechen wird, er habe nicht gewußt um unsre heutige Versammlung. Ich frage demnach: »Ist diese Versammlung nach Recht und Ordnung zusammengetreten? Wer Einsprache dagegen zu machen hat, der erhebe seine rechte Hand!«

Keine Hand erhob sich, und in einfacher Redeweise setzte der Greis seinen Vortrag fort, berührte kurz den Zweck der Versammlung, das, was auf dem Tage zu Günzburg von dem vom Fürstabt und von den Bauern gewählten Schiedsgerichte verhandelt worden, vor die gesammte Landschaft zu bringen und zu berathschlagen, was weiter zu thun sein mochte. Dann berichtete er das Ergebnis jenes Tages zu Günzburg selbst, wie der Fürstabt die gerechtesten Beschwerden der Bauern trotzig zurückgewiesen und sich sogar geweigert, auf einem neuen Tage nach Ostern zu verhandeln.

»Was meinet Ihr nun, Ihr lieben Brüder?« schloß der Greis seine Relation. »Fern sei's von mir, zu verlangen, daß Ihr mein Wort als ein Evangelium nehmen sollt, wollt Ihr aber drauf hören, so kann's vielleicht nutzen in diesem Wirrsal. Fünfundsiebzig Jahre lasten auf meinem Rücken, und ich habe die Zeit mannichfach wechseln gesehen. Ich habe bessre Tage gekannt, wo der Bauer noch frei war in seiner Markung, keinem Herrn unterthan, als dem Kaiser; aber ich hab' auch gesehen, wie er Schritt vor Schritt der Unfreiheit entgegenging, fortgestoßen von der Gewaltthätigkeit. Wenn nun die Last so schwer ward, daß wir sie nicht mehr tragen konnten, so erhoben wir unsre Stimme; wir verlangten unser Recht, das von den Ureltern her uns verbrieft und versiegelt war. Als friedliche Leute waren wir nicht gesinnt, uns mit Gewalt zu verschaffen, was unser war; wir gaben unsre Sache in die Hand geprüfter Männer, nach Recht und Gewissen zu entscheiden. Aber der Bauer war immer der betrogene Theil; versprachen die Herren auch unser Recht zu schirmen, so brachen sie doch ihr Wort, und der Druck ward noch größer, denn zuvor. Ja, sie verschrieen schon als Verbrechen, daß wir zusammentraten zu gegenseitigem Schutz, was wir doch vor Gott und unserm Gewissen verantworten können. Da wir nun gesehen haben, daß all' unser gütlicher Wille mißhandelt und verachtet wird, als gemahnt es mich, daß wir einen andern Weg einschlagen müssen, um zu unseren guten Recht zu gelangen. Ich bitt' Euch nun, Ihr Brüder, zu berathen, ob wir nochmals sittlichen Vergleiche pflegen oder andre Saiten aufziehen sollen. Lasset Euch nicht bestechen durch meine Rede, sondern erwägt nach Eurem besten Gewissen und pfleget der Sache gründlich!«

Der Redner stieg herab und trat unter die Männer. Aber schon hatte ein Andrer seinen Platz eingenommen, jene kurze, gedrungene Gestalt, die wir oben mit Willi im Gespräch fanden. Er war Jörg Schmid, der Knopf von Luibas genannt, der Sohn jenes Schmid, der vor dreißig Jahren von der Landschaft an den Kaiser gesendet worden und auf dem Wege verschwunden war. »Männer und Freunde!« rief er mit starker Stimme. »Seine fürstlichen Gnaden haben uns selbst den Weg zu weitern gütlichen Vergleich abgeschnitten, wollten wir auch noch länger leeren Versprechungen glauben. Schwur er nicht bei seinem fürstlichen Wort, uns aller widerrechtlichen Beschwer zu entladen? Und wie hat er's gehalten? Hat er uns nicht noch neue Lasten zu den alten gelegt? Von allem Vermögen, das aus der Steuer des Gotteshauses gezogen wurde, nahm er den dritten Pfennig! Wie wehrten uns der unerhörten Bedrückung, und was ward uns? Der Kaiser gab ihm Recht und uns Unrecht. Er legte uns neue Steuern auf, und wir durften nicht mucksen! So hielt er seinen Schwur, daß er sagte: »Ich will es bei dem bleiben lassen, wie ich's gefunden; wollt Ihr nicht gehorsam sein, so werd' ich Jörgen von Freundsberg über Euch schicken.« – Ich bin der Meinung, daß wirs bleiben lassen sollen, wieder gütlicher Unterhandlung zu pflegen. Wie sind Männer genug, um uns Recht zu verschaffen, daß walt' Gott!«

Ein drohendes Gemurmel durchlief die Versammlung; die Hände ballten sich und Aller Augen richteten sich unwillkürlich auf die blankgeschliffenen Aexte. Da drängte sich Gordian Seuter, der Bürgermeister von Kempten, vor. »Wollet bedenken, liebe Männer,« sprach er, »daß was Ihr thut, gegen Eure rechtmäßige Obrigkeit geschieht. So Ihr glaubt, daß Euch Gewalt geschehen ist, so wollet nicht Gewalt mit Gewalt vertreiben. Geschieht Euch Unrecht, so ertragt es mit christlicher Geduld und werdet nicht Empörer gegen Euren Herrn!«

»Der Fürstabt ist nicht unser Herr!« entgegnete Schmid heftig. »Wir sind freie Männer, und was wir tragen, ist und durch Betrug und Gewalt aufgebürdet worden. Die christliche Geduld hat lange genug gedauert; aber nun sind wir ihrer müde, denn sie macht unsre Last nicht leichter. Wie Leibeigne werden wir behandelt, an unserm Leib und Leben vergreift sich seine Hand. Ich will nicht an meinen Vater erinnern, der meuchlings ermordete wurde oder in einem verborgenen Kerker verschmachten mußte, aber gedenkt an das, was unsern viellieben Konrad Riedinger Unbilliges von ihm widerfahren ist. Weil er seinen Buben den Sohn eines Mönchs genannt, ließ er den alten Mann in einen Kerker werfen, bis er zum Tode erkrankte. Nun gab ihn der gnädige Herr frei, nachdem er fünfzig Pfund Heller erlegt und Brief und Siegel gegeben, daß er sich in den Thurm stellen und sein Leben verwirrt haben wolle, wenn er des Abts Sohn wieder einen Mönchsohn schelte. Ist es nicht so, Konrad?«

»Es ist die lautere Wahrheit!« entgegnete der alte Riedinger.

»Was sollen wir uns nun noch von dem Manne versehen, der mit uns verfährt wie mit leibeigenen Knechten?« fuhr der Knopf von Luibas fort. »Aber der leiblichen Unterdrückung ist nicht genug. Er verwehrt uns auch, das lautete Evangelium zu hören, und straft die an Leben und Gut, die sich nach dem Wort der Schrift sehnen. Er hat's wohl nöthig zu thun, denn es macht unsre Augen hell, daß wir sehen, wie sehr arg er uns betrogen, da die Schrift lehrt, daß alle Menschen frei sind, und Keiner ein Recht hat über den Andern.«

Aengstliche Scheu malte sich aus manchem Antlitz bei diesen Worten des kühnen Redners. Mancher blickte sich um, ob kein Verrätherauge wache, und mit Besorgniß sah man auf die Herren aus der Stadt, die ihrerseits die religiöse Wendung überhört zu haben schienen. Ueber Herrn Weißbart's Züge zuckte ein Lächeln, das der Lust ähnlich sah, einen Feind auf einem todeswürdigen Verbrechen ertappt und somit Gewalt über Leben und Tod über ihn erhalten zu haben.

»Was sollen wir nun anfangen in unsrer großen Noth?« fuhr Jörg Schmid fort. »Wo wir Recht suchen, da weißt man uns die Thür, und der Fürstabt hohnlacht unsrer Beschwerden, die, wie er meint, wir nicht abwerfen können. Ei, laßt ihn sehen, daß sie abfallen, wie dürres Laub, wenn wir nur brav die Schultern schütteln und nicht zittern, wenn er die Stirn kraus zieht. Wir haben ja auch Waffen, liebe Männer, und unsre Arme sind fürwahr nicht schwächer, denn die der Landsknechte, die er uns auf den Hals schicken wird. Wie meint Ihr, wenn wir mal ein ernstlich Wörtchen mit dem gnädigen Herrn sprächen?«

»Friede, Friede!« rief der greise Konrad Riedinger. »Wir wollen nicht zum Schwerte greifen, so lange noch ein andrer Weg bleibt. Wir sind friedliche Leute und wollen uns nicht an Gottes Wort versündigen Wir wollen unser Recht nicht mit Blut färben, bis wir nicht gezwungen werden. Ist das Letzte vorbei, alsdann bin ich auch da, wenn meine Knochen auch alt sind. Es bleibt uns noch ein Weg, der Weg an das Reichsgericht. Dort wollen wir das Recht suchen.«

»Das Recht?!« lachte eine dumpfe Stimme, und ein Mann drängte sich hervor, den die Meisten mit Bewunderung betrachteten. Nach seiner Mundart und Tracht war er kein Allgäuer; ein grober brauner Mantel umhüllte ihn, in der Hand trug er einen breitgekrämpten Filzhut; seine Züge waren hart und ohne die Offenheit, weiche die der Gebirgssöhne auszeichnete. »Das Recht wollt Ihr suchen?« fuhr er fort. »Ja suchen steht Euch frei, aber ob Ihr 's findet, ist eine andre Frage. Bis zum Ohre des Kaisers ist's weit, und wenn Ihr dran seid, so finden sich Ohrenbläser genug, die so viel zu flüstern haben, daß Eure Bitte sich scheu verkriecht. Was ist das Recht? Die Herren haben's gemacht, und in ihrer Hand läßt sich's schmiegen und biegen. Glaubt doch nicht, daß dem Bauer was zu Gute kommt davon. Der Bauer ist ein arm verachtet Thier in den Augen der Herren. Wer sind Eure Richter? Große Hansen, die den Henker wissen, was dem Bauer Recht ist. Sie halten zu ihres Gleichen, und der arme Mann muß schweigen. Sie beweisen's Euch mit ihren Büchern, daß die lichte Sonne schwarz ist. Nur vor ein Gericht, wo Ihr selbst und Eures Gleichen im Rathe sitzt mögt Ihr Eure Sache dringen! Man wird Euch auf krumme Straßen weisen, tausend Hungerleider und Müßiggänger werden die Hände aufhalten, und seid Ihr endlich am Ziel, wird Euer Seckel leer sein; man wird Euch mit Versprechungen füttern und, wenn Ihr Euch genug damit gemästet, Euch heimweisen; und wenn Ihr greifen wollt, was Ihr gewonnen, so wird's zerstieben wie Rauch. Es giebt nur ein Recht, und das ist die Gewalt! Das ist das Recht, darauf Ihr fußen müßt!«

Die kecke Rede des Fremden blieb nicht ohne Eindruck; Jörg Schmid nickte ihm freundlich zu; die Bauern flüsterten untereinander, und hier und da vernahm man das Wert: ein Täufer! Der Greis schüttelte ernst den Kopf. Der Fremde ließ die blitzenden Augen über die Versammlung schweifen, als erwarte er, ob sich noch ein Redner gegen seine Ansicht erheben werde.

»Gewalt ist der letzte Nothschrei des niedergedrückten Rechts!« nahm Konrad Riedinger wieder das Wort. »Was wir im Frieden gewinnen, ist tausendmal mehr werth, als was wir durch Gewalt erringen. Wir wollen unsre gerechte Sache nicht beflecken; wir dürsten weder nach Rache für das Vergangene, noch verlangen wir Unbilliges für die Zukunft; nur was unsre Briefe uns einräumen, das wollen wir, und das wird uns der Kaiser nicht absprechen können. Männer und Freunde! Wahr ist es, daß wir den Weg mit geprägtem Silber pflastern müssen, aber ich meine, es sind unser genug, daß es Jedem nur ein klein Scherflein kostet, wenn wir zusammenhalten als treue, ehrliche Männer. Wer mit mir dafür ist, den Rechtsweg zu betreten, der möge es jetzt aussprechen, und wir sollen es einander bei Treu und Glauben an Eidesstatt zusagen, die Kosten bis an's Ende tragen zu wollen!«

Der Fremde blickte zornig auf die Männer, die dem Vorschlage des Alten beizustimmen schienen. Zwei Bauern hielten einen Spieß empor, unter dem Jeder durchgehen sollte, der für den Vorschlag wäre. Alle Anwesende, die unter dem Stift saßen, gingen nach und nach hindurch, auch nicht Einer blieb zurück Nur die vom Rathe der Stadt und die aus der Nachbarschaft gekommen waren , um zuzuhören, blieben auf ihrem Platz. Der Fremde schlug eine laute Lache auf. »Warum spottest du unsres Fürnehmens?« fragte Konrad Riedinger ernst.

»Ich spotte nur Eures guten Glaubens!« antwortete der Angeredete. »Ihr hofft nämlich auf Trauben, und werdet Disteln ernten. Habt Ihr je gehört, daß eine Katze der andern die Augen auskratze? O Ihr thörigten Leute! Wie werdet Ihr Euer blankes Geld bereuen, das Ihr hinauswerft und habt nichts gewonnen!«

»Dann können wir mit reinem Herzen zur Waffe greifen,« entgegnete der Greis, »denn wir haben nach Recht und Gewissen gethan, und Gott wird mit uns sein im ehrlichen Streit!«

Als sich aus diese Weise Alle einmüthig erklärt hatten, wurde ein Drittheil der jährlichen Herrensteuer zur Bestreitung der Kosten ausgeschieden und beschlossen, daß auf nächsten Freitag jede Pfarrei Einen oder Zwei aus ihrer Mitte in die Stadt Kempten abordne, um einen Ausschuß zu wählen, der den Rechtsstreit betreibe. Noch verabredete man für den Fall, daß gegen die eine oder die andere Gemeinde feindliche Gewalt gebraucht würde, es solle Sturm geläutet werden. Letzteres war das Werk des Knopfs von Luibas. Hiermit war die Versammlung geschlossen.

»Auch hier?« redete Weißbart Willi an, und sein Gesicht verzog sich zu höhnisch grinsender Freundlichkeit. »Männchen, Männchen, wenn das Sr. Gnaden erführen!«

»Seid Ihr denn nicht auch hier?« fragte Willi dagegen.

»Richtig bemerkt, aber doch fehlgeschossen!« versetzte der Vogt. »Ich bin hier mit Erlaubniß und auf Befehl Sr. fürstlichen Gnaden, wer aber hat dich geschickt? Und mit dem Rebellen, dem gottlosen Jörg Schmid, der seiner Strafe nicht entgehen wird, stehst du ja auf recht vertraulichem Fuß! Willi, Willi, das könnte dir böse Tage machen, wenn ich ein Mann wäre, der des Nächsten Verderben sucht!«

»Ich weiß nicht, was Ihr an mir zu tadeln habt!« antwortete Willi trotzig. »Tragt's Eurem Herrn heim, wenn Ihr wollt! Ich hab' nichts Böses gethan und fürcht' Euch nicht, Ihr mögt ein so arger Spion sein, als Ihr wollt!«

»Mir das, du Satansbrut?« schalt der Vogt. »Verdammter Bube, ich lasse dich krumm schließen und du sollst das Tageslicht nicht wieder sehen. Kein Hund fragt nach dir, du Sohn eines Knechtes!«

»Ihr wißt selbst am besten, wer uns dazu gemacht hat!« entgegnete Willi. »Durch Lug und Trug und schändliche Gewalt hat's Euer Herr dahin gebracht –«

»Bube, ich will dich Achtung lehren!« donnerte Weißbart, einen Schlag nach dem Jüngling führend, dem dieser auswich. Die Scene hatte Zuschauer herbeigelockt, die sich laut gegen den Vogt erklärten und ihn mit Worten und Geberden bedrohten. Der alte Riedinger stiftete auch hier Frieden; Willi schwieg gehorsam auf sein Geheiß.

Während dessen hatte der Knopf von Luibas den Fremden mit dem braunen Mantel aufgesucht und reichte ihm vertraulich die Hand. »Grüß' Gott!« sagte er.

»Wie ist's dir ergangen, seit wir und nicht gesehen?«

»Wie mir's ergangen, d'ran ist wenig gelegen!« antwortete der Fremde mürrisch. »Ich habe Hunger und Kälte ertragen, habe das Ungemach Eurer Berge und die Verfolgungen Eurer Baalspfaffen erduldet, aber das Alles hab' ich mit Freuden gethan, denn ich habe einen guten Saamen gesäet. Bin im Unterland gewesen, im Ried und am See und hab' Männer gefunden, die nicht zahm und langmüthig sind; wie Ihr! Ist das Alles, was die Brüder bei Euch gewirkt haben?«

»Die Brüder thaten, was sie konnten!« entgegnete der Knopf. »Sie sind nicht schuld, wenn's anders geht, als dir lieb ist."

»Fürwahr, Ihr werdet mitten in Flammen stehen mit Eurer Friedfertigkeit,« fuhr der Fremde fort, »und der Fürstabt wird sich zu bedanken haben bei Euch, wenn's ihm allein nicht an den Kragen geht. Er wird sich auch bedanken, aber es wird Euch nicht fein in den Ohren klingen!«

»Magst Recht haben, daß wir's uns hätten sparen können!« erwiederte der Knopf. »Wär's nach meinem Kopf gegangen, wär's auch anders gekommen, aber der Alte hat großen Anhang in der Landschaft, und es hätte mir nichts geholfen, gegen den Strom zu schwimmen. So dacht' ich, mag's denn sein! Die Bündischen werden nicht lang Frieden halten, und da bricht's Gewitter doch los! Weißt, das ein Bruder bei uns eingekehrt ist? Sein Name hat gar hellen Klang, aber ich will ihn nicht verrathen. Wirst ihn wohl sehen, wenn du die Kälte nicht scheust und in unsre Versammlung kommen willst. 'S haben sich gar Viele zum Evangelium gewandt; selbst der Pfarrer zu St. Lorenz predigt in lutherischer Weise. Drum ist ihm auch der Fürstabt nicht grün. Uns aber läßt er gar heftig verfolgen und will's machen, wie die im Schwitzerland und am See. Wenn wir uns nur fürchten thäten!«

»Ihr müsset den Spieß umkehren!« rieth der Fremde und schritt mit dem Knopf nach dessen Wohnung. Die Nachricht von der Ausbreitung der wiedertäuferischen Lehre schien ihm nach dem, was er eben erfahren, nicht gar glaublich.

Die Versammlung ging aus einander. Viele Haufen zogen nun, wie sie hergekommen waren, durch die Stadt mit Musik und Gesang, mit keckem Muth und Wohlleben, wie die Urkunde sich ausdrückt. Doch ohne die geringste Ausschweifung; in Ordnung und Ruhe zerstreuten sie sich, Jeder nach seiner Mark und seiner Hütte. Während die Kemptner Bürger sich unter die Bauern mischten und so viel Sympathie für sie zeigten, daß es wohl Besorgniß erregen konnte, kehrten die Rathsherren selbander nach der Stadt zurück. »Was sagt Ihr zu dem Allen?« fragte Einer seinen Nebenmann, Gordian Seuter.

»Ich sage, daß Vorsicht zu allen Dingen nütz ist!« entgegnete dieser. »Und wäre die Sache der Gemeinden auch eine schlechtere, als sie ist, so dürften wir sie nicht zurückstoßen, denn wir wissen nicht, was aus dem Bauer in diesen Zeiten noch werden kann. Klug ist's, die rechte Mitte treffen, mit dem Einen Freund sein, ohne es mit dem Andern zu verderben, die Zeit benutzen und über der allgemeinen Wohlfahrt den eignen Vortheil nicht aus den Augen lassen. Das ist die große Kunst, welche man Politik nennt, welche die Völker regiert und die Geschichte schreibt. So wollen wir thun in unserm kleinen Staat, und Gott mag es lenken, daß es zum Besten gedeihe!«

»Ja und Amen!« sagte der Andere darauf in einem Tone, welcher hinlänglich bewies, daß dieses »Ja« seinem Munde geläufig war. –


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